Politisch korrekte Literatur – kann man Kunst einfach der Zeit anpassen?

Die Welt soll politisch korrekter werden. Gewisse Worte sind tabu und dürfen nicht mehr gebraucht werden, weil sie die damit bezeichneten Menschen diskriminieren, herabwürdigen, diffamieren oder/und beleidigen. Dass ein bewusster Umgang mit der Sprache wichtig ist im Bestreben, eine Welt zu schaffen, in der sich alle zu Hause fühlen können und sich als Gleiche unter Gleichen fühlen, steht ausser Frage. Wie weit man in diesem Bestreben aber gehen soll, darin scheiden die Geister.

In einer neuen Debatte wird darüber diskutiert, ob man Kinderbücher sprachlich anpassen soll, Wörter wie „Neger“ sollen ersetzt werden. Noch weiter geht eine Klage, gewisse Grimm’sche Märchen enthielten sexistische Frauenbilder, vermutlich sollte man auch diese ausradieren und das ganze Märchen in eine auf Gleichberechtigung und neutrale Form bedachte Fassung bringen – oder es gleich eliminieren. Märchen, mit denen wir noch aufgewachsen sind, die unser Kulturgut waren, die Kindern einer Gesellschaft vor dem Einschlafen Halt und Trost gaben durch das Ritual des Vorlesens (aus diesen Kindern wurden u. a. die Erwachsenen, die heute die Streichung und Anpassung fordern, so dass man ketzerisch sagen könnte, dass der negative Effekt nicht so gross sein konnte, dass man diskriminierende Ausdrücke und Handlungen einfach hinnimmt, nur weil man solche Märchen hörte – aber bleiben wir sachlich) sollen nun verändert werden. Ist das wirklich nötig und vor allem angebracht?

Als Literaturwissenschaftlerin schreit mein Herz. Ein literarisches Werk entsteht in einer Zeit und spiegelt in einer Form auch diese Zeit wieder. Es ist ein Werk, das von einem Menschen in künstlerischer Gesinnung geschrieben wurde, das fertige Buch ist ein Kunstwerk, kein Gebrauchsgegenstand, an dem man nach Belieben feilen und drehen kann, sonst ist es nicht mehr das Kunstwerk, das mal entstanden ist.

Abgesehen davon, dass ich nicht denke, dass einzelne Wörter in einem Märchen einen nachhaltigen Schaden anrichten und damit in der Folge den Anstoss geben für Diskriminierung von Menschen, denke ich, dass es wertvoller wäre, mit Kindern diese Worte zu besprechen und ihnen zu erläutern, wieso man sie damals brauchte und heute nicht mehr. Das würde die Sensibilisierung der Kinder verstärken und sie auch im Alltag achtsamer machen, als wenn die Worte einfach weggestrichen wären und das Thema nie präsent.

Klar kann man dieses Thema auch in der Theorie irgendwann völlig aus der Luft gegriffen ansprechen, wieso aber eine solche Gelegenheit nicht nutzen? Mit dem schönen Nebeneffekt, dass das Kunstwerk  damit als Kunst und als Zeitzeugnis  erhalten bliebe.

Artikel zum Thema:

20 Minuten vom 29. Januar 2013

Zeit vom 25. Januar 2013

Cicero vom 20. Januar 2013

Radio Schweden vom 24. Januar 2013

5 Kommentare zu „Politisch korrekte Literatur – kann man Kunst einfach der Zeit anpassen?

  1. Ich sehe das genauso wie Du. Man kann Kindern auch zutrauen, keine Rassisten zu werden, auch wenn Pippi Langstrumpfs Papa “Negerkönig” ist. Im Gegenteil, bleibt man damit nicht eher noch im Gespräch zum Thema? Von der Märchendiskussion habe ich noch gar nicht so richtig etwas mitbekommen, finde ich aber entsetzlich. Das geht gar nicht. Vermutlich geht bei einer Überarbeitung noch mehr an Wortschatz und Authentizität verloren. Wo bleibt denn dann der typische “Klang” der Märchen?

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    1. Danke für deinen Kommentar. Ja, wir sehen es gleich. Man unterwirft einer Idee von übergreifender Korrektheit alles andere, Geschichte, Kultur – und auch Menschenverstand. Kinder können differenzieren zwischen Worten in einem Buch und dem, was im Leben angebracht ist. Sie können auch lernen, wenn man ihnen Dinge erklärt. Und man weiss, das Wissen im Diskurs entwickelt wird. Wieso also Anstösse für Diskurse ausmerzen, wenn gerade sie es wären, die Themen in Gang brächten und damit viel dazu beitragen könnten, die momentane Welt wirklich korrekter, sprich menschenwürdiger zu gestalten?

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  2. Nur als kleiner Nachtrag: Wir hatten das Thema heute beim Abendbrot. Meine Tochter (9) hat sich entrüstet, dass man das doch nicht einfach ändern darf, wenn Astrid Lindgren das so geschrieben hat. 😉

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  3. Ein, wie ich finde, enorm wichtiges Thema. Nur 2 Punkte dazu:
    1. An diesem Thema wird trasparent, dass die Aufklärung (wie eben alles) auch 2 Seiten hat: Einerseits hat sie Aberglauben und eine Menge Müll beseitigt, andererseits hat sie unser Weltbild auf das reduziert, was man „sehen und angreifen“ kann, also auf ein naives, beinahe kindisches Weltbild. Und dann sind Sprachwelten und Innenwelten, die unser Leben ausmachen, nicht mehr begreiflich.
    2. Wo bleibt die Komplexität unserer Welt und unserer Sprache? Beides hängt ja unmittelbar zusammen. Es gibt nicht nur unsere „moderne“ (pseudo-)naturwissenschaftliche Begriffssprache (der Aussenwelt), sondern auch die viel umfassendere und tiefer gehende Symbolsprache (der Innenwelt). Es gibt die Sprache der Träume, die Sprache des Unbewussten, die Sprache der Intuition, der Kreativität, der Literatur usw. Die Sprache der Märchen ist eine Symbolsprache. Es wäre angebracht, sie nicht zu verunstalten, sondern verstehen zu lernen – denn das haben wir längst vergessen, und damit sehr viel verloren.

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