Ich hebe mein Glas auf Max Frisch

„Dass es ein unsagbares Glück ist, leben zu dürfen, und dass wohl nirgends die Leere sein kann, wo dies Gefühl auch nur einmal wirklich errungen worden ist, dies Gefühl der Gnade und des Dankes.»

Zu spät, aber von Herzen hebe ich mein Glas auf Max Frisch, der gestern 113 Jahre alt geworden wäre. Ich habe mich immer wieder mit ihm als Menschen, mit seiner Biografie und Interviews beschäftigt, habe seine Fragebögen beantwortet, bin in sein Werk eingetaucht. Ich mag ihn, er ist mir in seinem Denken, in seiner Art, die Dinge anzugehen, sie zu hinterfragen, nah. 

Er war kein Heiliger, was ihm oft zum Vorwurf gemacht wurde. Vor allem die Beziehung zu Ingeborg Bachmann wurde ihm zu Lasten gelegt, war sie durch ihr Leiden und ihren mysteriösen Tod später ein vermeintlich offensichtliches Opfer. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte, wie so oft. Sein Satz, der auch zum Titel des Briefwechsels wurde, hat viel Wahres:«Wir haben es nicht gut gemacht.»
Was er gut gemacht hat, sind seine Werke, die ich immer wieder lesen kann und immer wieder Neues finde, das mich begeistert. Frei nach Gretchen: Wie haltet ihr’s mit Max Frisch?
Habt einen schönen Tag!

Mehr zu Max Frisch:

138 Jahre Gottfried Benn (*2. Mai 1886)

„Kommt, reden wir zusammen
wer redet, ist nicht tot,
es züngeln doch die Flammen
schon sehr um unsere Not.“

Ich hebe mein Glas auf Gottfried Benn, er würde heute 138 Jahre alt.

„Es ist kein Leben dies tägliche Schmieren u. Spritzen u. Quacksalbern u. abends so müde sein, dass man heulen könnte. […] Sinnlosigkeit des Daseins in Reinkultur und Aussichtslosigkeit der privaten Existenz in Konzentration.“

Es klingt nicht so, als ob Gottfried Benn gerne Arzt gewesen wäre. Mehr Freude bereiteten ihm seine erotischen Abenteuer, von denen er trotz nicht weniger Abweichungen vom Bild eines Adonis zahlreiche genoss, und sein Schreiben. Für dieses waren seine medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen eine wahre Fundgrube, wühlte er doch auch in seinen Gedichten nur zu gerne in den menschlichen Eingeweiden und liess Körperteile und menschliche Absonderlichkeiten zu Poesie werden. 

Aber er konnte auch anders:

«Wer allein ist, ist auch im Geheimnis,
immer steht er in der Bilder Flut,
ihrer Zeugung, ihrer Keimnis,
selbst die Schatten tragen ihre Glut.»

Habt einen schönen Tag!

***

HIER ein älterer Beitrag zu Gottfried Benn.

150 Jahre Karl Kraus (28. April 1874)

Ich hebe mein Glas auf Karl Kraus, er würde heute 150 Jahre alt.

«Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davorsteht.“

Karl Kraus sicher kein einfacher Zeitgenosse, mit seinem kritischen Geist und seiner polemischen Art eckt er immer wieder an. Er ist einer, der mit seiner Meinung nicht hinterm Zaun hält, sondern immer wieder Mittel und Wege findet, den Finger in die Wunde des Systems zu stecken. Er will die Wahrheit hinter all den Lügen aufdecken, mit denen die Gesellschaft und die Politik den schönen Schein zu wahren versuchen. In dieser Rolle hängen ihm die Anhänger an den Lippen und die Gegner schimpfen ihn einen verbitterten Misanthropen. 

«Der Gedankenlose denkt, man habe nur dann einen Gedanken, wenn man ihn hat und in Worte kleidet. Er versteht nicht, dass in Wahrheit nur der ihn hat, der das Wort hat, in das der Gedanke hineinwächst.“

Karl Kraus’ Waffe ist die Sprache und die setzt er bewusst und klar ein. Er verachtet die allgemein üblichen und nachlässigen Wendungen, sieht in ihnen den Ursprung für viele Missstände in der Welt. Sprache sollte nach Kraus ein Medium des Denkens, sie sollte kritisch betrachtet und sorgsam gewählt sein. So hielt er es in seinem Schreiben, das nie nur lose dahingesagte Texte, sondern messerscharf kombinierte Sätze sind. 

Habt einen schönen Tag!

Mehr zu Karl Kraus findet ihr HIER

Ich hebe mein Glas auf: Virginia Woolf

Screenshot

„Mein Tagebuch soll sein wie eine Reisetasche, in die ich ungeprüft allen Krimskrams hineinwerfe. Wenn ich später nachsehe, ist das Durcheinander wie von Geisterhand geordnet, gesintert zu einem Ganzen, so fest und unnahbar wie ein Kunstwerk – aber so transparent, daß das Licht des Lebens durchscheint.“

Heute vor 83 Jahren starb Virginia Woolf nach einem bewegten und produktivenLeben. Von Kind an musste sie sich mit Schicksalsschlägen und anderen Widrigkeiten umgehen, welchen die sensible Psyche des empfindsamen Mädchens nicht standhielten. Virginia wuchs in einem Haus auf, in welchem Schriftsteller und Künstler verkehrten. Schon bald war ihr klar: Sie will auch Schriftstellerin werden. Dieses Ziel verfolgte sie fortan konsequent, wurde sich bald bewusst, dass dieser Weg für eine Frau ungleich schwerer war als für einen Mann. Überhaupt stellte sie die ungleichen Massstäbe immer wieder fest, die an die beiden Geschlechter angesetzt wurden. Sie thematisierte dieses Problem immer wieder:

„Viele erfolgreiche Männer haben keine sichtbare Qualifikation, ausser der, keine Frau zu sein.“

Die Schwierigkeiten, mit denen sich eine schreibende Frau konfrontiert sieht, sind auch Thema ihres Essays „A Room of One’s Own“, aus welchem der berühmte Satz (der mir so aus dem Herzen spricht) stammt:

„Eine Frau braucht Geld und ein eigenes Zimmer, wenn sie Literatur schreiben will.“

Trotz fehlender Liebe heiratetVirginia Woolf, der Umstand, dass Leonard Woolf sie liebte, reichte ihr und gab ihr wohl, trotz widerstreitender Gefühle, Halt und sogar so etwas wie zeitweises Glück. Die beiden lebten fortan gemeinsam für die Literatur, sowohl als Schreibende als auch als Verleger. Virginia Woolf hinterlässt ein reiches Werk mit grossen Romanen, die die Psyche des Menschen ergründen wollen und dazu verschiedene Techniken (Montagetechnik, inneren Monolog, experimentelle Ansätze) verwenden. Auch ihre Tagebücher und Essays sind sehr zu empfehlen, sie überzeugen durch die Tiefe der Gedanken wie auch die Schönheit der Sprache.

Ich hebe mein Glas auf diese wunderbare Künstlerin!

Ich hebe mein Glas auf Peter Bichsel

„Mich hat eigentlich immer nur die Sprache interessiert.“

Das sagte Peter Bichsel in einem Interview über sein Schreiben. Damit wollte er ausdrücken, dass er lieber das Leben lebte, wie es war, statt es als Fundgribe für sein Schreiben zu nehmen. Dieses Leben, von dem er selbst sagte, es sei ein so langweiliges gewesen, dass es zu keiner Biografie tauge, jährt sich heute zum 89. Mal. Ich hebe mein Glas auf diesen wunderbaren Schriftsteller, der uns mit vielen wunderbaren kleinen Geschichten bereichert hat.

Patricia Grob – Nachgefragt

(Bild: Claudia Brandenberger)

Patricia Grob wurde 1978 in der Schweiz geboren und wuchs im Zürcher Oberland auf. Nach einer kaufmännischen Ausbildung entdeckte sie ihre Liebe zum Schreiben und ging dieser in einem Nebenjob für eine Tageszeitung nach. Patricia ist immer auf der Suche nach guten Geschichten, Petrichor oder der 25. Stunde in ihrem Schreiballtag. Von Patricia Grob bei Piper erschienen: «Ein Duo für alle Felle» und «Lobster, Mord und Meeresrauschen».

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

 Das ist schnell erzählt. Ich bin Familienfrau, arbeite und schreibe. Alles in Teilzeit und manchmal auch gleichzeitig.

Wo nahm dein Schreiben seinen Anfang? Oder anders: Wieso schreibst du?

Das hat schon mit Schulbeginn angefangen. Ich glaube das war in der zweiten Klasse, als uns die Lehrerin „Die kleine Hexe“ vorgelesen hat. Das hatte mich sehr gepackt, ich bin nach Hause und habe mir mit Pappkartons und Tesastreifen ein Büchlein zusammengebastelt. Wie schwer konnte es schließlich schon sein, ein Buch zu schreiben?

Heute ist es für mich ein Hobby und ein Ausgleich, mit dem ich den Ernst des Lebens etwas weicher zeichnen kann.

Woher holst du die Ideen für dein Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wann ist es eine Idee und wie wird eine Geschichte draus?

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Wie in „Ein Duo für alle Felle“ war es eine einzelne Begebenheit, die mich zu der Geschichte geführt hat. Ich muss die Figur, deren Stärken und auch Nöte plastisch vor mir sehen. Wenn dann noch ein sagenhafter Konflikt in mir reift und ein Motiv erkennbar ist, ist das bereits die halbe Miete.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Wenn ich munter drauflos schreiben würde, käme ich nie mehr irgendwo an. Wie in der obigen Antwort beschrieben, entsteht mit der Grundidee der Pitch, den ich dann um das komplette „Gerüst“ erweitere. Mir kommen meist viele Ideen, was besonders an den Figuren sein soll. Im wahren Leben haben wir ja auch nicht nur eine Lieblingsbeschäftigung oder Neigung; für die Geschichte ist es dann aber nicht dienlich, wenn eine strickende Kommissarin abends noch tanzen geht, nachdem sie ihre Familie bekocht und nebenbei die kaputte Lüftung im Bad repariert hat. Und gewisse Hobbys sind ja auch nebensächlich (abgesehen von Mord). Da muss man immer schauen, was funktioniert und was nicht.

Wenn man an Schriftsteller denkt und auch Interviews von früher liest, schreiben viele die ersten Entwürfe von Hand, oft sogar mit dem immergleichen Schreibmaterial (Legal Pad und Bleistift oder ein bestimmter Füller). Wie sieht das bei dir aus? Stift oder Tasten?

Es kommt darauf an. Grundsätzlich bleiben mir Sätze besser im Gedächtnis, wenn ich sie von Hand notiere. Trotz all der Digitalisierung ist die Hand-Hirn-Verbindung nicht zu unterschätzen. Gerade bei einer bevorstehenden Deadline käme ich aber mit dem Stift nirgends hin. Wenn mir also nachts ein genialer Satz einfällt, liegt dafür neben meinem Bett ein Stift und Block bereit (und eine Stirnlampe). Dasselbe gilt für kurze Zugreisen oder ähnliches (ohne Stirnlampe). Das Manuskript selbst tippe ich am Laptop.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören dich andere Menschen nicht?

Es sind mehrheitlich Gerätschaften, die mich stören. Mein Handy foutiert sich nicht um mein imaginäres „Bitte nicht stören“-Schild an der Bürotür, sofern ich es nicht lautlos schalte, natürlich. Und das ist mit Familie nicht immer ratsam.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftstellerin, was bereitet dir Mühe?

Das Schöne ist, derart in einer Geschichte zu versinken, dass man nach drei oder mehr Stunden auf die Uhr blickt und erschrocken denkt, es seien doch höchstens zehn Minuten vergangen. Mühe habe ich mit der eigenen wenig vorhandenen Geduld. Die Nebentätigkeit eines Autors ist Warten.

Du schreibst mehrheitlich Krimis, auch in deren lustigen Prägung als Regionalkrimi. Wieso dieses Genre?

Effektiv begonnen hat alles 2018 mit der Idee zu einem Thriller, an welchem ich drei Jahre geschrieben habe. Übrigens liegt er jetzt immer noch in der Schublade (also falls das jetzt ein Verlag liest … 😉). Und dann kam Corona, und eines morgens, mitten zwischen Homeschooling-Wahnsinn und Vormittagsmüdigkeit, klingelte es an der Haustür. Mein erster Gedanke war: das kann ja jetzt auch nur noch der Postbote sein. Und plötzlich war da das Bedürfnis, etwas Lustiges aus dieser Zeit hervorzubringen. Die Idee zum Buch „Ein Duo für alle Felle“ (dem ich sinnigerweise den Arbeitstitel „Wenn der Postbote gar nicht klingelt“ verpasste) war geboren. Eigentlich sollte das mein „die Corona-Zeit sinnvoll nutzen-Buch“ werden, nur für mich (und die Schublade). Dass dann Piper Digital (seit 2024 between pages by Piper) ausgerechnet eine Talentausschreibung mit dem Motto „Abenteuer zu Hause oder vor der Haustür“ laufen hatte, war das i-Tüpfelchen und ich war mit meiner Einsendung, von der ich mir gar nichts erhoffte, einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Regionalkrimis zu schreiben war ein Versuch, aber kein Irrtum 😊.

Regionalkrimis boomen. Stand Rita Falk am Anfang noch fast allein, gibt es sie an allen Orten und von verschiedenen AutorInnen. Was macht in deinen Augen den Erfolg dieser Sparte aus? Und: Fürchtest du nicht, der Markt ist irgendwann übersättigt?

Ich glaube im Vordergrund dieses Genres steht die Leichtigkeit beim Lesen. Man kann gut abschalten und in heitere Situationen abtauchen, in der die Welt nicht mehr so bitterernst genommen wird. Primär geht es nicht unbedingt um das Lösen des Kriminalfalles, sondern das Wie und die Protagonisten, die zwar liebenswert, aber auch mit Ecken und Kanten sein sollen. Gerade in der heutigen Zeit, und das merke ich auch an mir selbst, braucht es diesen literarischen Schalter, den man kippen kann, um das Gedöns der Welt außen vor zu lassen. Dafür eignen sich humorvolle Regionalkrimis ausgezeichnet. Ob jetzt eine baldige Sättigung des Marktes ansteht, vermag ich nicht vorauszusagen, doch gibt es auch bei den Regionalkrimis Nuancen, die bedient werden und gutes Anrecht auf Leserschaft haben.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Braucht es diesen Spagat denn? Schlussendlich unterhält die Literatur so oder so, auch die hohe. Die Unterhaltungsliteratur vielleicht nicht direkt auf dieselbe prägende Art und Weise, aber als Leser:in habe ich je nach Genre auch eine ganz andere Erwartungshaltung. Ich denke nicht, dass das einen Einfluss auf meine Art zu schreiben hat, da ich ja auf ein gewisses Genre festgelegt bin und es eigenartig wäre, in einem Regionalkrimi davon abzuweichen.

Dein neuer Roman spielt an der Küste Dänemarks. Was bewegt eine Zürcher Oberländerin dazu, ihre Geschichte im Norden anzulegen, hört man doch immer, man solle über das schreiben was man kennt) was bekannte Schriftsteller natürlich immer wieder erfolgreich ignorierten)?

Mich hat eine zweitägige, je fast acht Stunden dauernde Autofahrt in einem bis unters Dach gepackten Opel und mit Kleinkind nach Grenaa (Dänemark) auf die Idee gebracht. Land und Leute haben mich inspiriert; auch wenn ich mir diese Autofahrt nie wieder antäte. Dass man über das schreiben soll, was man kennt, unterschreibe ich sofort.

Du zeichnest sehr originelle und witzige Figuren – haben diese reale Paten oder sind sie frei erfunden?

Dankeschön 😊. In ihren Merkmalen und Handlungen sind sie frei erfunden. Ich kann aber nicht abstreiten, dass mein Vater Postbote war, wie mein Protagonist Paul in „Ein Duo für alle Felle“. Dennoch hat er nie Kätzchen von Bäumen gerettet und zu entsorgende Kaffeekapseln gab es damals auch noch nicht 😉. Zudem war eine meiner Tanten eine fröhliche, geradlinige und vife Persönlichkeit, die ich immer ein bisschen in der Figur von Tante Tilli in „Lobster Mord und Meeresrauschen – Tante Tilli ermittelt“ gesehen habe. Gewisse Konstitutionen sind deswegen möglicherweise ein wenig „geborgt“. Es muss jetzt aber niemand Angst haben, dass er oder sie demnächst in einem neuen Krimi landet.

Wie viel steckt von dir in deinen Büchern?

Es lässt sich kaum verhindern, dass persönliche Meinungen und Prägungen auf die Buchfiguren übergehen. Ansonsten wäre authentisches Schreiben wohl kaum möglich. Trotzdem verpasse ich meinen Figuren nicht bewusst irgendwelche meiner Charakterzüge, das wäre der Figurenentwicklung wohl kaum dienlich. Und obwohl meine Bücher humorvoll sind, empfinde ich mich ja eher als unlustig.

In Amerika sind Kurse in kreativem Schreiben schon lange populär, in unseren Breitengraden scheint immer noch die Idee vom Genie vorzuherrschen und das Lernen des Handwerks wird eher stiefmütterlich behandelt. Ist Schreiben lernbar? Und wenn ja, wieso scheint das fast verpönt bei uns?

Da sprichst du ein interessantes Thema an. Denn in unseren Breitengraden sind diese Schreibkurse teilweise schlicht unerschwinglich. Meiner Meinung nach bedarf es schon einer gewissen Grundbegabung, die man mitbringen muss. Danach kommt viel über die Erfahrung mit „learning by doing“ zusammen. Es kommt auch immer auf das persönliche Ziel an. Schreibt man für sich im stillen Kämmerlein, weil es einen glücklich macht, oder soll der literarische Wurf irgendwann publiziert werden? Wobei Letzteres mit einer entspannten Erwartungshaltung verfolgt werden sollte.

Was rätst du einem (jungen) Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Schreiben. Schreiben. Schreiben. Und Geduld aufbringen. Nicht nur für andere, sondern vor allem für sich selbst. Gerade wenn es mal „nicht so läuft“. Wohldosierte Hartnäckigkeit und Demut vor der Meinung anderer schaden ebenfalls nicht. Und ganz wichtig ist es, keine hohen Erwartungen zu haben. Ein Plot kann noch so genial und durchdacht sein – wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, nützt einem das nichts. Ein offenes Auge und gesunder Menschenverstand bewahren einen zusätzlich vor den hochtrabenden „Pseudo“-Verlagen, die einem (unerfahrenen) Autoren nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Danke, liebe Patricia, für deine Einblicke in deinen Schreiballtag!

Bücher von Patricia Grob:

«Lobster, Tod und Meeresrauschen – Tante Tilli ermittelt»


«Tilli blieben jetzt genau 30 Tage Zeit, um sich aus Alexanders Greifarmen zu winden, ihre Spuren zu verwischen und auf Nimmerwiedersehen unterzutauchen. Und je eher ihr das gelang, umso besser. Deshalb musste sie diese verbleibende Zeitspanne unbedingt um 29 Tage unterbieten.»

Als ihr geldgieriger Neffe ihr eröffnet, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank habe und deswegen in einer Seniorenresidenz untergebracht werden soll, gibt es für Tilli nur eines: Sie muss hier weg. Eigentlich war Las Vegas vorgesehen, doch landen tut sie in Dänemar, genauer an der dänischen Küste in Grenaa. Ein Weiterflug ist erst in zwei Tagen anberaumt. Als dann auch noch die Leiche ihres Exmanns angespült wird, sieht sie jedoch die Gelegenheit, diese 48 Stunden sinnvoll zu nutzen und auf eigene Faust zu ermitteln. Für eine ehemalige Politesse sollte das ein Kinderspiel sein.

Eine witzige Geschichte mit authentischen und eigenwilligen Charakteren, die sich in einem Zug weglesen lässt.

„Ein Duo für alle Felle“


Als Paul endlich Rentner ist, freut er sich auf eine ruhige Zeit und langes Ausschlafen am Morgen. Alles, was ihm vorher vergönnt war. Diese Rechnung hat er ohne seine Enkel gemacht, die ihm einen Hund schenken, obwohl er mit diesen Fellbündeln nichts am Hut hat. Mässig begeistert von diesem neuen Mitbewohner ist der nächste Schrecken nicht weit: Drei Mitbewohner im Seniorenheim seiner Lebenspartnerin sterben überraschend und kurz darauf verschwindet diese selbst. Da muss etwas Übles dahinterstecken, dessen ist sich Paul sicher. Getarnt als Postbote macht er sich auf die Suche nach seiner Freundin. Dass ihm dabei mancherlei widerfährt, bleibt nicht aus…

Hugo Ball (22. Februar 1886 – 14. September 1927)

Einen Hansdampf in allen Gassen könnte man ihn nennen, einer, der seinen Weg ging, Neues ergründen und schaffen wollte. Er versuchte, liess fallen, versuchte neu, stellte auf die Beine und lief wieder davon.

Geboren wurde Hugo Ball am 22. Februar 1886 in ein bürgerliches Umfeld. Dem väterlichen Befehl folgend brach Hugo die Schule vor Abschluss des Gymnasiums ab und besuchte eine Lehre, die er dann aber wieder abbrach, das Gymnasium beendete und mit dem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie begann. Dieses brachte er bis zur geplanten Dissertation, als er befand, der Wissensbestrieb sei ihm erstorben. Er wollte ins Leben, wollte spielen, wollte auf die Bühne. In seinem Tagebuch vermerkte er:

“1910-1914 war alles für mich Theater: das Leben, die Menschen, die Liebe, die Moral. Das Theater bedeutete mir: die unfassbare Freiheit”

Und er schrieb. 1911 erschien sein erstes Buch «Die Nase des Michelangelo». Er beteiligte sich an Zeitschriften, plante weitere schriftstellerische Projekte, doch der Krieg machte diesen ein Ende. Theater wurden geschlossen, Ball wandte sich mehr dem Schreiben zu, veranstaltete literarische Abende und brach dann 1915 die Zelte in Deutschland ab, um in die Schweiz zu reisen. Mit ihm reiste Emmy Hennings, seine spätere Frau und Mitbegründerin des Cabaret Voltaire in Zürich.

«Das Leben ist so reich, wenn man arm ist.»

Die Schweiz war nicht nur Paradies, wie anfänglich gedacht. Denunziation und sogar Gefängnis warteten. Aber es war auch Zeit des Auf- und Umbruchs. Die Zeiten waren schwierig, das Geld knapp, die Engagements trugen kaum, Hennings Prostitution füllte die Haushaltskasse, bis die beiden sich entschlossen, selbst ein literarisches Kabarett zu gründen. Zuerst ohne festes Ensemble bildete sich bald eine Gruppe, die zu den grossen Namen des Dadaismus wurden: Hans Arp, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Tristan Tzara. «Dada» als Begriff ist im Programmheft 1916 das erste Mal dokumentiert.

Das Ganze wuchs Ball schon bald wieder über den Kopf und er zog sich zurück, schrieb vermehrt für die Zeitung und Bücher, darunter 1919 «Zur Kritik der deutschen Intelligenz», in welchem er die Kriegsschuld Deutschlands thematisierte. Die finanzielle Lage wurde drückend, Ball heiratete Hennings und wollte mit deren Tochter zurück nach Deutschland, wo sie sich aber nicht mehr zurechtfanden und wieder in die Schweiz zurückkehrten, wo Ball weiter Bücher schrieb. 1920 kam es zu einer folgenreichen Begegnung mit Hermann Hesse, eine Freundschaft bis ans Lebensende entstand. Hugo Balls Gesundheit bröckelt, eine Krebsdiagnose und Operationen zeigen das nahe Ende auf, das am 14. September 1927 im Tessin, wo die kleine Familie die letzten Jahre lebte, eintritt.

Roger Willemsen (15. August 1955 – 7. Februar 2016)

«Der einsame Mensch ist eine Skulptur, herausmodelliert vom Pathos der Abwesenheit.» Roger Willemsen

Es sind unter anderem Sätze wie dieser, welche ihn ausmachten. Es ist seine Liebe zur Sprache, sein scharfer Blick auf das Leben und die Menschen, die es lebten. Es ist sein klarer Geist, welcher ihn diese Welt in Worte packen liessen, die Bilder lebendig werden liessen. 

«Mit seiner Geburt tritt der Mensch in den Verfall ein. Lässt man diesen gewähren, stirbt man alt und faltig, lässt man sich liften, stirbt man alt und grotesk.» Roger Willemsen

Er nahm das Leben nicht einfach hin, liess die Dinge nicht einfach «gut sein», sondern er hielt den Finger drauf, zeigte auf die Missstände, auf die Schwierigkeiten, auf die Verirrungen, aber auch auf die Schönheiten, das zu Feiernde, das Wunderbare. Immer wieder sprach er deswegen auch über Literatur, über Bücher, über all die Schätze auf und zwischen den Seiten, die neue Welten eröffnen. Einige schuf er selbst. Darin nimmt er den Leser mit auf seine eigenen Reisen, auf welchen er die Welt durchdringen wollte, und lässt neue Horizonte entstehen. 

«Der Rigorismus öffentlicher Moral – der Moral der Klatschkolumnisten, der Boulevard-Magazine und Leitartikel – bezieht sich auf diese exemplarische Übereinkunft, sein zu müssen, wie auch immer.» Roger Willemsen

Roger Willemsen mag vieles gewesen sein, nie so, wie man sein müsste. Er war ein eigenständiger Denker, einer, der sein Leben auf seine Weise lebte. Bis am Schluss. Heute vor acht Jahren ist Roger Willemsen gestorben. Er fehlt.

George Tabori (24. Mai 1914 – 23. Juli 2007)

George Tabori wird am 24. Mai 1914 in Budapest geboren. Seine Eltern ziehen ihn erst katholisch auf, bis sie ihm mit sieben Jahren erklären, dass die jüdisch sei. Weil sein Vater findet, Schreibende gäbe es bereits genug und er müsse was Anständiges lernen, beginnt Tabori in Berlin eine Hotelfachlehre, bis sich die antisemitischen Vorfälle häufen und er schliesslich 1933 Deutschland verlässt.

„Als der Reichstag brannte, war es Zeit zu verschwinden.»

Die folgenden Jahre verschlagen ihn nach Budapest, London, in die Türkei, nach Palästina und Ägypten. 1941 erhält er die britische Staatsbürgerschaft. Er arbeitet Kriegsberichterstatter, später als Journalist und Übersetzer.

„Was ich immer erzählen muss, immer sagen muss: dass ich keine Heimat habe, dass ich ein Fremder bin, und das meine ich nicht pathetisch, sondern als gute Sache. Weil ein Schriftsteller, nach meinem Geschmack, muss ein Fremder sein.“

1943 erscheint Taboris erster Roman («Beneath the stone»), weitere folgen. 1947 fliegt er auf Drängen einer Literaturagentin in die USA, wo er als Drehbuchautor engagiert wird. Aus den geplanten drei Monaten werden zwanzig Jahre. In den USA lernt er auch die ganze schreibende Zunft der Auswanderer kennen und arbeitet teilweise mit ihnen.

„Stell dir vor, du lebst in einem Haus, und jeden Sonntag kommen Büchner, Kafka, Flaubert, Mahler und so weiter zu Besuch …“

1968 reist er zum ersten Mal zurück nach Deutschland, um da ein Auschwitzstück am Theater zu inszenieren. Er tut dies nicht ohne Befürchtungen, doch es wird ein Erfolg. 1971 zieht er ganz nach Deutschland, wo er sich in diversen Städten mit verschiedenen Tätigkeiten rund ums Theater einen Namen macht.

George Tabori stirbt am 23. Juli 2007 in Berlin.

Zu seinem Werk

„Der kürzeste deutsche Witz ist Auschwitz.“

Das Thema «Auschwitz» hat George Tabori nie losgelassen. Nicht nur liessen ihn die Verfolgungen durch das Naziregime von einem Ort zum anderen reisen, so dass er sich immer als Fremder fühlen musste, er hat auch seinen Vater da verloren, welcher 1944 in Auschwitz starb.

„Sechzig Jahre später besuchte ich Auschwitz, suchte nach einem Zeichen, das er mir zurückgelassen hatte. Ohne viel Hoffnung. Die Toten waren in Rauch aufgegangen… Ich hob einen Stein auf, wo ist er, ich hielt den Stein in der Hand, versuchte, seine Gegenwart zu spüren, umsonst, ich steckte ihn in die Tasche, ein Souvenir… Mahnmale sind für die Lebenden. Die Toten kümmern sie nicht.“

George Tabori war ein Mann, dem Humor wichtig war, was sich auch in seinen Theaterstücken zeigte: Er brachte den Holocaust auf eine komische und politisch nicht korrekte Weise auf die deutschen Bühnen, er provozierte und forderte sein Publikum immer wieder heraus, weil sich dieses oft schwertat, in seine Art Humor hineinzufinden. Die Anstrengung lohnt sich!

Buchempfehlung:

Neben den Klassikern wie «Autodafé» und «Meine Kämpfe» möchte ich dieses Buch ans Herz legen: «Gefährten zur linken Hand»

Der Krieg wütet im Sommer 1943 überall, nur einen kleinen Badeort in Italien scheint er vergessen zu haben: San Fernando. Dahin zieht es den Autor Stefan Farkas, welcher aber immer am Rand bleibt, das Geschehen aus Distanz beobachtet und sich mit einer zynischen Gelassenheit über alles stellt – bis der Krieg auch hier einbricht. Fakras kommt zum Schluss:

«Es gibt Zeiten, in denen das einzig Nützliche der Tod ist.»

Adolf Muschg (13. Mai 1934)

Adolf Muschg wird am 13. Mai 1934 in Zürich geboren. Seine Mutter ist Krankenschwester und die zweite Frau des Primarlehrers Friedrich Adolf Muschg. Es war ist einfache Kindheit: der Vater macht seinem Namen (Adolf) alle Ehre, indem er den Juden unterstellt, ihren Tod selbst gewollt zu haben. Zudem hat er ein eher rigides Verständnis von Sünde. Die Mutter ist psychisch instabil, weilt immer wieder in der Psychiatrie, und kümmert sich nur um ihren Sohn, wenn er krank ist. Muschg bezeichnet diese Tage als «Glückstage», weil er der Krankheit einen Gewinn abgeluchst habe. Dass er zum Hypochonder wird später (ein Thema, das er auch in seinen Romanen aufgreift), führt er darauf zurück.  

«Man muss sehr früh viel verbergen. Wenn es ein Privileg des Schreibens gibt, dann, dass man diesen Dingen nachforscht. Es sind Schätze nicht gelebten Lebens.»

Ausser einem kurzen Abstecher in ein Internat in Schiers verbringt er seine Schulzeit in Zürich, wo er auch studiert, nämlich Germanistik, Anglistik und Psychologie, auch das mit einem Abstecher, dieses Mal nach Cambridge. Er promoviert über die Dichtung Ernst Barlachs, arbeitet danach als Gymnasiallehrer in Zürich sowie an diversen Universitäten. 1970 wird er Professor für Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft an der ETH in Zürich.

Muschg hat dreimal geheiratet und ist Vater von drei Söhnen. Er ist zeitlebens vielseitig engagiert, auch politisch, was ihm sogar mal die Bezeichnung «Volksfeind» einbrachte, womit er sich in guter Gesellschaft mit Max Frisch befindet, welcher als «Staatsfeind Nr. 1» bezeichnet wurde. (Ein interessantes Bild, welches das von der Schweizer Politik und deren Sicht auf die eigenen Künstler wirft.)

Adolf Muschg hat 30 Romane, Essays, Drehbücher, Theaterstücke und Biografien verfasst und wurde dafür mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

In seinem jüngsten Roman, «Aberleben», hat Adolf Muschg nochmals aus dem Vollen geschöpft – vielleicht fast gar viel. Fast möchte man meinen, er hätte alle Themen und literarischen Mittel eines ganzen Schriftstellerlebens zusammengenommen und in eine neue Form gegossen. Wir reisen mit einem alten Schriftsteller nach Berlin, raus aus der Schweiz und einer Ehe, hin zu neuen Ufern. In der Geschichte geht es um das Schreiben und das Leben, das Lieben und das Lügen, um Identität und Zugehörigkeit. Die Geschichte weist ein Sammelsurium von literarischen Bezügen auf, und fast möchte man sich ein wenig an Max Frisch erinnert sehen, finden sich doch offensichtliche Bezüge zu dessen drei Romanen «Mein Name sei Gantenbein», «Stiller» und «Homo Faber». Dass er Max Frisch sehr schätzte, sagte er in einer Sendung anlässlich von dessen Tod, so dass diese Hinweise wohl kaum Zufall waren.

Adolf Muschg lebt heute in der Nähe von Zürich.

Ausgewählte Werke:

  • 1965 Im Sommer des Hasen
  • 1967 Gegenzauber
  • 1974 Albissers Grund
  • 1986 Goethe als Emigrant
  • 1993 Der Rote Ritter. Eine Geschichte von Parzival
  • 2001 Sutters Glück
  • 2008 Kinderhochzeit
  • 2015 Die japanische Tasche
  • 2018 Heimkehr nach Fukushima
  • 2021 Aberleben

Karl Kraus (*28. April 1874)

Am 28. April 1874 kommt Karl Kraus als Sohn eines jüdischen Papierfabrikanten und dessen Frau in Jicin, Böhmen zur Welt. 1877 zieht die Familie Kraus nach Wien, wo Karl Kraus 1892 sein Studium der Rechtswissenschaft beginnt. Karl Kraus schreibt neben dem Studium Artikel und Rezensionen, welche er in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Versuche, im Theater Fuss zu fassen sind nicht von Erfolg gekrönt, weitere Projekte wie eine geplante Satirezeitschrift verlaufen im Sande.

1896 hängt Kraus die Jurisprudenz an den Nagel und wendet sich dem Philosophie- und Germanistikstudium zu, welches er ohne Abschluss beendet. 1897 ein erster Aufschwung: Die Satire Die demolirte Litteratur wird ein Publikumserfolg, allerdings schaffte er sich damit keine Freunde in der Literatenwelt.

Ich hasse und hasste diese falsche, erlogene „Decadence“, die ewig mit sich selbst coquettiert, ich bekämpfe und werde immer bekämpfen: die posierte, krankhafte, onanierte Poesie![1]

Kraus wird im selben Jahr Wiener Korrespondent der Breslauer Zeitung, in ihm wächst der Wunsch, eine eigene Zeitschrift herauszugeben. 1899 erscheint die erste Ausgabe von Die Fackel. Auch damit macht er sich keine Freunde, ein Prozess folgt dem anderen, weil sich zu viele auf die Füsse getreten fühlen durch die Vorwürfe, die Kraus in der Fackel gegen sie veröffentlicht.

1899 löst sich Karl Kraus von der jüdischen Gemeinschaft und lässt sich 1911 in der Wiener Karlskirche römisch-katholisch taufen (1923 beendet er auch dieses Intermezzo durch den Kirchenaustritt).

1902 erscheint Kraus’ Aufsatz Sittlichkeit und Kriminalität, ein Angriff auf die vermeintliche Verteidigung von Moral, Ordnung und Sittlichkeit mit justiziellen Mitteln.  Dieses Thema begleitet ihn durch die nächsten Jahre. Ab 1906 verfasst Karl Kraus Aphorismen, welche zuerst in der Fackel, später zusammengefasst in Büchern erscheinen.

Im Jahr 1915 beginnt die Arbeit am Theaterstück Die letzten Tage der Menschheit, welches 1919 in Form von Sonderheften der Fackel veröffentlicht wird. Es folgen Lesungen im Rundfunk und Aufnahmen für Schallplatten.

Die Machtergreifung Hitlers lässt die Fackel still werden.
Man frage nicht, was all die Zeit ich machte.
Ich bleibe stumm;
Und sage nicht, warum.
Und Stille gibt es, da die Erde krachte.
Kein Wort, das traf;
Man spricht nur aus dem Schlaf.
Und träumt von einer Sonne, welche lachte.
Es geht vorbei;
Nachher war’s einerlei.
Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.[2]

Monatelang erscheint keine Ausgabe, doch Karl Kraus’ Schaffen ruht nicht. Er arbeitet an einem Text über die Machtübernahme und die ersten Monate der nationalsozialistischen Herrschaft. Das Werk erscheint erst  posthum 1952 unter dem Titel Dritte Walpurgisnacht.

Die Fackel erscheint wieder sporadisch, was nicht allen zu gefallen scheint, da ihr Inhalt gewohnt kritisch bleibt. Im Februar 1936, nach Erscheinen einer Ausgabe, wird Kraus von einem Radfahrer niedergestossen, was immer stärkere Kopfschmerzen und Gedächtnisschwund zur Folge hat. Ein Herzinfarkt im Juni desselben Jahres führt schlussendlich zum Tod. Karl Kraus stirbt am 12. Juni 1936 in seiner Wohnung an einem Herz- und Gehirnschlag.

Der Mensch Karl Kraus
Karl Kraus ist ein kritischer Geist, der mit seiner polemischen Art aneckt und polarisiert. Er hält mit seiner Meinung nicht hinterm Zaun, sticht in die Wunden der Gesellschaft und zeigt mit dem Finger auf die Vergehen der Menschen, allen voran der sogenannt Grossen der Öffentlichkeit. Mit Leidenschaft und Wortgewandtheit setzt er sich ein, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Er hat dabei viele Anhänger, die seinen Vorlesungen lauschen und ihn als unfehlbare Autorität sehen. Seine zahlreichen Gegner sehen in ihm einen verbitterten Misanthropen, verurteilen seine Aussprüche als hasserfüllt und übers Ziel schiessend.

Karl Kraus und die Sprache
Karl Kraus Werkzeug ist die Sprache. Er legt grossen Wert auf sie und sieht im allgemein üblichen nachlässigen Umgang mit ihr den Ursprung für viele Missstände der Welt.

Von Rache sprech’ ich, will die Sprache rächen
An allen jenen, die die Sprache sprechen.
Bin Epigone, Ahnenwertes Ahner.
Ihr aber seid die kundigen Thebaner.[3]

Sprache hat für Karl Kraus religiösen Charakter. Sünde gegen die Sprache sieht er als Lüge und die Vermehrung der Lügen als Vermehrung des Bösen in der Welt. Sprache ist für Karl Kraus das Medium des Denkens, nicht nur Mittel zum Zweck.

Dass Stil nicht der Ausdruck dessen ist, was einer meint, sondern die Gestaltung dessen, was einer denkt und was er infolgedessen sieht und hört; dass Sprache nicht bloss das, was sprechbar ist, in sich begreift, sondern dass in ihr auch alles was nicht gesprochen wird erlebbar ist; dass es in ihr auf das Wort so sehr ankommt, dass noch wichtiger als das Wort das ist, was zwischen den Worten ist…[4]

Sprache soll als Medium des Denkens immer wieder selber kritischer Reflexion unterzogen werden, nicht einfach nur dahingesagt und hingenommen sein. Rund ums ich sieht Kraus das genaue Gegenteil: Leere Floskeln, Gesagtes als blosse Hülle ohne Inhalt  – und die Welt damit dem Untergang geweiht.

Die Welt geht unter und man wird es nicht wissen.[5]

Werke von Karl Kraus

  • Die demolirte Litteratur (1897)
  • Sittlichkeit und Kriminalität (1908)
  • Sprüche und Widersprüche (1909)
  • Die chinesische Mauer (1910)
  • Die letzten Tage der Menschheit (1918)
  • Weltgericht (1919)
  • Literatur und Lüge (1929)

[1] Brief an Arthur Schnitzler, März 1893
[2] Die Fackel, Nr. 888, S. 4
[3] Worte in Versen, S. 94
[4] Die Sprache, S. 341
[5] Die letzten Tage der Menschheit, S. 10

Sarah Kirsch (16. April 1935 – 5. Mai 2013)

Zum Leben
Sarah Kirsch wird als Ingrid Hella Irmelinde Bernstein am 16. April 1935 in Limlingerode im Harz geboren und wächst in einem protestantischen Elternhaus (der Grossvater ist Pfarrer) auf. Von ihrer Mutter erbt sie die Liebe zur Lyrik. Nach dem Abitur studiert sie aus Liebe zur Natur nach einer abgebrochenen Forstarbeiterlehre Biologie. 1958 lernt sie den Lyriker Rainer Kirsch kennen, den sie 1960 heiratet. Im selben Jahr erscheinen erste lyrische Texte von ihr in Anthologien und Zeitschriften. Sie veröffentlicht diese unter dem Pseudonym Sarah, womit sie ihren Protest gegen die Vernichtung der Juden im Dritten Reich ausdrücken will.

Zwischen 1963 und 1965 studiert sie mit ihrem Mann am Literaturinstitut in Leipzig und beide arbeiten fortan als freie SchriftstellerInnen, Sarah Kirsch wird Mitglied des Schriftstellerverbands der DDR. Nach zwei gemeinsamen Gedichtbänden veröffentlicht Sarah Krisch 1967 ihren ersten eigenen («Landaufenthalt»). 1968 folgt die Scheidung, Sarah Kirsch zieht nach Ost-Berlin und wird nach einer kurzen Affäre Mutter. Sie arbeitet als Übersetzerin, Journalistin und Hörfunkmitarbeiterin. 1973 folgen der nächste Lyrikband («Zaubersprüche») und zwei Prosabände.

„Ich hoffe, dass Hexen, gäbe es sie, diese Gedichte als Fachliteratur nutzen könnten.“

Ebenfalls 1973 wird Kirsch Vorstandsmitglied des Schriftstellerverbandes der DDR, welcher sie (ebenso wie die SED) 1976 ausschliesst, weil sie eine der Erstunterzeichnerinnen der Protesterklärung gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann gewesen ist. 1977 wird ihr Ausreisegesuch genehmigt und sie siedelt mit ihrem Sohn in den Westen um, wird Mitglied des Pen-Zentrums der BRD. Dass sie schon früher im Westen publiziert wurde, erleichtert ihr den Start da sicherlich. Sarah Krisch bleibt politisch engagiert, sie beteiligt sich an politischen Aktionen und lehnt sowohl eine Dozentenstelle, weil die Berliner Akademie der Künste ehemalige Mitglieder der Staatssicherheit beschäftigte, wie auch das Bundesverdienstkreuz aus Protest gegen die NS-Vergangenheit des amtierenden Bundespräsidenten Karl Carstens ab.

Sarah Kirsch stirbt am 5. Mai 2013 in Heide (Holstein).

Zum Schaffen

«Frühling ist ein
Möwengefiederter
Bengel aus Schottland mit
Bärlauchatem.»

Bekannt wurde Sarah Kirsch vor allem durch ihr lyrisches Werk, welches mehrfach ausgezeichnet wurde und ihr auch zu einer Ehrenprofessur verhalf. Sie gilt als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Gedichte zeichnen sich durch ein starkes Rhythmusgefühl, den Einsatz von Zeilensprüngen und -umbrüchen, sowie das Spiel mit verschiedenen Sprachformen aus. Auch dichtet sie mit allen Sinnen, aus ihrer Sprache fliessen bildhafte Metaphern und Gerüche.

„Wie still es ist.
Die Glyzinie
Klopft mit dem Knöchel ans Fenster.“

Die Liebe zur Natur findet sich in ihrer Lyrik wieder, welche oft Naturbeobachtungen und Motive aus der Natur enthalten. Das zentrale Thema dabei ist die Erhaltung der Natur sowie ein in ihren Augen gefährdetes Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur. Marcel Reich-Ranicki nannte Sarah Kirsch Drostes «jüngere Schwester» und schrieb zu ihrem Werk in der FAZ:

„Erotisch ist nicht nur ihr Verhältnis zu den Menschen, sondern auch zur Heimat und zur Natur, zum Geist und zur Literatur, ja sogar zur Politik.“

Neben der Lyrik schrieb sie aber auch Kinderbücher und Prosatexte.

Sarah Kirsch war eine emsige Schreiberin. Sie selbst äusserte sich dazu folgendermassen:

„Eigentlich schreibe ich immer. Ich bin ein Schädling, von der vernichteten Papiermasse her und tue recht daran, in jedem Jahr, mindestens zehn Bäume zu pflanzen. Zum einen ist es eine körperliche Sucht, der materielle Vorgang des Schreibens schüttet Adrenalin gallonenweise wohl aus, so brauche ich feinste Papiere und edle Schreibgeräte. Am liebsten Tinte aus’m Tintenfass für altmodische Füller, Journale mit hinreißenden Einbänden aus Firenze zum Beispiel oder salzburgische Handfertigung gar. Es ist wie eine Sucht, wenn mein federleichter Merlin-Füller aus dem Jahr 32 über toskanisches Papier schwebt, mit lotusblauer Tinte. So bin ich fast glücklich. Um es gänzlich zu sein, bedarf es noch eines gerade entstehenden Textes, dann gerät die Sucht zur Ekstase.“

Der Anspruch ans Schreibmaterial spiegelt wohl den Anspruch wider, den sie an ihr Werk hatte. Sie arbeitete diszipliniert und sorgfältig. Täglich von sechs Uhr morgens bis knapp vor dem Mittag sass sie konzentriert am Schreibtisch, schrieb erste Gedichtentwürfe von Hand, überarbeitete diese mehrfach, feilte an Sprache und Form, bis sie diese Handschriften dann in die Maschine tippte. Die Entwürfe sind nicht erhalten, sie wurden alle vernichtet. Sie duldete nichts in ihren Augen Minderwertiges (auch Bilder, die ihren Ansprüchen nicht genügten, wurden verbrannt).

Während ihr lyrisches Werk viel Beachtung erhielt, steht diese beim Prosawerk noch aus. Dies gälte es noch zu entdecken, zumal es im Wert der Lyrik sicher ebenbürtig ist.

Zur Entspannung malte Sarah Kirsch. Ihre ersten Aquarelle hatten Briefmarkengrösse, sie nannte es selbst «Rumklecksen» und sah es nicht als Arbeit, sondern als reines Vergnügen. Das Ganze war für sie privat und nicht für Ausstellungen oder gar den Verkauf gedacht, doch als sich immer mehr Galerien zu interessieren begannen, fand auch ihre bildende Kunst den Weg in die Öffentlichkeit. Einen Einblick in ihr bildnerisches Schaffen (Aquarelle, Gouache-Malerei und Collagen) bietet ein Kunstband aus dem Jahr 2000: „Beim Malen bin ich weggetreten“.

Ausgewählte Werke

  • Berlin – Sonnenseite. Deutschlandtreffen der Jugend in der Hauptstadt der DDR (1964), Bildreportage, zusammen mit Thomas Billhardt und Rainer Kirsch
  • Gespräch mit dem Saurier (1965), Gedichtband, gemeinsam mit Rainer Kirsch
  • Die betrunkene Sonne (1966), Kinderbuch. Illustrationen von Erich Gürtzig
  • Landaufenthalt (1967), Gedichtband
  • Zaubersprüche (1973), Gedichtband, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
  • Die Pantherfrau. Fünf unfrisierte Erzählungen aus dem Kassettenrecorder (1973), Prosaband
  • Die ungeheuren bergehohen Wellen auf See (1973), Prosaband
  • Es war dieser merkwürdige Sommer (1974), Gedichtauswahl
  • Caroline im Wassertropfen (1975), Kinderbuch, mit Illustrationen von Erdmut Oelschläger
  • Zwischen Herbst und Winter (1975), Kinderbuch, zusammen mit Ingrid Schuppan
  • Rückenwind. Gedichte (1976
  • Wintergedichte (1978)
  • Drachensteigen (1979), Gedichte
  • Trennung (1979), Gedichte
  • Wind und Schatten, zusammen mit dem Künstler Kota Taniuchi
  • La Pagerie (1980), Prosagedichte
  • Geschlechtertausch (1980), zusammen mit Irmtraud Morgner und Christa Wolf
  • Hans mein Igel (1980), Kinderbuch nach den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, mit Illustrationen von Paula Schmidt
  • Papiersterne (1981), vertont von Wolfgang von Schweinitz
  • Erdreich (1982), Gedichte
  • Reisezehrung (1986), Prosa
  • Irrstern (1987), Prosaband
  • Allerlei-Rauh. Eine Chronik (1988), Prosaband
  • Luft und Wasser. Neue Gedichte und Bilder, mit Bildern von Ingo Kühl, Edition Lutz Arnold im Steidl Verlag, Göttingen 1988, Vorzugsausgabe zu ISBN 3-88243-096-6.
  • Luft und Wasser. Gedichte und Bilder, mit Bildern von Ingo Kühl, Edition Lutz Arnold im Steidl Verlag, Göttingen 1988, ISBN 3-88243-096-6.[15]
  • Schneewärme. Gedichte (1989)
  • Wintermusik (1989)
  • Die Flut (1990), Auswahl, zusammengestellt von Gerhard Wolf
  • Schwingrasen (1991), Prosa
  • Spreu (1991), Bilder-Tagebuch
  • Erlkönigs Tochter (1992), Gedichte
  • Das simple Leben (1994), Prosaminiaturen und Gedichte
  • Bodenlos (1996)

Robert Walser (15. April 1878 – 25. Dez. 1956)

Robert Otto Walser wird am 15. April 1878 in Biel geboren, wo er auch die Schule besucht, bis er diese wegen Geldnot der Familie abbrechen muss. Er hängt sehr an seiner Mutter, so dass ihr Tod 1894 ein schwerer Schlag für ihn ist. Nach einer Banklehre verlässt der theaterbegeisterte Walser die Schweiz und zieht (wie vor ihm schon sein Bruder Karl) nach Stuttgart, wo er sich neben seinem Brotjob erfolglos als Schauspieler versucht. Schon ein Jahr später bricht er auch in Stuttgart wieder seine Zelte ab und wandert zu Fuss zurück in die Schweiz, wo er sich in Zürich niederlässt. Er hält sich da mit verschiedenen Bürostellen über Wasser, was er später in seiner Literatur immer wieder als Motiv verwendet.

1898 erscheinen die ersten Gedichte in der Zeitung, welche Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ihm weitere Publikationsmöglichkeiten eröffnen. 1904 erscheint mit «Fritz Kochers Aufsätze» Walsers erstes Buch, 1908 der Roman «Der Gehülf», 1909 «Jakob von Gunten. In seinen Werken verarbeitet er immer wieder Stationen seines Lebens, so ist die Figur des Dieners, welche in vielen seiner Bücher eine Rolle spielt, auf seine eigene Ausbildung zum Diener zurückzuführen.

1906 zieht Walser nach Berlin, wo er 1907 «Geschwister Tanner» veröffentlicht, einen Roman, den er in gerade mal sechs Wochen geschrieben hatte. Durch seine Romane und die parallel dazu erscheinenden Prosastücke, welche in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften publiziert werden, etabliert sich Walser bald schon im Literaturbetrieb der damaligen Zeit, namhafte Schriftsteller wie Hesse oder Kafka nennen ihn ihren Lieblingsschriftsteller und auch andere grosse Namen preisen sein Werk. Trotzdem bleibt er zu Lebzeiten dem breiten Publikum unbekannt, obwohl schon zu Lebzeiten eine dreibändige Werkausgabe erscheint, etwas, das vielen Schriftstellern zu Lebzeiten nicht zuteil wird.

Wie immer

Die Lampe ist noch da,
der Tisch ist auch noch da,
und ich bin noch im Zimmer,
und meine Sehnsucht, ah,
seufzt noch wie immer.

Feigheit, bist du noch da?
und, Lüge, auch du?
Ich hör’ ein dunkles Ja:
das Unglück ist noch da,
und ich bin noch im Zimmer
wie immer.
(1909)

1913 zieht Robert Walser in die Schweiz zurück. Trotz vieler Erfolge reicht das Geld kaum zum Leben. Es folgen viele Umzüge, aus der finanziellen Not heraus muss er auch eine Anstellung annehmen. Daneben schreibt er unentwegt weiter und unternimmt zudem ausgedehnte Fussmärsche.

„Der Mensch ist ein feinfühliges Wesen. Er hat nur zwei Beine, aber ein Herz, worin sich ein Heer von Gedanken und Empfindungen wohlgefällt. Man könnte den Menschen mit einem wohlangelegten Lustgarten vergleichen.“

Es fällt auf, dass in Robert Walsers Familie psychische Krankheiten gehäuft auftreten. Schon die Mutter ist an einer gestorben, ebenso stirbt sein Bruder Ernst 1916 in einer Heilanstalt, der Bruder Hermann nimmt sich das Leben. Der Krieg tut das Seine dazu, Robert Walser lebt mehr und mehr isoliert und wird zudem von Angstzuständen und Halluzinationen heimgesucht. Das alles führt schliesslich zu einem psychischen Zusammenbruch und in der Folge 1929 zur Einweisung in eine Heilanstalt in Bern.  

Nach einer zeitweiligen Verbesserung seines Zustandes beginnt Walser wieder mit dem Schreiben, allerdings in viel geringerem Ausmass als früher. Auffällig ist dabei seine Methode: Mit Bleistift und in immer kleiner werdenden Buchstaben füllt er Unmengen von Blättern mit Gedichten und Prosawerken. Am Schluss messen die einzelnen Buchstaben kaum mehr als einen Millimeter.

„Die Erfolglosigkeit ist eine bitterböse, gefährliche Schlange. Sie versucht, unbarmherzig das Echte und Originelle im Künstler abzuwürgen.“

Der Schreibfluss endet 1933 nach seiner gegen seinen Willen erfolgten Verlegung in eine andere Heilanstalt nach Herisau. Ein weiterer Grund für das Versiegen desselben dürfte auch der durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht mehr vorhandene Absatzmarkt sein. Robert Walser verbringt im Folgenden die Zeit mit den üblichen Arbeiten im Heim sowie mit Lesen und ausgedehnten Spaziergängen.

«Spazieren muss ich unbedingt, um mich zu beleben und um die Verbindung mit der lebendigen Welt aufrechtzuerhalten.»

Auch als er eigentlich als gesund gilt, will er die Anstalt nicht verlassen, es scheint, er hat hier ein Zuhause gefunden, wie er es lange nicht gekannt hat.

Der Schnee

Der Schnee fällt nicht hinauf
sondern nimmt seinen Lauf
hinab und bleibt hier liegen,
noch nie ist er gestiegen.

Er ist in jeder Weise
in seinem Wesen leise,
von Lautheit nicht die kleinste Spur.
Glichest doch du ihm nur.

Das Ruhen und das Warten
sind seiner üb’raus zarten
Eigenheit eigen,
er lebt im Sichhinunterneigen.

Nie kehrt er je dorthin zurück,
von wo er niederfiel,
er geht nicht, hat kein Ziel,
das Stillsein ist sein Glück.

Robert Walser stirbt 1956 auf einer Wanderung an einem Herzschlag. Es existieren Fotos vom Verstorbenen, wie er im Schnee liegt, welche in einer fast unheimlich zu nennenden Weise an den toten Dichter Sebastian aus Walsers erstem Roman «Geschwister Tanner» erinnern. Als Schriftsteller ist Robert Walser aber schon etwa 30 Jahre vorher verstummt, so lange liegt sein letztes Werk zurück.

Zu philosophisch

Wie geisterhaft im Sinken
Und Steigen ist mein Leben.
Stets seh‘ ich mich mir winken,
dem Winkendem entschweben.

Ich seh‘ mich als Gelächter,
als tiefe Trauer wieder,
als wilden Redeflechter;
doch alles dies sinkt nieder.

Und ist zu allen Zeiten
wohl niemals recht gewesen.
Ich bin vergessne Weiten
Zu wandern auserlesen.

Ein früher erschienenes Porträt findet sich HIER

Robert-Walser-Pfad
Wer sich Robert Walsers Lebensweg sprichwörtlich erlaufen möchte, kann dies auf dem Robert-Walser-Pfad in Herisau tun. Auf einer Strecke von 7.9 km finden sich immer wieder Tafeln mit Zitaten und Einblicken in sein Werk.

Link zum Robert-Walser-Pfad

Ausgewählte Werke

  • 1904 Fritz Kochers Aufsätze
  • 1907 Geschwister Tanner
  • 1908 Der Gehülfe
  • 1909 Jakob von Gunten
  • 1915 Kleine Dichtungen
  • 1917 Kleine Prosa
  • 1917 Der Spaziergang
  • 1917 Poetenleben

Stefan Heym (10. April 1913)

Am 10. April 1913 kommt in Chemnitz Helmut Flieg als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie zur Welt. Schon früh engagiert er sich gegen den Faschismus, was die Nationalsozialisten auf ihn aufmerksam werden lässt. Er fällt vom Gymnasium und legt sein Abitur schliesslich in Berlin ab. Sein Studium der Journalistik kann er nicht da beenden, 1933 flieht er nach dem Reichstagsbrand in die damalige Tschechoslowakei und nimmt den Namen Stefan Heym an. Ein Stipendium einer jüdischen Studentenverbindung ermöglicht ihm die Übersiedlung nach Chicago, wo er sein Studium fortsetzt und dieses mit einer Arbeit über Heinrich Heine abschliesst.

Nach einer Tätigkeit als Redakteur für eine dem Kommunismus nahe stehende New Yorker Wochenzeitung arbeitet Heym ab 1939 als freier Schriftsteller.  Schon sein erster Roman Hostages (1942)wird ein grosser Erfolg.

Heym nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an und zieht 1943 als Mitglied einer Einheit für Psychologische Kriegsführung in den Krieg, wo er Texte für Flugblätter und Rundfunksendungen schreibt. Es folgen Einsätze bei Zeitungen in Deutschland und 1945 wegen prosowjetischen Äusserungen die Rückversetzung in die Staaten, wo er wieder als freier Schriftsteller arbeitet und Ende 1948 den Roman The Cursaders veröffentlicht.

1952 verlässt Stefan Heym die USA und siedelt über Prag in die DDR über. Er arbeitet als freier Schriftsteller und sieht sich schon bald mit neuen Konflikten konfrontiert, an deren Ende ein Veröffentlichungsverbot steht. Eine unerlaubte Veröffentlichung in der BRD bringt ihm eine Geldstrafe. Eine kurzweilige Entspannung der Lage wird schnell revidiert, Heym kann nur noch in der BRD veröffentlichen und wird aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen. Stefan Heym spricht sich in den 1980er Jahren deutlich für die Wiedervereinigung aus, gehörte 1989 auch zu den Rednern auf der Alexanderplatz-Demonstration.

Auch nach der Wende hört sein politisches Engagement nicht auf. Immer wieder weist er auf die Benachteiligung der Ostdeutschen bei der Integration hin, übernimmt dafür sogar ein politisches Mandat, das er aus Protest 1995 wieder niederlegt. Am 16. Dezember 2001 stirbt Stefan Heym an einem Herzversagen.

Zurück bleibt die Erinnerung an ein politisch engagiertes Leben und seine Werke, die sein Engagement durchschimmern lassen:

Wenn die unerhörten Klänge

Wenn die unerhörten Klänge
wilder Frühlingsnacht verrauscht,
und die Wolkenwindgesänge
sich mit Morgendunst vertauscht.

Treten wir ins Licht hinein,
das von feuchten Blättern rinnt;
und wir werden anders sein
als wir je gewesen sind.

Neue Liebe unter neuen
Menschen, die mit frohem Grüssen
sich des neuen Daseins freuen –

Neuer Geist, der uns beschwört!
Eine Welt zu unsern Füssen,
eine Welt, die uns gehört!
(1936)[1]

Stefan Heym hinterlässt ein grosses literarisches Werk, das sein bewegtes Leben widerspiegelt. Stets stellte er sich seiner Zeit und setzte sich für seine Überzeugungen ein. Kritiker werfen ihm vor, Fahne im Wind zu sein, doch bei Lichte betrachtet setzt er sich selten dafür ein, was gerade in ist, vielmehr geht er meist den unbequemen Weg der Opposition. Auch wenn sie schwierig ist, liebt Stefan Heym seine Zeit und sagt selber, in keiner anderen leben zu wollen, da keine so viele Veränderungen mit sich bringen könnte, wie es die seine tut. Er sieht in den Schwierigkeiten der Zeit den Antrieb für menschliches Wachstum, vor allem aber ein Paradies für einen Schriftsteller, der aus dem Vollen schöpfen kann.

Werke von Stefan Heym

  • Nazis (1938)
  • Hostages (1942, dt. Der Fall Glasenapp)
  • The Crusaders (1948; dt. Der bittere Lorbeer oder Kreuzfahrt von heute)
  • The Eyes of Reason (1951, dt. Die Augen der Vernunft)
  • Shadows and Light (1963, dt. Schatten und Licht)
  • The Queen against Defoe (1975; dt. Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe)

[1] Zitiert nach Stefan Heym: Ich aber ging über die Grenze. Frühe Gedichte, ausgewählt und herausgegeben von Inge Heym, mit Collagen von Horst Hussel und einem Nachwort von Michael Müller, C. Bertelsmann Verlag, München 2013.

Heinrich Mann (27. März 1871 – 11. März 1950)

Heinrich Mann wird am 27. März 1871 als erstes Kind einer Lübecker Kaufmannsfamilie geboren. Vier Jahre später kommt sein Bruder Thomas zur Welt, später die Schwestern Julia und Carla und schlussendlich der kleinste Bruder Viktor.

Mit 13 beschliesst Heinrich Mann, Schriftsteller zu werden und setzt dies auch gegen die Wünsche seines Vaters durch, welcher ihn lieber in einem Jura-Studium sähe. Heinrich Mann bricht das Gymnasium ab und wird ein Suchender. Nach einer abgebrochenen Buchhandelslehre (begonnen nur als Kompromiss mit dem Vater) arbeitet er kurz in einem Verlag, belegt einige Vorlesungen an der Uni und begibt sich danach auf Reisen. Wie tief die Ablehnung der Schriftstellerwünsche Heinrich Manns durch den Vater gehen, zeigt dessen Testament 1891:

„Soweit sie (die Vormünder) es können, ist den Neigungen meines ältesten Sohnes zu einer literarischen Thätigkeit entgegenzutreten. Zu gründlicher, erfolgreicher Thätigkeit in dieser Richtung fehlen im m. E. die Vorbedingnisse: genügendes Studium und umfassende Kentnisse. Der Hintergrund seiner Neigungen ist träumerisches Sichgehenlassen und Rücksichtslosigkeit gegen andere, vielleicht aus Mangel am Nachdenken.“

Heinrich Mann hält an seinem Wunsch fest, er schreibt Erzählungen, poetische Texte, Rezensionen und später auch politische Essays. Nach Heinrich Manns eigenen Aussagen soll sein Vater kurz vor seinem Tod doch noch den Segen für diesen Weg gegeben haben.

1904 schreibt er seinen ersten Roman, „Professor Unrat“ erscheint ein Jahr später, stösst aber in Lübeck auf Schweigen oder Kritik. Erst die Übersetzungen und die spätere Verfilmungen bringen den Erfolg.

1902 beginnt Heinrich Mann mit der Arbeit an seinem Roman „Der Untertan“, welcher aber erst 1915 erscheinen wird, allerdings nur auf russisch (es gab eine deutsche Privatausgabe, weil die Zensur die Veröffentlichung in Deutschland verunmöglichte). Erst nach dem Krieg war 1918 auch eine Veröffentlichung in Deutschland möglich.

Die Beziehung zwischen den beiden Brüdern Thomas und Heinrich ist immer von Auf und Abs begleitet. Schon in Lübeck kommt es zu einem Zwist, als der Langsamschreiber Thomas (er schreibt pro Tag etwa eine Seite bis anderthalb) den Vielschreiber anfährt:

„Ich halte es für unmoralisch, aus Furcht vor den Leiden des Müssigganges ein schlechtes Buch nach dem anderen zu schreiben.“

Die Aussage mag sehr überheblich klingen, doch Heinrich Mann steht in der Folge wirklich im Schatten seines erfolgreichen Bruders. Trotzdem ist die Bruderverbindung auch eine enge, so reisen die beiden Brüder vor Ausbruch des ersten Weltkrieges auch zusammen nach Palestrina, in der Nähe von Rom, wo Thomas Mann an seinen Buddenbrooks schreibt.

1914 bricht der Kontakt völlig ab wegen unvereinbarer politischer Haltungen. Heinrich Mann lehnt den Krieg ab. Er warnt sogar in seinem Roman „Der Untertan“ vor dem wilhelminischen Obrigkeitsstaat mit seinem Militarismus und prangert die Haltung des „Deutschland über alles in der Welt“ aufs schärfste an:

„Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche und mit Zügen, steinern und blitzend, ritt die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! (…) Jeder einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen, als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisationen und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend!“

Thomas Mann hingegen ist von der allgemeinen Kriegsbegeisterung erfasst und ruft freudig aus:

„…wie die Herzen der Dichter in Flammen standen, als jetzt Krieg wurde“

Eine wirkliche Versöhnung kommt erst 1922 zustande.

Die nächsten Jahre sind nicht einfach. 1923 stirbt die Mutter, 1927 nimmt sich seine Schwester Julia das Leben (schon der Suizid von Clara 1910 hat ihn tief erschüttert), 1930 kommt es zur Scheidung von seiner Frau, zu der Zeit kennt er Nelly Kröger, seine spätere Frau, bereits.

Nach seinem politischen Einsatz (gemeinsam mit Käthe Kollwitz und Albert Einstein) für einen Zusammenschluss der Kommunisten und der Sozialdemokraten gegen die Nationalsozialisten (das kostet ihn die deutsche Staatsbürgerschaft) verlässt Heinrich Mann 1933 Deutschland und geht nach Nizza.

1935 bis 1938 schreibt er an seinem Zweiteiler „Die Jugend des Königs Henri Quatre“ und „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“. Er wird zum Gegenbild aller entarteten Führerfiguren auf dieser Welt stilisiert. Sogar Thomas Mann lobt das Buch in höchsten Tönen:

„…das Gefühl, es mit dem Besten, Stolzesten, Geistigsten zu thun zu haben, das die Epoche zu bieten hat. Das Buch ist gross durch Liebe, durch Kunst, Kühnheit, Freiheit, Weisheit, Güte, überreich an Klugheit, Witz, Einbildungskraft und Gefühl…“

Nach seiner Hochzeit mit Nelly Kröger 1939 fliehen die beiden mit Golo Mann und den Werfels 1940 in teilweise beschwerlichen Fussmärschen durch die Pyrenäen in die USA, wo er sich aber nie heimisch fühlt und der Erfolg ausbleibt, obwohl er ein Werk nach dem anderen schreibt. Es sind düstere Jahre und die Alkoholprobleme seiner Frau tragen sicher viel dazu bei. Unterstützung erhält er von seinem Bruder Thomas, dessen Werke übersetzt werden und der auch sonst grosse Erfolge feiern kann. Nelly Mann nimmt sich 1944 das Leben und Heinrich Mann stürzt in ein grosses Loch.

Erst im Jahr 1949 scheint es aufwärts zu gehen. Heinrich Mann wird zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin gewählt, er stirbt aber noch vor seiner Übersiedlung am 11. März 1950 in Santa Monica, Kalifornien.

Werke

  • 1891 Haltlos
  • 1894 In einer Familie
  • 1897 Das Wunderbare und andere Novellen
  • 1900 Im Schlaraffenland
  • 1905 Flöten und Dolche (Novellen)
  • 1905 Professor Unrat (Roman)
  • 1907 Zwischen den Rassen
  • 1912 Die grosse Liebe
  • 1917 Die Armen
  • 1918 Der Untertan
  • 1912 Diktatur der Vernunft
  • 1932 Ein ernstes Leben
  • 1949 Der Atmen