Gedankensplitter: Glück – «Irgendeinisch»

Als ich ein Kind war, sagte mir mein Vater einmal:

«Du taugst nicht zum Glücklichsein.»

Und ja, die Schwere lastete mehrheitlich auf mir. Wenn ich in meine Kindheit zurückdenke, fallen mir wenige unbeschwerte Momente ein. Aus späteren Jahren zum Glück einige mehr, sonst würde das hier nun eine Trauergeschichte, was schlecht zum Titel passen würde.

Kürzlich sass ich in wunderbarer Begleitung und ausgelassener Stimmung in meinem Lieblingslokal und plötzlich durchzuckte es mich:

«Ich bin glücklich.»

Das Glück ist eine schwierige Sache, da so schwer fassbar. Man kann es nicht einfangen und schon gar nicht bewahren. Man ist ihm ausgeliefert, denn es kommt und geht nach eigenem Gesetz. Es hilft nur eines: Bereit sein, damit es offene Türen einrennt, wenn es kommt. Ich war es wohl und es trat ein. Meine wunderbare Begleitung meinte, ich müsse auch mal über das Glück schreiben, nicht nur über das Schwere. Natürlich war mein erster Impuls der des Widerspruchs. Ich schreibe nicht nur vom Schweren, da ist auch viel Leichtes, Schönes, Gutes drin.

Aber ja. Ich bin Melancholiker. Mindestens. Das Schwere ist präsent. Mittlerweile – wohl auch durch die Milde des Alters – gemässigt. Es hilft wohl, dass das Leben es plötzlich gut mit mir meint. Weil da so viel Schönes ist. Weil ich das Glück habe, meine Leidenschaft leben zu können. Dafür bin ich dankbar. Tag für Tag. Dankbarkeit half mir durch die dunkelsten Zeiten meines Lebens, sie ist auch in den hellen ein Geschenk.

Und dann war da also dieser Glücksmoment. An einem normalen Abend, einfach da. Und vielleicht ist es genau das, was das Leben lebenswert macht: Die kleinen Momente sehen, die gut sind. Sich ihnen ausliefern. Sie geniessen. Im Wissen, es gibt auch andere. Aber im Moment ist alles gut. Alles ist gut.

Und das ist Glück.

Gedankensplitter: Das Wichtige im Blick behalten

«Manchmal ist man nicht in der Lage, zu erkennen, dass so etwas wie Zufriedenheit möglich ist, weil diese Zufriedenheit so klein wirkt neben dem Glück, das man sich wünscht.» Daniel Schreiber, Zuhause

Es gibt die Diskussion, ob ein Glas halb voll oder halb leer ist. Aus der Antwort werden dann die möglichsten und unmöglichsten Schlüsse gezogen, ganze pseudopsychologische Profile lassen sich mal ernst, mal spasseshalber erstellen. Ich denke, es ist weniger relevant, welche Antwort wir geben, als dass wir uns überhaupt mit dieser Frage befassen. Sie setzt voraus, dass wir einerseits überhaupt ein Glas haben und auch die Möglichkeit, es zu füllen. Wir nehmen das selbstverständlich. Den Mangel sehen wir erst im Umstand, dass das Glas nicht ganz voll sein könnte.

Wir leben in unseren Welten und nehmen oft das als selbstverständlich, was wir haben. Wir sind daran gewöhnt und hinterfragen es nicht mehr. Wir sehen nicht die Vorteile, die wir anderen gegenüber haben, wir schätzen nicht all das, was gut ist, da es nicht in Frage gestellt ist. Stattdessen streben wir nach mehr. Ein grösseres Auto, noch eine Handtasche, das 40. Paar Schuhe und vieles mehr stehen auf der Liste der Dinge, die uns zu unserem vermeintlichen Glück noch fehlen.

Und oft sind wir so sehr mit diesen Wünschen beschäftigt, dass wir das verpassen, was wir schon haben. Dann stürzen wir das Glas runter, egal ob halb voll oder halb leer, und geniessen nicht mal wirklich den Inhalt desselben.

Lebenskunst: Dankbarkeit

«Danke doch lieber für das, was du bekommen hast; auf das andere warte und freue dich, dass du noch nicht alles hast.» Seneca


Eine neue Tasche, einen Partner, ein paar Kilos weniger, eine kleinere Nase, mehr Gelassenheit, mehr Kraft, weniger Macken – oft wollen wir ganz viel und denken, wenn wir es nur hätten, wären wir glücklicher. Dann wäre die Welt eine bessere, zumindest unser Leben in ihr wäre besser. Doch: Wenn wir etwas erreicht haben von all dem, kommt immer was Neues dazu – oder es ist noch genug da. Das wirkliche Glück will sich nicht dauerhaft einstellen. Es scheint, als ob immer was fehlte. Und ja, das stimmt, es fehlt etwas Essentielles: Die Dankbarkeit für das, was ist.

Wenn ich auf mein Leben schaue, ist daran so viel Schönes und Gutes. Ich habe ein schönes Dach über dem Kopf, habe wunderbare Beziehungen zu grossartigen Menschen, ich habe genug zu essen, die Möglichkeit, meiner Leidenschaft zu folgen. Ich hatte das Glück, gute Ausbildungen absolvieren zu können, mein Leben frei und unabhängig zu leben, und ich lebe in einem Land, das mir noch viel mehr Freiheiten zugesteht. Wie viel davon nehme ich als selbstverständlich wahr, denke nicht weiter drüber nach neben all dem Wünschen? Wie wäre es, einfach mal dankbar zu sein für all das, was nämlich alles andere als selbstverständlich ist für ganz viele Menschen auf dieser Welt?

Dankbarkeit ist ein Gefühl, das Glück bringt. Es ist undenkbar, wirklich unglücklich zu sein, wenn man ganz viel Dankbarkeit im Herzen fühlt für das, was ist. Das Gefühl der Dankbarkeit, immer wieder bewusst ins Gedächtnis gerufen, kann auch helfen, wenn wir mal wieder hadern. Wenn wieder einmal Wünsche da sind, die sich nicht erfüllen lassen, zumindest nicht gleich: Wieso nicht auf das Gegenteil konzentrieren? Weg vom Mangel an dem, was wir wollten, sondern hin auf die Fülle, was da ist?

Dankbarkeit hilft auch in schwierigen Lebenssituationen, wenn das Leben seine Krallen zeigt. Wenn wir leiden, weil Umbrüche stattfinden, die Gesundheit instabil ist, wir uns verletzt fühlen oder benachteiligt. Sich dann hinzusetzen, Tag für Tag, und aktiv ins Gedächtnis zu rufen, was neben all dem Schweren an Schönem im Leben ist, für das wir dankbar sein können, wird zwar nicht die unschönen Umstände beseitigen, es hilft aber, innerlich etwas mehr Ruhe und Kraft zu entwickeln, aus der heraus wir dann das Schwere besser (er-)tragen können. Ich habe in schwierigen Zeiten immer ein Dankbarkeitstagebuch geführt. Es hat mich durch die Zeiten getragen. Und wenn mir mal nichts in den Sinn kam, weil zu viel Dunkles die Sicht versperrte, blätterte ich in den alten Aufzeichnungen und fand immer etwas, das noch immer gut war, so dass ein wenig Licht ins gefühlte Dunkel kam.

Wofür seid ihr dankbar?

Tagesgedanken: Gut genug

«Vergiss nicht – man benötigt nur wenig, um ein glückliches Leben zu führen.» (Marc Aurel)

Wir streben nach Schönheit, übersehen aber die Blume am Strassenrand.
Wir wollen hoch hinaus, wollen Erfolg, überhören aber ein einfaches Lob, wenn es ausgesprochen wird.
Wir streben nach Auszeichnungen, träumen von grossen Lobesreden, übersehen dabei das dankbare Lächeln eines Kindes.
Wir schauen zum Gipfel, sehen ihn als erstrebtes Ziel, und trampeln auf dem Weg dahin achtlos über Blumen, Gräser, durch Wälder und Dörfer.

Wie oft gehen wir durchs Leben, Ziele im Blick und all das, was wir noch wollen und noch nicht haben. Wir jammern über verpasste Chancen und hadern mit unerreichbaren Zielen. Wir sehen so viel, das es gibt auf dieser Welt und was uns fehlt, dabei übersehen wir, was wir alles haben – und nicht schätzen. Oft ignorieren wir auch schon Erreichtes, vergessen Erfolge auf dem Lebensweg und sind nur damit beschäftigt, was uns fehlt, um wirklich gut zu sein, um wirklich etwas erreicht zu haben, das Anerkennung bringt, das genügt, denn im Moment ist nur eines der Fall: Es ist nicht gut genug. Wir sind nicht gut genug.

Was wir dabei gerne übersehen: Nur schon, dass wir uns diese Gedanken überhaupt machen können, ist schon ein grosses Privileg. Es heisst, dass wir uns nicht ums nackte Überleben kümmern müssen, und auch, dass wir geistig dazu in der Lage sind. Das kümmert uns aber nicht sehr, denn mit all dem gehen wir mit der Zeit, deren Motto lautet:

Schneller, grösser, besser, mehr von allem.

Das Leben scheint nur gut genug, wenn es perfekt ist. Wir stehen nur am richtigen Ort im Leben, wenn wir an der Spitze stehen. Die Frage, was wir davon wirklich haben, stellen wir nicht, und wenn doch, gibt es genügend Antworten, allen voran: Wieso weniger, wenn auch mehr geht? Und wir fühlen uns in guter Gesellschaft, fühlen uns von der sogar angetrieben, wenn wir sehen, dass ein anderer mehr hat – was der (haben) kann, wollen auch wir. Und vielleicht noch ein wenig mehr.

Um dieses Mehr zu erreichen, begeben wir uns in ein Hamsterrad, wir ackern uns von morgens bis abends ab, bemühen uns, nicht stehen zu bleiben, sondern immer weiterzugehen, denn: Stillstand ist Rückschritt. Immer schneller, immer höher, immer mehr. Und doch nie genug. Vielleicht würden wir all das nicht brauchen, wenn wir mal hinschauen würden. Wenn wir uns fragen würden, wieso wir all das überhaupt wollen. Wenn wir hinterfragen würden, was uns antreibt, woher die Unzufriedenheit kommt. Wenn wir analysieren würden, wieso wir uns mit anderen vergleichen und diese dann übertreffen wollen. Wenn wir die Unzufriedenheit mit unserem eigenen Sein und Haben und die dahinterstehenden Gründe und Glaubenssätze offenlegen könnten.

Schlussendlich wird uns keines dieser Mehr wirklich mehr bringen, vor allem wird es uns nie alles und abschliessend genug bringen. Wo mehr ging, geht immer auch noch mehr, dieses Streben ist ein Fass ohne Boden, ein Weg ohne Ende. Es ist eine Reise ohne Ankunft, ein Streben ohne Glück am Ende. Und all das wäre nicht nötig, wenn wir herausfänden, was im Leben wirklich Freude bringen könnte, was wirkliche Befriedigung in sich tragen könnte und vor allem, was uns aus diesem Hamsterrad ausbrechen lassen könnte, das ein nie endendes und dabei so ermüdendes ist. Wir würden unseren Blick wieder für die Schönheit des Lebens öffnen und uns an dem erfreuen, was schon gut ist:

  • Schöne Gespräche mit Freunden
  • Die Anerkennung für das, was wir gut machen
  • Das dankbare Lächeln eines Kindes, dem wir geholfen haben
  • Die Blumen am Wegesrand, wenn wir zur Arbeit gehen
  • Das Glas Wein, genossen mit einem lieben Menschen
  • Der Stolz, wenn wir etwas geschafft haben
  • Die Freude, wenn uns etwas gelingt

Und nicht zuletzt: Das Wissen, genug zu sein, so wie wir sind.

«Der Weg zu allem Grossen geht durch die Stille.» (Nietzsche)

Dann würde das Vergleichen aufhören können. Dann müssten wir nichts erreichen, nur weil andere es haben. Wir würden eine Dankbarkeit empfinden können für all das Gute und Schöne, indem wir mehr Achtsamkeit pflegen, es zu sehen. Wir könnten aufhören zu strampeln und zur Ruhe kommen. Dann würden wir erfahren, was schon Konfuzius sagte:

«In der Ruhe liegt die Kraft.»

Diese Kraft würde uns helfen, unseren Weg zu gehen, wie er für uns stimmt. Nicht aus Vergleichen heraus, nicht aus dem ewigen Streben nach mehr heraus, sondern aus unserem tiefen Sein und Wollen heraus im Wissen, was unser Leben ausmachen soll, wer wir sein wollen, wie ein Leben aussehen müsste, dass es «mein Leben» ist.

Tagesgedanken: Bei sich bleiben

«Oder man sehe sich die Menschen während einer Abendgesellschaft an! Alle kommen sie mit dem festen Willen, sich zu amüsieren, mit derselben Art grimmiger Entschlussfestigkeit, die man zum Zahnarzt mitnimmt.» (Bertrand Russell)

Freitagabend, endlich ist die Arbeitswoche vorbei, die Freizeit bricht an. Nun ist meine Zeit zu geniessen. Ich verabrede mich mit Freunden, gehe an eine Party, zum Essen, in die Disco – so oder so, sicher ist: Nun habe ich Spass. Wann, wenn nicht jetzt? Zudem, wie würde ich angeschaut, wenn ich an einem rauschenden Fest still an einem Tisch sässe? Ebenso in den Ferien: Nun wird ausgespannt, nun wird sich gefreut. So will es das ungeschriebene Gesetz, so benimmt man sich in den Ferien. Was Knigge für das angemessene Verhalten in Bezug auf Etikette und Anstand aufgeschrieben hat, gilt auch für das Verhalten im Alltag: Es gibt klare Regeln, was passt und was nicht.

Es ist nicht verwunderlich, dass diese quasi aufgezwungene Weise von Fröhlichkeit und Feierlaune keine wirklich glücklichen Gefühle weckt. Das Lächeln ist mehr vordergründig, der Wein fliesst fleissig, um es aufrecht erhalten zu können. Und eigentlich wäre man lieber zu Hause. Sässe mit einem Glas Wein auf dem Sofa, läse ein Buch, geniesse die Ruhe. Doch was wäre man für ein Langweiler, würde man dem nachgeben? Was würden die anderen denken? SO kommt es, dass viele Menschen nicht nur bei der Arbeit in einem Hamsterrad gefangen sind, sondern dass dieses auch in der Freizeit weiterläuft. Das Resultat ist eine Gesellschaft, in welcher Menschen sich mehr als unglücklich denn als glücklich bezeichnen. Wie kam es dazu?

«Die Gründe für diese verschiedenen Arten von Unglück liegen teils in unserem Sozialsystem, teils an der seelischen Verfassung des einzelnen, die selbstverständlich wieder ihrerseits im hohen Grade ein Produkt des sozialen Systems ist.» (Bertrand Russell)

Es ist oft einfacher, sich den Regeln und Erwartungen der Gesellschaft zu fügen. Man eckt weniger an, man ist für die anderen einfacher zu verstehen und damit genehmer. Die Frage ist, ob der Preis nicht zu hoch ist. Glück wird man so nicht finden, Menschen, die einen wirklich so mögen, wie man ist, auch nicht, da sie einen gar nie so erleben. Oft erschöpft einen dieses ständige dem Glück Nachrennen nur und die Gefahr besteht, dass wir uns von uns selbst entfremden, weil wir schlussendlich gar nicht mehr spüren, was wir wirklich wollen und brauchen würden, so sehr sind wir damit beschäftigt, den Ansprüchen zu genügen (die mit der Zeit auch zu Gewohnheiten werden).

Vielleicht ist es manchmal besser, nicht nach Glück, sondern nach den eigenen Bedürfnissen zu fragen. Und dabei genau hinzuhören. Vielleicht denkt dann der eine oder andere, man sei langweilig, doch: Und nun? Wen soll das wirklich kümmern? Vielleicht ist der dann auch nicht der passende Mensch im eigenen Leben? Schlussendlich lebt man immer nur mit einem Menschen, mit sich selbst. Wieso es also nicht dem zuerst recht machen? Und vielleicht stellt sich das Glück dann von selbst ein.

Tagesgedanken: Glück

«Was strebt ihr also mit all eurem Lärmen um Glück? Ich glaube, ihr sucht den Mangel durch Fülle zu verjagen; doch das schlägt sich euch zum Gegenteil aus.»

Das schrieb Boethius im 6. Jahrhundert nach Christus und man könnte die Frage wohl heute noch so stellen: Glück scheint das höchste Gut und alle streben danach, es zu erhaschen. Was erfüllt sein muss, damit man glücklich sei, darüber wurde seit Menschengedenken ganze Bücher gefüllt. Aristoteles verortete es in einem tugendhaften, Epikur in einem lustvollen (wobei sein Lustbegriff nicht dem alltäglichen heute entspricht) Leben. Viele erhoffen sich Glück durch Reichtum, doch ist man wirklich glücklich, wenn man immer noch mehr hat? Studien widerlegen das. 

Vielleicht trifft es Schopenhauer, der eine Heiterkeit des Gemüts als beste Voraussetzung nennt, glücklich zu sein. Dem stimmt auch Jean Paul zu, welcher findet, dass Heiterkeit und Frohsinn die Sonne seien, unter der alles gedeihe – dann also auch die Sache mit dem Glück. Nur: Mal gefunden, bleibt es selten, denn die grösste Sicherheit in Bezug auf das Glück besteht darin, dass es unsicher, weil unbeständig ist. Oder ist gerade das der Grund, weswegen es uns so wertvoll erscheint? Ist das, was nicht immer da oder von einem Ende bedroht ist, gerade drum so erstrebenswert, so auch das Leben an sich?

Ich denke – diese Sicht teilen auch die meisten Philosophen -, dass Glück nur dann entstehen kann, wenn es aus uns selbst entsteht. Äussere Güter sind ihm kaum zuträglich, in jedem liegt immer eine Gefahr. Vielleicht kann man die Aussage, dass jeder seines Glückes Schmied sei, auch so verstehen, dass das, was wirklich Glück mit sich bringt, aus einem selbst kommen muss und man das selbst in der Hand habe, frei nach Epiktet: Es gibt Dinge, die wir beeinflussen können, andere nicht. Kümmern wir uns um die ersten.

Sollte es doch mal nicht zum Glück reichen, halten wir es mit Wilhelm Schmid, der auch im Unglück viel Wertvolles sieht, denn aus ihm entsteht oft eine Weiterentwicklung, ein neuer Weg hin zu etwas Anderem und vielleicht Besseren. Und bewahren wir die Hoffnung:

„Am Ende wird alles gut. Und ist es nicht gut, ist es nicht das Ende.“

Tagesgedanken: Glück mit Aristoteles

Es ist immer wieder erstaunlich, wie aktuell noch heute die Gedanken der alten Griechen sind. Wenn man durch Aristoteles’ Schriften blättert, finden sich Aussagen zum Menschsein, zum Leben darin, die an Gültigkeit nichts verloren haben. Ein Zeichen dafür, dass wir trotz der vielen offensichtlichen Veränderungen in der Welt über die Jahrtausende hinweg im Wesen noch immer ähnlich denken und sind. Schon Aristoteles hat sich zum Beispiel mit der Frage auseinandergesetzt, was ein gutes Leben ist, was es im Leben braucht, um glücklich zu sein. Er befand, dass viel an einem selbst liegt dabei:

«Tatsächlich ist jeder seines eigenen Glückes Schmied und kann sich an jedem beliebigen Punkt seines moralischen Werdegangs für ein gutes Leben entscheiden.»

Ein gutes Leben ist für Aristoteles eines, in dem man auf der Basis der eigenen Vernunft versucht, das Richtige zu tun. Es gilt also, als Einzelner in sich zu gehen und zu ergründen, was man will, wo die eigenen Werte liegen, wie man handeln will – die eigenen Absichten entscheiden über richtig oder falsch im Tun.

«Selbstgenügsamkeit oder auch Selbständigkeit (autarkeia) ist ein Schlüsselelement in Arostoteles’ Konzept einer guten und damit glücklichen Lebensführung.»

Ein Leben kann zudem nur dann ein glückliches sein, wenn man sich selbst genug ist. Sobald man das eigene Glück von anderen abhängig macht, ist es gefährdet, da man es aus den eigenen Händen gibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass man das Leben nur auf sich gestellt und allein leben soll, damit würde man viel verpassen an Freude und Schönem. Freundschaft ist für Aristoteles ein grosses Gut, Freunde gilt es zu pflegen, denn sie sind eine Bereicherung für das eigene Leben.

«Für Aristoteles hingegen stellen Freunde auch für das Leben der Selbstgenügsamen eine Bereicherung dar… Freunde sind etwas inhärent Gutes im ‘äusseren’ Leben.»

Als soziale Wesen sind wir auf das Dasein anderer Menschen angewiesen, wir wären nicht lebensfähig ohne. Damit das Zusammenleben aber gelingt, bedarf es der richtigen Einstellung, da Freunde gut behandelt werden wollen. Freundschaft beruht vor allem immer auf einer Gegenseitigkeit. Es geht nicht an, nur profitieren zu wollen, man muss immer auch bereit sein, etwas zurückzugeben. Das soll nicht als Buchhaltung verstanden sein, sondern als tiefe Überzeugung, dem anderen etwas Gutes und das dazu Nötige tun zu wollen. Diese Grundhaltung kann nicht auf jedem Boden gedeihen, sie gedeiht da, wo Liebe ist, wo das tiefe Gefühl der Mitmenschlichkeit herrscht – und das fängt immer bei sich selbst an. So sagt denn Aristoteles auch,

«…dass man sich unbedingt selbst lieben muss, um gut leben und andere Menschen gerecht behandeln zu können.»

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Buchtipp: Edith Hall: Was würde Aristoteles sagen? Zehn philosophische Lektionen für das Glücklichsein

Edith Hall greift auf Aristoteles zurück, und präsentiert mit seiner Hilfe zehn Lektionen zum Glücklichsein. Für den antiken Denker war Glück eine innere Zufriedenheit, die jeder durch sein eigenes Verhalten erreichen kann. Das dazu nötige Verhalten ist ein ethisches, eines, das Tugenden hochhält, das im Umgang mit sich und anderen einer Tugendethik verpflichtet ist. Hall veranschaulicht die aristotelischen Grundsätze und Erkenntnisse anhand zeitgemässer Beispiele und eigenen Lebenserfahrungen.

Zur Autorin:
Edith Hall, geboren 1959, ist Professorin für Altertumswissenschaften am King’s College in London und zugleich Mitgründerin des Archive of Performances of Greek and Roman Drama an der Universität Oxford. Sie verfasste mehrere Bücher zu Themen der griechischen Geschichte und Literatur, u.a. eine Kulturgeschichte von Homers »Odyssee« sowie eine Geschichte der antiken Sklaverei. 2015 erhielt sie die »Erasmus-Medaille« der Academia Europea für herausragende Verdienste um die europäische Kultur und Wissenschaft.

Angaben zum Buch:

  • Herausgeber ‏ : ‎ Siedler Verlag (27. September 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 336 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3827500974
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3827500977
  • Originaltitel ‏ : ‎ Aristotle’s Way: Ten Ways Ancient Wisdom Can Change Your Life
  • Übersetzer: Andreas Thomsen

Tagesgedanken: Glück

«Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung.» (Erich Fromm)

Was ist eigentlich ein schönes Leben? Was muss im Leben verwirklicht sein, damit man sagen kann: Mein Leben ist schön? Spontan denkt man wohl an Glück, Gesundheit, gute Umstände – zentral ist wohl das Glück. Nur: was bedeutet Glück überhaupt? Wirklich dieses ständig frohlockende Hochgefühl, das einen mit strahlend gefletschten Zähnen durch die Welt laufen lässt? Aristoteles hat sich in der Nikomachischen Ethik intensiv mit dem Glück auseinandergesetzt und kam auf folgende Bestimmungen, die Glück ausmachen:

  • Glück ist wählbar, indem ich bestimmen kann, welche Form des Lebens und damit der Glückerfüllung ich für mich wünsche.
  • Glück ist kein Zustand, sondern ein Tun – indem ich so handle, wie es für meinen Lebensentwurf stimmt, stellt sich Glück ein. Wer also einfach im Bett liegen bleibt und darauf wartet, dass das Glück sich einstellt, dem geht es unter Umständen wie Godot. 
  • Glück hat man nicht allein, erst durch das Verflochtensein mit anderen, mit Menschen und Welt, erfährt man Glück. Freundschaft ist dabei wohl eines der schönsten Beziehungsnetze, in das man gemeinsam Fäden webt. Nicht zu vergessen ist dabei aber auch die Selbstfreundschaft, denn es webt sich besser gemeinsam aus einem harmonischen Seelengrund.
  • Glück speist sich aus seelischen, körperlichen und äusserlichen Gütern. Zu grosse Mängel in einem der dreien beeinträchtigt das Glück doch nachhaltig. 
  • Glück ist etwas, das man lernen kann – manchmal muss man es auch wollen und daran arbeiten, Glück empfinden zu können. 
  • Glück ist ein erfülltes Leben, wobei erfüllt nicht nur Positives umfasst, sondern auch das Negative als zum Leben gehörend akzeptiert. Solange man das Negative ausschalten will, wird man zu sehr mit Hadern beschäftigt sein, als dass für Glück noch Zeit und Raum übrigbleiben. 
  • Auch sei Glück etwas Göttliches, was wohl bedeutet, dass wir nie alles in der Hand haben, uns aber in Vertrauen an das Leben hingeben sollen, daran glaubend, dass Glück möglich ist. Und so wird es wohl auch ein schönes Leben.

Dass man etwas für das eigene Glück tun muss, findet sich auch bei Demokrit:

«Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.»

Die Aussage, dass man einfach kein Glück im Leben habe, wenn die Dinge schieflaufen, greift so gesehen zu kurz. Statt über das ausbleibende Glück zu klagen, muss man hinschauen, was man dafür tut, glücklich zu sein. Das bedingt, dass man sich so gut kennt, dass man weiss, was man für sich selbst als Glück erachtet, wie man das eigene Leben gerne hätte, um es ein glückliches, ein schönes nennen zu können. Glück ist kein allgemeines Gut, das für alle gleich aussieht, es ist die individuelle Verwirklichung des eigenen Lebens nach eigenen Vorstellungen. Hier greift das, was man als Selbstwirksamkeit bezeichnet. Es ist der Wille zum Gestalten des eigenen Lebens.

«Glücklich ist nicht, wer anderen so vorkommt, sondern wer sich selbst dafür hält.»

Seneca weist hier auf einen weiteren Punkt hin: Es bringt wenig, Glück vortäuschen zu wollen. Alle äusseren Merkmale, die nach Glück aussehen, bringen wenig, wenn man sie tief drin nicht als massgeblich für das eigene Glück erachtet. So kann das eigene Leben nach aussen noch so perfekt erscheinen, erst das tiefe Gefühl in einem selbst macht dieses Leben zu einem glücklichen.

Und vielleicht braucht es neben all dem Tun und Wollen auch ein Quäntchen Glück, um glücklich zu sein. Das ist wohl das, was Aristoteles mit dem göttlichen Element bezeichnet, mit dem nicht steuerbaren, sich darbietenden (wobei man es auch annehmen muss). Wenn das eigene Leben gelingt, wenn es ein schönes Leben ist, löst das Dankbarkeit aus. Und gerade diese Dankbarkeit für das, was ist, löst wiederum Glück aus.

«Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.» (Francis Bacon)

Wilhelm Schmid: Glück

Was kann dieses Buch dazu bringen, dass Sie Ihr Glück finden können? Einen Moment des Nachdenkens, sonst nichts. Eine kleine Atempause inmitten der Glückshysterie, die um sich greift.

Der erste Satz im Buch Wilhelm Schmids über das Glück mildert zum Glück die doch eher überheblich anmutende Botschaft des Untertitels, dass das dünne Büchlein alles beinhaltet, was man über das Glück wissen muss. Das Buch will zum Nachdenken anregen und es geht der Frage nach, was Glück eigentlich ist. Die Antwort ist, dass es keine verbindliche Definition von Glück gibt, dass jeder für sich selber festlegen muss, was Glück für ihn bedeutet.

Viele Menschen sind plötzlich so verrückt nach Glück, dass zu befürchten ist, sie könnten sich unglücklich machen, nur weil sie glauben, ohne Glück nicht mehr leben zu können.

Wilhelm Schmid stellt fest, dass es nicht nur ein Glück gibt, sondern mehrere. Zu unterscheiden sind nach Wilhelm Schmid Zufallsglück, Wohlfühlglück, Glück der Fülle und Glück des Unglücks. Allen gemeinsam ist, dass der Mensch nach ihnen trachtet, dass er das Glück als höchstes Gut erachtet, das er erreichen und halten möchte. Wirklich dauerhaft ist dabei nur das Glück der Fülle, da es auch die negativen Seiten des Lebens beinhaltet. Trotzdem kommt Wilhelm Schmid zum Schluss, dass Glück nicht das Wichtigste im Leben ist, dass hinter dem Streben nach Glück die Suche nach Sinn steht.

Der zweite Teil des Buches befasst sich denn auch mit dem Sinn und den Sinnen. Sinn ergibt sich da, wo ein Zusammenhang besteht, er beginnt mit der Sinnlichkeit, der sinnlichen Erfahrung der Welt. Im Zeitalter der Technologisierung setzte ein Verfall der Sinne ein, was ein Verschwinden vom Sinn, vom Zusammenhang des Selbst mit der Welt zur Folge hatte.  Aus dieser Sinnleere heraus begann – so Schmid – das Streben nach Glück.

Schmid sieht die Lösung darin, Beziehungen zu knüpfen, so dass wieder Zusammenhänge entstehen. Neben vielen Möglichkeiten nennt er als herausragende die Beziehung zur Unendlichkeit, die Beziehung zur Natur und zur Religion. Wie auch immer der Glaube an eine das eigene Leben und die eigene Endlichkeit überragende Unendlichkeit aussieht, so eröffnet er neue Dimensionen und eine neue Fülle, welche der eigenen Existenz Sinn und Geborgenheit vermitteln können – so die Theorie Wilhelm Schmids.

Das kleine Büchlein regt wirklich ab und an zum Nachdenken an, birgt ein paar gute Sätze, welche spontane Zustimmung beim Lesen entlocken. Alles, was man über das Glück wissen muss, findet man darin kaum, dazu geht das Buch weder tief noch weit genug.

Persönlicher Bezug
Vor einiger Zeit hörte ich den Spruch, dass das Unglück wertvoll sei, denn wenn wir alle immer nur glücklich gewesen wären, sässen wir heute noch auf Bäumen und würden uns gegenseitig lausen. Erst das Unglück, das Gefühl, dass in unserem Leben etwas fehlt, mit dem wir glücklicher sein könnten, treibt uns an. Und doch: Was rational so vernünftig klingt, reicht emotional nicht ganz aus. Wir gehen nun doch nicht dahin und wünschen uns Unglück, um weiter zu kommen. Was aber hat es mit diesem Glück auf sich, dass wir es alle haben wollen?

Folgt man Nietzsche, braucht es ein Warum zum Leben, dann sei fast jedes Wie tragbar. Viktor Frankl hat diesen Gedanken auch formuliert. Damit würden beide auch dem Sinn die Hauptrolle in unserem Leben zuordnen: Das, was unserem Leben Sinn verleiht, macht es für uns lebenswert. Das Glück ist dann ab und an vielleicht ein Sahnehäubchen obendrauf, aber wohl kaum das, worauf das gelingende Leben sich stützen kann.

Ich schätze Wilhelm Schmids Bücher sehr, weil er darin immer wieder lebenspraktische Themen aufgreift, die gut lesbar und doch fundiert behandelt.

Fazit:

Das Glück wird man mit diesem Buch nicht finden, aber ein paar gute Gedanken zum Thema Glück und zum eigenen Verhalten. Kurz und prägnant, lesbar und unterhaltsam.

Bild

Angaben zum Buch:

Ringbuch: 80 Seiten

Verlag: Insel Verlag

Preis: EUR: 7 ; CHF 11.90

Wilhelm Schmid: Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist, Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007.

5 Inspirationen – Woche 23

Es war eine schöne Woche, eine überraschende Woche, eine lehrreiche Woche, eine arbeitsame Woche. Es war eine Woche, in welcher ich durch viele Erlebnisse und auch durch meine Gedanken dazu Erkenntnisse gewann. Insofern fallen die heutigen Inspirationen vielleicht ein wenig anders aus als sonst.

Was hat mich diese Woche inspiriert, welche Erkenntnisse habe ich gewonnen?

Egal wie andere Menschen Dinge anpacken, ich muss für mich meinen eigenen Weg finden. Diese Erkenntnis klingt ziemlich banal und offensichtlich, und doch kam sie mir diese Woche wieder ganz bewusst in den Sinn. Ich habe seit vielen Jahren eine Schwäche für die Schreibprozesse anderer Autoren. Und immer wieder, wenn mich einer begeistert, denke ich, dass sein Schreibprozess «der Richtige» sei. Und bin dann erst mal blockiert für eine Weile. Bis ich wieder zu meinem eigenen zurück finde.

Es bringt nichts, über ungelegten Eiern zu brüten. Das fiel mir mal wieder auf, als ich etwas frustriert in die Woche startete, welche in der Agenda und in den Wetterprognosen eher nicht nach meinem Geschmack aussahen. Die Woche nahm ihren Lauf, einzelne Termine verflüchtigten sich, andere waren besser als gedacht, und das Wetter liess immer mal wieder die Sonne scheinen, so dass ich sogar draussen essen und schöne Spaziergänge unternehmen konnte.

Mach mal Pause – bewusst und mit Genuss. Ich neige dazu, viel zu wollen und auch zu tun. Und es fällt mir oft schwer, aus all den (teilweise auch selbst auferlegten) Pflichten auszubrechen und abzuschalten. Einfach mal ein Buch zum Spass lesen, wo ich noch so viele für einzelne Projekte zu lesen habe? Geht doch nicht… Doch dann machte ich es, ein dünnes Büchlein nur, ohne Ansprüche, ohne Ziel, ausser: Freude am Lesen. Es hat gut getan und ich war fast produktiver als sonst. Ich habe vermutlich nicht mal mehr pausiert als vorher, aber wohl bewusster und freudvoller, während ich vorher eher mal durchs Netz surfte, um ein wenig abzuschalten.

Ich und mein Tun sind nicht der Nabel der Welt. Ich las schon immer viele Biographien, hauptsächlich solche von Schriftstellern, einige auch von Malern. Immer wieder fiel mir auf, dass diese in ihrem Schaffen so grossartigen Menschen persönlich mit sehr schwierigen Charakteren ausgestattet waren, dass sie von sich selber und ihrem eigenen Schaffen eingenommen, anderen Menschen kaum Raum neben sich liessen. Das fiel mir auch im persönlichen Umgang mit Künstlern manchmal auf: Für manche gibt es nur sie und ihre Kunst als Thema. Ob das mit der Kunst kommt oder kommt die Kunst aus dem Naturell? Vielleicht ist es gar nicht auf die Kunst und die Künstler zu beschränken, sondern es gibt grundsätzlich Menschen mit dieser Eigenart, es gibt Menschen, die sich nur für sich interessieren und davon reden, und andere, die an einem wirklichen Dialog interessiert sind. Ich hoffe, ich verliere das selber nie aus den Augen.

Ein Zitat aus meinem letzten gelesenen Buch Françoise Dorner: Die letzte Liebe des Monsieur Armand) fand ich wunderschön und so wahr:

«Die heitere Kraft derer, die begriffen haben, dass selbsterobertes Glück die einzige gültige Antwort auf das anfängliche Unglück ist.»

Den Gedanke, dass auch unter schwierigen Umständen die Möglichkeit besteht, sein eigenes Glück zu suchen, finde ich sehr ermutigend und hoffnungsfroh.

Hermann Hesse: Bücher

Bücher (1918)

Auf den Text muss hier leider verzichtet werden aus urheberrechtlichen Gründen. Das Gedicht kann HIER nachgelesen werden.

Hermann Hesse schrieb dieses Gedicht in einer für ihn schwierigen Zeit. Verschiedene Schicksalsschläge haben ihn psychisch so belastet, dass er sich in Behandlung geben musste, dabei Erfahrungen mit der Psychoanalyse machte. Daneben war seine Ehe am Zerbrechen, seine Kriegsgegnerschaft hat ihm nicht nur Freunde beschert. Kurz vor diesem Gedicht hat Hesse seinen Demian geschrieben, den er folgendermassen einleitete:

«Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und unten Fisch. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin. Und allen sind die Herkünfte gemeinsam, die Mütter, wir alle kommen aus demselben Schlunde; aber jeder strebt, ein Versuch und Wurf aus den Tiefen, seinem eigenen Ziel zu. Wir können einander verstehen; aber deuten kann jeder nur sich selbst.»

Der Roman zeichnet das Leben des Protagonisten Emil Sinclair vom zehnjährigen Kind hin zum sich selber bewussten, sich selber hinterfragenden Erwachsenen auf. Fast scheint es, er hätte diese Thematik im wahrsten Sinne des Wortes verdichtet. Im Gedicht erzählt er nicht vom möglichen Weg hin zur Erkenntnis, er spricht den Leser an, sagt ihm, wo er das Glück sicher nicht findet: In allen Büchern dieser Welt. Dahin flieht vor allem der Literaturliebhaber in schwierigen Zeiten gern, eröffnen sich in Büchern doch neue Welten, welche ein Abtauchen ermöglichen. Und daraus erhofft man sich dann ein bisschen Glück.

Und nun also Hesses Absage an das Glück aus Büchern. Er kommt zum Schluss, dass man unzählige Bücher lesen kann, sie alle werden das Glück nicht bringen. Dabei belässt er es aber nicht: Zwar findet man nicht unmittelbar Glück, aber Bücher helfen, sich durch das Lesen fremder Sichtweisen, durch das Erfahren neuer Möglichkeiten, sich selber genauer zu sehen. So wird Literatur zum Spiegel und sie öffnet dadurch neue Tore, allen voran das zum eigenen Ich.

Ist man erst mal bei sich selber angekommen, merkt man, dass eigentlich alles, was man suchte, schon da ist. Das deckt sich mit dem, was Buddha einst sagte:

«Das Glück liegt in uns, nicht in den Dingen.»

Die Dinge aber, in dem Fall die Bücher, können uns helfen, unseren Blick zu schärfen dafür, was da ist, dafür, was möglich ist. Bei allem, was wir lesen, lesen wir uns mit. Mit allem, was wir erfahren, treten wir in Kontakt mit unserer eigenen Erfahrungswelt. Ist der Blick erstmal klar und wir unserer selbst bewusst, werden wir in uns selber das Licht erzeugen, welches das Dunkel des Unverständnisses, das Dunkel der Welt erhellt.

Thommie Bayer: Das Glück meiner Mutter

«Ich wollte nicht mehr. Das immer gleiche Spiel von Anziehung und Abwehr, Verschmelzung und Selbsterhalt schien mir aus der neu gewonnenen Distanz auf einmal öde und vorhersehbar, alles lief auf Abnutzung und Missverstehen hinaus, als könne es Liebe zwischen zwei Menschen nur in Phasen geben, nach deren Ablauf man sich die eigene Ernüchterung so lange nicht eingestand, bis ein äusseres Ereignis, eine neue Verliebtheit, ein Job in einer anderen Stadt oder ein irreversibel verletzender Streit für klare Verhältnisse sorgte.“

Der Drehbuchautor Philip Dorn, ein alleinstehender Mann in den mittleren Jahren, der sich nach dem Scheitern seiner letzten Beziehung in seinem Leben allein eingerichtet hat, beschliesst, sich sein Traumauto, einen Mini, zu kaufen und damit in die Toskana zu fahren. Beim Dahingleiten auf den Strassen, erinnert er sich an seine Kindheit, an seine Beziehung zu seinen Eltern, vor allem die zu seiner Mutter, und an seine gescheiterte Beziehung zu Bettina.

„Wenn das Auge immer neue Bilder erfasst, kommt Luft ins Gehirn und die inneren Regale werden abgestaubt.“

Italien erscheint ihm als Paradies, das Freisein von Verpflichtungen und die Abgeschiedenheit von anderen Menschen eröffnet ihm die Möglichkeit, sein bisheriges Leben und seine eigene Rolle darin zu beleuchten – bis eines Nachts eine nackte Frau in seinem Pool schwimmt, die seine Aufmerksamkeit weckt. Zuerst beobachtet er sie nur fasziniert aus dem Versteckten, in bald darauf folgenden Gesprächen findet Philip Dorn weitere Antworten auf seine höchstpersönlichen Fragen.

Thommie Bayer legt uns eine warmherzige Geschichte vor, welche ohne grosse Höhen und Tiefen in ihren Bann zieht und das Herz erwärmt. Der Protagonist eröffnet durch sein eigenes Nachdenken – erzählt in einem inneren Monolog – Denkräume, in welche auch der Leser eintreten kann. Er lässt die verschiedenen Etappen seines Lebens Revue passieren, sinniert über seine Beziehung zu seinen Eltern, vor allem seiner Mutter, über verpasste Gelegenheiten, Hoffnungen, Erwartungen und auch das Glück.

„Das muss das Alter sein, dachte ich, wenn dir auf einmal klar wird, dass das Beste, was dir passieren kann, die Aussicht ist, dass alles so bleibt, wie es ist, dass dich keine Krankheit niederwirft, niemand an dir ein Verbrechen verübt, Siechtum und Tod dich möglichst lange nicht erwischen – wird Zeit, zu begreifen, dass du glücklich bist.“

„Das Glück meiner Mutter“ ist ein Buch mit leisen Tönen, das berührt und bewegt, ein Buch mit Spuren von Wehmut, aber auch Hoffnung, Einsicht und Dankbarkeit. Es ist der Versuch, herauszufinden, was Glück ist und die Frage danach, ob die anderen Menschen im eigenen Umfeld glücklich gewesen sind – und ob und wie man selber dazu beitragen oder im Weg stehen kann.

Die Geschichte ist vielleicht etwas einfach gestrickt, gewisse Dinge, liegen, wenn auch nicht ausgesprochen, in greifbarer Nähe, sind eventuell auch etwas zu konstruiert, doch tut dies dem Gefühl, das dieses Buch beim Lesen hinterlässt, keinen Abbruch. Es ist ein wunderbares Buch, das leider viel zu schnell endet, einen aber auch dann noch nicht gleich loslässt.

Fazit:
Lebenserinnerungen in eine Reise verpackt, ein Buch mit leisen Tönen, das berührt und bewegt, ein Buch mit Spuren von Wehmut, aber auch Hoffnung, Einsicht und Dankbarkeit. Ein wunderbares Buch und eine grosse Empfehlung!

Bewertung:
5****/5 – fünf von fünf Sternen

Zum Autor
Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er begann, Drehbücher und später Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm Die gefährliche Frau, Singvogel, der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman Eine kurze Geschichte vom Glück, Die kurzen und die langen Jahre sowie Weisser Zug nach Süden.

Ein Interview mit dem Autoren findet sich HIER

Angaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 224
Verlag: Piper; 1. Edition (15. März 2021)
ISBN: 978-3492057264
Preis: EUR 22 / CHF 29.90

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Glück aufbauen

Ich wollte dir ein Haus erbauen
ich riss es schliesslich ein.
Ich wollte doch so sehr vertrauen,
es sollt’ auf ewig sein.

Ich wollte mit dir Pferde stehlen,
ich ritt auf ihnen weg.
Ich kann dabei gar nicht verhehlen,
dass mich das selbst bewegt.

Ich steh mir manchmal selbst im Lichte,
und glaube nicht an dich.
Ich mach’ mir alles das zunichte,
was teuer ist für mich.

Ich habe Angst und fliehe dann,
von wo ich doch am liebsten bin.
Ich fürchte mich, dass ich nicht kann,
was eigentlich in meinem Sinn.

Ich möcht’ mit dir mein Leben teilen,
und fürchte alles, was uns trennt,
und statt dann glücklich zu verweilen,
bin ich es, der’s verbrennt.

Ich möchte dir ein Haus erbauen,
ich lass es fortan steh’n,
komm lass uns beide drauf vertrauen,
und mutig in die Zukunft seh’n.

©Sandra Matteotti

Glück und Liebe

„Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich.“ (Hermann Hesse)

Wir Menschen streben nach Liebe. Von klein an sind wir auf Liebe angewiesen, ungeliebte Kinder verkümmern – und ebenso tun es Erwachsene. Oft schränken wir Liebe zu sehr ein, denken nur an eine Partnerschaft, wenn wir an Liebe denken und sehen uns als leidend, weil wir keine Liebe erfahrung durch den fehlenden Partner.

Liebe geht viel weiter. Liebe ist nicht auf ein Objekt beschränkt, sondern eine Grundhaltung, die aus einem offenen und mitfühlenden Herzen entspringt und auf das Leben und die lebenden Wesen bezieht – eingeschlossen uns selber.

Stell dir am Ende eines Tages mal die Frage: Bin ich heute lieb mit mir umgegangen? Und lasse den Tag Revue passieren. Wie oft warst du unzufrieden mit dir? Wie oft hast du dich innerlich kritisiert, hast geschimpft und gehadert? Oft schon wegen Kleinigkeiten.

Wir können keinen Partner herbeizaubern, aber wir können uns selber liebevoll behandeln. Und wenn uns das gelingt, können wir aus diesem liebenden Herz heraus unsere Liebe auf andere Wesen ausdehnen. Und wenn dieses ganze Herz von Liebe erfüllt ist, wird sich das Glück einstellen. Wie von selber.

Dem eigenen Glück auf die Sprünge helfen

Schon Aristoteles sagte, dass Glückseligkeit das höchste Gut des Menschen sei. In seiner Nikomaschischen Ethik versucht er aufzuzeigen, wie man ein guter Mensch ist und ein glückliches Leben führt. Leben heisst nach Aristoteles immer auch handeln. Indem wir handeln, leben wir. Und wir handeln, um etwas zu erreichen, ein Gut – und da wären wir wieder am Anfangspunkt:

Das Höchste all dieser Güter ist die Glückseligkeit.

Allem Handeln um unterschiediche Güter liegt immer etwas zugrunde:

Wir wollen glücklich sein.

Nur: Was ist Glück? Bücher darüber gibt es viele, Ratgeber, wie wir es erreichen, ebenso. Noch scheint keines wirklich der Erfolgsgarant zu sein, denn es entstehen immer neue. Vermutlich liegt ein Grund dafür, dass es mit dem Lesen der Bücher nicht getan ist, man auch gewisse Einsichten anwenden müsste – eben handeln. Und das anders, als man es bislang tat, denn offensichtlich erreichta man auf die althergebrachte Weise das Glück nicht. Und hier wird es ungemütlich. Wir lebten schon eine Weile so, verhielten uns auf eine gewohnte Weise – irgendwie war das unser Ich, wie wir es kannten. Nur:

If you do what you did, you’ll get what you got.

Sprich: Es ändert sich nichts und das Glück – sofern du nicht schon jetzt glückselig lächelnd da sitzt und dies liest– wird nicht einfach an die Tür klopfen und sich häuslich niederlassen.

tatsächlich tun wir jeden Tag ganz viel, in der Hoffnung, glücklich zu werden. Wir erfüllen uns Wünsche, wir strengen uns an, um anderen zu gefallen, Ziele zu erreichen. Wir gönnen uns was – Schokolade, Urlaub, ein neues Auto. Und doch: Nichts will so wirklich wirken. Und wenn etwas nicht klappt, sind wir nicht nur nicht glücklich, dann leiden wir. Und noch schlimmer: Wir tun tagtäglich Dinge, die uns nicht gut tun, die uns mehr schaden als nützen – und doch tun wir sie immer wieder. Würden wir nur diese Dinge loslassen, wären wir dem eigenen Glück schon ein ganzes Stück näher.

10 Dinge, die wir loslassen können, um dem Glück ein bisschen näher zu kommen:

  1. Vergleiche

Wie oft schauen wir, was andere haben oder nicht haben, und sind dann mit uns selber nicht mehr zufrieden? Warten wir eben noch zufrieden, sehen wir bei jemand anderem mehr… Neid macht sich bemerkbar, zumindest aber Unzufriedenheit mit dem, was wir haben. Das muss nicht sein. Der andere ist ein anderer, ich bin ich. Das zu geniessen und sich daran zu freuen, was man hat, ist ein ganz grosser Schritt hin zum eigenen Glück.

  1. Es allen recht machen wollen

Wie oft nehmen wir uns zurück, um es anderen recht zu machen? Nicht selten danken es diese uns kaum, im Gegenteil, sie merken es unter Umständen gar nicht. Und wir sitzen dann da und grummeln innerlich – darüber, dass unsere Bedürfnisse auf der Strecke blieben, und darüber, dass nicht einmal Dankbarkeit dafür geäussert wurde. Es geht nicht darum, keinem mehr einen Gefallen zu machen, aber es tut weder einem selber noch der Beziehung gut, wenn einer sich immer zurücknimmt – und oft dann den anderen seinen Frust darüber merken lässt.

  1. „Das kann ich nicht!“

Wie oft stehen wir vor einer Aufgabe und sagen uns als erstes: Das kann ich nicht. Wie viel verpassen wir, weil wir es nicht mal probieren? Wie viel entgeht uns, weil wir uns zu wenig zutrauen?

  1. „Was denken wohl die anderen?“

Auch hier steht uns die Angst, das Gesicht zu verlieren, im Wege. Der Gedanke, andere können uns auslachen, etwas schlechtes von uns denken oder uns nicht mögen, lässt uns oft erstarren. Wir meiden Dinge, die uns eigentlich Freude machen würden, nur um ein Bild zu wahren.

  1. Sich zu ernst nehmen

Wenn mal etwas in die Hose geht, geht die Welt nicht unter. Einfach mal über die eigenen Fehler lachen, die eigenen Unsicherheiten zugeben, fünf gerade sein lassen. Das Leben ist nicht nur ernst und wenn man es mit Humor und ein bisschen Nachsicht (mit sich selber) nimmt, geht vieles leichter von der Hand.

  1. Alles persönlich nehmen

Nicht alles, was passiert, hat wirklich mit einem selber zu tun. Wenn jemand einen grimmig anschaut, muss das nicht heissen, dass wir etwas falsch gemacht haben (vor allem dann, wenn er uns gar nicht kennt und nichts vorgefallen ist). Vielleicht hat er einfach einen schlechten Tag? Viele Reaktionen anderer sagen zu einem grossen Teil mehr darüber aus, was in den anderen Menschen vorgeht, als es mit uns zu tun hat.

  1. Sich aufopfern

Oft schauen wir, dass es allen gut geht, vergessen uns selber dabei selber. Wieso messen wir uns selber so wenig Wert zu?

  1. Geliebt werden wollen um jeden Preis

Was tun wir alles, um geliebt zu werden? Wir passen uns an, interessieren uns für Dinge, die uns vorher egal waren, versuchen so zu sein, wie wir denken, dass der andere uns haben will, nur weil wir denken, dass er uns so, wie wir sind, nicht lieben kann. Wen aber liebt er, wenn wir gar nicht mehr sind, wer wir wirklich sind? Und was passiert mit unserem wahren Sein? Halten wir das Versteckspiel ewig durch oder platzt irgendwann die Bombe? Ist es das wirklich wert? Liebe sollte nie aufgrund irgendwelcher Anpassungen und äusserer Merkmale erarbeitet werden müssen. Wirkliche Liebe geht tiefer.

  1. Wenn ich nur erst….

Oft denken wir, glücklich zu sein, wenn wir nur erst etwas erreicht haben. Mehr Geld, weniger Kilos, einen neuen Job, einen neuen Mann. Wir definieren unser heutiges Leben und damit unser heutiges Unglück damit, dass wir noch nicht haben, was wir dringend brauchen, und streben dann händeringend und mit Scheuklappen für anderes danach, dieses zu erreichen. Die Ernüchterung kommt meist dann, wenn das eine erreicht ist, das Glück (nach vielleicht kurzem Aufflackern) aber nicht von Dauer ist, weil wieder etwas fehlt. Glück hängt nicht am Erreichen von Dingen, sondern ist eine innere Einstellung zu dem, was ist.

  1. Ich bin nicht gut genug

Für wen oder was? Und wieso? Jeder Mensch ist gut genug. Das heisst nicht, dass man keine Ziele mehr haben darf oder an sich arbeiten soll, im Gegenteil, aber: Das, was heute ist, ist für heute gut genug. Gäbe es das heutige Ich nicht, hätten wir gar keine Basis. Was heute ist, ist alles, was wir haben, und dafür sollten wir dankbar sein.