Wer bin ich?

Ich bin

Ich denke,
also bin ich.
Doch wer denkt,
wenn ich denke?

Wer fühlt,
wenn ich fühle?
Bin ich es?
Ist es die Welt?

Wir umkreisen uns
tagtäglich
und immerfort.
Wir lösen dabei
die Grenzen
auf.

Wo hör’ ich auf,
wo fängst du an?
Was dringt in mich,
was kommt aus mir
raus?

Wer bin ich?
Wie will ich sein?

Ich bin ich

Kürzlich stellte eine junge, intelligente Freundin auf Facebook diese Frage:

 „Ich werde sein“

„Ich will sein“

„Ich könnte sein“

„Ich versuche, zu sein“

„Was davon trifft am meisten auf euch zu?“

Ich las es, war erfreut, dass jemand diese Gedanken überhaupt hat. Ich konnte spontan nicht antworten. Dachte erst, es sei von allem etwas. Dann merkte ich, was mir fehlte:

 „Ich bin“

Wie will ich irgendwohin kommen, wenn ich nicht irgendwo bin? Es gibt kein Ziel ohne Start. Es gibt kein Ankommen ohne Abfahren.

Nun kann man sagen: Ich mag das heute aber nicht, drum will ich ja irgendwohin. Das liegt in der Natur der Sache, hier des Ziels. Man will dahin, weil man nicht da ist. Um dahin zu kommen, muss man nicht wissen, wie es da ist (das weiss man gemeiner Weise nie, man denkt es sich nur), man muss wissen, wo man steht. Nur so lässt sich der Weg überhaupt denken. Selbst Google Maps funktioniert so, da wird es in einem viel komplizierteren Ding wie dem menschlichen Wesen nicht anders sein.

Ich bin also nicht so, wie ich gerne wäre, drum will ich dahin, wo ich gerne sein würde. Es klingt wie ein Schlag ins Gesicht, aber:

Akzeptiere erst, wo du bist und wer du bist!

Das ist der Ausgangspunkt und ohne den wirklich an- und einzunehmen, wird man kein Ziel je erreichen. Man muss es nicht gut finden, man muss keine Jubeltänze vollführen. Aber man muss sich eingestehen: Das bin ich und ich bin gut so. In mir steckt nämlich die Kraft, von hier aufzubrechen und einen neuen Ort anzustreben.

Tut man dies nicht, zappelt man nur im Haltlosen, will irgendwohin, kann sich aber nirgends festhalten, das ist, kann sich nirgends abstossen, das Halt gibt, man weiss nur, wo man hin will, und sieht: Man ist nicht da.

Drum liebe ich das Lied: I am what I am. Das ist man immer. Hier wie dort. Und nur, wenn man sich selber kennt und annimmt, hat man eine Basis. Dann kann man alles (nun gut, vieles) erreichen. Mit all seinen Fehlern, die man sich selber zuspricht (die sind selten objektiv, sondern meist subjektiv empfunden und angeklagt durch eigene und andere Befindlichkeiten). Zuerst muss man aber gut stehen. In sich. Mit sich. Dann geht’s ab!

Für mich und für andere

Seit ich vor einiger Zeit wieder mit Zeichnen begonnen habe, füllten sich mehrere Sketchbooks mit Zeichnungen, Skizzen, Letterings. Ich entwickelte mich weiter, hatte Freude, probierte aus, fand mit jedem Bild ein bisschen mehr heraus, was ich mag, was ich kann, wo ich mehr machen möchte. Endlich hatte ich etwas gefunden, was mir Freude macht. Mit dem Zeichnen kam auch immer wieder die Frage nach dem richtigen und guten Material auf – vor allem die Bücher stellten ein Problem dar, war doch die Qualität des Papiers wichtig für das Ergebnis, vor allem, wenn Wasserfarbe im Spiel war. Allerdings waren auch die Bücher mit der guten Qualität nicht ganz unproblematisch, da ich die schön halten wollte und mir damit das Kritzeln verbot – es hätte das Gesamtbild des Buches gestört.

Vor kurzem war mal wieder ein Buch voll und das nächste leere lag vor mir. Es war eines, das ich zum ermässigten Preis gekauft hatte. Die Qualität zeigte, wieso es so günstig war. Seite für Seite jammerte ich innerlich über das Papier, trotzdem gelangen mir ein paar wunderbare Zeichnungen darin. Das machte das Weglegen umso schwerer, da ich damit auch diese auf die Seite gelegt hätte. Irgendwann entschloss ich mich doch. Das neue Buch war toll, das alte kriegte die Aufgabe, für Kritzeleien dazusein. Während ich also im Qualitätsbuch darauf achtete, Bilder zu machen, die gefallen, lebte und tobte ich mich im anderen aus – und hatte Spass. Endlich wieder. Ich merkte, wie sehr mir diese Freiheit, diese Leichtigkeit abhanden gekommen war durch meinen Anspruch, etwas beweisen zu müssen, andern schöne Bilder liefern zu wollen. Und ich merkte, dass dies wohl nicht nur beim Zeichnen so ist.

Wie oft tun wir Dinge, nur um anderen zu genügen? Wie versuchen wir, es allen recht zu machen, zu genügen, schimpfen mit uns, wenn wir es (in unseren Augen) nicht tun. Dabei verlieren wir gar zu oft uns selber aus den Augen, steuern an einen Ort, an den wir nie wollten. Und: Die anderen werden es nicht nur nicht danken, die Chance ist gross, dass wir damit gar nichts erreichen.

Wenn ich mir nun meine beiden Sketchbücher anschaue, gefällt mir das billige besser. Die Zeichnungen sind freier, lebendiger, sie drücken mehr aus, was ich will, wer ich bin. Sie leben. Das teure ist gehemmter – aus Angst vor Fehlern. Es sind nur grosse Ansprüche drin, das kleine Leben fehlt. Und oft ist es genau das, was glücklich macht. Nicht nur beim Zeichnen.

Ich

Manchmal wünsche ich mir…

…ich liebte jemanden so, dass meine Welt zusammenbräche, wäre er nicht mehr

…ich könnte mir ein Leben ohne den Einen nicht vorstellen

…der Eine wäre alles für mich, ich nichts ohne ihn

Dann sehe ich…

…die Welt wird immer weiterbestehen, egal, wer kommt oder geht

…es gibt ein vorstellbares Leben auch ohne den Einen

…ich bleibe ich, wer immer kommt oder geht

Und irgendwie ist das gut so!

Wer bin ich?

Noch vor kurzem waren alle Charlie. Auf Twitter, Facebook und in Zeitungen. Überall las man nur noch von Menschen, die Charlie waren. Es waren wohl Millionen Charlie. Hintergrund der Geschichte? Ein satirisches Blatt in Frankreich, Auflage an die 60’000 Exemplare, fiel einem Massaker zum Opfer. Muslimische Blutsrächer fühlten sich durch eine Zeichnung verletzt in ihrer Ehre und rotteten bestialisch aus, was sie als Kern allen Übels erachteten. Die Betroffenheit war gross. Die Solidarität auch. Jeder, der etwas auf sich hielt, war nun Charlie – benannt nach dem bekanntesten der satirischen Zeichner. Diskussionen, ob die Zeichnungen angebracht gewesen seien, wurden als pietät- und geschmacklos im Keime erstickt. Täter und Opfer waren klar, diese Grenze musste zementiert werden. Zudem: Meinungsfreiheit. Die muss sein. Alles darf, alles kann. Widerspruch zwecklos.

Schauen wir aber mal genauer hin. Hätten alle, die plötzlich Charlie waren, die Zeitschrift gekauft, hätten 60’000 Exemplare nie gereicht. Nach dem Attentat stieg die Auflage auf Millionen. Wieso wird nach einer Schreckenstat Meinungsfreiheit so hoch gelobt, vorher aber nicht unterstützt? Und: Darf Satire wirklich alles? Diese Frage durfte man ja nicht mal mehr stellen. Die war geschmacklos. Eines vorweg: Eine solche Tat ist durch NICHTS zu beschönigen oder entschuldigen, sie ist barbarisch, sie ist unmenschlich, sie ist ein absolutes NO-GO. Meinungsfreiheit dagegen ist ein MUSS. Man muss seine Meinung offen sagen dürfen. Aber ob man sie in jeder Art und Weise (auch einer beleidigenden und andere Individualitäten verletzenden) sagen MUSS – diese Frage stellt sich mir. Und nochmals – für alle, die es noch nicht begriffen haben und schon zum entsetzten, erzürnten und niedermetzelnden Aber ansetzen – : Der Anschlag war falsch, unentschuldbar und grausam.

Das satirische Blatt ging jüngst in Millionenauflage raus. Sie haben ihr eigenes Unglück ausgenutzt und machen es zu Geld. Hätte es ein anderer gemacht, wäre der Aufschrei gross. Wie kann man nur. So sagt keiner was. Darf man eine solche Tat für den eigenen Profit ausnutzen? Vielleicht spenden sie den Gewinn bald – oder eröffnen eine Stiftung. Ist es dann besser?

Fakt bleibt: Der Anschlag war eine Gräueltat, wie sie ihresgleichen sucht – und hoffentlich nicht findet und finden wird. Trotzdem bleiben viele Fragen offen. Diese unter den Tisch zu kehren, würde niemandem helfen. Und: Ich bin ich. Ich war nie Charlie. Ich kannte das Blatt vor dem Anschlag nicht mal. Ich kaufe es auch heute nicht. Ich achte jeden Menschen in seinem Sein und seinem Glauben. Nie käme es mir in den Sinn, jemanden zu verspotten oder zu verachten, weil er anders ist oder glaubt. Wieso? Ich möchte auch nicht verspottet werden. Ich argumentiere. Und ich bin dankbar, darf ich offen sagen, was ich denke. Nein, ich gehöre keiner Kirche an. Und ja, ab und an denke ich, es wäre schön, einer anzugehören. Zu glauben, dass da irgendein gütiger Herr sitzt, der alles lenkt und für mich denkt. Nur denke ich lieber selber. Und liesse ihn wohl nicht mal ausreden. Aber: Wer an ihn glauben kann und daraus Trost schöpft – soll ich ihn verlachen? Verachten? Verspotten? Weiss ich es denn besser? Ich glaube nur, es besser zu wissen – schlussendlich glauben wir alle. Keiner weiss.

Wer also ist Charlie? Und was ist das Fazit von der Geschichte? Ich weiss es nicht. Ich blicke in die Welt und ich finde sie kompliziert, in meiner kleinen Welt oft wunderbar, weiter draussen teilweise erschreckend.

Alltagsmensch – Unterdrückte Eigenheiten

Ich bin ein Alltagsmensch. Drum gehe ich auch nicht gerne in den Urlaub. Urlaub ist für mich nicht Erholung wie für andere Menschen, Urlaub ist für mich Stress. Er reisst mich nicht nur aus meinem Alltag heraus, er reisst mich- wenn ich weggehe – auch aus meiner Umgebung. Ich habe die Dinge, die mein Leben begleiten, nicht mehr um mich und damit geht für mich ein Stück meines Lebens, meiner Sicherheit, verloren. Ich fühle mich haltlos, weil ich nicht mehr einfach auf meine Dinge zurückgreifen kann. Ich fühle mich unsicher, weil ich nicht einfach meine Wege gehen und die Dinge tun kann, die ich tue, wenn ich mich danach fühle, sie zu tun. Dies, weil sie entweder nicht da sind oder aber einfach die Umstände so sind, dass es nicht geht. Ich fühle mich unbeholfen, weil ich nicht mehr weiss, was ich nun wann, wie machen soll und kann und darf. Und selbst wenn es heisst, ich dürfe alles, wie zuhause, ist es nicht so wie zuhause. Mein Zuhause ist meine Burg, mein sicherer Hafen. Und ich brauche ihn.

Das scheint für andere Menschen schwer verständlich zu sein. „Geniesse den Abstand“, „Geniesse, das Nichtstun“, „Geniesse die Ferien“ – alles Tips, die man kriegt. Den ungläubigen Blick und die Verständnislosigkeit in der Stimme gibt es gratis obendrauf. Wie kann man nur nicht gerne im Urlaub und auf Reisen sein? Ich bin gerne auf Reisen, wenn ich ständig irgendwie beschäftigt bin, Neues sehe, Programm habe, das mich möglichst nicht nachdenken lässt. Sobald die Beschäftigung aufhört, kommt die Leere, die ich zu Hause nicht kenne. Dann kommt das Gefühl, irgendwo verloren zu sein. Ich kann das zwar unterdrücken und mich mit Büchern und Computern, notfalls mit dem Fernseher beschäftigen. Das klappt aber nicht ewig und in mir macht sich eine grosse Trauer, Frustration, Hilflosigkeit breit. Und Heimweh.

Bin ich komisch? Mag sein. Bin ich unnormal? Auch das kann durchaus sein. Aber ich bin nun mal, wie ich bin und muss mit diesem Zug zurecht kommen. Ich habe mich immer schlecht gefühlt, weil ich bin, wie ich bin, mich verurteilt dafür, mit mir geschimpft, weil man so ja nicht sein kann. Und ich fühlte mich in dieser Selbstverurteilung im Recht, wurde sie mir doch von aussen als richtig bestätigt, was sich im Unverständnis anderer Menschen deutlich ausdrückte.

Das Problem ist jedoch: Es kann noch so unnormal sein, es ist, wie es ist. Indem ich es unterdrücke, mache ich es nicht besser, ich werde dadurch keine andere, ich leide einfach. Und das Leiden wird grösser. Und es erdrückt. Teilweise körperlich spürbar. Was man unterdrückt ist ja nicht einfach weg, es ist noch immer da und es hat noch immer die Eigenart, die es hat. Das Unterdrücken hält nur den Deckel drauf, kann aber nicht auf Dauer funktionieren. Langsam fängt das Unterdrückte gegen den Deckel zu drücken an, es wird stärker, will raus, versucht, den Deckel zu heben. Der Druck des Zuhaltens fördert den Gegendruck des Ausbrechenwollens. Bis irgendwann der eine nachgibt. Im besten Fall der Deckel, dann kommt es zu einer Explosion. Im schlimmsten Fall die eigene Seele– dann kommt es zu einem zerbrochenen Menschen. Ob das nicht ein zu grosser Preis dafür ist, normal sein zu wollen und von anderen so gesehen zu werden, muss jeder für sich selber entscheiden.

Wir sind

Ich bin ich –
so ganz und gar
und doch nur halb,
da nur ein Teil
des grossen Ganzen.

Ich steh für mich,
stets ein und hin,
doch auch für dich
und neben dir –
gar überall.

Denn nur durch dich
fand ich zu mir
und lebte auf.
Weil nur mit dir,
ergab es Sinn.

Jeder steht,
als Ich und ganz,
ein fürs Du,
das erst das Ich
erfüllen mag.

Nur im Wir
zeigt sich das Ganze,
das zu leben lohnt,
wenn jeder ist
und beide sind.

 

Imre Kertész: Ich – ein anderer

Das geschriebene Ich

Eine Annäherung an Auschwitz ist unmöglich, es sei denn, von Gott aus; Auschwitz ist eines jener grossen Menetekel, die in Gestalt eines schrecklichen Schlags auftreten, um den Menschen hellhörig zu machen – falls er hinhört. Statt dessen werden wissenschaftliche Motive vorgebracht, wird von der Banalität des Mordens geredet, was wie ein Gruss aus der Hölle klingt.

Imre Kertész beschreibt sein Nomadenleben zwischen den Metropolen, fühlt sich als Flüchtiger, nirgends zu Hause ausser im Schreiben und auch das scheint ihm abhanden zu kommen. Viele seiner Gedanken führen nach Auschwitz zurück, zeigen die Präsenz, die dieser Ort und seine Vergangenheit, noch immer haben. Die Vergangenheit entzieht sich seinem Verständnis, er kann sie nicht fassen, nicht einordnen, weiss nur, dass er sie nie los wird und sie sein Leben begleitet, bedrückt, oft unterdrückt.

Die Welt nicht verstehen, bloss weil sie unverständlich sei, ist Dilettantismus. Wir verstehen die Welt nicht, weil es hienieden nicht unsere Aufgabe ist.

Ich – ein anderer ist eine Suche nach der Identität. Imre Kertész reist gedanklich und real durch Zeit und Ort, reiht Erinnerungen, Erlebnisse, Situationen aneinander, versucht sich darin zu finden und bleibt sich doch immer fremd. Die einzig sicheren Merkmale sind sein Judentum, Auschwitz als Vergangenheit und das, was ihn dazu anhält, beides immer wieder zu thematisieren und damit sich selber neu zu finden: Das Schreiben.

Meine einzige Identität ist die des Schreibens. (Eine sich selbst schreibende Identität.)

 

Fazit:

Leicht zu lesen, schwer zu verarbeiten – psychologisch tief, menschlich offen bietet das Buch Einblicke in das Leben eines Menschen, der auf der Suche nach seiner eigenen Identität ist. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor

Imre Kertész
Imre Kertész, geboren 1929 in Budapest, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst als Journalist, seit 1953 dann als freier Schriftsteller und Übersetzer in Budapest. Anfang der 70er Jahre schrieb er seinen autobiographischen Roman eines Schicksalslosen, welcher  zunächst von den Verlagen abgelehnt und nach seiner Veröffentlichung 1975 jahrelang ignoriert wurde. Erst die Änderung der politischen Situation in Ungarn brachte die lange versagte Anerkennung.  2002 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Von Imre Kertesz erschienen sind unter anderem Roman eines Schicksalslosen (1975), Fiasko (1988), Kaddisch für ein nicht geborenes Kind (1989) und Ich ein anderer (1997).

KerteszIchAngaben zum Buch:
Taschenbuch: 128 Seiten
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag (1. Oktober 1999)
Übersetzung: Ilma Rakusa
ISBN-Nr.: 978-3499225734
Preis: EUR  7.50 / CHF 11.60

Zu kaufen in jeder Buchhandlung vor Ort oder online u.a. bei AMAZON.DE oder BOOKS.CH

 

 

 

 

 

 

Was ist das Besondere an mir?

Ich war dieses Wochenende an einem Workshop. Das Thema war „Dharma“ – wie soll ich handeln, was stimmt für mich, ist mein richtiger Weg? Wer bin ich, was macht mich aus? Ich fand es spannend zu sehen, dass genau dieses Thema gewählt wurde, das auch mich immer wieder beschäftigt hat, sei es als philosophische Gedankenspielerei, sei es in Bezug auf mein eigenes, persönliches Leben.

Wie oft versuchen wir, in den Fussstapfen anderer zu gehen. Wir lernen einen Beruf, weil unsere Eltern das so wollen oder schon der Grossvater denselben hatte. Wir verhalten uns in Beziehungen so, wie wir denken, dass unser Gegenüber das von uns wünscht. Wir gehen Wege, weil die Gesellschaft diese als zu gehende definiert. Gar oft leiden wir, fühlen uns unwohl, irgendwie in uns und unserem eigenen Leben nicht zu Hause. Spätestens dann, wenn wir nicht mal mehr in uns selber zu Hause sind, wäre ein guter Zeitpunkt, hinzusehen und zu entdecken, was denn unser wirkliches Zuhause wäre. Was will ich im Leben? Was macht mich aus? Was kann ich und möchte ich in die Welt hinaus tragen?

Oft trauen wir uns nicht, die Dinge zu verwirklichen, die uns wirklich tief am Herzen liegen, weil wir vielleicht zu sehr gefangen sind in äusseren Zwängen, in inneren Ängsten. Vielleicht trauen wir uns schlicht nicht, zu uns zu stehen, weil es Angst machen kann, sich wirklich ganz selber zu sein. Was, wenn man dann abgelehnt würde? Was, wenn genau das, was einem wirklich nah ist, nicht klappt?

Gestern stolperte ich wie zufällig über ein Zitat, das ich schon lange kenne, das aber just prima in das Wochenende passte. Johann Wolfgang von Goethe scheint sich auch mit diesem Thema befasst zu haben, sagte er doch:

In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um einem zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung, und er sorgt zu den eigenen Gunsten für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle, Begegnungen und materielle Hilfen, die sich kein Mensch vorher je so erträumt haben könnte. Was immer Du kannst, beginne es. Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie. Beginne jetzt.

Es ist nie zu spät, anzufangen, denn Jetzt ist immer gerade in dem Moment, in dem man steckt.

Ich fragte gestern einen mir nahestehenden Menschen, was denn mich ausmache, was an mir besonders sei (dies war eine Aufgabe an diesem Wochenendworkshop). Die Antwort war, dass ich das, was ich tue, mit ganzem Herzen mache, mich voll in meinen Weg hineingebe und diese Begeisterung und Liebe auch weiter geben könne.

Ich hätte mich nie so beschrieben, erkenne mich aber wieder. Ich bin dankbar, zu wissen, dass ich auf dem richtigen Weg bin, auf meinem. Vielleicht ist heute auch genau der richtige Tag, sich und seinen Nächsten gewisse Fragen zu stellen:

Wer bin ich? Was macht mich aus? Wo fühle ich mich zu Hause, was will ich tun?

GROSS und klein

Und dann sind da diese Menschen, die dich warten lassen, weil sie gerade etwas besseres zu tun haben, oder die meinen, sie melden sich dann mal, wenn sie mal Zeit finden in ihrem ach so turbulenten und beschäftigten Leben. Da sind die Menschen, die denken, dir sagen zu müssen, wie der Hase läuft und dir ständig sagen, dass deiner falsch läuft. Es sind die Menschen, die sich so gross fühlen und machen und dich so klein. Sie tun es, indem sie mit einer Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass sie nur zu rufen brauchen und du springst. Sie tun es, indem sie einfach mit deiner Zeit agieren, wie es gerade in ihren Zeitplan passt, deiner ist dabei nicht gefragt. Und sie tun es, indem sie einfach davon ausgehen, besser zu wissen, was richtig und was falsch, was gut und was schlecht, was nennenswert und was nicht ist.

Und dann sind da noch die Menschen, die das mit sich machen lassen. Sie warten geduldig, bis der andere getan hat, was er eben tun wollte, bevor er wie verabredet bei ihnen ist. Sie springen, wenn der andere meint, nun mal ganz spontan und unvermittelt Zeit zu haben, weil sie denken, dies ausnutzen zu müssen, wann gäbe es sonst wieder mal eine Chance. Sie glauben ungesehen an die als richtig genannte Hasenlaufspur und geben ihre auf. Sie fühlen sich klein, weil sich der andere so gross macht. Sie lassen den anderen die Regie ihres Lebens übernehmen und gehen einfach davon aus, dass der andere schon weiss, was er tut, weil er es ja laut und bestimmt auftritt.

 

Wer ist Opfer, wer ist Täter?

Keiner ist Opfer, keiner ist Täter, beide sind beides. Während der eine sich über den anderen stellt und sich dabei gross fühlt, fühlt sich der andere klein und stellt sich unter den einen. Er lässt den Möchtegerngross agieren, weil er selber ein Ichweissichbinklein ist. Selbst wenn er auch gerne gross wäre und es ab und an zu sein denkt, begibt er sich immer wieder in die Rolle des Kleinen und unterwirft sich dem Grossen, indem er tut, was dieser ihn tun lässt oder tun lassen will. Ab und an denkt der Kleine zwar bei sich, auch gross zu sein. Er denkt an all die Sätze, die er dem anderen sagen könnte, stellt sich vor, sich einfach zu weigern und seine Rolle nicht mehr zu spielen, um dann doch wieder zu schweigen, wenn die Situation eintritt. Und wieder springt er, wieder wartet er, wieder lässt er mit sich machen und sich klein reden. Wieder glaubt er, nicht zu wissen und fühlt sich dumm, weil der andere so offensichtlich weiss. Oder er denkt zwar, zu wissen, traut sich aber nichts zu sagen, weil der andere dann ja weg wäre oder er sich blamieren könnte oder er es sich schlicht nicht wert ist, zu sich selber zu stehen.

Und je länger der Kleine klein spielt, desto mehr wird aus diesem Spiel ernst. Je länger er die Rolle des Kleinen immer und immer wieder einnimmt, desto mehr wird sie Gewohnheit, Muster, Pflicht und Zwang. Unausweichliches Korsett. Bis er endlich mal hinsteht, sich bewusst wird, dass der andere genauso klein ist wie er selber und er genauso gross wie der andere. Auch DER kocht nur mit Wasser und auch DER wird das Gekochte auf demselben Weg wieder los, wie er selber. DER atmet dieselbe Luft wie er und DER stösst dasselbe Gas wieder aus. DER wird ersticken, fehlt die Luft, verdursten fehlt das Wasser und verhungern, fehlt die Nahrung. Und ohne Liebe wird auch DER verkümmern. DER braucht die Menschen genauso wie sie ihn.

Wo also kommt SEINE Grösse her, wenn nicht aus SEINER Selbsteinschätzung und aus unserer Bereitschaft, ihm diese zu lassen und uns zu unterwerfen? Wieso glauben wir IHM alles und uns nichts? Trauen IHM alles zu und uns wenig? Wieso sind wir so schnell bereit, uns zu verbiegen und bangen so sehr um SEINE Aufmerksamkeit, dass wir uns nicht trauen, zu uns zu stehen?

Es ist nie zu spät, das zu ändern. Es hilft schon, es zu wollen und anzufangen, zu sich zu stehen. Das erste Mal ist es noch schwer. Es gelingt nicht immer, aber es ist es wert. Es ist jede Überwindung wert, denn sie führt uns mehr und mehr zu uns selber und macht uns selber gross. Und dann stehen wir auf Augenhöhe mit den anderen und wissen, dass sie nicht grösser sind als wir, dass ihre Zeit nicht wertvoller ist als unsere, dass wir ihren Respekt verdienen, wie sie den unseren. Und dann fängt das Leben an, menschlich zu werden. Für alle. DICH und MICH. dich und mich.

Was zählen die eigenen Bedürfnisse?

Mir läuft momentan die eine Zeile aus Ina Müllers Lied nach:

Hätt’ ich nen Hund, hätt ich nen Grund…

Es kommt so locker flockig daher, frech und keck erzählt das Lied vom Singleleben, von den Zwängen von aussen, von Barbesuchen, die man nicht möchte, denen man nicht entkommt – es sei denn: Man hätte einen Hund. Dann könnte man sagen, es ginge nicht, weil eben der Hund da wäre.

Wieso fällt es uns oft so schwer, zu unseren Bedürfnissen zu stehen? Haben wir andere (Tiere, Menschen….) als Entschuldigung, ist alles kein Problem, wenn nur wir selber und unsere Bedürfnisse Grund sind, schrecken wir davor zurück, anderen abzusagen, wenn wir keine Lust zu deren Plänen hätten. Sind wir uns wirklich so wenig Wert, dass jeder andere, jedes Tier wichtiger und gewichtiger wären als Grund? (Nichts gegen Tiere, ich habe einen Hund und ich liebe ihn sehr.)

Wenn ich meinem Gegenüber sage, ich hätte keine Lust mit ihm auszugehen, ist das in unseren Augen eine Affront gegen das Gegenüber. Schiebe ich den Hund vor, kann sich das Gegenüber wohl fühlen, denn es muss die Abfuhr nicht auf sich beziehen. Das ist unsere Sicht. Nur unterstellen wir dem Gegenüber dann, dass es unser Bedürfnis nicht als Wert genug erachten würde, dass es eine Absage rechtfertigt, so dass es diese direkt auf sich selber beziehen müsste.

Mit dieser Sicht setzen wir nicht nur uns selber herab, sondern auch das Gegenüber, indem wir ihm einerseits absprechen, uns beim Wort zu nehmen, sondern andererseits auch sich selber gegenüber so unsicher zu sein, dass eine Abfuhr gleich persönlich genommen würde. Vermutlich tun wir das, weil wir a) selber so gestrickt sind und b) solches schon oft erlebt haben.

Und langsam wird es ziemlich kompliziert, weil so viele unterdrückten und unbewussten Gefühle in einer einfachen Unlustbekundung stecken, dass es wirklich einfacher scheint, einfach einen Hund vorzuschieben.

Es ist verständlich, es ist menschlich, es ist erprobt und für gut befunden – und es funktioniert, ohne auf einer der beiden Seiten schlechte Gefühle zu wecken. Trotzdem wäre es ab und an nicht schlecht, genauer hinzuschauen, wenn man oberflächliche Gründe vorschiebt, was wirklich dahinter steckt. Und was es für einen selber bedeutet, was es über einen selber aussieht. Jeder ist es Wert, ernst genommen zu werden. Jeder ist es Wert, sich selber ernst nehmen zu dürfen. Und jeder ist es Wert, Freunde zu haben, die ein Nein einfach als das respektieren, das es ist: Das Zeigen der eigenen, persönlichen Grenzen.

Das eigene Leben leben

So, es reicht. Ich habe mich immer redlich bemüht, lieb und nett zu sein, es allen recht zu machen. Ich habe Kohlen aus dem Feuer geholt, den Kopf hingehalten, Dinge gerade gerückt, die andere verbockt haben und am Schluss selber eins auf den Deckel gekriegt. Ich stand schon als Kind brav beim Examen, um dem Vater keinen Kritikpunkt zu liefern, wurde dann dafür gescholten, dass ich neben dem stand, der doof tat. Irgendwas ist immer, irgendwas stösst an. Allen macht man es nie recht.

Wieso will man eigentlich auf Gedeih und Verderb gefallen? Irgendwann hat man mal gelernt, dass man nur gut genug ist, wenn man das tut, was von einem erwartet wird. Die Problematik an dem Unterfangen ist nur, dass man

  1. nie genau weiss, was erwartet wird, das unterliegt der eigenen Findungsgabe, es erraten,
  2. nie weiss, wie der andere interpretiert, was man tut, das unterliegt, seiner Wahrnehmung,
  3. alles oft ganz anders kommt, als man sich das ausmalt.

Das Resultat beim Gefallenwollen sind meist Frust, Trauer, Wut – zumindest nichts Gutes und das bei allen betroffenen Seiten. Und trotzdem macht man weiter. Man denkt, dass es irgendwann gelingen muss, man sich nur nicht richtig angestellt, sich nicht genug bemüht hat. Und läuft immer wieder ins selbe Aus.

Wozu eigentlich? Hätte ich damals in der Schule mit dem Nachbarsbub die Sau rausgelassen, hätte ich wenigstens Spass gehabt. So wurde ich für etwas getadelt, wofür ich nichts konnte und hatte noch das ständige Gefühl, was zu verpassen.

Wieso soll ich den netten Mann von nebenan nicht anflirten, wenn er eine Frau hat? Ist er treu, ist es ein Spiel, ist er’s nicht, kriegte ihn sonst die Dritte, die sich traut, was ich aus sogenannt moralischen Rücksichtnahmen unterlasse. Wieso soll ich mein Glas Wein nicht trinken und das zweite noch dazu? Spiesser nennen es ungesund, ich habe Spass. Und wer von uns zuerst die Kurve kratzt, das zu entscheiden liegt eh nicht wirklich in unserer Hand – und auch sonst bei keinem, der uns nicht gerade mutwillig umbringt. Das Leben hat seine ungeschriebenen Gesetze, die menschlichen Versuche, denen auf religiösem, wissenschaftlichem oder esoterischem Wege beizukommen, sind eher der Sinn suchenden Verzweiflung denn dem Glauben an Erfolg gewidmet.

Ich denke an all die Menschen, die frisch fröhlich durchs Leben gehen, sich nehmen, was sie wollen, lügen, betrügen, opportunieren, wenn es ihnen in den Kram passt. Ich denke, was für eine Freude im Leben sie haben müssen, können sie tun und lassen, wie ihnen beliebt, wie es ihnen nützt, ohne Rücksicht auf Verlust. Frei nach dem Motto „Mir gehört die Welt und ich nehme sie mir“. Sollten sie je vom hohen Ross fallen, haben sie den Ritt bis dahin genossen, bleiben sie im Sattel, überspringen sie sämtliche Hürden.

Kürzlich sah ich einen Vortrag eines Neurowissenschaftlers und Psychologen. Er erzählte von einem Experiment, in welchem aufgezeigt wurde, dass kleine Babies zu altruistischem Verhalten neigen (sie neigen nicht nur, sie sitzen voll und ganz drin in dem Altruistentopf), erst das Wahrnehmen der Aussenwelt, die Adaption von Vorbildern dazu führe, egoistische Tendenzen auszubilden, sie sich anzueignen. So gesehen wäre jeder Altruist, der auf puren Egoismus verzichtet, schlicht lernresistent. Er hat es verpasst, sich von der Aussenwelt die überlebensnotwendigen egoistischen Tendenzen abzuschauen, die es später erleichtern, über Leichen zu gehen.

Was also tun? Pflicht oder Kür? Der Wunsch nach der Emanzipation vom Urteil von aussen, die Sehnsucht nach der eigenen Grösse, das zu tun, was gerade beliebt, ist gross. Einfach mal die Sau rauslassen, einfach mal den eigenen Weg gehen, fernab von allen Konventionen, Zwängen, Erwartungen. Im Wissen, immer noch geliebt zu sein, akzeptiert zu sein, wenn man ist, wie man ist und sein will. Einfach mal da stehen und wissen, man ist gut, wie man ist, und wer das nicht sieht, kann gehen. Man selber bleibt. Genau so. Der Wunsch bleibt, er fühlt sich gut an. Und doch hat er Grenzen. Sie sind da, wo andere leiden. Wirklich leiden. Nicht weil ihre überzogenen Erwartungen, die nur eigenem Egoismus entsprangen, verletzt werden, sondern weil man ohne Rücksicht auf wirkliche Verluste in ihre Welt eindrang, diese verletzte.

Also doch bleiben, was man zögerlich ist, der ständige Versuch, zu gefallen? Bei Weitem nicht. Augen auf und hinschauen lautet die Devise. Wer bin ich und wo will ich hin? Wieso soll das jemand anders für mich entscheiden? Es ist mein Leben, ich habe nur das eine. Andere geben Tipps und behaupten, alles besser zu wissen, leben lassen sie es doch mich. Wieso nicht gleich das tun, was ich will, wenn ich es sowieso selber tun muss? Dabei aber nie vergessen, dass jeder Mensch ein Recht auf sein Glück hat und mein Weg nicht zwangsläufig durch das Gebiet des andern gehen muss. Glücklich sein, weil andere leiden kann man nur, wenn man die Augen verschliesst vor dem wirklichen Leben. Ich muss mein Leben nicht nach den Erwartungen anderer richten, kann aber auch nicht erwarten, dass sie mein Leben durch ihr Leid mittragen. Würde jeder so denken, entstände ein Miteinander von selbstbestimmten, das eigene Ich lebenden Menschen.

Friede? Mit sich und den anderen? Alles blosses Hirngespinst und Utopie? Nachtgedanken einer heillosen Idealistin?

Ich und Du

Alles glänzt, die Welt scheint gross.
man schaut hin und fühlt sich klein.
Sieht, was andre lassen, tun,
gerade so, wie’s ihnen passt.
Man denkt sich klein und unscheinbar,
sieht gar alle Felle schwinden,
hadert, zürnt und weint zu oft,
weil das Leben unfair war.

Alle andern haben alles,
nur man selber sitzt und darbt.
Dabei fehlt der Blick auf das,
was hinter der Fassade war,
die man glänzend sah, bestaunt,
denn das Dunkel sitzt bedeckt,
wo es auch bei einem liegt,
wenn man denn nach aussen spricht.

Niemand prahlt mit seinen Schwächen,
alle zeigen nur das Licht.
Sieht man hin, dann sieht man nur,
was andre zeigen wollten.
Horcht man bei sich selber dann,
hört man bloss den ganzen Rest.
Dort das Gute, das, was zählt,
hier das Kleine, viel das fehlt.