Der Briefwechsel
Inhalt
«Wir wären ein Unheil füreinander. Aber auch so kein Heil.» (MF)
Diese Worte schreibt Max Frisch an Ingeborg Bachmann, nicht lange nach ihrem ersten Treffen, in dem schon die Ahnung lag, was kommen wird. Es muss eine grosse Liebe gewesen sein, die einschlug und beide ergriff. Und doch war wohl beiden bewusst, wie schwer es für jeden von ihnen selbst ist, mit einem anderen Menschen zu eng zusammen zu sein, wie schwer es durch denselben Beruf und auch die Öffentlichkeit, in welcher beide standen, sein würde.
«…Lass das nicht zu! Ich möchte mit Dir ans Ende gehen, und wenn Du mich verlassen musst, nie wieder lieben…» (MF)
Der Leser wird Zeuge eines verzweifelten Ringens von zwei Personen um die Lebbarkeit einer Liebe, er liest sich Zeile für Zeile durch Alltäglichkeiten, Hoffnungen, Abgründe, Schmerz und Liebe. Es waren zwei Königskinder, die zwar sich, aber nicht wirklich zueinander im Sinne eines Miteinanders fanden.
Der hier veröffentlichte Briefwechsel gewährt erstmals einen offenen Blick auf eine Beziehung, die von Mythen umgeben war. Vor allem auf der Seite der Bachmannanhänger existierte das Bild der zum Opfer eines Beziehungstyrannen gewordenen Frau. Die 3jährige Arbeit von vier Herausgebern, Bachmann- und Frisch-Experten, legen einen neuen Grundstein für einen neuen Blick sowohl auf die Lebens- und Beziehungswege sowie die Werkbezüge der beiden Autoren.
Gedanken zum Buch
«Jetzt weiss ich es aus Erfahrung, dass ich in deiner Liebe, uns wenn sie mir über Jahre erhalten bliebe, allein sein werde… Man kann nicht zuhause sein zu zweit und allein sein. Du wirst mich aber immer allein lassen.» (MF)
Max Frisch suchte die Zweisamkeit, er wollte die Liebe im Alltag präsent haben und sah sich mit einer Frau konfrontiert, die sich diesem Wunsch immer wieder entzog, die sich nicht einengen lassen wollte und wohl auch nicht konnte. Dies lag wohl in ihrem Naturell, welchem sie sich nicht entziehen konnte. Ihre Worte klingen anders:
«Es ist schwer für mich, weil ich so gerne etwas Ganzes möchte, etwas Kompromissloses mit Mann und Haus und Kind.» (IB)
Ingeborg wollte eigentlich alles, sie suchte die Liebe, sie brauchte sie, sie lechzte förmlich danach. Und doch konnte sie sie nicht so leben, sie konnte die Nähe nicht aushalten, floh immer wieder nach kurzer Zeit oder, wenn schon weg, verzögerte die Rückkehr. So lebten die beiden zwar in einem Haushalt, und waren doch sehr selten beide am gleichen Ort.
«…ich habe in der Liebe und durch die Liebe immer den Boden verloren und daher nie einen gehabt… ich werde, solange ich liebe, keinen Platz in der Welt finden, nie das bekommen, was ich am meisten ersehne, und darum wird alles, was ich sonst bekomme und wofür ich mich bemühe , dankbar zu sein, für immer ohne Glanz sein.» (IB)
Es klingt, als ob Ingeborg Bachmann resigniert hat, als ob sie Angst hat, die Liebe zu leben, wie sie sie gerne leben würde, aus Angst vor neuem Schmerz, wie sie ihn in der Vergangenheit erlebt hat. Indem sie sich also nicht auf Max Frisch einlassen kann, entzieht sie ihm das, was er wiederum bräuchte, um ihr das zu bieten, wonach sie sich tief drin sehnen würde. Und so drehen sich die beiden im Kreis eines sich gegenseitig befeuernden Entziehens, mit dem schlussendlich beide nicht zurechtkommen.
«Ich fand keine Brücke, keine Möglichkeit einer Brücke. Ich bin auf Brücken angewiesen, Du wahrscheinlich nicht. Ich zweifle nicht an deiner Liebe, Ingeborg, nicht an der Grösse deiner Liebe, wenn du liebst. Ich weiss nur, dass ich nicht beziehungslos lieben kann… Vielleicht weil bei mir die Leidenschaft nicht ausreicht, um sich selbst zu genügen. Ich kann nicht allein sein.» (MF)
Wir lesen diese Briefe mit steigernder Bestürzung, wir werden Zeuge eines Paares, das mit sich und mit dem anderen ringt, das leidet, kämpft und doch immer wieder resigniert. Wir lesen Liebesschwüre, Anschuldigungen, wir lesen Entschuldigungen und Selbstverteidigungen, wir lesen von Lösungsansätzen und Missverständnissen und sind tief in einer Zweierkiste der Dritte, irgendwie nicht ganz zu Recht da. Es stellt sich die Frage, ob es legitim ist, eine so intime Geschichte so nah mitzuverfolgen. Es stellt sich die Frage, ob wir als Voyeure dieses privaten Austauschs nicht zu weit gehen, eine Grenze überschreiten. Und doch gibt es diesen Briefwechsel, er ist gedruckt worden und das hatte Gründe, die vielschichtig sind.
Für die Literaturwissenschaft ist der Briefwechsel wohl ein Geschenk. Es sind Briefe von hohem literarischem Niveau, die nicht einfach nebenbei geschrieben, sondern regelrecht sprachlich komponiert sind. Man merkt den Briefen die Mühe und Sorge an, welche die Schreibenden einfliessen liessen. Die Briefe sind zudem ein weiterer Schritt zur Erschliessung zweier Werke, die durch diese Offenlegung einen neuen Schlüssel zu ihrer Interpretation erhalten.
«Ich möchte wieder lieben können – Dich und vieles und auch mich.» (IB)
Die vorliegende Korrespondenz ist nichtsdestotrotz privat und sie legt intime Gedanken und Gefühle zweier Menschen offen. Ingeborg Bachmann wollte aus diesem Grund nicht, dass die Briefe veröffentlicht werden, und Max Frisch hatte ihr testamentarisch zugesichert, dass dies nie passieren wird. Er hat später seine Meinung geändert und sie lediglich für eine bestimmte Zeit nach seinem Ableben gesperrt. Da diese Frist bald ausläuft, wären die Briefe bald öffentlich zugänglich. Diesen Umstand nennt Heinz Bachmann, Ingeborg Bachmanns Bruder, als eine Begründung, wieso er einer Veröffentlichung in diesem vorliegenden Rahmen zustimmte: so sei immerhin die sorgfältige und gewissenhafte Aufarbeitung gewährleistet. Dies ist auch gelungen. Ergänzt wird der Briefwechsel durch verschiedene sachkundige Kommentare der Herausgeber sowie einen ausführlichen Stellenkommentar.
«Wir haben es nicht gut gemacht.»
Was Frisch hier zum Ausdruck bringt, kann als sachliches Fazit gesehen werden. Wer die Briefe gelesen hat, weiss, dass keiner der beiden so sachlich gewesen ist, was diese Beziehung anbetraf. Beiden ging sie tief, beide litten sie, beide nagten am Ende und zogen ihre Wunden ins weitere Leben hinein. Als Leser bleibt man tief betroffen und auch nachdenklich zurück. Das ist kein Buch, das man einfach mal durchliest und beiseitelegt. Es hallt nach.
Fazit
Ein bewegendes, berührendes, ab und zu auch bedrückendes Buch, das einen neuen Schlüssel zur Erschliessung von Leben und Werk zweier grossartiger Schriftsteller liefert.
AutorInnen und Herausgebende
Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wurde durch einen Auftritt vor der Gruppe 47 als Lyrikerin bekannt. Nach den Gedichtbänden Die gestundete Zeit (1953) und Anrufung des Großen Bären (1956) publizierte sie Hörspiele, Essays und zwei Erzählungsbände. Malina (1971) ist ihr einziger vollendeter Roman. Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.
Max Frisch, geboren am 15. Mai 1911 in Zürich, arbeitete zunächst als Journalist, später als Architekt, bis ihm mit seinem Roman Stiller (1954) der Durchbruch als Schriftsteller gelang. Es folgten die Romane Homo faber (1957) und Mein Name sei Gantenbein (1964) sowie Erzählungen, Tagebücher, Theaterstücke, Hörspiele und Essays. Frisch starb am 4. April 1991 in Zürich.
Hans Höller war bis 2012 Professor für Neuere Deutsche Literatur am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg und bis 2020 einer der Gesamtherausgeber der Salzburger Bachmann Edition. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Literatur, Mitherausgeber mehrerer Bände der Thomas-Bernhard-Werkausgabe und der Jean-Améry-Ausgabe.
Renate Langer ist Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik der Universität Salzburg, Herausgeberin der Bände 3 und 6 der Thomas-Bernhard-Werkausgabe und Herausgeberin mehrerer Bände der Salzburger Bachmann Edition.
Thomas Strässle ist Professor für Neuere deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und Leiter des transdisziplinären Y Instituts an der Hochschule der Künste Bern. Er ist Präsident der Max Frisch-Stiftung.
Barbara Wiedemann, Literaturwissenschaftlerin mit editionsphilologischem Schwerpunkt, Lehrbeauftragte an der Universität Tübingen, Herausgeberin von Werken und Briefen Paul Celans, quellenkritische Studien zu Paul Celan im Kontext der zeitgenössischen Literatur (u. a. von Ingeborg Bachmann und Nelly Sachs).
Angaben zum Buch
- Herausgeber : Suhrkamp Verlag; 3. Edition (21. November 2022)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 1039 Seiten
- ISBN-13 : 978-3518430699
Ich glaube, ich werde es dennoch nicht lesen. Das ist mir einfach zu viel – die Trennung Privat/Öffentlich, die Hannah Arendt als eines der Fundamente des Geistigen sah, wird ausgehöhlt. Na klar, ich weiß nicht, ob es nicht zu einer neuen Diskursform gereicht, aber ich empfinde es mehr destruktiv als konstruktiv. Dennoch bin ich dankbar für die Auszüge, die ich hier lesen durfte! Vielen Dank und vielen Gruß!
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Ich würde es nicht nochmals kaufen, hätte ich das Wissen von heute. Ich sehe es wie du.
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Eine gewöhnliche
Liebesbeziehung…
Ungewöhnlich allenfalls durch die erhaltenen gebliebene Korrespondenz zweier Menschen, die gerne mit Worten umgehen, die gerne alles Mögliche aufschreiben und gekonnt formulieren, was ihnen in den Sinn und in´s Gemüt kommt.
🌼
Max: «Wir wären ein Unheil füreinander. Aber auch so kein Heil.»
So geht es in allen Beziehungen. Die Erwartungen an sie sind unerfüllbar:
Man sucht die Nähe, gleichzeitig will man frei sein und frei bleiben.
Das Erwartungs-Konglomerat „Beziehung“ führt letztlich zu
faulen Kompromissen und zwangsläufig zu Unzufriedenheiten.
Das Bewußtsein, die Geistige Reife und die Frustrations-Toleranz der
Beteiligten entscheiden über die Art des Umgangs mit dem Dilemma.
🌼
Max: «wenn Du mich verlassen musst, nie wieder lieben»
Das kindliche Gemüt reagiert so. 😊
Wir haben die Dinge nicht in der Hand. Erst recht keine Beziehung.
★ Erwartungen… sind nicht Liebe
★ Erotische Leidenschaft… ist nicht Liebe
★ Abhängigkeiten… sind nicht Liebe
Liebe ist an keine Beziehung gebunden.
Beziehungen befinden sich in stetiger Wandlung ― ob wir das jeweils mitbekommen oder nicht.
Liebe – wenn es denn Liebe ist – hört nicht auf.
Liebe hält sich nicht an Regeln, Familien, Grenzen, Erwartungen und Bedürfnissen.
🌼
Zitat: „…die Lebbarkeit einer Liebe“
Eine Beziehung, welcher Art auch immer, ist lebbar – Liebe nicht.
🌼
Zitat: „Hoffnungen, Abgründe, Schmerz und Liebe…“
Abgründe gibt es nicht, nur Gründe.
Hoffnung ist die Schwester der Erwartung. Ihre (zwangsläufige) Un-Erfüllung führt zu dem, was wir „Schmerz“ nennen. Er ist das Signal dafür, daß wir gerade nicht mit dem Leben fließen und uns nicht im Feld der Liebe befinden.
🌼
Max: «Jetzt weiss ich es aus Erfahrung, dass ich in deiner Liebe, uns wenn sie mir über Jahre erhalten bliebe, allein sein werde… Man kann nicht zuhause sein zu zweit und allein sein. Du wirst mich aber immer allein lassen.»
Wir sind allein. Immer.
Wir sind allein gekommen, gehen allein und dazwischen sind wir ebenfalls allein.
Momente, die uns anderes glauben lassen, sind temporär auftretende Illusionen, deren Ursprung man gelegentlich in der frühen Kindheit auszumachen kann.
Du hattest das Glück, auf eine Frau zu treffen, der die Freiheit von größerem Wert war als die Anpassung. Das spricht für dich; auch, daß du dich für diese Erfahrungen (so weit du halt konntest) bereit erklärt hast.
🌼
Ingeborg: «Es ist schwer für mich, weil ich so gerne etwas Ganzes möchte, etwas Kompromissloses mit Mann und Haus und Kind.»
Ja, manchmal plagt uns der Verstand mit solcher Art Sentimentalitäten – wenn wir es zulassen.
Doch eine Kriegerin hält es
nicht hinter´m Gartenzaun.
🌼
Zitat: „sie suchte die Liebe, sie brauchte sie, sie lechzte förmlich danach“
Hier bin ich nicht sicher, was du mit „Liebe“ meinst, Sandra: Sprichst du von Sex?
Was wir „suchen“, was wir „brauchen“ und wonach wir „lechzen“…, ist nicht Liebe.
Liebe ist auch nicht etwas, was ich mit einer Schleife verziert, „geben“ oder „bekommen“ könnte.
Liebe ist unfaßbar.
Zuwendung, auch sexueller Art, kann ich geben oder bekommen ― Liebe nicht.
🌼
Ingeborg: «ich habe in der Liebe und durch die Liebe immer den Boden verloren und daher nie einen gehabt»
In der Liebe haben wir nun mal
keinen Boden unter den Füßen.
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Max: «Ich fand keine Brücke, keine Möglichkeit einer Brücke. Ich bin auf Brücken angewiesen»
Der ängstliche Mann…
In der Liebe gibt es keine Sicherheit-bietende Brücken.
Es gibt keinen Boden dafür, kein Fundament.
Die Liebe weiß nichts von Statik.
Zweitens gibt es nichts, was überbrückt werden müßte (oder könnte), in der Liebe.
🌼
Max: «Ich weiss nur, dass ich nicht beziehungslos lieben kann … Ich kann nicht allein sein.»
Hier spricht nicht die Liebe, sondern die kindliche Bedürftigkeit.
Liebe ist bedingungslos. Kein WENN – DANN.
Der Max ist (geistig) nicht reif für eine solche Frau.
Er laboriert wohl noch an seinen Kindheits-Themen?
🌼
Ingeborg: „Ich möchte wieder lieben können“
Klingt, als wäre ein Gerät kaputt. 😉
Das Verliebtsein und das Leidenschaftliche…
sind zeitlich begrenzt, nicht auf Dauer angelegt.
In der Liebe (falls wirklich Liebe gemeint ist) hilft kein Tun und kein Wollen, hier hilft nur unser Offen-sein, unsere Bedingungs- und Erwartungslosigkeit und die absichtslose Erhebung auf (oder das Eintunen in) die Frequenz der (ungerichteten) Liebe.
🌼
Max: „Wir haben es nicht gut gemacht.“
Jede/r „macht“ es so gut wie eben möglich.
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