Martina: „Im Gefängnis der Anderen“

Dieser Gastbeitrag von Martina wird im Rahmen der Blogger-Themen-Tage zum Thema Behinderungen, Medien und die Gesellschaft geschrieben. Ich möchte Martina an dieser Stelle für Ihre Offenheit danken, mit der sie ihren Weg mit uns teilt und für ihr Vertrauen, dass sie dies in meinem Blog tut. 

Im Gefängnis der Anderen

Damals als Kind habe ich gelernt auszuhalten, eine Fremde unter Fremden zu sein. Mit einer zweiten Haut habe ich nach außen Erwartungen entsprochen, mein Inneres habe ich verborgen und war auf der Suche. Auf der Suche nach dem, was für mich richtig war. Denn ich fühlte mich immer falsch.

Die Menschen um mich herum hatten ihre Maßstäbe, nach denen ich mich entwickeln sollte. Ob diese Maßstäbe mir angemessen waren, war nicht maßgeblich. Da ich in der Welt der anderen leben musste, bemühte ich mich darum, ihren Anforderungen zu entsprechen. Bis ich nicht mehr konnte. Ich wurde in meine Welt zurückgeschleudert, weil es in der Welt der anderen nicht wirklich einen Platz für mich gab.

Ich suchte weiter um einen Platz für mich, in meiner Welt. Das dauerte 13 Jahre. 13 Jahre, in denen ich auf die Unterstützung und Diagnosefähigkeit von Ärzten und Therapeuten angewiesen war. In denen ich von Amt zu Amt ging. Ich suchte und kämpfte immer weiter, weil der Eindruck in mir blieb, dass meine Welt in der Welt der anderen nicht wirklich ankam, sie mich nicht wirklich verstanden. Ich sah mich eingesperrt in ihren Aussagen, Diagnosen und Empfehlungen, die Teilbereiche von mir betrafen, aber mich nicht als ganzen Menschen wahrnahmen.

Dieses Gefängnis löste sich auf, als ich mit 46 Jahren die Diagnose „Asperger Syndrom“ erhielt. Ich bin ganz und ich bin frei, denn ich bin mir nicht mehr entfremdet.

Heute wünsche ich mir besonders für autistische Kinder, dass sie einen solchen Weg nicht mehr gehen müssen. Ich wünsche mir eine Welt, die als „unsere Welt“ bezeichnet wird. In der sich alle Menschen offen und unvoreingenommen begegnen können.

Die öffentliche Berichterstattung ist hier ein wichtiges Hilfsmittel. Aber solange es Berichte gibt, in denen autistische Menschen aufgrund von Vorurteilen, die auf oberflächlichen Teilkenntnissen beruhen, für eine gewinnbringende Schlagzeile benutzt werden, wird dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Solange werden wir immer wieder aufs Neue entfremdet, behindert und eingesperrt.

Deshalb bitte ich Berichterstatter, dass sie nicht nur Oberflächliches von sich geben, sondern bei ihrer Recherche wirklich suchen und nicht aufgeben, bis sie die Wahrheit mit gutem Gewissen veröffentlichen können.

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Das komplette Programm findet sich hier: Programm der Blogger-Themen-Tage

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