Tagesgedanken: Mein Platz in der Welt

Seinen Platz in der Welt finden – das ist wohl für viele selbstverständlich, sie finden sich in dieser Welt, in die sie geboren wurden und leben ihr Leben, ohne dieses und die Welt zu hinterfragen. Andere hadern mehr damit, sie sehen eine Welt, in welcher sie sich nicht wohl, nicht gesehen fühlen, und haben doch keine andere als die des eigenen Rückzugs, was zwar eine momentane Erleichterung, aber kein lebenswertes und lebensmögliches Leben darstellen würde, sind wir doch immer auf die Mitwelt angewiesen, können nicht ohne sie sein – gerade darum ist der Halt in ihr wohl so elementar und es nagt tief, wenn man ihn für sich nicht findet. 

Simone de Beauvoir litt unter den Einschränkungen und vielen Verboten ihrer Kindheit, schon früh regte sich in ihr ein Freiheitsdrang und die Überzeugung, das eigene Leben selbst in die Hand nehmen zu wollen. Als es dann nahezu so weit war, stellte sich diese teilweise Freiheit doch als schwieriger dar als erhofft, da sie bei allem Sehnen unvertraut und noch nicht gewohnte Lebenswelt war:

„Das Übel, an dem ich litt, bestand in Wahrheit darin, dass ich aus dem Paradies der Kindheit vertrieben war und meinen Platz unter den Menschen noch nicht gefunden hatte.“

Wie man doch verklärt, was war, wenn das Neue noch nicht ist, was man sich davon erhofft. Das war nicht der einzige Kampf von Simone de Beauvoir. Dazu kam das eigene Gefühl des Minderwerts. Dass dieser nicht aus dem Nichts einfach da war, liegt auf der Hand:

„Gewiss bedauerte ich nicht, eine Frau zu sein; ich zog im Gegenteil grosse Befriedigung daraus. Meine Erziehung hatte mich von der geistigen Unterlegenheit der Frau überzeugt, die auch von vielen meiner Geschlechtsgenossinnen zugegeben wurde.“

Anfangs traute sich Simone nicht, mit den männlichen Kommilitonen zu sprechen, sah sie diese doch ihr überlegen. Als sie nach einigen Gesprächen dann doch merkte, dass dem nicht so war und sie durchaus etwas zu sagen hatte, kam langsam das Selbstbewusstsein. So oder so verfolgte sie immer ehrgeizig ihre Pläne und Träume für ihr Leben: Unabhängig sein und Schreiben. Das war ihr Ziel und das sollte sie auch erreichen – und das schon bald in einer lebenslangen Gemeinschaft mit einem anderen grossen Denker: Sartre.

„…sein Geist war immer wach. Er kannte keine Erschlaffung, Schläfrigkeit, Gedankenflucht, Abschweifung, Ermattung, aber auch keine Vorsicht und keinen Respekt. Er interessierte sich für alles und nahm niemals etwas als selbstverständlich hin.“

Diese Offenheit des Denkens, diese Vorurteilslosigkeit, war es vielleicht auch, die dazu führte, dass Sartre Simone de Beauvoir nie geringachtete, dass er hinschaute und sah, was sie zu bieten hatte, was in ihr steckte. Er spornte sie an, ihre Ziele nie aus den Augen zu verlieren:

„Auf alle Fälle solle ich mir das bewahren, was das Schätzenswerteste an mir sei: meinen Hang zur Freiheit, meine Liebe zum Leben, meine Neugier, meinen Willen zum Schreiben.“


In Sartre fand sie den Mann, mit dem sie all das leben konnte, was sie wollte, denn:

„er war der Doppelgänger, in dem ich in einer Art von Verklärung alles wiederfand, wovon ich auch selber besessen war. Mit ihm würde ich immer alles teilen können.“

Vielleicht ist man dann in der Welt zu Hause, wenn man sich selbst treu bleiben kann und in dieser Selbsttreue und dem Verwirklichen des eigenen Seins begleitet und verstanden wird. Und manchmal muss das nicht von der ganzen Welt passieren, manchmal reicht einer, der einem die Welt ist.

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Leseempfehlung: Simone de Beauvoir: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

7 Kommentare zu „Tagesgedanken: Mein Platz in der Welt

  1. Der Schmeicheleien sind genug gewechselt… 🤗

    Sandra: „Vielleicht ist man dann in der Welt zu Hause, wenn…“

    Du bist in dieser Welt zuhause, Sandra.
    Ohne „wenn“ und „aber“.
    Ohne jede Voraussetzung.
    Ohne dich wärest du gar nicht hier.
    Also bist du von außerordentlicher Wichtigkeit.

    Manche würden vielleicht sagen, daß es ihnen meist gut geht, andere, daß sie oft unglücklich sind. Manche suchen die Menge (Politik, Medien), einige bevorzugen das Alleinsein (Kloster, Einsiedelei). Einer ist raffgierig, ein anderer denkt und handelt mehr Gemeinwohl-orientiert.

    Für eine kurze Gast-Zeit betreut der Planet Erde sehr viele in ihrer Peripherie
    äußerst unterschiedliche Menschen. Sie alle sind hier (kurzzeitig) zu Hause.

    🌼

    Sandra: „…wenn man sich selbst treu bleiben kann … und verstanden wird. Und manchmal muss das nicht von der ganzen Welt passieren, manchmal reicht einer, der einem die Welt ist.

    Von dem Begriff Treue halte ich nicht viel, weil er ein bindender ist, aber…
    Die Treue zur Liebe, zur Wahrheit und zu sich selbst machen die Ausnahme.

    🌼

    Sandra: „…und verstanden wird“

    Es ist ganz nett, wenn man auch mal verstanden wird, aber das sollte keine Voraussetzung für ein gutes Leben sein. Andernfalls macht man sich abhängig. – Ende der Emanzipation.

    🌼

    Sandra: „…manchmal reicht einer, der einem die Welt ist“

    Solch eine Welt kann aber mal schneller untergehn als man denkt. 😎

    Gelegentlich leben zwei Menschen über viele Jahre gut zusammen. Fein. Aber wir leben in einer rasanten Phase. Für viele Paare ist die Hochzeit bereits der Schlußpunkt – wenn sie es denn bis dahin schaffen. Manche halten ein paar Jahre durch – „wegen der Kinder“.

    Nur wenige wissen, daß sie auch ohne
    einem Dauer-Partner rund und ganz sind.

    Ob glücklich, ob unglücklich oder durchgehend
    zufrieden – wir alle sind hier kurzzeitig zuhause.

    Gefällt 1 Person

    1. PS: Mit der Gefahr des Verstanden-Seins triffst du einen wichtigen Punkt, wie ich finde. Die Suche nach Anerkennung, auch das Anerkennen selber, gleich wie das Verstandenwerden, können zu Gefängnissen werden. Sie können manipulierend und steuernd wirken und das wäre wie du sagst, ein Schritt in die Abhängigkeit.

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