«Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.» Roger Willemsen
Immer wieder lese oder höre ich von diesem «Gender-Seich». Kürzlich wurde ich gefragt, was ich denn davon halte, von diesem «Gender-Seich», die Hoffnung, dass ich mit ihm einen Empörungschor bilden würde, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Auch Argumente wie:
«Wir haben wahrlich genügend Krisen, wir sollten uns nicht mit solchen Gender-Idiotien rumschlagen müssen.»
Oder:
«Langsam machen mich diese woken Identitätspolitischen und Gender-Propagierer richtig aggressiv.»
Und ja, aggressiv ist das Klima der Diskussionen. Es geht schon lange nicht mehr um die Sache, wie mir scheint, es geht darum, recht zu haben, weil man die Wahrheit kennt, weil man weiss, wie es richtig läuft, und vor allem bei den Gegnern: Weil man es schon immer so gemacht hat und es doch klar ist, dass dies gut war.
Und es wird argumentiert, dass wenn man N* sage, meine man es niedlich, wenn man die männliche Form verwende, seien natürlich alle mitgemeint, nur ein Idiot kenne das generische Maskulinum nicht[1], wenn man finde, Kopftuch-Frauen gehören nicht in unser Land, verteidig man nur die häuslichen Sitten und Gebräuche.
Die Argumentation, man brauche all diese Diskussionen nicht, sondern sie lenken nur von den wirklichen Problemen wie dem des Klimas ab, ist, wie ich denke, eine typische Vermeidungsargumentation aus einer Position, die es sich leisten kann.
Wir haben viele Probleme aktuell und ich denke, wir können sie nur gemeinsam angehen, da sie sich gegenseitig befruchten und wiederum so wirken. Diskriminierungen auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Gründen sind sicher nicht einfach Kleinigkeiten, wenn man zur Gruppe der Unterdrückten gehört. Die Diskussion über das Gendern könnte man sich sparen, wenn nicht so viele teilweise aggressiv dagegen kämpfen würden (dann wäre auch eine gemässigtere Form als diese teilweise wirklich schwierigen Auswüchse) möglich. Wir könnten uns ebenso Diskussionen über Antisemitismus, Rassismus, Klassismus, soziale Ungerechtigkeiten auf lokaler und globaler Ebene sparen – wenn wir endlich hinsehen würden und gemeinsam für eine Welt kämpfen, die eine gemeinsame wird.
Aber: Wir sind nicht da. Menschen werden unterdrückt, Frauen sind in vielen Bereichen in einer benachteiligten Position und sind zu wenig gehört und gesehen. Migrant*Innen, Schwarze, Juden, Transsexuelle und viele nicht der weissen, westlichen Norm entsprechende Menschen werden diskriminiert und ausgeschlossen. Und solange das so ist, müssen wir darüber reden und dafür kämpfen, dass es ändern. Weil wir es ihnen und uns wert sind, weil es in der Verantwortung derer liegt, die es können, weil sie all die Privilegien haben, die anderen verschlossen sind.
[1] Das erinnert mich an die Frau Ende des 19. Jahrhunderts, welche vor Gericht ging, weil sie nicht zum Studium zugelassen wurde. Ihre Klage, die sich auf das Recht jedes Menschen auf Bildungszugang berief, wurde abgewiesen mit der Begründung, es sei klar, dass damit nur Männer gemeint seien. So viel zum generischen Maskulinum.
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Hallo!
Sind wir uns klar darüber, dass es diese ‚gewaltsame Sichtbarmachung‘ von Minderheiten, diese Probleme erst entstehen liess? Gesellschaftliche Abwehrreaktionen gründen auf den Aktionen von Interessengruppen mit eigener – meist von oben gesteuerten – politischen Agenda. Erzwungene Toleranz für Perversionen ist ebenso zu verurteilen, (z.B. bei den obszönen Darstellungen der ‚Pride Month‘ Bewegung). Es gibt eine Privatsphäre und die Öffentlichkeit, der man Rechnung tragen sollte, sonst sehen unsere Strassen aus wie auf einem Gemälde von Bruegel.
Was kulturelle Minderheiten anbelangt, galt die Regel: „in Rome do as the Romans do“. Wenn diese durch politisch motivierte Globalisten umgekehrt wird, in „in Rome all Romans must do what pleases the Foreigners“, provoziert man – zurecht – Gegenreaktionen. Das allgemeine ‚Plasmaschild‘ gegen den sog. Antisemitismus hilft nur den Zionisten. Das Meiste ist gesteuert.
Beste Gruesse
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Liebe Sandra, natürlich ist der Ingrimm, mit dem diese Debatten geführt werden, sehr bedauerlich. Bedauerlich ist auch, dass die von dir genannten Phänomene (Benachteiligung sozialer Gruppen) tatsächlich existieren. Doch will mir nicht innen Kopf, dass sich letztere ändern, indem ich sie anders bezeichne. Keine Frau wird in ihr Recht gesetzt, wenn ich überall ein -innen anhänge, kein Zigeuner, keine Zigeunerin wird weniger diskriminiert, wenn ich ihn oder sie Roma nenne, und das Verbrechen der Sklaverei wird um nichts geringer, wenn ich zu den Opfern Schwarze oder Farbige sage. Ich wünschte mir reale Veränderungen der Lebens-Bedingungen, nicht Schönfärberei durch Sprachregelungen und Rassismusvorwürfe gegen die, die sich nicht dran halten. Das sind doch alles nur Retouchen. Das Recht der Frauen zu studieren wurde nicht dadurch erkämpft, dass man Studenten und Studentinnen in die Gesetzbücher schrieb.
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Ich gehe mit dir einig, liebe Gerda, auch ich wünsche mir das, was du schreibst. Und ja, die Sprache wird es nicht regeln. Vielleicht hilft sie aber, Bewusstsein zu schaffen? Leider gehen die Forderungen und Regelungen dann oft so weit, dass sie mehr Leute vor den Kopf stossen als Verständnis zu wecken. Ob das hilfreich ist?
Was ich aber auch denke: Wenn ich weiss, Menschen sind verletzt durch eine Bezeichnung, die ich für sie benutze, tut es mir nicht weh, die wegzulassen. Sie schmerzt es aber, wenn ich es nicht tue. Da ich das nicht möchte, werde ich sie wohl eher meiden. Die Frage ist halt, ob man das festsetzen muss als Norm oder ob das auch aus reiner Mitmenschlichkeit geschieht.
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Ja, selbstverständlich vermeide ich Bezeichnungen, die einen anderen Menschen kränken, herabsetzen oder schmerzen. Genauso wie ich erhoffe, nicht beleidigt und diskriminiert zu werden aufgrund meiner Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, sei das nun „Frau“, „Deutsche“, „Alte“, „Ungeimpfte“, „mit Migrationshintergrund“ etc pp. Freundlichkeit und Mitgefühl lässt sich aber nicht verordnen. Wer mich verbal beleidigen möchte, aber es nicht darf, wird nur noch gehässiger, bis hin zu Mord und Totschlag. Damit will ich natürlich nicht der verbalen Hetze das Wort reden. Die muss man schon unterbinden.
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Da sind wir uns einig.
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