Philosophisches: Schule machen

Kürzlich las ich ein Interview in „Die Zeit“ mit Wigald Boning, in welchem er folgenden Satz äusserte:

„Ich glaube, wenn man geliebt wird als Kind – dann öffnet das viele Türen.“

Und ich dachte: „Wie wahr!“ Das Gefühl, nicht geliebt zu werden, hängt ein Leben lang nach. Das Gefühl, nicht lieben zu dürfen, weil jede Umarmung von dir zu viel ist, du aber keine kriegst, prägt. Und dann sitzt du irgendwann in deinem Erwachsenenleben und merkst: Ich trau mich nicht. Ich trau mich nicht, darauf zu vertrauen, dass mich jemand lieben kann. Ich trau mich nicht, jemanden zu umarmen, denn meine Umarmungen kommen immer ungelegen. 

Und dann denke ich: Mein Gott, ich hatte das, was man eine behütete Kindheit in einer heilen Welt nennt. Und ich frage mich, wie geht es Kindern, die nicht eine solche Basis haben? Kinder, die Gewalt erleben müssen. Kinder, die aus Familien genommen werden, weil sie misshandelt werden. Kinder, die an einen Ort, in eine Klasse geboren werden, wo sie schon von Anfang an schlechtere Chancen haben – in unserem System. Kindern aus unteren Klassen traut man weniger zu. Experimente haben gezeigt, sie wären zu Gleichem fähig, würde man ihnen das Vertrauen signalisieren, dass sie es schaffen können. Woher sollen sie es nehmen, wenn es ihnen keiner gibt?

Es gibt zum Glück Institutionen, die das auffangen. Und manchmal sind diese richtig gut. Sie schaffen es, dem Kind etwas zu vermitteln, was Liebe heisst. Obwohl es „nur“ Institutionen sind. Sie vermitteln eine Form von Vertrauen:

„Ich glaube an dich!“

Und das Kind kann es glauben, weil eine Beziehung da ist. Und so sollte es in Schulen sein: Jeder kann vieles erreichen. Man muss an ihn glauben, Es ihm mal zutrauen. Keine Schere machen, nicht die Zuwendung nach Klassenzugehörigkeit austeilen. Leider passiert das oft zu wenig. Es gibt private Schulen, doch die können sich viele nicht leisten. Und wenn man landläufig das Modell erklärt, bei Ämtern und staatlichen Schulen vorspricht, kommt als Erstes: 

„Das geht eh nicht.“

Doch, es geht. Es ist sogar finanzierbar. Man müsste es nur wollen. Aber es wäre gefährlich. Plötzlich würden wir Menschen aus allen Schichten bilden, die nachher mündige und fähige Mitbürger wären, die mitsprechen wollen. Plötzlich wäre der eigene Kuchen gefährdet, weil zu viele gelernt haben, ihr Leben in die Hand zu nehmen können, und wissen, dass sie dafür ihre Stimme in einer Demokratie erheben müssen. Das muss man sich erst mal trauen. 

Nur: Wollen wir weiter eine Demokratie haben, die gelebt wird, müssen wir den Weg gehen. Er fängt im Elternhaus an, aber unsere Institutionen sind in der Pflicht. Auf die könnten wir bauen, wenn sie sich dazu entschliessen könnten. Stellt euch vor: Wir bilden plötzlich Kinder aus, die durch diese Ausbildung erfahren, dass sie selber etwas bewirken können, dass sie dadurch eine Verantwortung tragen, das auch zu tun, und die partizipieren wollen an einem gelingenden Miteinander. 

Eine Utopie? Möglich. Aber nur, wenn wir es nicht wagen. Es wäre machbar! Ich glaube dran!

8 Kommentare zu „Philosophisches: Schule machen

  1. Sandra lädt ein: „Stellt euch vor: Wir bilden plötzlich Kinder aus, die durch diese Ausbildung erfahren, dass sie selber etwas bewirken können, dass sie dadurch eine Verantwortung tragen, das auch zu tun, und die partizipieren wollen an einem gelingenden Miteinander.“

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  2. In meiner Vorstellung von Schule („Entfaltungszentrum“) ist das Gebäude (oder mehrere) ein komplett anders als derzeit: Größer, komplexer gestaltet und so verschieden, wie auch die Teilnehmenden sind.

    Die einzigen Pädagogen, die wir akzeptieren sollten, sind die liebenden.
    Einem wirklich Liebenden ist es so gut wie unmöglich, etwas falsch zu machen.

    Liebe enthält (fast) alles, was in der Pädagogik gebraucht wird:

    • Sie will immer das Beste und entfaltet im Gegenüber Vertrauen.
    • Sie kann gar nicht ohne die Achtung vor der Einzigartigkeit des Anderen.
    • Unter ihrer Leitung kann das Potenzial jedes und jeder Einzelnen erkannt und in der Entfaltung unterstützt werden.
    • Sie lädt die Heiterkeit ein und mit ihr die Freude am Lernen, am Erfahren und Erkennen.
    • Ebenso die Neugierde und das Verstehen-wollen, die spielerische Interaktion, sowie die Lust am Gestalten.

    Der Mentor von morgen ist psychologisch vorbereitet, in die aktuellen neurologischen Wissenschaften eingeführt und hat selber praktische Erfahrung in Meditation.

    Das Eintrichtern von Wissen ist in gewisser Weise nachrangig. Wichtiger ist die Einübung darin, sich in dem Chaos von Information intelligent zurecht zu finden, dabei auch ohne Anleitung (Lehrer) zu lernen und Wichtiges von Unwichtigem (und Falschem) unterscheiden zu können.

    Die Kompetenz dafür ist bereits vorhanden. Sie braucht nur noch das passende Umfeld zu ihrer Entfaltung.

    Ja, die Einführung in das Feld der Verantwortlichkeit (4) wird in allen Fächern einen bedeutenden Platz einnehmen. Auch hier ist die Kompetenz dafür bereits latent vorhanden.

    Die Kinder und Jugendlichen sollten um ihrer selbst willen, also grund- und anlaßlos wertgeschätzt werden und nicht nur wegen ihrer Bereitschaft, sich mit vermeintlichem Wissen und unseren intellektuellen Standard-Methoden füttern zu lassen.

    Wir können nicht
    nicht nicht lernen.

    Und: Lernen macht Freude! 🌻

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      1. Hallo Sandra. Kurz gesagt. Ich stamme aus einer “ normalen“ Familie. Der war ich aber ziemlich egal. Materiell…alles in Ordnung. Für die äußere Wahrnehmung alles gut. Ab dem 13. Lebensjahr habe ich mich alleine erzogen. Mit 15 in die Ausbildung zum Buchhändler. Ab diesem Zeitpunkt war ich “ endlich weg.“ Es gab statt meiner Familie immer wieder tolle Menschen um mich herum. Mit Familie wirst Du geboren. Freunde kannst Du aussuchen. Das hat mich gerettet. Nach der Buchhandelszeit habe ich unter anderem als Fachkraft für Inklusion gearbeitet. In diesem Bereich macht der traurige Satz Sinn. Menschen…egal welchen Alters…brauchen Liebe und Wertschätzung. Egal von wem. Dann geht ganz viel. Als Dozent für Alphabetisierung habe ich es massiv erlebt. Respekt versetzt Berge. Daran hapert es aber. Eltern holen ihre Kids vom Kindergarten ab. Pünktlich. Auf dem gemeinsamen Weg nach Hause…Kind links an der Hand. Die rechte bedient das Handy. Die Augen sind auf das Display gerichtet. Da sagt sich das Kind noch…welches Loch im Boden ist meines. Ich verteufel die Technik überhaupt nicht. Im Gegenteil. Die ist/kann mehr als sinnvoll sein. Der Nutzer ist das Problem. Meine Erfahrungem über Jahre zeigen das erschreckend. Riesen Problem. Auch für Jugendämter und Co gilt. Besser ein schlechtes Verhältnis zu den Eltern..als gar keins. Dazu gehört auch die “ Backpfeife“ aus Versehen. Damit sind wir wieder oben angelangt. Wir brauchen nicht ständig irgendwelche Neuerungen in diesen Fragen. Elternabende die nichts ringen. Pädagogen die sich für den Nabel der Welt halten. Eltern die ab der 5. Klasse sagen…jetzt bist Du groß. Mach. Und dergleichen mehr. Deutschland muss Kinder endlich oberhalb von Carports und Fußballplätzen einordnen. Oder einen Satz von Kahil Gibran aufnehmen. “ Wenn Kinder klein sind…gib ihnen Wurzeln. Wenn sie groß sind…gib ihnen Flügel.“ Sonst wird das nix. Im deutschen Sprachgebrauch gibt es einen schlimmen Satz. “ Wenn die Kinder aus dem gröbsten raus sind.“ Ergo eine der schönsten Phasen des Lebens. Lernen. Leben. Lachen. Laufen. Sprechen. Ich rege mich gerade auf.

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  3. Selbstverständlich muß in den Schulen der allgemeine Kenntnisstand in grundlegenden Bereichen des Wissens (und des Könnens, was die Methoden betrifft) vermittelt werden. Einerseits als Basis für die gesellschaftliche Teilhabe und andererseits für eine mögliche Teilnahme an der Gestaltung der näheren und auch der weiteren Umgebung und drittens… zum praktischen Verständnis der Dinge.

    Aber: In unseren Bildungsanstalten wird den Kindern und Jugendlichen über viele Jahre und mit viel Aufwand, hauptsächlich die Anpassung antrainiert.

    Und die nötige Hinwendung zum freien Denken… bleibt dabei auf der Strecke.

    Das selbständige Denken wird nicht nur nicht gefördert, es verkümmert oder wird – bis auf ein paar Rudimente – fast gänzlich ausgemerzt.

    Das Lehrziel scheint nicht der mündige Bürger, sondern
    „das fügsame Rädchen im Wirtschaftsgetriebe“ zu sein.
     
    🌺

    Sandra: „Eine Utopie? Möglich. Aber nur, wenn wir es nicht wagen. Es wäre machbar!“

    Es IST machbar, natürlich!

    Es hakt bloß am Denken der Leute: Es gilt das Altvertraute.
    Das Neue macht Angst. Selbst wenn es das Paradies wäre.

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