Gestern, morgen, nur nicht heute

Das Gestern ist nicht mehr, das Morgen noch nicht hier. Alles, was du hast, ist das Heute.

So oder so ähnlich lernt man es in der östlichen Philosophie. Wie manche Yogastunde habe ich eingeleitet mit dem Spruch. Wie viele Meditationen drehten sich um das Hier und Jetzt als einzig lebbare Zeit. Der Sinn ist klar, seine Wahrheit offensichtlich. Ich kann nicht widerrufen, was war, ich kann es auch nicht nochmals leben. Ich kann nicht vorwegnehmen, was noch nicht ist, ich kann es nicht mal wirklich wissen, nur ahnen, spekulieren. Alles, was ich habe, ist das Heute. Nur im Hier und Jetzt kann ich wirklich etwas tun. Klar hat dieses Hier und Jetzt Folgen, die in die Zukunft reichen und sollte drum bedacht sein. Klar erwächst es aus etwas, das mal war, fusst also auf der Vergangenheit. Aber jetzt ist immer nur jetzt, es ist alles, was ich habe.

Gehe ich dann weg von der Yogamatte und hinein ins Leben, sind da plötzlich all die Ziele, all die Wünsche, all die Hoffnungen und all die Prognosen. Ich ertappe mich dabei, zu denken, dass ich glücklich bin, wenn nur erst die Woche um ist. Ich male mir den Freitag Abend, das Wochenende aus. Ich denke, dass alles einfacher wird, wenn nur erst mal etwas nicht mehr ist oder etwas anderes erreicht. In den buntesten Farben erscheint mir das angestrebte Ziel. Der Mensch in unglücklicher Beziehung sehnt sich deren Ende herbei und sieht dann die Zeit für Glück und Freiheit, der einsame Single sieht sich am Ziel seiner Träume, wenn er endlich das passende Gegenüber hat, welches natürlich immer perfekt  und in allen Belangen ideal ausgemalt wird. Bis es soweit ist, darbt man dahin, suhlt sich im Unglück, weil noch nicht ist, was sein sollte. Man macht alles davon abhängig und vergisst das Heute, welches man als Wartegleis definiert. Warten auf bessere Zeiten.

Was, wenn die besseren Zeiten nie kommen? Man hätte das Heute vergebens geopfert. Man hätte all das Gute und Schöne verachtet, weil man nur auf das Eine, das noch nicht ist, ausgerichtet war. Man war so versteift auf diese eine ausschlaggebende Veränderung, die einem ganz spezifischen Bedürfnis erwuchs, dass man alles andere ignorierte und das Bedürfnis selber und dessen Glückstauglichkeit gar nicht in Frage stellte.

Was, wenn es käme und man wäre noch immer nicht glücklich? Was, wenn das Glück beim Erreichen des Gewollten zwar da wäre, aber schnell auch wieder weg? Das Leben auf der Wartebank. Warten auf Godot, welcher hier  synonym für Glück verwendet wird. Es wird nie kommen, wenn man es nicht einfach jetzt packt.

Morgen, morgen, nur nicht heute…

Ein alter Spruch und doch so aktuell. Man bedenkt dabei nie, dass es morgen zu spät sein könnte.

3 Kommentare zu „Gestern, morgen, nur nicht heute

    1. Bloss verpasst man doch bei all der Freude auf das, was kommen soll, das, was ist. Oder ist das bloss die Ungeduld, die solches vorgaukelt?

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