Theodor Fontane: Zuspruch

Such nicht immer, was dir fehle,
Demut fülle deine Seele,
Dank erfülle dein Gemüt.
Alle Blumen, alle Blümchen,
und darunter selbst ein Rühmchen,
haben auch für dich geblüht.

Das Gedicht besteht mehrheitlich aus 4-hebigen Trochäen, dieser Rhythmus wird nur in der dritten und in der letzten Zeile durchbrochen. So entsteht ein fliessender Rhthmus, der beim Gemüt stoppt, dann weiter geht. Dadurch kommt dem Gemüt eine herausragende Bedeutung zu, auf ihm liegt die Aufmerksamkeit. Der Reim unterstützt das zusätzlich, indem auf einen Paarreim ein umschliessender Reim folgt, der die dritte und die letzte Zeile noch näher zusammenrückt, in Beziehung bringt. (aabccb).

Am Anfang steht eine Aufforderung: „Such nicht immer“. Fontane fordert den Empfänger dieses Gedichts auf, nicht immer nach dem zu suchen, was ihm fehlt. Hinter dieser Suche liegt ein Anspruch, welcher zu gross ist und nie zu Zufriedenheit führt, da immer etwas fehlt im Leben. Statt dieser Anspruchshaltung soll der Leser lieber demütig sein. Und hier kommt das Gemüt. Dank soll es erfüllen (dafür, was ist).

Das Gemüt beinhaltet alle vom Seelischen und vom Gefühl ausgehenden Kräfte und Empfindungen eines Menschen. Dass diese mit Dankbarkeit gefüllt sein sollen, ist die zentrale Aussage, die er daraufhin begründet. Er tut dies wieder in fliessendem Rhythmus, verweist auf alle Blumen und Blüten, die auch für den hier Angesprochenen geblüht haben. Hier endet das Gedicht, eng bezogen durch Takt und Reim aufs Gemüt.

Das Gedicht ist überschrieben mit „Zuspruch“. Es soll also jemandem, der klagt, Trost bringen, ihm gut zureden und ihm zeigen, dass alles nicht so schlimm ist, wie er es aktuell beklagt. Den Grund zur Klage sieht Fontane in der Suche nach Fehlern, die Lösung des Problems in einer Veränderung der Perspektive: Statt die Konzentration auf den Mangel zu legen, soll man besser schauen, was ist, sich daran freuen und dafür dankbar sein.

Wer mit ein wenig mehr Achtsamkeit durch die Welt geht, sieht die Blumen am Wegesrand. Und selbst wenn der Weg ab und an holprig und mit Hindernissen bestückt ist, so blühen sie trotzdem und erfreuen den, welcher sie sieht.

Bett aus Rosen

Wie eine Rose
aus Knospen erblüht,
die Liebe so zärtlich,
sie hat mich berührt.

In zart rosa Farben,
mit Engelsmusik,
das Leben als Traum fast,
versprach ach so viel.

Ein Fels in der Brandung,
ein Netz vor dem Fall,
ein Herz voller Tiefe,
ich gab mich ihm hin.

Ich fühlt’ mich geborgen,
ich fühlt’ mich zuhaus…
doch dann wankt der Boden,
es flutet das Meer.

Erst fehlt nur der Halt, doch
dann fehlt noch mehr.
Da ist nirgends Wärme,
es ist nur noch kalt.

Ich stehe am Abgrund,
ich blicke hinab.
Ich sehe ins Dunkel,
es ist wie ein Bett.

Es ruft mich leis zu sich,
es wirkt sanft und still,
es wirkt wie ein Heim mir,
es scheint, was ich will.

©Sandra Matteotti

endlich ankommen

ich bin manchmal schwer,
und oft ist’s nicht leicht.

ich leide dann sehr,
der boden durchweicht

von tränen und meer,
ganz tief, selten seicht,

ich wollte nichts mehr,
und nichts scheint erreicht.

ich mach’s mir oft schwer,
und dir selten leicht,

bemühst dich dann sehr,
doch alle müh weicht

dem uferlosmeer,
das keiner erreicht.

es geht kaum mehr mehr,
hast mich schon erreicht,

es fällt mir nur schwer,
und zu selten leicht,

dass, was schon da sehr,
nicht einbildung weicht,

die tiefdunkles meer,
real mehr als seicht,

stets tief beschwört mehr,
statt hafen erreicht.

©Sandra Matteotti

lebensbühne

so tun als ob
und einfach sein
als wäre nichts
und die welt
noch hell und rein

einfach lachen
ungeweint
die tränen lassen
die schon drängen
hin zum fluss

spiele spielen
wider diesen
ernsten ernst
und rollen füllen
selber leer

so tun als ob
und dabei hoffen
dass bald mal ernst
was grad noch
spiel

@Sandra Matteotti

Was bleibt

fragen
immer
fragen

doch die antwort
seh ich nicht

dunkel
immer
dunkel

und was mir fehlt
das ist das licht

suchen
immer suchen

aber finden
kann ich nicht

hoffen
immer
hoffen

aber glauben
trau ich nicht

leben
weiter
leben

denn was andres
bleibt schlicht nicht

©Sandra Matteotti

du fehlst mir

mir fehlt ganz schlicht

der eine…
mit dem man einfach
reden kann

der erste
wenn was auf
der Seele brennt

der eine
mit dem man
Schönes teilt

Der mit dem
man gerne
Wein geniesst

der welcher
versteht wie man
so selber denkt

wenn ich es
selber nicht
versteh’

©Sandra Matteotti

Ingeborg Bachmann: Ich

Ingeborg Bachmann (1926 – 1973)

Ich*
Sklaverei ertrag ich nicht
Ich bin immer ich
Will mich irgend etwas beugen
Lieber breche ich.

Kommt des Schicksals Härte
oder Menschenmacht
Hier, so bin ich und so bleib ich
Und so bleib ich bis zur letzten Kraft.

Darum bin ich stets nur eines
Ich bin immer ich
Steige ich, so steig ich hoch
Falle ich, so fall ich ganz.

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Projekt „Lyrische Helfer“ – Ein Gedicht, das man lesen kann, wenn das Leben schwierig ist

*zit. nach Ingeborg Bachmann, Sämtliche Gedichte, Piper Verlag.

Friedrich von Schiller: Nänie

Friedrich von Schiller (1759 – 1805)

Nänie

Auch das Schöne muss sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Dass das Schöne vergeht, dass das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klagelied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.

(1799)

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Projekt „Lyrische Helfer“ – Ein Gedicht, wenn man traurig ist, wenn jemand gestorben oder etwas vorbei ist

Schiller behandelt die Vergänglichkeit. Goethes Faust wünschte sich, einmal sagen zu können, der Augenblick sei so schön, er möge verweilen. Der Mensch tendiert dazu, Schönes festhalten zu wollen, doch liegt nicht auch in dessen Vergänglichkeit ein Teil der Schönheit? Wäre es nicht schön, würden wir ihm nicht nachweinen, wäre es immer da, achteten wir es gering. Erst der Umstand, dass es nicht da ist, lässt es uns wünschen, dass es wieder geht, lässt es uns schätzen. Alles hat seine Zeit, die Kunst ist wohl, die Dinge dann zu geniessen, wenn sie da sind, um sie dann wieder loszulassen.

Theodor Fontane: Nicht Glückes bar sind deine Lenze

Theodor Fontane (1819 – 1898)

Nicht Glückes bar sind deine Lenze

Nicht Glückes bar sind deine Lenze,
Du forderst nur des Glücks zu viel;
Gib deinem Wunsche Maß und Grenze,
Und dir entgegen kommt das Ziel.

Wie dumpfes Unkraut laß vermodern,
Was in dir noch des Glaubens ist:
Du hättest doppelt einzufordern
Des Lebens Glück, weil du es bist.

Das Glück, kein Reiter wird’s erjagen,
Es ist nicht dort, es ist nicht hier;
Lern‘ überwinden, lern‘ entsagen,
Und ungeahnt erblüht es dir.

(Geburtstagsgedicht)
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Projekt „Lyrische Helfer“ – Ein Gedicht, wenn man das Glück sucht oder glücklich ist, oder wenn man Geburtstag hat