Tagesgedanken: Visionen

Kürzlich sagte ich, dass ich hoffe, dass wir nie wieder in eine Situation kommen werden, in welcher soziale Isolation als Lösung für ein Problem gesehen wird, in der man nicht beachtet, dass Menschen, um leben und nicht nur überleben zu können, andere Menschen, Beziehungen, Begegnungen, Berührungen brauchen. Da wurde mir folgende Frage gestellt:

«Woher nimmst du diese Hoffnung?»

Es war zwar als Frage formuliert und doch schoss mir aus jedem Wort der Unglaube entgegen, dass sie berechtigt sein könnte. Hinter der Frage stand offensichtlich die Einschätzung: Wie kann man so naiv sein, so etwas zu hoffen. 

«Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, weil wir es nicht wagen, ist es schwer.»

Es mag oft schwer sein, die Hoffnung zu bewahren, dass es besser wird, wenn die Vergangenheit immer wieder zeigte, dass eher das Gegenteil davon eingetreten ist. Und doch: Was bleibt, wenn wir nicht einmal mehr die Hoffnung haben? Wie sollen wir weiterleben? Nun ist mit Hoffnung nicht eine blinde Illusion, ein blosses Schöndenken und -reden gemeint. Gemeint ist, noch Visionen zu haben von einer Welt, wie wir sie uns wünschen, und daran zu glauben, dass sie möglich sein kann – dass wir vielleicht auch unseren Beitrag dazu leisten können, dass sie möglich wird.

Ernst Bloch schrieb einst, dass eine Vision das Noch-nicht-Seiende sei. Selbst wenn Dinge gross erscheinen, auch wenn sie fast unmöglich erscheinen: Sie sind denkbar und sie sind wünschenswert. Wieso also gleich aufgeben? Wieso die Vision nicht pflegen, hinschauen, was es braucht, sie zu verwirklichen, daran glauben, dass Dinge sich verändern können, dass der Mensch lernfähig ist, die Welt sich zum Besseren hin wandeln kann? Solche Dinge sind durchaus schon passiert. Wieso nicht wieder?

Wie muss eine Welt aussehen, in der wir uns zuhause fühlen? Was brauchen wir, um ganz Mensch zu sein, um ganz wir selbst zu sein? In dieser Welt müssten unsere grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sein. Wir müssten uns in dieser Welt eingebettet fühlen, akzeptiert und angenommen – als die, die wir sind. Wir wünschen uns eine Welt, die einen gesunden und fruchtbaren Boden schafft für unser Menschsein, die einen Raum von Toleranz und gegenseitiger Anerkennung bereitet, in welchem wir uns entfalten können, ohne uns zu verbiegen. 

Und ja, diese Vision einer besseren Welt, diese Hoffnung, dass sie möglich ist, mag naiv klingen, utopisch auch, und doch möchte ich beides haben. Was wäre die Alternative? Für mich undenkbar. Mir ist klar, dass ich die Welt nicht im Ganzen retten oder nur schon verändern werde, aber ich kann versuchen, zumindest mein Umfeld (vielleicht in immer grösseren Kreisen) so zu gestalten, dass es meiner Vision für dieses Leben nahe kommt.

Das Äussern von Visionen ist neben allem anderen ja immer auch ein Ausdruck dessen, was und wer ich bin. Und ich bin schlicht ein Mensch mit Visionen und Hoffnungen. Ich bin ein Mensch mit dem Glauben an das Gute und dem Wunsch, es immer wieder zu sehen. Es gibt ein schönes Lied dazu:

«Ich will ich sein,
anders kann ich nicht sein.»

5 Kommentare zu „Tagesgedanken: Visionen

  1. „Man kann doch den Fortschritt nicht aufhalten!“

    …schimpfte mal jemand lauthals, als er sich über
    die Anfänge der Kernkraft-Gegnerschaft erboste.

    Doch, kann man. Man kann etwas stoppen,
    wenn es sich als falsch und schädlich erweist.

    Wenn ich mal kurz davon absehe, daß auch wir Menschen NATUR sind:
    Eine aggressive Einstellung gegenüber der Natur kann nicht richtig sein.

    🌺

    Sandra: „Selbst wenn Dinge gross erscheinen, auch wenn sie fast unmöglich erscheinen: Sie sind denkbar und sie sind wünschenswert.“

    Nicht unbedingt:

    Es kommt darauf an, um welche „Dinge“ es geht und wem sie in
    welchem Maße nützen und wem sie in welchem Maße schaden.

    Eine indianische Weisheit lautet: „In einem
    Guten Gedanken ist Gutes für alle Menschen.“

    In einem Guten Gedanken ist Gutes für
    alle Menschen und die übrigen Wesen.

    🌺

    Sandra: „Wie muss eine Welt aussehen, in der wir uns zuhause fühlen?“

    Vielleicht benehmen wir uns etwas besser, wenn uns bewußt ist, daß wir auf der
    Erde nicht „zuhause“ sind, sondern nur auf einen kurzen Abstecher zu BESUCH?

    🌺

    Sandra: „…diese Vision einer besseren Welt“

    Eine Frage der Schwingung: Liebe oder Angst?

    An diesen zwei Parametern können wir die
    Qualität unseres Beitrags jederzeit messen:

    Beruht mein Denken und Handeln
    gerade auf Liebe… oder auf Angst?

    So oder so beeinflussen wir die Schwingung
    um uns herum und somit auch die Welt.

    Gute Nacht! 🌙

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  2. Guten Morgen! 🌺

    Hier noch eine Ergänzung:

    Liebe oder Angst?

    Glauben, Zuversicht, Gewißheit, Hoffnung, Vertrauen…

    Auf den ersten Blick scheinen diese Begriffe sehr ähnlich,
    beinahe synonym zu sein. Erst wenn wir etwas genauer
    hinschauen, erkennen wir die bedeutenden Unterschiede:

    Glauben ist ein Kind der Angst,
    Zuversicht… eines der Liebe.

    Gewißheit ist ein Kind der Liebe,
    Hoffnung… eines der Angst.

    Das Vertrauen gründet in der Liebe,
    Verzweiflung und Hadern… in der Angst.

    🌱

    Vom Friedrich Nietzsche ist ein Satz überliefert,
    den ich hier als Beispiel für Gewißheit nehme:

    „Wir können in keinen Abgrund fal-
    len, außer in den der Hände Gottes.“

    Wobei das Nachplappern dieses Zitates
    noch kein Indiz für Gewißheit sein muß.

    Es gibt Äußerungen, die intellektuell
    zitiert, aber nicht verstanden werden:

    „Ich weiß, daß ich nichts weiß.“ (Sokrates)
    „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ (Mk 12,31)
    „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (Kant)

    Dahinter ist der Irrtum versteckt…, wir hätten
    mit dem intellektuellen Verstehen eines Satzes
    auch die entsprechende Erkenntnis gewonnen.

    Dem ist nicht so.

    Weisheit können wir uns nicht anlesen.

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