Tagesgedanken: Träume leben

Kennst du das auch? Du träumst davon, etwas zu tun, findest aber ganz viele Argumente, die dagegensprechen, vertagst es im besten Fall auf später, im schlimmsten verwirfst du den Traum. Nun gibt es zwar so schöne Sprüche wie „Lebe deinen Traum!“ oder „Wenn du davon träumen kannst, kannst du es auch tun!“ – nur: Ist die Realität nicht anders? Stecken wir nicht oft in Zwängen und Verpflichtungen fest? Können wir nicht oft vor lauter tun Müssen unsere Träume nicht leben? Zudem fehlt es dem Weg zu diesen Träumen oft an vielem und einiges steht im Weg. Wie auch immer: Es finden sich meist gute Gründe, wieso du deine Träume nicht lebst.

In der heutigen Zeit hört man immer, dass alles möglich sei, wenn man es nur genug wolle. Es sei alles erreichbar und verfügbar für den, der es genug will. Ich bezweifle das. Was ich aber denke ist folgendes: Wenn du etwas wirklich tun willst, solltest du die Gründe, die dagegensprechen, gut prüfen. Ab und an sind es nur diffuse Ängste, ab und an glaubst du schlicht zu wenig an dich.

Wenn es etwas wirklich Wichtiges gibt auf dem Weg hin zu den eigenen Träumen, ist es folgendes: Du musst anfangen – beherzt, mit Mut und Leidenschaft. Sicher braucht es auch Geduld und Ausdauer, wenn du deine Ziele erreichen willst, aber wenn du nie den ersten Schritt machst, wirst du auch nie ankommen. Machst du diesen ersten Schritt nur halbherzig, findest du sicher auch schnell Gründe, die dich zum Abbruch des Weges bewegen. Die innere Haltung zu deinen Wünschen und Zielen ist wichtig auf dem Weg. Nur, wenn du Dinge aus Überzeugung und mit ganzem Herzen tust, wirst du das auch nach aussen ausstrahlen. Und dann können Dinge passieren, von denen du kaum zu träumen gewagt hättest. Das wusste auch schon der alte Goethe:

„In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um einem zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung, und er sorgt zu den eigenen Gunsten für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle, Begegnungen und materielle Hilfen, die sich kein Mensch vorher je so erträumt haben könnte. Was immer Du kannst, beginne es. Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie. Beginne jetzt.“

C. G. Jung sprach in dem Zusammenhang von Synchronizität. Dinge passieren nicht, weil eines durch etwas anderes ausgelöst wird, sondern die eigenen Gedanken, Gefühle und auch Haltungen stossen auf Resonanz. Wenn du also beginnst, mit ganzem Herzen deinen Traum zu leben, stösst du plötzlich auf Menschen, die gleich gesinnt sind. Du triffst auf Verständnis, Unterstützung, findest Hilfe, Rückhalt und Zuspruch, mit denen du nie gerechnet hättest. Aus diesem Zweifel, dieser Unsicherheit und dem fehlenden Glauben an deine Träume heraus hast du immer wieder Gründe gefunden, sie nicht zu leben, es nicht einmal zu versuchen.

Wenn ich also mit ganzem Herzen etwas tue, habe ich gute Chancen, dass es gelingt. Natürlich kann alles, was gelingen kann, auch misslingen. Damit ist aber weder die Sache noch man selber gescheitert. Gescheitert wäre man, würde man nichts mehr probieren, weil man nicht mehr dran glaubt, dass etwas gelingen kann. Jeder Versuch ist ein Erfolg, nur das Nicht-Versuchen ist ein Scheitern.

Es gibt viel zu tun. Wann fangen wir an?

Tagesgedanken: Selbstfreundschaft

«…Selbstsorge, Selbstaufmerksamkeit, Selbstgestaltung. An der Sorge des Selbst für sich, körperlich, seelisch, geistig, führt kein Weg vorbei…» (Wilhelm Schmid)

Freundschaft ist ein wichtiges Gut im Leben. Studien zeigen, dass Freunde das eigene Leben nicht nur verschönern, sondern sich auch auf die Gesundheit auswirken: Menschen, die einen Freund haben, auf den sie bauen können, erkranken weniger an Herzkreislaufkrankheiten, sie sind weniger anfällig für Süchte, Angstzustände und vieles mehr. Zudem leben sie länger. Ein schöner Nebeneffekt für eine so wertvolle Sache.

Was macht Freundschaft eigentlich aus? Sicher ist es die gemeinsame Zeit, die man verbracht hat: je länger und intensiver man mit einem Menschen zusammen ist, desto tiefer geht die Beziehung. Auch das Vertrauen in den anderen ist wichtig, darum zu wissen, dass dieser Mensch für einen da ist – auch wenn es mal schwierig ist. Freunde sind einem nah, ohne einen in Beschlag zu nehmen, bei Freunden kann ich alles ansprechen, ohne mich dafür schämen zu müssen oder zu fürchten, dass es in falsche Hände gerät. Freunde begegnen sich auf Augenhöhe, sie sehen sich als Gleiche und behandeln sich mit Respekt. Und obwohl Freunde oft Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten haben, sind sie doch verschieden, nehmen sich in dieser Verschiedenheit gegenseitig an.

Wenn wir an Freundschaft denken, denken wir immer an einen anderen Menschen. Doch was ist eigentlich mit uns selbst? Behandle ich mich selbst genauso gut ,wie ich meinen Freund behandle? Wann habe ich das letzte Mal wirklich Zeit mit mir verbracht? Zeit, in der ich mich um mich kümmerte, mich hinterfragte? Behandle ich mich selbst immer mit Respekt oder sind da nicht doch viele abwertenden Sätze, mit denen ich mich martere? Vertraue ich in mich und meine Fähigkeiten oder bin ich von (Selbst-)Zweifeln zerfressen?

Wer kennt nicht Sätze wie «Das schaffe ich nicht.», «Dafür bin ich zu blöd.», «Solche Dinge passieren auch nur mir.»? Wer kennt nicht die permanenten Abwertungen, die wir uns täglich selbst an den Kopf werfen, so ein Selbstbild zementieren, das weder der Realität entspricht noch hilfreich ist? Diese inneren Geisselungen entspringen meist Prägungen, die Mutter, die in der Kindheit vermittelte, dass wir Dinge nicht können, sie also besser lassen; der Vater, der bei jedem Fehler die Augen verdrehte und einen glauben liess, nur man selbst mache welche; der Lehrer, der einem das Gefühl gab, blöd zu sein. Diese Sätze brennen sich ein, sie werden zu Mustern, die durch innere Glaubenssätze gestützt werden.

Durch diese wird mein Stellenwert bei mir so klein, dass ich es mir nicht wert bin, mein eigener Freund zu sein? Sokrates sagte, es sei besser, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun, weil man mit sich selbst immer zusammenleben müsste. Wenn ich also mit mir zusammenlebe, wäre es da nicht wichtig, gut zu mir zu schauen? Müsste ich dann nicht diese Glaubenssätze, mein Selbstbild hinterfragen? Was ist wirklich wahr, was deckt sich mit meinen Erfahrungen und erlebten Wirklichkeiten, wo sitze ich falschen Sätzen auf, aus denen ich ein Bild von mir zeichne, das mir nicht gerecht wird? Sicher gibt es Punkte, die ich verbessern, verändern möchte – dann kann ich sie angehen und werden, wer ich sein will. Vielleicht stellen sich aber viele Überzeugungen schlicht als falsch heraus, dann muss ich versuchen, sie immer wieder durch positive Glaubenssätze zu ersetzen – bis ich diese glaube und sie ein neues Selbstbild prägen, eines, das realistischer ist. Durch diese Arbeit an und mit mir, durch diese mir selbst geschenkte Zeit und Wertschätzung werde ich zu meinem eigenen Freund – und damit sicher auch zu einem besseren Freund für meine Freunde.

Tagesgedanken: Nähe und Distanz

«Schön, ist es auf der Welt zu sein, sagt der Igel zu dem Stachelschwein.»

Wie ist der Mensch? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ziehen Philosophen gerne den Vergleich mit Tieren herbei. Schopenhauer bemühte das Stachelschwein. Wenn es kalt wird, suchen Stachelschweine die gegenseitige Nähe, sie rotten sich zusammen. Irgendwann fangen die Stacheln zu sehr an zu pieken und sie gehen wieder auf Distanz. Dieses Spiel von Nähe und Distanz gebe es nun, so Schopenhauer, auch beim Menschen.

Nun weiss man, dass ein Mensch ohne andere Menschen nicht existieren kann. Babys, die ohne Berührung aufwachsen, sterben. Es braucht also eine gewisse Nähe. Und doch kann es auch zuviel werden. Herauszufinden, wer wann wieviel braucht, ist wohl eine Gratwanderung. Während die einen lieber von Ferne auf ihre Mitmenschen schauen mit kurzen Begegnungen dann und wann, sitzen die anderen am liebsten rund um die Uhr zusammen, um nur dann und wann eine kurze Auszeit zu suchen. Die meisten sind wohl irgendwo in der Mitte der beiden Extrempositionen.

Interessant ist es, die eigenen Bedürfnisse zu analysieren. Brauche ich viel Nähe? Bin ich lieber auf Distanz? Was bedeutet Distanz? Einsamkeit? Einfach keine Berührungen? Was Nähe? Örtliche? Geistige? Und was passiert, wenn zu viel Nähe da ist? Was passiert, wenn ich «die Stacheln ausfahre»? Was geht in mir vor und wie äussert es sich nach aussen?  Es gibt in dieser Frage (wie in den meisten dieser Art) kein richtig oder falsch. Wichtig ist es aber, sich und die eigenen Bedürfnisse zu kennen, vor allem auch im Umgang mit anderen Menschen, da Beziehungen oder Freundschaften zwischen völlig unterschiedlichen Typen wohl sehr schwierig auszuhalten sind – für beide.

Tagesgedanken: Authentisch sein

Kennst du das auch, dass du in eine Runde kommst und dazu gehören willst? Du wünschst dir, dass sich die anderen mögen und du strengst dich an, möglichst alle Erwartungen (die du nicht wirklich kennst, dir aber vorstellst) zu erfüllen. Ja keine Fehler machen, heisst die Devise, nichts Falsches sagen. Das Resultat all dieser Anstrengungen ist, dass du unsicher wirst, dich ständig unter Selbstbeobachtung hast und mit angezogener Handbremse durch den Abend fährt. Natürlich lässt du dir diese Unsicherheit nicht anmerken, du versuchst, sie zu überspielen, indem du möglichst nichts sagst, so dass es nichts Falsches sein kann, oder aber du redest viel zu viel, um ja nicht langweilig zu wirken. Und beides bist eigentlich nicht du – aber wer bist du eigentlich? Und vor allem: Wieso denkst du, dich verstellen zu müssen, nicht der sein zu dürfen, der du bist, um angenommen zu werden?

Bei Brené Brown las ich mal den schönen Satz

„Lass los, was du glaubst sein zu müssen, und umarme, was du bist.“

Oft fällt es bei fremden Menschen leichter, sich selbst zu bleiben, denn es hängt nichts davon ab. Wenn sie mich nicht mögen, gehe ich weiter, sie werden sich nicht mehr daran erinnern und in meinem Leben bleibt auch nichts zurück. Sind es aber Menschen aus meinem Umfeld, wird es schwieriger. Das Bedürfnis, da gefallen und genügen zu wollen, ist grösser, die Unsicherheit damit auch.

Das Gefühl, nicht zu genügen, ist wohl eines der Schwierigsten, wenn es darum geht, ein authentisches Leben zu führen. Es ist aber auch eines der Schwierigsten, wenn es darum geht, Beziehungen zu führen. Nimmt man sich nämlich nicht selbst an, wie man ist, ist man zu schnell dazu bereit, ja zu sagen statt nein. Man unterdrückt die eigenen Bedürfnisse und ist danach wütend auf sich – und ein wenig auch auf den anderen. Doch schauen wir genauer hin: Wenn ich meine Bedürfnisse ständig hintenanstelle, mich nicht traue, Wünsche zu äussern, was für eine Beziehung gestalte ich auf diese Weise selbst? Oft verhalten wir uns so, weil wir den anderen nicht verlieren wollen. Wir haben ihn gern, möchten ihn in unserem Leben behalten und versuchen, alles zu vermeiden, was das in Gefahr bringen würde.

Nur: Will ich auf Dauer eine Beziehung haben, in der mein Sein so wenig zählt, ich selbst keine Stimme habe, in der nur der andere das Sagen und Recht auf die Erfüllung seiner Bedürfnisse hat? Ist es wirklich besser, sich so sehr zurückzunehmen, nur um nicht alleine zu sein, nur um diesen einen anderen Menschen um sich zu haben, obwohl wir tief drin merken, dass uns das nicht gut tut, weil wir uns selbst langsam verlieren in diesem Verhalten? Ist das wirklich Liebe? Es spricht zumindest nicht von grosser Selbstliebe und die ist die Basis für jede andere Liebe. Kann ich selbst mich nicht lieben, wie soll ich Liebe für andere empfinden? In der Bibel heisst es:

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“

Woher kommt diese fehlende Selbstliebe? Woher kommt dieses Denken, ich muss mich verstellen, um gemocht zu werden? Woher kommt die Angst, so, wie ich bin, nicht in Ordnung zu sein? Zwar bin ich kein Freund des ständigen Grabens in der Kindheit, doch bin ich überzeugt, dass wir uns oft aufgrund von Prägungen und Mustern auf eine Weise verhalten. Diese gehen oft weit zurück und haben sich tief in unser Sein eingegraben, so dass wir daraus heraus unbewusst Verhaltensweisen an den Tag legen. Diese Muster und Prägungen offenzulegen, kann helfen, sie langsam aufzulösen und das eigene Verhalten selbst zu steuern, statt und nur steuern zu lassen durch Überreste aus der Kindheit.

Dann trete ich einem Menschen gegenüber als der, der ich bin, und gebe ihm die Chance, mich so kennenzulernen. Ich unterschiebe ihm nicht, dass er von mir erwartet, mich anzupassen, und bringe ihm das Vertrauen entgegen, dass er mich so annimmt, wie ich bin. Nun ist es natürlich so, dass mich nicht jeder Mensch mögen wird, genauso wie auch ich Antipathien hege. Zudem ist es auch nicht sinnvoll, mich jedem gegenüber gleich völlig zu öffnen und alles von mir zu offenbaren, da nicht jeder dieses Vertrauen verdient oder die Gefahr zu gross ist, dass es missbraucht würde. Es ist wichtig, zu unterscheiden, wo ich wieviel von mir preisgebe. Allerdings werde ich wohl den Menschen, demgegenüber ich mich nicht öffnen kann oder will, auch nicht wirklich nah in meinem Leben haben wollen, was oft auf Gegenseitigkeit beruht. Dies ist dann für beide kein Verlust und sicher kein Grund, mich von Grund auf zu verstellen – an die Situation anpassen reicht vollkommen.

Der alte Spruch

„Trau,schau wem?*“

hat durchaus etwas Wahres an sich. Und auch da bin wieder ich das erste Glied in der Kette. Wenn ich in mich und mein Urteil vertraue, kann ich mich einem anderen Menschen öffnen und authentisch sein. Daraus kann eine Verbindung entstehen zwischen uns, weil wir uns wirklich begegnen.

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* Die Redewendung geht übrigens auf einen lateinischen Spruch zurück: „Fide, sed cui, vide.“, was zeigt, dass die menschlichen Probleme und Bedürfnisse im Miteinander sich seit der Antike wohl unswesentlich verändert haben….

Tagesgedanken: Licht im Dunkel

Rainer Maria Rilke: Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden
Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, dass ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangen Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.

Das Leben läuft nicht immer so, wie wir uns das erträumt haben. Manchmal beginnen wir einen neuen Lebensabschnitt voller Freude und Hoffnung, um dann vor einer Mauer zu stehen, wo es nicht mehr weiter geht. Oder wir leiden an einer Krankheit, die unsere Tage mit Schmerzen füllen. Oder Menschen, auf die wir gebaut haben, enttäuschen uns. Beispiele gäbe es viele. Nicht zu selten hadern wir dann. Wir trauern unseren geplatzten Hoffnungen nach, sehen die Welt dunkel und düster. Nur wollen wir die dunkle Seite eigentlich nicht in unserem Leben, wir suchen das Licht. Leider ist es erstens eine Illusion, zu glauben, ein Leben könnte nur aus lichtvollen Momenten bestehen, zudem ist es zweitens nicht mal sicher, ob das wirklich wünschenswert wäre.

Oft zwingen uns gerade diese Situationen dazu, genauer hinzuschauen. Und dann sehen wir plötzlich etwas, das uns vorher gar nicht klar war. Wir sehen unsere Irrtümer, sehen, wo wir uns selbst falsch eingeschätzt haben, stossen auf Träume, Wünsche oder Ziele, die uns viel mehr am Herzen liegen als die, welche wir verfolgt haben. Oft sind es die problematischen Situationen, an denen wir wachsen.

Vielleicht sind dunkle Stunden Chancen und Möglichkeiten. Trauern, hadern, seine Wunden zu lecken sind auch immer Zeiten, in denen wir innehalten. Es sind Zeiten, in denen wir unser Leben und uns selbst hinterfragen. Dieses Hinterfragen führt zu Einsichten in das eigene Sein und Tun, es bringt förmlich Licht ins Dunkel des Unterbewusstseins, holt Dinge hervor, die tief darin verborgen waren.  Vielleicht sehen wir das im ersten Moment nicht, da der Schmerz über das Scheitern einer Hoffnung zu gross ist. In diesen Momenten hilft es wohl nur, im Wissen darum zuversichtlich zu sein, dass auf Dunkelheit auch wieder Licht folgen wird, so wie Udo Jürgens singt:

«Immer, immer wieder geht die Sonne auf
und wieder bringt ein Tag für uns ein Licht,
Ja, immer, immer wieder geht die Sonne auf,
denn Dunkelheit für immer gibt es nicht»

Tagesgedanken: Selbstmitgefühl

„Mitgefühl für mich selbst ist der mächtigste aller Heiler.“ (Theodore Isaac Rubin)

Wenn ich etwas tue, das sich im Nachhinein als ungünstig oder gar falsch herausstellt, habe ich eine innere Stimme, die mit mir ins Gericht geht. Manchmal sage ich aus einem Impuls heraus etwas, reagiere auf etwas, das mich irritiert oder gar aufregt spontan auf eine Weise, die ich mit mehr Zeit zum Nachdenken wohl nicht gewählt hätte. Auch dann meldet sich sofort meine innere Stimme und fängt an, mit mir zu schimpfen. Und sie ist alles andere als zimperlich. Sie hält mir nicht nur diesen Fehler vor, sondern setzt auf die Verallgemeinerung: „Immer passiert mir sowas.“, „Wie kann ich nur so blöd sein.“, „Ich bin nicht gut genug.“ Zurück bleiben Wut über mich, Trauer auch sowie Scham und Schuld, weil ich bin, wie ich bin, und reagiere, wie ich es tue.

Ich ginge wohl kaum mit jemand anderem so hart ins Gericht, wie ich das mit mir selbst tue. Und je lieber ich den anderen hätte, desto nachsichtiger wäre ich wohl mit ihm. Was also lässt mich mit mir selbst so umgehen? Wieso bin ich so hart zu mir? Wieso würde ich anderen Fehler verzeihen, bei mir selbst bin ich aber unnachgiebig, prangere die Fehler und mich selbst an, halte mir alles immer und immer wieder vor? Wenn ich sage, dass ich mit anderen, je lieber ich sie habe, desto nachgiebiger umgehe, würde das analog bedeuten, dass ich mich selbst wenig mag. Könnte ich mich so behandeln, würde ich mich wirklich lieben?

Anderen gegenüber lassen wir oft Mitgefühl walten. Wir fühlen uns in sie hinein und fühlen, wie es ihnen gehen muss in bestimmten Situationen. Dies passiert auch aus der eigenen Erfahrung heraus, insofern ist diese durchaus wichtig für die Ausbildung von Mitgefühl. Es ist eine Form von Resonanz, indem in uns anklingt, was im anderen vor sich geht. Wir wissen, dass jeder Mensch Liebe und Glück will, dass er nicht leiden will und fühlen uns verbunden. Aus dieser Verbundenheit heraus wollen wir ihm möglichst wenig Leid zufügen und üben uns in Nachsicht, sind grosszügig im Umgang mit seinen Fehlern.

Wo aber bleibt unser Mitgefühl mit uns selbst? Auch wir sind eigentlich zwei (ein Bild, das auf Sokrates zurückgeht): Einer, der einen Fehler gemacht hat, und einer, der tadelt. Woher stammt dieser tadelnde Teil in uns? Wessen Stimme spricht? Und wie kann ich sie zum Schweigen bringen? Wohl nur, indem ich mir das zugestehe, was ich auch anderen zugestehe: Ich darf einen Fehler machen. Das heisst nicht, dass ich insgesamt ein Mängelwesen, dumm oder nicht gut genug bin. Es heisst schlicht, dass mir etwas nicht so gelungen ist, wie ich das gerne hätte. Und statt mich dafür zu beschimpfen, gehe ich besser liebevoll mit mir um und schaue, wie ich denselben Fehler bei einem nächsten Mal vermeiden kann. Und es heisst, dass ich mir trotz Fehler immer wieder sagen kann:

„Ich bin gut genug!“

Tagesgedanken: Integrität

«Herr, lass mich werden, der ich bin
In jedem Augenblick.
Und gib, dass ich von Anbeginn
Mich schick in mein Geschick.»

Mit diesen Zeilen beginnt ein Gedicht von Mascha Kaléko. Sein, wer man ist, in jedem Augenblick – was heisst das eigentlich? Es heisst, dass ich in meiner Integrität nach meinen Werten lebe, dass ich in Übereinstimmung mit dem lebe, was mir wichtig ist – nur: Ist das immer so eindeutig? Wie oft passiert es, dass in mir gegenläufige Stimmen streiten, dass Werte in Konflikt kommen. Der Wunsch nach Alleinsein kollidiert mit meinem Verantwortungsgefühl, für andere da sein zu wollen. Mein Wunsch nach einem künstlerischen Leben ist nicht vereinbar mit meinem Bedürfnis nach Sicherheit und Geordnetheit des Lebens.

Schon damit umzugehen ist schwer genug, doch dann gibt es ja nicht nur mich, es gibt auch andere, eine Gesellschaft. Und die hat Erwartungen an mich. Ich soll mich so verhalten, dass ich in diese Gesellschaft passe, dass ich meine Rolle in ihr wahrnehme. Diese Erwartungen haben sich tief in mich eingebrannt und ich strebe danach, sie zu erfüllen. Ich will also einerseits ganz ich sein, andererseits aber auch Teil eines Ganzen, was von mir eine gewisse Anpassung erfordert. Kant nannte diesen Widerspruch «ungesellige Geselligkeit».

Was ist also nun der richtige Weg hin zu einem guten Leben, einem Leben, von dem ich sagen kann, dass es wirklich meines ist, ich als Ich in ihm bestehe und trotzdem Teil eines Ganzen bin? Wenn ich bedenke, dass ich allein nicht lebensfähig bin, dass ich abhängig bin von anderen, kann ich fast nicht anders, als dafür zu sorgen, dass diese anderen mit und neben mir gut leben, dass wir in einem guten Miteinander diese Welt teilen. Insofern müsste die Sorge um das Ganze immer auch mein eigener Wunsch sein, nicht nur eine auferlegte Rolle, die wir zähneknirschend erfüllen.

Das ist in der Theorie einfach gesagt, stellt sich in der Praxis wohl oft als schwierig heraus, da mir meine Abhängigkeit im Alltag nicht bewusst ist. Und genau da muss ich wohl ansetzen: beim bewussten Hinsehen auf mich, auf mein Leben, auf das, was ich brauche. Ich muss wissen, was mir wichtig ist, ich muss mich mit meinen Bedürfnissen, auch den nicht so offensichtlichen, kennen, und aus dieser Kenntnis heraus kann ich entscheiden, was es für mich heisst, ein integres Leben zu leben, ein Leben, von dem ich sagen kann: Das ist MEIN Leben. Das ist der Fall, wenn ich ich bleibe, im Wissen, dass ich nur ich sein kann, wenn andere um mich sind.

So gesehen wäre die Anpassung zur Sicherung eines für alle stimmigen Miteinanders mein Wunsch und Wert und dadurch Teil meiner selbst und nicht im Konflikt. Abzuschätzen gilt wohl nur, in welchen Situationen er der relevante Wert ist, andere zurückstehen müssen, und in welchen ich anderen den Vorzug geben kann, mal wirklich für mich zu schauen, meine ganz eigenen Bedürfnisse auszuleben.

Philosophisches: Haben oder Sein

«Die Aufgabe ist, dass der Mensch so lebt, dass der Zweck, das Ziel seines Lebens die volle Entfaltung aller seiner Kräfte ist als ein Selbstzweck und nicht als Mittel zur Erreichung anderer Zwecke.» (Erich Fromm, Marx zitierend)

Das sagte Erich Fromm in einem Interview und meinte es als Kritik an einer Welt, die Menschen immer mehr als Ressourcen sieht, und immer weniger als Personen, als Individuen. Was zählt, ist das Haben, der Profit, dabei geht das Sein, das Leben als ganzer Mensch, unter. Sinnbildlich wird das in Firmen, in denen die Personalbüros «Human Ressources» heissen: Menschliches Kapital quasi, ein Gut, auf das man für den Profit strategisch zurückgreift. Kein schönes Bild, wie ich finde. Kein Wunder, fühlen sich Menschen immer unwohler in der Arbeitswelt, brennen sie aus, werden sie krank. Für die ressourcenorientierte Gesellschaft ist das kein Problem, jeder ist ersetzbar, fällt einer aus, kommt der nächste.

Das fängt aber schon früher an: Auch in der Schule zeigt sich diese Haltung. Es geht nicht um Bildung, sondern um Wissensanhäufung unter Zwang und Leistungsdruck. «Und bist du nicht willig, dann kriegst du ne eins (in der Schweiz die schlechteste Note).» Wer es nicht aufs Gymnasium schafft, hat je länger je mehr ein Problem, die Berufsauswahl schrumpft. Es zählt nur noch, was einer (an Papieren) hat, nicht was er an wirklichen Fähigkeiten mitbringt. Eine Kindergartenlehrerin muss in Mathe gut sein, die Sozialkompetenz, der liebevolle Umgang mit Kindern sind keine ausschlaggebenden Kriterien.

Was so mehr und mehr wegfällt, ist eine wirkliche Beziehung zwischen Menschen, eine wirkliche Beziehung zur Welt. Der Mensch sieht sich als Rad im Getriebe und fühlt sich nicht gesehen. Das Interesse liegt mehrheitlich darauf, was einer hat, nicht wer er ist. Dadurch entstehen keine wirklichen Beziehungen, doch die wären wichtig für den Menschen, denn ohne sie kann er nicht als Mensch wirklich existieren, sicher kann er kein Leben führen, das ihn befriedigt, das er als gutes Leben bezeichnen würde. Es kommt zu einer immer grösseren Entfremdung – von der Welt, von anderen Menschen, oft auch von sich selbst.

Vielleicht wäre es langsam an der Zeit, umzudenken, Leben neu zu denken – weg von

«Sag mir, was du hast, und ich sage dir, wer du bist.»

Hin zu

«Sag mir, was du fühlst, denkst, tust und willst, und ich sehe, wer du bist.»

Das könnte ein Weg sein weg von profitorientierter Existenz hin zu einem sinnerfüllten Leben.

Tagesgedanken: Falsche Vorstellungen

Ich bin ein Mensch, der gerne seine Strukturen, seine Gewohnheiten hat. Das hat einerseits pragmatische Gründe, denn als selbständig arbeitender Mensch fehlen die Leitplanken von aussen und es fällt mir leichter, täglich nach dem etwa gleichen Plan zu arbeiten, als jeden Tag neu zu überlegen, ob und wann und was ich denn nun tun soll. Es hat aber andererseits auch weitere Gründe: Ich mag es so, fühle mich wohl, wenn ich weiss, was mich erwartet.

Neues, plötzliche Veränderungen, mag ich hingegen gar nicht. Da ertappe ich mich schon lange Zeit vorher, mir auszumalen, wie das sein könnte. Ich erzähle mir, dass das schwer wird, schüre meine Ängste, der Situation nicht gewachsen zu sein, finde immer mehr Dinge, die zu meinem Unwohlsein führen könnten. Das führt dazu, dass es nicht erst schwierig wird, wenn das Neue dann kommt, sondern ich vergifte mit diesem Gedankenkarussell schon die Zeit vorher. Und oft habe ich dann erlebt, dass alles ganz leicht war und meine Sorgen völlig umsonst.

„Vorstellungen sind mentale Muster, die nicht auf real existierenden Objekten beruhen.“ (Patanjalis Yoga Sutras, 1.9)

Es ist wohl an der Zeit, zu lernen, dass das, was am meisten Unwohlsein mit sich bringt, nicht die neuen Situationen sind, sondern meine Vorstellungen davon. Natürlich kann es sein, dass es mal schwierig wird, natürlich gibt es Situationen, in denen ich mich unwohl fühle, doch es reicht, wenn es in der Situation selbst so ist, ich muss nicht schon die Tage vorher damit belasten, denn das ist schlicht nur ein selbstgemachtes Leiden und es liegt in meiner Hand, dies zu ändern.

Mögt ihr Veränderungen oder habt ihr es doch lieber wie gewohnt?

Tagesgedanken: Arbeit an der Liebe

Liebe ist das grösste Gut. Viele Menschen würden das so unterschreiben, wir alle suchen sie, brauchen sie, die Liebe. Umso erstaunlicher ist es doch, dass wir oft, wenn wir sie haben, den Menschen an unserer Seite wissen, den wir lieben, unsere Prioritäten ändern: Alles ist plötzlich wichtig, will getan und erlebt werden – der Geliebte muss das verstehen. Bis er es nicht mehr versteht.

«Einsam bist du sehr alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Träumst von Liebe. Glaubst an keine. Kennst das Leben.
Weisst Bescheid. Einsam bist du sehr alleine –
Und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.»

Man hört sie förmlich ticken, die Wanduhr aus Erich Kästners Gedicht «Kleines Solo». Man sieht das Paar, das sich nichts mehr zu sagen hat, jeder starrt in eine Richtung, nichts schwingt mehr dazwischen – fast ist man an ein Bild von Edward Hopper erinnert. Das Leben ist ausgehaucht, die Gefühle ausgeflogen, zurück bleibt die Ernüchterung des Alltags. Beide bleiben, weil das alles ist, was sie kennen, und sie fürchten, nachher allein zu sein. Sie merken nicht, dass sie schon so viel mehr allein sind, als sie es allein je sein könnten. Das Dasein anderer Menschen, zu denen man eigentlich eine Beziehung hätte, diese aber nicht mehr gelebt, gefühlt, gespürt wird, wird zum Verstärker der Einsamkeit.

Wie das Paar wohl dahin kam? Wie kann Liebe, die lebt, plötzlich sterben? Vermutlich wie jedes System eingeht, wenn es keine Nahrung kriegt. Liebe ist kein Selbstläufer, der, einmal angelaufen, einem Perpetuum mobile gleich in alle Ewigkeit weiterläuft. Es heisst, Liebe sei Arbeit. Vielleicht kann man es auch Sorge nennen, wie es Aristoteles bei seinem Liebesbegriff, der Philia, tat. Liebe als wechselseitige Sorge, als Wohlwollen, Gutes Tun. Wie sagte Erich Kästner:

„Es gibt nichts Gutes, ausser: Man tut es.“

Liebe ist damit ein Tun, ein gegenseitiges sich um den anderen kümmern, für den anderen da sein. Das kann man nicht einfach auf morgen verschieben, das muss als tägliche Haltung dem anderen entgegen gebracht werden.

Leider verschiebt man aber oft nicht nur unliebsame Arbeiten auf später, sondern auch die Arbeit an dem, was man eigentlich als wichtigstes im Leben sieht: Die Liebe. Man nimmt sie als selbstverständlich, sieht den Partner als sicher, und vergisst, dass jeder Mensch, um zu leben, Zuwendung, Berührung, Aufmerksamkeit braucht, dass jeder Mensch das Gefühl haben will, wichtig und geliebt zu sein. Heute. Nicht morgen. Ansonsten fängt die Wanduhr an zu ticken. Und irgendwann ist die Zeit abgelaufen.

Tagesgedanken: Schutzschild

«Der Eremit
Sie warfen nach ihm mit Steinen.
Er lächelte mitten im Schmerz.
Er wollte nur sein, nicht scheinen.
Es sah ihm keiner ins Herz.

Es hörte ihn keiner weinen,
Er zog in die Wüste hinaus.
Sie warfen nach ihm mit Steinen.
Er baute aus ihnen sein Haus.»[1]
(Mascha Kaleko)

Wir sind als Menschen soziale Wesen, wir sind abhängig voneinander, da wir allein nicht überlebensfähig sind – dies nicht nur im körperlichen, sondern vor allem auch im psychischen Sinn. Die Seele leidet, wenn man sich nicht akzeptiert fühlt. Die Welt scheint fern und fremd, wenn man sich in ihr nicht zu Hause fühlt. Zu Hause fühlt man sich da, wo man sich angenommen fühlt, wo man sein darf, wer man ist, wo man spürt: Ich gehöre dazu, ich bin so akzeptiert, wie ich bin.


Ich kann mir zwar wünschen, dass mich andere Menschen als die nehmen, die ich bin – selbst, wenn ich anders bin als sie. Erwarten kann ich es leider nicht, verlangen schon gar nicht. Was, wenn die Anerkennung ausbleibt? Wenn ich mich ausgestossen fühle aus der Gemeinschaft, weil ich in den Augen anderer nicht hineinpasse? Muss oder kann ich mich so sehr verbiegen, dass ich passend werde? Würden sie mich dann mögen? Wäre ich dann zufrieden? Aber: Wen würden sie dann eigentlich mögen? Wäre das noch ich?

Oder muss ich meine Koffer packen und gehen? In der Hoffnung, Menschen zu finden, die mich so verstehen und annehmen können, wie ich bin? Nur: Das werden wohl nirgends alle sein. Wie viele braucht es, um mich akzeptiert zu fühlen, und mit wie viel Ablehnung und Ausgrenzung kann ich umgehen? Kann ich an dieser auch wachsen? Indem ich mir einen Schutz aufbaue, wie der Eremit in Mascha Kalékos Gedicht sein Haus? Oder maure ich mich dann ein und werde unberührbar, damit unfähig, noch wirkliche Begegnungen zu haben, Beziehungen zu leben?

Du bist, wie du bist und du bist nicht genehm
Du bist, wer du bist, und du wirst nicht geseh’n.
Du wirst ausgemessen und sorgsam geprüft,
man schaut nur von aussen, mehr will man nicht seh’n.

Das reicht schon zu wissen, ob du wirklich passt.
Du denkst dir nichts Böses, du möchtest nur sein.
Und merkst ganz tief drin, ich gehör’ hier nicht rein.
Du fühlst dich alleine, verlassen und leer.

Du fühlst dich verloren, und möchtest weggeh’n.
Du stellst dir die Frage: «Wo soll ich nur hin?
Wo ist der Ort bloss, für mich, wie ich bin?»

Allen werde ich nie gefallen, danach zu streben hiesse, mich immer wieder selbst zu verletzen durch falsche Hoffnungen und Erwartungen und die darauffolgenden Enttäuschungen. Schlussendlich wird es auch nicht gelingen, mich auf Dauer zu verbiegen, denn das eigene Gefühl, nicht sein zu können, wer ich eigentlich bin, untergräbt die Freude an der Beziehung mit anderen, es ist ein zu grosser Preis: Ich gehöre nur dazu, weil ich bin, wie sie mich haben wollen, nicht weil ich bin, wer ich bin.

Es bleibt wohl nur eines: Ich muss mir immer wieder klar werden, wer ich bin und was ich will und brauche im Leben und von anderen Menschen. Und dann muss ich sehen, ob ich das in solcher Form kriege an dem Ort, wo ich bin, oder ob ich vielleicht am falschen Platz bin. Dann müsse ich mir einen suchen, der besser passt. Vielleicht reichen aber auch kleine Anpassungen aus, um einen Ort zu einem passenden zu machen. Vielleicht muss ich kein Haus bauen, nicht mal Mauern errichten, es reicht vielleicht ein Schutzschild, den ich hochhalten kann. Ein Schutzschild, hinter das ich in unsicheren Momenten treten kann und hinter dem das warme Gefühl aufkommt: Ich bin, wie ich bin, und das ist gut so. Und dann trete ich wieder hervor und schaue, ob das auch noch andere finden. Und wenn ich mich auf die konzentriere, statt immer jene im Blick zu haben, die mich ablehnen, stehe ich plötzlich in einer Welt, in der ich mich wohlfühlen kann.


[1] Zit. Nach «In meinen Träumen läutet es Sturm» ©1977 dtv Verlagsgesellschaft mbH&Co.KG, München

Tagesgedanken: Mitgefühl

„Was ist das Eine, das alle anderen Tugenden in sich fasst? Mitgefühl.“ (Buddha)

Mitgefühl. Ich fühle, was du fühlst. Nicht im Sinne eines Leidens, wenn du leidest, sondern im Sinne der Fähigkeit, dein Leiden von tiefstem Herzen zu verstehen. Wenn ich mit jemandem mitfühle, höre und sehe ich ihn in seinem Leid, ich nehme ihn als den wahr, der er ist, mit dem, was er fühlt. Nur schon das Gefühl, gehört, gesehen zu werden, nimmt oft einen Teil der Schwere des Leids.

Manchmal sehen wir Menschen in ihrem Sein und Tun und be- oder verurteilen sie dafür. Dies ist ein Zeichen für fehlendes Mitgefühl, was nicht heisst, dass es uns generell an Gefühlen mangelt. Fehlendes Mitgefühl ist ein Zeichen dafür, dass wir nicht bereit sind, den eigenen Standpunkt zu verlassen, um die Welt aus den Augen eines anderen zu sehen. Diese Bereitschaft aber ist nötig, wollen wir mit anderen, die nicht so sind, wie wir sie gerne hätten oder es von ihnen erwarten, zusammenleben wollen.

Nun kann ich mich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass ich selbst richtig, die anderen also falsch sind. Ergo müssen sich die anderen ändern, oder aber ich schliesse sie aus dem Kreis derer, die sind, wie sie sein sollen, aus. Nur: Wäre ich dazu in der Lage, würde ich für einen Moment innehalten und mich fragen, wie es denen gehen muss, die ausgeschlossen werden, nur weil sie sind, wer und wie sie sind? Wie würde ich mich fühlen im gleichen Fall? Durch dieses Hineinfühlen in den anderen entsteht Mitgefühl und damit eine Verbindung zwischen Menschen.

Mitgefühl ist zentral im Buddhismus. Mitgefühl verbindet Menschen als lebende Wesen, als Gleiche unter Gleichen trotz ihrer Unterschiedlichkeit. Mitgefühl basiert auf Wertschätzung, auf dem Wunsch, dass alle Lebewesen frei von Leid sein mögen. Wenn wir uns das wünschen, werden wir uns hüten, anderen Leid zuzufügen, im Gegenteil: Wir werden alles versuchen, Leiden zu vermeiden oder ihm ein Ende zu setzen, so es in unserer Macht liegt.

Umfassendes Mitgefühl wertet nicht. Es sortiert nicht aus. Es weiss, dass jeder Mensch glücklich sein will, dass jeder Mensch frei von Leid sein will. Egal, wo er geboren wurde, welche Sprache er spricht, welche Religion er zu seiner erklärt oder welche Hautfarbe er hat. Auch der unliebsame Nachbar hat tief drin die gleichen Sehnsüchte wie wir. Ebenso der grantige Chef oder die schrullige alte Dame im Park. Keiner steht wohl am Morgen auf und denkt: „Ich will heute mal ein Ekel sein, egal, ob mich die Menschen mögen.“ Wenn wir uns dieses vor Augen halten, gelingt es vielleicht, unser Mitgefühl auch auf die auszuweiten, denen wir im ersten Moment eigentlich negativ gegenüberstehen. Das heisst nicht, dass wir fortan beste Freunde sein müssen, aber es ist der Ausdruck einer Wertschätzung des Menschen als Menschen in seinem So-Sein und damit ein Anfang für ein gelingendes Zusammenleben von Verschiedenen als Gleichwertige und Gleichwürdige. Und das wäre etwas, das ich mir für mich und für diese Welt wünschen würde.

Tagesgedanken: Wer will ich sein?

«Wir sind keine Opfer der Umstände oder unserer Gene, wir können in einem gewissen Ausmass frei wählen, wie wir uns verhalten.»[1]

Wie oft hört man von Menschen, dass ihr Leben beschwerlich ist, weil sie eine schwierige Kindheit hatten. Dann wird meist den Eltern die Schuld für die eigenen, aktuellen Probleme zugeschrieben, haben sie doch das Kind, das man mal war, geprägt und auf die Schienen gebracht, auf welchen es heute noch läuft – und das zu dessen eigener Unzufriedenheit, aus welcher die Klagen stammen. Natürlich kann man das so sehen und sich als Opfer empfinden. Nur: Das wird einen nicht nur nicht weiterbringen, es ist auch eine sehr einfache Sicht. Sind wir wirklich allem ausgeliefert, ohne einen eigenen Einfluss darauf? Haben wir tatsächlich keine Möglichkeit, selbst etwas zu bewirken, und sind somit frei jeglicher Verantwortung für unser Sein und Tun?

Studien sagen nein. Der Mensch ist bis ins hohe Alter zu Veränderungen fähig. Gene und Eltern haben nur einen kleinen Anteil an dem, was wir die eigene Identität nennen. Das Umfeld, die Gleichaltrigen im Kindesalter, später Freunde und Bekannte, sind viel prägender. Und: Auch wir selbst haben durchaus viel in der Hand, können wir doch sowohl bei der Wahl unserer Freunde (später wohl noch mehr denn als Kind) sowie durch einen bewussten Blick darauf, was wir wirklich wollen im Leben und ob wir dafür am richtigen Ort sind, durchaus eigene Weichen stellen.

Wenn es im Leben nicht rund läuft, man mit seinem Verhalten immer wieder aneckt, oder man merkt, dass man immer wieder in gleiche Fallen tappt, sagt man sich oft: 

«So bin ich halt.»

Zwar ist man damit fein raus und jeglicher Anstrengung zu Veränderung enthoben, doch ist das nicht eine gar einfache Sicht? Denn: Das mag gut passen, wenn man mit sich und dem eigenen Leben zufrieden ist, doch was, wenn nicht? Wenn man sich eigentlich wünscht, anders zu sein, zumindest in gewissen Situationen? Was, wenn man Träume und Wünsche hat, die sich aber nur erfüllen lassen, wenn man die eigene Komfortzone verlässt? Die gute Nachricht: Es ist möglich. Aber: Es ist sicher nicht einfach und geht selten von heute auf Morgen. Trotzdem gibt es Starthilfen für einen Weg hin zu einer Veränderung:

Hinhören, was man wirklich will. Danach einfach auch mal kleine Dinge anders machen als sonst, um zu sehen, wie sich Veränderungen anfühlen. Sprichwörtlich neue Wege gehen – und sei es nur der zur Arbeit. Eine weitere Möglichkeit ist, so zu tun, als ob. Der Soziologe John Goffman sagt, dass wir alle im Leben unbewusst Theater spielen, indem wir anderen auf eine bestimmte Weise gegenübertreten. Wieso das nicht bewusst tun? Wieso als schüchterner Mensch sich nicht so verhalten, als ob man selbstbewusst und mutig wäre, und einfach mal mit der Frau an der Kasse ein paar Worte wechseln? Und merken, dass es gar nicht so schwierig ist, im Gegenteil, dass es sogar Spass macht. Und plötzlich geht es wie von selbst, das vorher gespielte Verhalten geht in Fleisch und Blut über. All das ist ein Weg, ein Prozess des beständigen Hinschauens, Erkennens und Übens. So sagte schon Buddha:

„Durch Übung wächst das Wissen an, doch ohne Übung schwindet es dahin.“

Manchmal ist man aber auch mit sich selbst zufrieden, fühlt sich wohl in seiner Haut und möchte bleiben, wie man ist – nur: Andere stossen sich daran, weil man anders ist als sie. Was dann? Schmerzen mag die Ablehnung doch, aber es bleibt in dem Fall nur ein gelassenes «so what». Eine wahre Wunderwaffe für den inneren Frieden, wie ich finde. 


[1] Zitat aus Christina Berndt: Individuation. Wie wir werden, wer wir sein wollen. Der Weg zu einem erfüllten Ich, DTV Verlag, 2020.

Tagesgedanken: Leben ist heute

«Wir wissen nicht, was morgen wird.
Wir sind keine klugen Leute.
Der Spaten klirrt, und die Sense sirrt,
Wir wissen nicht, was morgen wird.
Wir ackern und pflügen das Heute.»
(Mascha Kaléko)

Vor allem in schwierigen Zeiten, in persönlichen Krisen oder wenn, wie jetzt, die Welt im Argen liegt, schaut man oft sorgenvoll in die Zukunft und fragt sich, wie das alles weitergeht. Was soll nur werden und was, vor allem, wird aus mir werden? Wie werde ich leben? Wird mein Leben gut sein? In all diesen Gedanken verlieren wir uns, malen Bilder an die Wand, die unseren (in solchen Situationen oft dunklen) Gedanken entspringen und sich verfestigen. Oft vergessen wir dabei, dass dies keine wirklichen Zukunftsaussichten sind, sondern nur eigene Vorstellungen. Ob diese real werden oder nicht? Das kann keiner sagen. 

Manchmal schweifen wir in Gedanken auch in die Vergangenheit. Wir schwelgen in dem, was mal war und hadern damit, dass es nicht mehr ist. Nur: Schöne Erinnerungen sind zwar wunderbar und auch wichtig, aber die zu intensive Auseinandersetzung damit kann gefährlich werden, wenn wir darüber die Gegenwart vergessen und diese keine Chance bekommt, selbst zu einer schönen Erinnerung zu werden. Noch schwieriger wird es , wenn wir unsere aktuelle Krise an schlechten Erfahrungen der Vergangenheit (oft gar Kindheit) festmachen. Wir beklagen uns darüber, suhlen uns in unserem Leid und sehen uns diesem ausgeliefert, weil das Leben so gelaufen ist, wie es dies tat. Wir werden weder das Schöne zurückholen können noch das vergangene Leid ungeschehen machen. Die Flucht der Gedanken in Vergangenheit oder Zukunft wird im Hier und Jetzt meist wenig bewirken.

Alles, was bleibt, ist das Heute: Es ist der einzige Tag, der gelebt werden kann. Was heute nicht im Lot ist, das kann ich heute angehen. Und was heute schön ist, das kann ich geniessen und auskosten, ich kann daraus Kraft schöpfen für mein Leben. Nicht, um später nur noch darin zu schwelgen (aber natürlich auch, um dann und wann dankbar zurückzublicken), sondern um die Kraft zu haben, dann mit dem Leben umzugehen, wenn es mal schwierig wird. Der Dalai Lama hat das schön ausgedrückt:

«Es gibt nur zwei Tage im Jahr, an denen man nichts tun kann. Der eine ist Gestern, der andere Morgen. Dies bedeutet, dass heute der richtige Tag zum Lieben, Glauben und in erster Linie zum Leben ist.»

Tagesgedanken: Selbstliebe

Fragt man Menschen, was sie sich wünschen im Leben, ist wohl die Liebe das, was am meisten genannt wird. Sie ist der Inbegriff dessen, was das Leben lebenswert macht, wonach wir uns sehnen, um uns wohl und gut zu fühlen. Fehlt die Liebe, fehlt nicht nur sie, sondern auch oft die Freude an allem anderen, weil wir uns innerlich leer fühlen.

Jemandem sagen zu können „Ich liebe dich!“ ist ein grosses Geschenk. Das Wissen um diesen anderen Menschen, den man aus tiefem Herzen annimmt, den man in seinem Leben weiss, dem man vertraut, auch sich anvertraut, gibt dem eigenen Leben einen Boden, gibt ihm eine Tiefe, gibt ihm Freude und erfüllt dieses mit Sinn.

Was erstaunlich ist: So wichtig und wertvoll dies ist, für den, der es sagt, wie für den, der es empfängt, so selten sagen wir uns selbst: „Ich liebe mich!“ Wir kämen uns komisch vor, fürchteten, selbstverliebt zu erscheinen. Aber: Wir sagen es uns nicht nur nicht, wir fühlen es nicht mal. Im Gegenteil: Oft schimpfen wir mit uns, wenn etwas nicht gelingt, wie wir das wollen, sehen uns als grösstes Mängelwesen unter der Sonne. Sagen nach einem Missgeschick nach aussen zwar lachend, was für Schussel wir doch sind, während wir uns innerlich zermartern, wieso uns das passieren musste. Wir verstricken uns zu häufig in negative Gedanken uns selbst gegenüber, dass für Liebe wenig Platz bleibt – und gerade dann würden wir sie brauchen, denn:

Wo Liebe wächst, gedeiht Leben – wo Hass aufkommt, droht Untergang. (Mahatma Gandhi)

Hass mag ein grosses Wort sein, aber nur schon Ablehnung reicht. Indem wir uns mit negativen Gedanken und Gefühlen zu uns selbst äussern, machen wir uns immer kleiner. Wir denken zu oft, perfekt sein zu müssen und vergessen dabei, dass Perfektionismus der Totengräber des Selbstvertrauens ist. Perfektionismus entsteht nicht aus der Motivation nach Leistung, sondern aus der Angst vor Ablehnung. Wir fürchten, nicht zu genügen und streben danach, alles möglichst gut, nein: perfekt, zu machen. Und legen damit eigentlich den Grundstein des Misslingens.

Es ist doch so: Was gelingen kann, kann auch misslingen. Und manchmal ist sogar Misslungenes ein Gewinn – je nachdem, welche Perspektive wir einnehmen und was die Konsequenzen sind (die man vorher gar nicht abschätzen konnte, ist das Leben doch kontingent). Was ist also zu tun?

Indem ich die Möglichkeit des Misslingens akzeptiere, habe ich mehr Mut, Dinge zu probieren. Und je mehr ich probiere, desto öfter erlebe ich das Gelingen, desto mehr erfahre ich mich als tätigen, nach meinen Wünschen und Zielen lebenden Menschen. Auf diese Weise entfalte ich mich mehr und mehr als mich selbst. Es ist wichtig, dabei immer wieder darauf zu vertrauen, dass ich auch mit einem Misslingen umgehen könnte – Selbstvertrauen heisst das Zauberwort. Die gute Nachricht: Man kann es lernen. In kleinen Schritten, indem bei jedem gelungenen Versuch ein wenig dazu kommt, ebenso bei jedem misslungenen, den man überlebt und sogar gut überstanden hat.

Bevor ich also das nächste Mal sage: „Das kann ich eh nicht, ich bin nicht gut genug“, denke ich besser an all die Male zurück, an denen was gelang oder sich als nicht so schlimm herausstellte beim Misslingen. Und dann denke ich: „Ich will es versuchen, weil es mir wichtig ist. Und ich glaube daran, dass es gut kommt, egal wie.“ Frei nach Buddha:

„Wir sind, was wir denken. Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt.“

Und dann gehe ich ans Werk, traue es mir zu. Und ich erfahre, dass ich in der Lage bin, Dinge anzugehen, dass ich etwas bewirken kann. Und vielleicht sage ich dann bald ganz leise zu mir selbst: „Ich liebe mich – weil ich bin, wie ich bin, und weil ich mir vertraue, so dass ich auch so sein darf.“ Vielleicht gelingt es nicht immer, es ist ein Weg, der immer und immer wieder gegangen werden will – aber der Weg lohnt sich.