Tagesgedanken: Selbstfreundschaft

«…Selbstsorge, Selbstaufmerksamkeit, Selbstgestaltung. An der Sorge des Selbst für sich, körperlich, seelisch, geistig, führt kein Weg vorbei…» (Wilhelm Schmid)

Freundschaft ist ein wichtiges Gut im Leben. Studien zeigen, dass Freunde das eigene Leben nicht nur verschönern, sondern sich auch auf die Gesundheit auswirken: Menschen, die einen Freund haben, auf den sie bauen können, erkranken weniger an Herzkreislaufkrankheiten, sie sind weniger anfällig für Süchte, Angstzustände und vieles mehr. Zudem leben sie länger. Ein schöner Nebeneffekt für eine so wertvolle Sache.

Was macht Freundschaft eigentlich aus? Sicher ist es die gemeinsame Zeit, die man verbracht hat: je länger und intensiver man mit einem Menschen zusammen ist, desto tiefer geht die Beziehung. Auch das Vertrauen in den anderen ist wichtig, darum zu wissen, dass dieser Mensch für einen da ist – auch wenn es mal schwierig ist. Freunde sind einem nah, ohne einen in Beschlag zu nehmen, bei Freunden kann ich alles ansprechen, ohne mich dafür schämen zu müssen oder zu fürchten, dass es in falsche Hände gerät. Freunde begegnen sich auf Augenhöhe, sie sehen sich als Gleiche und behandeln sich mit Respekt. Und obwohl Freunde oft Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten haben, sind sie doch verschieden, nehmen sich in dieser Verschiedenheit gegenseitig an.

Wenn wir an Freundschaft denken, denken wir immer an einen anderen Menschen. Doch was ist eigentlich mit uns selbst? Behandle ich mich selbst genauso gut ,wie ich meinen Freund behandle? Wann habe ich das letzte Mal wirklich Zeit mit mir verbracht? Zeit, in der ich mich um mich kümmerte, mich hinterfragte? Behandle ich mich selbst immer mit Respekt oder sind da nicht doch viele abwertenden Sätze, mit denen ich mich martere? Vertraue ich in mich und meine Fähigkeiten oder bin ich von (Selbst-)Zweifeln zerfressen?

Wer kennt nicht Sätze wie «Das schaffe ich nicht.», «Dafür bin ich zu blöd.», «Solche Dinge passieren auch nur mir.»? Wer kennt nicht die permanenten Abwertungen, die wir uns täglich selbst an den Kopf werfen, so ein Selbstbild zementieren, das weder der Realität entspricht noch hilfreich ist? Diese inneren Geisselungen entspringen meist Prägungen, die Mutter, die in der Kindheit vermittelte, dass wir Dinge nicht können, sie also besser lassen; der Vater, der bei jedem Fehler die Augen verdrehte und einen glauben liess, nur man selbst mache welche; der Lehrer, der einem das Gefühl gab, blöd zu sein. Diese Sätze brennen sich ein, sie werden zu Mustern, die durch innere Glaubenssätze gestützt werden.

Durch diese wird mein Stellenwert bei mir so klein, dass ich es mir nicht wert bin, mein eigener Freund zu sein? Sokrates sagte, es sei besser, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun, weil man mit sich selbst immer zusammenleben müsste. Wenn ich also mit mir zusammenlebe, wäre es da nicht wichtig, gut zu mir zu schauen? Müsste ich dann nicht diese Glaubenssätze, mein Selbstbild hinterfragen? Was ist wirklich wahr, was deckt sich mit meinen Erfahrungen und erlebten Wirklichkeiten, wo sitze ich falschen Sätzen auf, aus denen ich ein Bild von mir zeichne, das mir nicht gerecht wird? Sicher gibt es Punkte, die ich verbessern, verändern möchte – dann kann ich sie angehen und werden, wer ich sein will. Vielleicht stellen sich aber viele Überzeugungen schlicht als falsch heraus, dann muss ich versuchen, sie immer wieder durch positive Glaubenssätze zu ersetzen – bis ich diese glaube und sie ein neues Selbstbild prägen, eines, das realistischer ist. Durch diese Arbeit an und mit mir, durch diese mir selbst geschenkte Zeit und Wertschätzung werde ich zu meinem eigenen Freund – und damit sicher auch zu einem besseren Freund für meine Freunde.

3 Kommentare zu „Tagesgedanken: Selbstfreundschaft

  1. Frage: „Wer kennt nicht Sätze wie «Das schaffe ich nicht.», «Dafür bin ich zu blöd.», «Solche Dinge passieren auch nur mir.»? Wer kennt nicht die permanenten Abwertungen, die wir uns täglich selbst an den Kopf werfen“

    Sandra, du fragst, wer sie nicht kennt, „die permanenten Abwertungen, die wir uns täglich selbst an den Kopf werfen“:

    Ich kenne sie nicht. Solcherart Selbstkasteiung liegt mir nicht. Es wird auch noch ein paar andere Leute geben, die so etwas nicht kennen.

    Die Gemeinsamkeit ist…
    Niemanden lebt ohne Konditionierung.

    Die Konditionierungen sind aber individuell sehr verschieden – wie persönlich zugeschnitten. Meine Konditionierung gleicht nicht der deinen und deine gleicht nicht der eines oder einer anderen.

    Gelegentlich gibt es gewisse Ähnlichkeiten – aber niemals eine Gleichheit.

    Jeder hat seine individuell angepaßte Bürde. Und wenn du mich fragtest: Wir haben sie bis ins Detail ausgesucht und genau so gewollt, weil sie in dieser Form für unsere „Lebensaufgabe“ gebraucht wird. Bloß an die Entscheidung darüber… haben wir keine Erinnerung (mehr).

    Wie wir nun damit umgehen, ist uns überlassen. Hadern ist eine Möglichkeit, das Beste draus machen, eine andere.

    Fangen wir an, uns mit Anderen zu vergleichen, ist Leiden vorprogrammiert.

    🌻🍂

    „τὸ ἀδικεῖν τοῦ ἀδικεῖσθαι κάκιον“
    „Unrechttun ist schlechter denn Unrechtleiden.“

    — Sókratés

    Wenige Jahrzehnte früher sagte Heraklit:
    „Wer Unrecht tut ist unglücklicher als wer unrecht leidet.“

    „Natürlich ist es »nützlicher«, Unrecht zu tun als Unrecht zu leiden; um des denkenden Dialogs mit mir selbst willen muss gerade dieser Nützlichkeitsstandpunkt aufgegeben werden.“

    — Hannah Arendt

    „Es gibt kein Ziel, das einen unrechten Weg rechtfertigen könnte.“

    — Swetlana Geier (russische Literaturübersetzerin)

    Unrechtes begeht man um eines vermeintlichen Vorteils wegen – unter Abschneidung des Zugangs zu Herz und Weisheit.

    Worauf uns all diese und noch viele andere Leute hinweisen: Wir können unser eigenes unrechtes Tun nicht vergessen. Wie du schon (etwas anders) sagst, Sandra: Es hängt uns an den Fersen.

    🌻🍂

    Sandra: „Durch diese Arbeit an und mit mir, durch diese mir selbst geschenkte Zeit und Wertschätzung werde ich zu meinem eigenen Freund“

    Ich selber glaube nicht an den Wert solcherart ARBEIT und selbstverständlich praktiziere ich auch keine solche. Doch wenn sie dir gut tut, fein.

    Mittelhochdeutsch arebeit = Beschwernis, Leiden, Mühe.
    Germanisch arbaiþi = Mühsal.

    Vielleicht gibt es ja jemanden, der durch „Arbeit“ an sich zur Freude oder zur Leichtigkeit fand? Bitte mal melden. Aber bisher kenne ich so jemanden nicht.

    Was mir eher zu funktionieren scheint, sind Einsicht und Bereitschaft – und die bedürfen keiner Mühsal.

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  2. Wie ein Phönix aus der Asche
    Von Osho

    „Hingabe ist ein sehr paradoxer Zustand: auf der einen Seite verschwindest du, auf der anderen Seite kommst du zum ersten Mal zum Vorschein – in deiner unendlichen Herrlichkeit, in deinem vielschichtigen Glanz. Ja, der Tautropfen ist fort, und zwar auf ewig fort; es gibt keinen Weg, seiner wieder habhaft zu werden, ihn wiederzugewinnen. Der Tropfen ist als Tropfen gestorben, aber dafür ist der Tautropfen zum ganzen Meer geworden, ist ozeanisch geworden. Er existiert nach wie vor, nur nicht mehr als ein endliches Wesen, sondern als etwas Unendliches, Uferloses, Unbegrenztes.

    Dies ist die Bedeutung der Phönix-Sage. Er stirbt, er verbrennt völlig, wird zu Asche, und dann plötzlich wird er aus seiner Asche wiedergeboren – feiert er Wiederauferstehung. Der Phönix steht für Christus: Kreuzigung und Wiederauferstehung. Der Phönix steht für Buddha: als Ego gestorben und eine Neugeburt als völlige Egolosigkeit. Er steht für alle die, die erkannt haben; erkannt haben heißt ein Phönix sein. Stirb als der, der du bist, auf dass du sein kannst, was du wirklich bist! Stirb mit all deiner Unehrlichkeit, deiner Vortäuschung falscher Tatsachen, deiner Abgespaltenheit von der Existenz.

    Wir halten uns immerzu für abgespalten. Wir sind es nicht, nicht einmal einen einzigen Augenblick lang. Egal was ihr glaubt, ihr seid eins mit dem Ganzen. Aber euer Glaube kann euch Alpträume machen, muss euch zwangsläufig welche machen. Wer glaubt „Ich bin abgetrennt“, der weckt damit Alpträume. (…)

    Der Mensch hat seit Urzeiten immer wieder versucht, zu irgendeiner Art von Unsterblichkeit zu gelangen. Die Angst vor dem Tod ist so groß, dass sie euch euer Leben lang verfolgt.

    Sobald du aufhörst, dich für getrennt zu halten, hört die Todesangst auf. Daher nenne ich diesen Zustand der Ergebenheit den paradoxesten überhaupt: Du stirbst von dir aus und danach kannst du gar nicht mehr sterben, da das Ganze niemals stirbt, sondern immer nur seine Teile auswechselt. Aber wenn du eins mit dem Ganzen wirst, dann wirst du immer und ewig leben, lässt du Geburt und Tod hinter dir.

    Darauf beruht die Suche nach dem Nirvana, der Erleuchtung, Moksha (Befreiung), dem Reich Gottes, dem Zustand der Todlosigkeit. Aber die Bedingung, die man dafür erfüllen muss, macht große Angst. Sie lautet: Erst musst du als eine abgetrennte Wesenheit sterben. Um nichts anderes geht es bei der Hingabe: als abgetrenntes Wesen zu sterben, als ein Ego zu sterben. Und tatsächlich gibt es da keinen Grund zur Sorge, da du gar nicht abgetrennt bist; das ist nur ein Glaube. Da stirbt also nur der Glaube, nicht du. Es ist nur Einbildung, eine Vorstellung.

    Der Tod existiert nicht, der Tod ist unwirklich. Aber ihr erzeugt ihn, erzeugt ihn, indem ihr euch absondert. Sich ergeben heißt, die Vorstellung aufzugeben abgesondert zu sein – und automatisch verschwindet der Tod, ist die Angst nirgendwo mehr zu finden, und dein ganzes Lebensgefühl ändert sich. Dann ist jeder Augenblick nur noch eine kristallklare Reinheit – die reinste Entzückung, Freude, Glückseligkeit. Dann ist jeder Augenblick Ewigkeit. Und auf die Art zu leben ist Poesie, von Augenblick zu Augenblick ohne das Ego zu leben ist Poesie. Ohne das Ego zu leben ist eine Gnade, ist Musik; ohne das Ego zu leben heißt zu leben, wirklich zu leben. So ein Leben nenne ich poetisch: Das Leben dessen, der sich der Existenz ergeben hat.“

    🍁🍂

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