Tagesgedanken: Es recht machen wollen

Ich staune immer wieder, wie tief gewisse Prägungen sitzen. Was ich als kleines Mädchen gelernt habe, leitet auch heute noch oft mein Denken, Fühlen, Handeln. Der Gedanke, ja nichts falsch zu machen, nur bloss nicht aufzufallen, der Anspruch, genügen zu wollen und das Gefühl, doch nicht (gut) genug zu sein – all das sitzt tief. Im Bemühen, es allen recht zu machen, ignoriere ich oft meine eigenen Bedürfnisse oder bin ihrer gar nicht wirklich bewusst, ich versuche mich anzupassen, mich passend zu machen, und merke oft zu spät, dass es für einen mindestens nicht passt: Mich. Erich Fromm schreibt in seinem Buch „Authentisch leben“,

„[…] dass wir Gedanken, Gefühle, Wünsche, ja sogar Sinnesempfindungen haben können, die wir subjektiv als unsere empfinden, obwohl sie uns von aussen suggeriert wurden und uns daher im Grunde fremd sind und nicht das, was wir wirklich denken, fühlen und so weiter.“

Eigentlich weiss ich selber, dass das Bemühen, mich zu verbiegen, um alles richtig zu machen, unsinnig ist, da ich mich so eigentlich verleugne und auf diese Weise sowieso keine wirkliche Begegnung mit einem anderen Menschen zustandekommen kann, denn: Der findet mich ja gar nicht in mir. Eine Beziehung bedingt ein gegenseitiges Interesse am Anderen, auch oder gerade in seinem Anderssein. Trotzdem ich das alles weiss, fällt es schwer, danach zu handeln, die Angst vor Ablehnung ist gross, weil ich das Verhalten ja durch ebendiese gelernt habe. Es braucht Mut, auszubrechen und zu lernen, dass ich genug bin, wie ich bin, dass ich es nicht recht machen muss, dass es in Beziehungen und im Sosein kein richtig oder falsch gibt. Dazu gibt es einen schönen Spruch von Rumi:

„Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort. Hier können wir uns begegnen.“

7 Kommentare zu „Tagesgedanken: Es recht machen wollen

  1. „Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort. Hier können wir uns begegnen.“ ― Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī

    Diese Aussage ist ein Hinweis auf unsere spirituelle Seite.

    Im Gesellschaftlichen unterscheiden wir
    zwischen „richtig“ und „falsch“ in Bezug auf…

    Ohne Bezug…
    gibt es keine Wertung.

    Zwei Beispiele für einen Bezug für die Bewertung in richtig/falsch:
    • Der gesunde und schmerzfreie Körper
    • Gedeihliches Zusammenleben

    Mutwillige Körperverletzung nennen wir bezogen auf einen gesunden und schmerzfreien Körper falsch.
    Ebenso bewerten wir einen mit Raub verbundenen Überfall als „falsch“ – aber eine freundliche Einladung zum Tee als „richtig“.

    In der Spiritualität fallen alle Bewertungen weg.

    Nice weekend ☀️ 🌷

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    1. ES fallen alle Etiketten und Schubladen weg. Doch bleibt das, was der Entwicklung förderlich oder nicht förderlich ist. Spiritualität ist Praxis, die bloße Theorie hilft da wenig!

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  2. Es fallen alle Etiketten und Schubladen weg. Doch bleibt das, was der Entwicklung förderlich oder nicht förderlich ist. Spiritualität ist Praxis, die bloße Theorie hilft da wenig!

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  3. Mir geht es gerade genauso wie dir 😌 Es werden Leute wegfallen wenn du so bist wie du bist, es werden aber auch Leute bleiben und dazukomme und diese Verbindungen werden umso fester wenn du so bist wie du bist. Aber ja, das ist längerer Prozess 🙃

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    1. Ich weiss, dass ganz viele nicht in mein Leben getreten wären, dass viele Kontakte, Begegnungen weniger bereichernd gewesen wären, wäre ich da nicht ich gewesen. Und doch… wenn einer eine Kritik äussert, sich stört, geht – das trifft und ich frage mich, ob ich mich ändern müsste. Obwohl das Positive eigentlich überwiegt.

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