Hartmut Lange: Das Haus in der Dorotheenstrasse

Man hörte das Knacken einer Sprechanlage, wurde von einer Stimme auf den dritten Stock im Vorderhaus verwiesen, in eine Wohnung, die Denninghoff nur allzu gut kannte. Dort hatte er die letzten Jahre mit seiner Frau verbracht, und wie oft hatte er gewünscht, sich in den Räumen, die ihm vertraut waren, nochmals umzusehen.

Nach dem Tod seiner Frau zieht Denninghoff aus der gemeinsamen Wohnung aus. Er erträgt die Umgebung, in der sein gewohnter Alltag, der ein glücklicher gewesen ist, mit einem Schlag beendet war, nicht mehr. Schon kurze Zeit drauf bereut er diesen Schritt, hängt seine ganzen Gedanken an ein Poster, das in dieser Wohnung gehangen hat und das er wieder haben will. Er sieht es vor sich, bricht in die Wohnung ein, im Glauben, es müsse noch da hangen. Doch genauso wenig wie er das Bild wieder findet, lässt sich das alte Leben zurückholen.

Diese und vier andere Erzählungen finden sich in Hartmut Langes Novellenband. Hartmut Lange lässt seine Geschichten durch detaillierte Umgebungsbeschreibungen realistisch wirken, man sieht sich dem normalen Leben inmitten einer plastischen Umwelt, sei es Stadt, sei es Natur, gegenüber. Es sind Geschichten aus dem Leben von normalen Menschen, die ein normales, von Gewohnheiten geprägtes Leben führen und damit glücklich sind.

Es sind Geschichten vom kleinen Glück des Alltags, welches plötzlich getrübt wird. Sei es der Tod der geliebten Frau, die Aussage einer Frau über den eigenen Mann oder das Spiel einer toten Cellistin, alles bewirkt eine plötzliche Abkehr der Gedanken vom guten Alltag. Plötzlich ist nicht mehr das gewohnte Leben im Zentrum, sondern eine Besessenheit nimmt überhand und wird zum grossen vereinnahmenden Loch. Wie soll man damit umgehen?

„Was unmöglich erscheint, kann man herbeizaubern“ Und: „Was wäre das für eine Welt, in der es nicht gelingt, die Wirklichkeit durch eine Täuschung aufzubessern“

Hartmut Lange beschreibt die menschliche Fähigkeit, den eigenen Gedanken mehr Realität zu geben als dem gewohnten Alltag. Was ist Wirklichkeit, was Lebenslüge? War die bisherige Gewohnheit nur Wegschauen und nun ist man aufgewacht? Sind die neuen Gedanken eigene Sehnsüchte, Ängste, welche irrational sind? Das blosse Denken einer Möglichkeit wird zur Obsession, der kaum entkommen werden kann. Entweder man findet einen Weg, mit dem Zerstörerischen umzugehen oder es zieht einen in den Abgrund.

Fazit:
Geschichten aus dem Leben, menschlich, realistisch und doch phantastisch. Empfehlenswert.

Der Autor: Hartmut Lange
Hartmut Lange wurde 1937 in Berlin-Spandau geboren, wurde mit seiner Familie im Alter von zwei Jahren nach Polen umgesiedelt und kehre 1946 mit seiner Mutter nach Berlin zurück. Er studierte an der Filmhochschule Babelsberg Dramaturgie und erhielt 1960 eine Anstellung am Deutschen Theater in Ostberlin. 1965 verliess er die DDR und reiste über Jugoslawien nach Westberlin, arbeitete da für verschiedene Theater. Er schreibt hauptsächlich Erzählungen und Prosa, Werke von ihm sind u. a. Tagebuch eines Melancholikers, Vom Werden der Vernunft, Eine andere Form des Glücks, Der Wanderer. Hartmut Lange lebt mit seiner Frau in Berlin und bei Perugia in Umbrien.

LangeDoroAngaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 125 Seiten
Verlag: Diogenes Verlag (2013)
Preis: EUR 19.90 / CHF 29.90

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