Liebe ist das grösste Gut. Viele Menschen würden das so unterschreiben, wir alle suchen sie, brauchen sie, die Liebe. Umso erstaunlicher ist es doch, dass wir oft, wenn wir sie haben, den Menschen an unserer Seite wissen, den wir lieben, unsere Prioritäten ändern: Alles ist plötzlich wichtig, will getan und erlebt werden – der Geliebte muss das verstehen. Bis er es nicht mehr versteht.
«Einsam bist du sehr alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Träumst von Liebe. Glaubst an keine. Kennst das Leben.
Weisst Bescheid. Einsam bist du sehr alleine –
Und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.»
Man hört sie förmlich ticken, die Wanduhr aus Erich Kästners Gedicht «Kleines Solo». Man sieht das Paar, das sich nichts mehr zu sagen hat, jeder starrt in eine Richtung, nichts schwingt mehr dazwischen – fast ist man an ein Bild von Edward Hopper erinnert. Das Leben ist ausgehaucht, die Gefühle ausgeflogen, zurück bleibt die Ernüchterung des Alltags. Beide bleiben, weil das alles ist, was sie kennen, und sie fürchten, nachher allein zu sein. Sie merken nicht, dass sie schon so viel mehr allein sind, als sie es allein je sein könnten. Das Dasein anderer Menschen, zu denen man eigentlich eine Beziehung hätte, diese aber nicht mehr gelebt, gefühlt, gespürt wird, wird zum Verstärker der Einsamkeit.
Wie das Paar wohl dahin kam? Wie kann Liebe, die lebt, plötzlich sterben? Vermutlich wie jedes System eingeht, wenn es keine Nahrung kriegt. Liebe ist kein Selbstläufer, der, einmal angelaufen, einem Perpetuum mobile gleich in alle Ewigkeit weiterläuft. Es heisst, Liebe sei Arbeit. Vielleicht kann man es auch Sorge nennen, wie es Aristoteles bei seinem Liebesbegriff, der Philia, tat. Liebe als wechselseitige Sorge, als Wohlwollen, Gutes Tun. Wie sagte Erich Kästner:
„Es gibt nichts Gutes, ausser: Man tut es.“
Liebe ist damit ein Tun, ein gegenseitiges sich um den anderen kümmern, für den anderen da sein. Das kann man nicht einfach auf morgen verschieben, das muss als tägliche Haltung dem anderen entgegen gebracht werden.
Leider verschiebt man aber oft nicht nur unliebsame Arbeiten auf später, sondern auch die Arbeit an dem, was man eigentlich als wichtigstes im Leben sieht: Die Liebe. Man nimmt sie als selbstverständlich, sieht den Partner als sicher, und vergisst, dass jeder Mensch, um zu leben, Zuwendung, Berührung, Aufmerksamkeit braucht, dass jeder Mensch das Gefühl haben will, wichtig und geliebt zu sein. Heute. Nicht morgen. Ansonsten fängt die Wanduhr an zu ticken. Und irgendwann ist die Zeit abgelaufen.
Ich kenne beides: Einsamkeit in der Ehe und Einsamkeit allein. Alleine kann ich sie viel besser ertragen, aber manchmal wird sie mir auch zu viel.
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Es gibt wohl für alles ein Mass – aber grundsätzlich ist es bei mir auch so, dass ich die Einsamkeit allein besser ertrage. Das Alleinsein ertrage ich aber grundsätzlich gut, so dass ich mich selten einsam fühle dabei.
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Ist bei mir ähnlich, es gibt immer mal wieder Ausschläge, die ich aber gut im Griff habe. Sehnsucht kann sich ja auch ganz schön anfühlen, wenn man sich nicht in sie verliert!
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Danke, ein wunderbares Gedicht!
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Das finde ich auch!
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„Aus der Wanduhr tropft die Zeit.“ Genial!
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Und beim Lesen hat man förmlich das Gefühl, das zu hören…
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