Lebenskunst: Ja zu mir

Kennst du das auch, dass du in eine Runde kommst und dazu gehören willst? Du wünschst dir, dass sich die anderen mögen und du strengst dich an, möglichst alle Erwartungen (die du nicht wirklich kennst, dir aber vorstellst) zu erfüllen. Ein entspannter Abend wird das wohl nicht, denn du fühlst dich unsicher und auf dem Prüfstand. Und du präsentierst dich als vieles, kaum aber als dich. Wieso denkst du, dich verstellen zu müssen, nicht der sein zu dürfen, der du bist, um angenommen zu werden?

Bei Brené Brown las ich mal den schönen Satz

„Lass los, was du glaubst, sein zu müssen, und umarme, was du bist.“

Das Gefühl, nicht zu genügen, ist wohl eines der Schwierigsten, wenn es darum geht, ein authentisches Leben zu führen. Es ist aber auch eines der Schwierigsten, wenn es darum geht, Beziehungen zu führen. Nimmt man sich nämlich nicht selbst an, wie man ist, ist man zu schnell dazu bereit, ja zu sagen statt nein. Man unterdrückt die eigenen Bedürfnisse und ist danach wütend auf sich – und ein wenig auch auf den anderen. Doch schauen wir genauer hin: Wenn ich meine Bedürfnisse ständig hintenanstelle, mich nicht traue, Wünsche zu äussern, was für eine Beziehung gestalte ich auf diese Weise selbst? Oft verhalten wir uns so, weil wir den anderen nicht verlieren wollen. Wir haben ihn gern, möchten ihn in unserem Leben behalten und versuchen, alles zu vermeiden, was das in Gefahr bringen würde.

Doch: Will ich so wirklich leben? Ist eine solche Beziehung wirklich befriedigend? Vielleicht solltest du das nächste „Ja“ überdenken, wenn es sich nicht gut anfühlt.

Lebenskunst: Grenzen setzen

Sagst du auch oft ja zu etwas, obwohl alles in dir nein schreit? Gibst du auch oft deine Wünsche auf, um die eines anderen zu erfüllen? Wie oft steckst du zurück und wieso? Ich las mal den Spruch:

«Ein Ja zu jemand anderem kann ein Nein zu dir selbst sein.»

Wo wir uns zu sehr verbiegen, in unseren Bedürfnissen übergehen, verneinen wir uns in unserem Sein selbst. Wir nehmen unsere Grenzen nicht wahr und ernst, überfordern und benachteiligen uns. Und oft leiden wir dann. Nicht selten geben wir sogar anderen die Schuld, fühlen uns nicht wahrgenommen, werfen ihm vor, seine Bedürfnisse immer erfüllt zu kriegen. Dabei haben wir das oft selbst so gesteuert. Wieso tun wir das?

Wir sind Bindungswesen. Ohne Bindungen, ohne Beziehungen zu anderen Menschen, ohne das Gefühl, dazuzugehören und dies auch zu spüren, können wir nicht leben. Oft lernen wir schon als kleines Kind, dass wir auf eine Weise sein müssen, um in Ordnung zu sein. Unsere Grenzen werden schon von klein auf übergangen und wir lernen, dass das so läuft im Leben, und übernehmen das in unser Erwachsenenich.

Wenn wir oft genug gelitten haben, kommen wir an einen Punkt, wo wir denken:

«So nicht mehr!»

Was tun? Wichtig ist wohl einmal mehr: Hinschauen. Wo übergehe ich mich, wieso tue ich das? Das gelingt, wenn wir eine konkrete Situation anschauen, wo wir uns selbst wieder nicht ernst genommen haben, und unsere Grenzen überschritten wurden und wie das zuliessen. Was ist in der Situation passiert?

Oft sagte eine innere Stimme «nein». Der Verstand setzte ein und brachte viele vernünftig klingende Argumente, wieso doch. Im Körper regte sich was bei all dem. Meisten ignorieren wir den Körper, weisen die innere Stimme als unvernünftig in die Schranken und folgen unserem Verstand, da wir gerade in unserer westlichen Welt mehrheitlich Kopfmenschen sind, als solche erzogen und be-lehrt wurden. Und genau da liegt auch das Problem: Der Verstand speist sich oft aus äusseren Stimmen, hier werden die Forderungen aus dem Elternhaus, aus Erziehung und Bildung und auch die Erwartungen unserer Gesellschaft laut. Das Ich redet oft wenig mit, zumindest nicht aus sich selbst heraus. Erst wenn wir lernen, auf all unsere Kanäle zu achten: Körper, Intuition und Verstand, werden wir auch lernen, was wir wirklich wollen. Und wir werden lernen, darauf zu hören und es umzusetzen. Weil wir es uns wert sind.

Ignorierst du deine Grenzen oft?

Lebenskunst: Ich bin so frei

Jeder kennt wohl die Situation, dass es in einem brodelt, etwas raus will, man sich aber nicht getraut, es zu sagen. Was, wenn der andere dann enttäuscht, böse, traurig ist? Was, wenn das etwas zwischen uns verändert in einer Weise, die ich nicht will? Und so schweigen wir. Und manchmal hoffen wir dann insgeheim, der andere käme von selbst drauf, was wir wollen. Tut er das nicht, machen wir ihm das fast zum Vorwurf, sogar dann, wenn wir es selbst nicht so genau wissen.

Was ich wirklich will, kann nur ich selbst wissen. Und wenn ich es nicht weiss, weiss es sicher kein anderer.Aber: Ich kann dem auf die Schliche kommen, indem ich in mich hineinhöre: Was will ich wirklich? Oft sind dann verschiedene Stimmen in mir, alle wollen sie etwas anderes. Woher kommen sie? Wer spricht in und durch uns? Welches sind meine wirklichen Bedürfnisse und was ist nur anerzogen, angelernt, Erwartungen geschuldet?

„Das Schlimmste aber, wenn man ein Gefängnis mit unsichtbaren Mauern bewohnt, ist, dass man sich den Schranken nicht bewusst ist, die den Horizont versperren.“ Simone de Beauvoir

Wenn ich selbst nicht weiss, was ich will, oder aber wenn ich mir das, was ich will, versage aus Ängsten heraus, baue ich mir selbst ein Gefängnis, das ich von meinen Ängsten bewachen lasse. ich liefere mich diesen aus und versage mir, so zu leben, wie es mir entsprechen würde.

„Der Frau bleibt kein anderer Ausweg, als an ihrer Befreiung zu arbeiten. Diese Befreiung kann nur eine kollektive sein.“ Simone de Beauvoir

Wirklich authentisch zu sein, meine eigene Natur zu erkennen und zu leben, ist der einzige Weg, der wirklich glücklich macht, weil ich mich nur dann frei und damit auch leicht fühlen kann. Mich selbst hinter Gitterstäben zu halten ist nicht nur eine Unterdrückung von mir selbst, es ist auch eine Absage an erfüllende und bereichernde Beziehungen, da es unmöglich ist, eine gleichberechtigte, freie und zu gegenseitigem Wachstum anregende Beziehung zu leben, wenn ich all das bei mir selbst einschränke oder gar negiere.

Fällt es dir leicht, zu deinen Bedürfnissen zu stehen?

Lebenskunst: Ausbrechen

«Why do you stay in prison
When the door is so wide open?” Rumi

Da ist dieser eine Wunsch, den du gerne erfüllt hättest, das Bedürfnis, das dir ein Anliegen ist, doch du sagst nichts, du schweigst. Du denkst, es steht dir nicht zu, es wäre vermessen, du hättest es nicht verdient. Du denkst, deine Bedürfnisse würden die anderer tangieren und verzichtest von vornherein. Du behältst deine Bedürfnisse für dich und bist traurig, dass sie nicht beachtet werden. Nur: Es weiss keiner davon.

Du arbeitest schon lange in der gleichen Firma, bist zuverlässig, machst deine Sache gut. Eine Lohnerhöhung wäre in deinen Augen längst angebracht, doch: Es passiert nichts. In dir wachsen Wut und Trauer, du fühlst dich nicht wertgeschätzt, nicht richtig wahrgenommen, übergangen. Nur: Es weiss keiner davon.

Du bist in einer Beziehung, die dich nicht glücklich macht. Schon lange ist der Wurm drin, aus Streitereien ist ein stilles Nebeneinander geworden, Verbindungen und Verbindlichkeiten sucht man vergebens. Du würdest gerne gehen, weisst aber nicht wohin und was dich da erwarten könnte. Du leidest still vor dich hin und bleibst doch, wo du bist. Du würdest gerne etwas ändern, denkst, der andere müsste das doch auch spüren und wollen. Nichts passiert, denn: Es weiss keiner davon.

«You must ask for what you really want.» Rumi

Wie oft schweigen wir, wenn es um unsere Bedürfnisse und Anliegen geht? Wie oft harren wir lieber aus, egal, wie leidvoll die Situation ist, statt etwas zu ändern? Wie oft unterdrücken wir unsere Wünsche, um die anderer zu erfüllen? Wie oft stecken wir zurück, damit andere den Vorrang haben? Wie oft gestehen wir uns selbst nicht den Wert zu, uns selbst ernst zu nehmen?

«Jeder Mensch gilt in der Welt nur so viel, als er sich selbst gelten macht.» Adolph Knigge

Wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen, nicht für uns einstehen, unsere Bedürfnisse nicht wahrnehmen und ansprechen, können wir nicht erwarten, dass andere das tun. Erstens wissen sie oft nichts von alldem, zweitens müssen sie davon ausgehen, dass es nicht so wichtig ist, wenn wir nichts sagen, drittens ist es schlicht nicht ihre Baustelle – es wäre unsere. Die Käfigtür wäre offen, doch wir sitzen als Wächter davor, machen uns zu unseren eigenen Gefangenen und treten nicht in die Welt hinaus. Oft geben wir dann den Umständen die Schuld, schimpfen auf Menschen, die uns nicht wahrnehmen, oder hadern mit Situationen, die ungünstig sind. Dabei gibt es nur einen, der wirklich was tun könnte, der es in der Hand hätte: Wir selbst.

Tagesgedanken: Nein sagen lernen

„Wenn du damit beginnst, dich denen aufzuopfern, die du liebst, wirst du damit enden, die zu hassen, denen du dich aufgeopfert hast.“ (George Bernhard Shaw)

Kennst du das, dass es dir schwerfällt, nein zu sagen? Die Schule will einen Kuchen für ein Fest, die Nachbarin Kaffee trinken, der Mann will einen Ausflug machen. Und eigentlich möchtest du nicht, denkst aber, diese Wünsche nicht abschlagen zu können. Du stellst dir die Enttäuschung beim anderen vor, wenn du nein sagst, und erfüllst dann die Wünsche – wenn auch mit innerlichem Grummeln.

Für den Moment scheint das eine gute Strategie, bei der alle (ausser dir) zufrieden sind. Du bist es dann insofern, als du „alles richtig gemacht hast“. Auf den zweiten Blick stellt sich aber heraus, dass aus diesem Verhalten auf Dauer wenig Gutes wächst. Indem du dich immer wieder zu wenig ernst nimmst mit deinen Bedürfnissen, indem du diese immer wieder hintenanstellst und die eines anderen erfüllst, wächst in dir eine Unzufriedenheit heran – über dich und über den anderen. Du fängst an, ihm übel zu nehmen, was du für ihn gegen deine Überzeugung tust.

Die Unfähigkeit, nein zu sagen, kommt daher, dass wir es anderen recht machen wollen. Wir wollen unser Miteinander in Harmonie leben und scheuen davor zurück, anzuecken, Anlass zur Auseinandersetzung zu werden. Wir pflanzen unsere Vorstellung vom Verhalten des anderen in dessen Kopf und glauben dann, dass dieses auch wirklich da ist. Wir stellen uns seine Reaktion auf unser Nein vor, und reagieren dann auf die von uns vorgestellte Reaktion. Wie oft sind wir erstaunt, wenn doch mal ein Nein gelingt, dass die Reaktionen weit weg von der sind, die wir ängstlich voraussagten?

Nein sagen hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit Selbstsorge. Nur, wenn wir gut zu uns selbst schauen, können wir auch eine ebenbürtige Beziehung führen. Nur wenn wir uns den Wert zuschreiben, den wir auch dem anderen geben, leben wir auf Augenhöhe. Oft stecken hinter dem Verhalten, alles richtig zu machen, Ängste: Die Angst, nicht zu genügen, die Angst, nicht geliebt zu werden, die Angst, etwas kaputt zu machen, das uns viel bedeutet. Diese Ängste haben ihren Ursprung meist in der Kindheit, es sind Prägungen unseres Kinder-Ichs, die immer wieder hervorbrechen. Wenn wir uns dessen bewusst werden, können wir uns immer wieder sagen, dass wir nun selbst gross sind, dass es uns zusteht, für uns einzustehen, dass wir auch mal nein sagen dürfen. Für uns selbst und schlussendlich auch fürs Miteinander.  

Tagesgedanken: «Sei mal normal!»

„Es gibt keine Normen. Alle Menschen sind Ausnahmen einer Regel, die es nicht gibt.“ (Fernando Pessoa)

Als Kind sagte mein Vater oft zu mir: «Sei mal normal, sei mal so wie die anderen.» Er fand immer Kinder, die besser waren, die die Dinge besser machten als ich. Und ich stand da und fühlte mich hilflos und traurig. Ich wäre gerne so gewesen, wie er mich haben wollte, doch irgendwie schien ich das nie ganz zu erreichen. So, wie ich war, schien ich auf alle Fälle nie ganz richtig zu sein und schon gar nicht normal. Nur: Wer bestimmt eigentlich, was normal ist? Wer bestimmt, wie Menschen zu sein haben, wer setzt den Massstab und mit welchem Recht?

Was ist genau normal? Vermutlich das, was der, welcher einen anderen als nicht normal bezeichnet, für sich als dieses definiert. Die Frage ist nun, welchen Wert ich dieser Zuschreibung beimesse und wie tief sie bei mir geht. Menschen, die mit einem Selbstvertrauen ausgestattet sind, werden damit weniger Mühe haben als die, welchen dieses fehlt. Leider bildet sich das Selbstvertrauen meist in der Kindheit aus – oder eben nicht. Wenn ich aufwachse mit dem Gefühl, geliebt zu werden, wie ich bin, egal, was ich tue, leiste oder schaffe, werde ich ein Vertrauen in mich und andere Menschen aufbauen können. Fehlt das aber, wird mir immer vermittelt, ich muss was leisten, um geliebt zu werden, ich muss «gut» sein, um der Liebe des anderen würdig zu sein, dann gräbt sich ein Satz tief und tiefer:

«Ich bin nicht genug.»

Und dann wirst du erwachsen und stehst auf eigenen Füssen. Und dein Vater sagt dir vielleicht nicht mehr so oft, dass du dich anders verhalten oder gar anders sein müsstest. Nur: Der Satz hat sich als Glaubenssatz eingebrannt und er wirkt von innen heraus weiter. Wenn du dann auf Situationen stössst, in denen du dich unwohl fühlst, in denen du das Gefühl hast, abgelehnt oder ausgegrenzt zu sein, ist er da und zeigt seine Wirkung. Manchmal als wirklicher Satz, der in dir dreht, manchmal in einer kompensierenden Handlung, die nach aussen (im Innern nicht gefühlt) demonstrieren will, dass du durchaus genug bist, und die dann übers Ziel hinausschiesst.

Kurz bevor mein Vater starb, hatten wir ein schönes Gespräch. Da sagte er mir:

«Du warst schon immer anders als andere, hast schon immer dein Ding gemacht.»

Es klang fast wohlwollend. Wie gut hätte mir das als Kind getan? Wie viel stärker wäre ich aus einer Kindheit gekommen, die mir das Gefühl vermittelt hätte, gut genug zu sein? Zum Glück ist es nie zu spät. Im Wissen um diese inneren Mechanismen kann ich lernen, in Situationen, in denen ich vielleicht überreagiere oder in denen das Gefühl, nicht zu genügen aufkommt, hinzuschauen: Was ist passiert? Was hat die Situation in sich, dass ich so fühle und reagiere? Und ich kann bewusst dagegen steuern. Ich kann mir sagen, dass ich genug bin, dass ich gut bin, wie ich bin. Vielleicht bin ich damit beim anderen Menschen nicht «normal». Es ist an mir, ob ich mich anpassen kann und will oder nicht. Beides hat Konsequenzen, die ich dann tragen muss. Das ist die Krux beim Erwachsensein: Man trägt die Verantwortung für das, was man tut.

Tagesgedanken: Authentisch sein

Kennst du das auch, dass du in eine Runde kommst und dazu gehören willst? Du wünschst dir, dass sich die anderen mögen und du strengst dich an, möglichst alle Erwartungen (die du nicht wirklich kennst, dir aber vorstellst) zu erfüllen. Ja keine Fehler machen, heisst die Devise, nichts Falsches sagen. Das Resultat all dieser Anstrengungen ist, dass du unsicher wirst, dich ständig unter Selbstbeobachtung hast und mit angezogener Handbremse durch den Abend fährt. Natürlich lässt du dir diese Unsicherheit nicht anmerken, du versuchst, sie zu überspielen, indem du möglichst nichts sagst, so dass es nichts Falsches sein kann, oder aber du redest viel zu viel, um ja nicht langweilig zu wirken. Und beides bist eigentlich nicht du – aber wer bist du eigentlich? Und vor allem: Wieso denkst du, dich verstellen zu müssen, nicht der sein zu dürfen, der du bist, um angenommen zu werden?

Bei Brené Brown las ich mal den schönen Satz

„Lass los, was du glaubst sein zu müssen, und umarme, was du bist.“

Oft fällt es bei fremden Menschen leichter, sich selbst zu bleiben, denn es hängt nichts davon ab. Wenn sie mich nicht mögen, gehe ich weiter, sie werden sich nicht mehr daran erinnern und in meinem Leben bleibt auch nichts zurück. Sind es aber Menschen aus meinem Umfeld, wird es schwieriger. Das Bedürfnis, da gefallen und genügen zu wollen, ist grösser, die Unsicherheit damit auch.

Das Gefühl, nicht zu genügen, ist wohl eines der Schwierigsten, wenn es darum geht, ein authentisches Leben zu führen. Es ist aber auch eines der Schwierigsten, wenn es darum geht, Beziehungen zu führen. Nimmt man sich nämlich nicht selbst an, wie man ist, ist man zu schnell dazu bereit, ja zu sagen statt nein. Man unterdrückt die eigenen Bedürfnisse und ist danach wütend auf sich – und ein wenig auch auf den anderen. Doch schauen wir genauer hin: Wenn ich meine Bedürfnisse ständig hintenanstelle, mich nicht traue, Wünsche zu äussern, was für eine Beziehung gestalte ich auf diese Weise selbst? Oft verhalten wir uns so, weil wir den anderen nicht verlieren wollen. Wir haben ihn gern, möchten ihn in unserem Leben behalten und versuchen, alles zu vermeiden, was das in Gefahr bringen würde.

Nur: Will ich auf Dauer eine Beziehung haben, in der mein Sein so wenig zählt, ich selbst keine Stimme habe, in der nur der andere das Sagen und Recht auf die Erfüllung seiner Bedürfnisse hat? Ist es wirklich besser, sich so sehr zurückzunehmen, nur um nicht alleine zu sein, nur um diesen einen anderen Menschen um sich zu haben, obwohl wir tief drin merken, dass uns das nicht gut tut, weil wir uns selbst langsam verlieren in diesem Verhalten? Ist das wirklich Liebe? Es spricht zumindest nicht von grosser Selbstliebe und die ist die Basis für jede andere Liebe. Kann ich selbst mich nicht lieben, wie soll ich Liebe für andere empfinden? In der Bibel heisst es:

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“

Woher kommt diese fehlende Selbstliebe? Woher kommt dieses Denken, ich muss mich verstellen, um gemocht zu werden? Woher kommt die Angst, so, wie ich bin, nicht in Ordnung zu sein? Zwar bin ich kein Freund des ständigen Grabens in der Kindheit, doch bin ich überzeugt, dass wir uns oft aufgrund von Prägungen und Mustern auf eine Weise verhalten. Diese gehen oft weit zurück und haben sich tief in unser Sein eingegraben, so dass wir daraus heraus unbewusst Verhaltensweisen an den Tag legen. Diese Muster und Prägungen offenzulegen, kann helfen, sie langsam aufzulösen und das eigene Verhalten selbst zu steuern, statt und nur steuern zu lassen durch Überreste aus der Kindheit.

Dann trete ich einem Menschen gegenüber als der, der ich bin, und gebe ihm die Chance, mich so kennenzulernen. Ich unterschiebe ihm nicht, dass er von mir erwartet, mich anzupassen, und bringe ihm das Vertrauen entgegen, dass er mich so annimmt, wie ich bin. Nun ist es natürlich so, dass mich nicht jeder Mensch mögen wird, genauso wie auch ich Antipathien hege. Zudem ist es auch nicht sinnvoll, mich jedem gegenüber gleich völlig zu öffnen und alles von mir zu offenbaren, da nicht jeder dieses Vertrauen verdient oder die Gefahr zu gross ist, dass es missbraucht würde. Es ist wichtig, zu unterscheiden, wo ich wieviel von mir preisgebe. Allerdings werde ich wohl den Menschen, demgegenüber ich mich nicht öffnen kann oder will, auch nicht wirklich nah in meinem Leben haben wollen, was oft auf Gegenseitigkeit beruht. Dies ist dann für beide kein Verlust und sicher kein Grund, mich von Grund auf zu verstellen – an die Situation anpassen reicht vollkommen.

Der alte Spruch

„Trau,schau wem?*“

hat durchaus etwas Wahres an sich. Und auch da bin wieder ich das erste Glied in der Kette. Wenn ich in mich und mein Urteil vertraue, kann ich mich einem anderen Menschen öffnen und authentisch sein. Daraus kann eine Verbindung entstehen zwischen uns, weil wir uns wirklich begegnen.

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* Die Redewendung geht übrigens auf einen lateinischen Spruch zurück: „Fide, sed cui, vide.“, was zeigt, dass die menschlichen Probleme und Bedürfnisse im Miteinander sich seit der Antike wohl unswesentlich verändert haben….

Tagesgedanken: Bei sich bleiben

«Oder man sehe sich die Menschen während einer Abendgesellschaft an! Alle kommen sie mit dem festen Willen, sich zu amüsieren, mit derselben Art grimmiger Entschlussfestigkeit, die man zum Zahnarzt mitnimmt.» (Bertrand Russell)

Freitagabend, endlich ist die Arbeitswoche vorbei, die Freizeit bricht an. Nun ist meine Zeit zu geniessen. Ich verabrede mich mit Freunden, gehe an eine Party, zum Essen, in die Disco – so oder so, sicher ist: Nun habe ich Spass. Wann, wenn nicht jetzt? Zudem, wie würde ich angeschaut, wenn ich an einem rauschenden Fest still an einem Tisch sässe? Ebenso in den Ferien: Nun wird ausgespannt, nun wird sich gefreut. So will es das ungeschriebene Gesetz, so benimmt man sich in den Ferien. Was Knigge für das angemessene Verhalten in Bezug auf Etikette und Anstand aufgeschrieben hat, gilt auch für das Verhalten im Alltag: Es gibt klare Regeln, was passt und was nicht.

Es ist nicht verwunderlich, dass diese quasi aufgezwungene Weise von Fröhlichkeit und Feierlaune keine wirklich glücklichen Gefühle weckt. Das Lächeln ist mehr vordergründig, der Wein fliesst fleissig, um es aufrecht erhalten zu können. Und eigentlich wäre man lieber zu Hause. Sässe mit einem Glas Wein auf dem Sofa, läse ein Buch, geniesse die Ruhe. Doch was wäre man für ein Langweiler, würde man dem nachgeben? Was würden die anderen denken? SO kommt es, dass viele Menschen nicht nur bei der Arbeit in einem Hamsterrad gefangen sind, sondern dass dieses auch in der Freizeit weiterläuft. Das Resultat ist eine Gesellschaft, in welcher Menschen sich mehr als unglücklich denn als glücklich bezeichnen. Wie kam es dazu?

«Die Gründe für diese verschiedenen Arten von Unglück liegen teils in unserem Sozialsystem, teils an der seelischen Verfassung des einzelnen, die selbstverständlich wieder ihrerseits im hohen Grade ein Produkt des sozialen Systems ist.» (Bertrand Russell)

Es ist oft einfacher, sich den Regeln und Erwartungen der Gesellschaft zu fügen. Man eckt weniger an, man ist für die anderen einfacher zu verstehen und damit genehmer. Die Frage ist, ob der Preis nicht zu hoch ist. Glück wird man so nicht finden, Menschen, die einen wirklich so mögen, wie man ist, auch nicht, da sie einen gar nie so erleben. Oft erschöpft einen dieses ständige dem Glück Nachrennen nur und die Gefahr besteht, dass wir uns von uns selbst entfremden, weil wir schlussendlich gar nicht mehr spüren, was wir wirklich wollen und brauchen würden, so sehr sind wir damit beschäftigt, den Ansprüchen zu genügen (die mit der Zeit auch zu Gewohnheiten werden).

Vielleicht ist es manchmal besser, nicht nach Glück, sondern nach den eigenen Bedürfnissen zu fragen. Und dabei genau hinzuhören. Vielleicht denkt dann der eine oder andere, man sei langweilig, doch: Und nun? Wen soll das wirklich kümmern? Vielleicht ist der dann auch nicht der passende Mensch im eigenen Leben? Schlussendlich lebt man immer nur mit einem Menschen, mit sich selbst. Wieso es also nicht dem zuerst recht machen? Und vielleicht stellt sich das Glück dann von selbst ein.

Tagesgedanken: Wer will ich sein?

«Wir sind keine Opfer der Umstände oder unserer Gene, wir können in einem gewissen Ausmass frei wählen, wie wir uns verhalten.»[1]

Wie oft hört man von Menschen, dass ihr Leben beschwerlich ist, weil sie eine schwierige Kindheit hatten. Dann wird meist den Eltern die Schuld für die eigenen, aktuellen Probleme zugeschrieben, haben sie doch das Kind, das man mal war, geprägt und auf die Schienen gebracht, auf welchen es heute noch läuft – und das zu dessen eigener Unzufriedenheit, aus welcher die Klagen stammen. Natürlich kann man das so sehen und sich als Opfer empfinden. Nur: Das wird einen nicht nur nicht weiterbringen, es ist auch eine sehr einfache Sicht. Sind wir wirklich allem ausgeliefert, ohne einen eigenen Einfluss darauf? Haben wir tatsächlich keine Möglichkeit, selbst etwas zu bewirken, und sind somit frei jeglicher Verantwortung für unser Sein und Tun?

Studien sagen nein. Der Mensch ist bis ins hohe Alter zu Veränderungen fähig. Gene und Eltern haben nur einen kleinen Anteil an dem, was wir die eigene Identität nennen. Das Umfeld, die Gleichaltrigen im Kindesalter, später Freunde und Bekannte, sind viel prägender. Und: Auch wir selbst haben durchaus viel in der Hand, können wir doch sowohl bei der Wahl unserer Freunde (später wohl noch mehr denn als Kind) sowie durch einen bewussten Blick darauf, was wir wirklich wollen im Leben und ob wir dafür am richtigen Ort sind, durchaus eigene Weichen stellen.

Wenn es im Leben nicht rund läuft, man mit seinem Verhalten immer wieder aneckt, oder man merkt, dass man immer wieder in gleiche Fallen tappt, sagt man sich oft: 

«So bin ich halt.»

Zwar ist man damit fein raus und jeglicher Anstrengung zu Veränderung enthoben, doch ist das nicht eine gar einfache Sicht? Denn: Das mag gut passen, wenn man mit sich und dem eigenen Leben zufrieden ist, doch was, wenn nicht? Wenn man sich eigentlich wünscht, anders zu sein, zumindest in gewissen Situationen? Was, wenn man Träume und Wünsche hat, die sich aber nur erfüllen lassen, wenn man die eigene Komfortzone verlässt? Die gute Nachricht: Es ist möglich. Aber: Es ist sicher nicht einfach und geht selten von heute auf Morgen. Trotzdem gibt es Starthilfen für einen Weg hin zu einer Veränderung:

Hinhören, was man wirklich will. Danach einfach auch mal kleine Dinge anders machen als sonst, um zu sehen, wie sich Veränderungen anfühlen. Sprichwörtlich neue Wege gehen – und sei es nur der zur Arbeit. Eine weitere Möglichkeit ist, so zu tun, als ob. Der Soziologe John Goffman sagt, dass wir alle im Leben unbewusst Theater spielen, indem wir anderen auf eine bestimmte Weise gegenübertreten. Wieso das nicht bewusst tun? Wieso als schüchterner Mensch sich nicht so verhalten, als ob man selbstbewusst und mutig wäre, und einfach mal mit der Frau an der Kasse ein paar Worte wechseln? Und merken, dass es gar nicht so schwierig ist, im Gegenteil, dass es sogar Spass macht. Und plötzlich geht es wie von selbst, das vorher gespielte Verhalten geht in Fleisch und Blut über. All das ist ein Weg, ein Prozess des beständigen Hinschauens, Erkennens und Übens. So sagte schon Buddha:

„Durch Übung wächst das Wissen an, doch ohne Übung schwindet es dahin.“

Manchmal ist man aber auch mit sich selbst zufrieden, fühlt sich wohl in seiner Haut und möchte bleiben, wie man ist – nur: Andere stossen sich daran, weil man anders ist als sie. Was dann? Schmerzen mag die Ablehnung doch, aber es bleibt in dem Fall nur ein gelassenes «so what». Eine wahre Wunderwaffe für den inneren Frieden, wie ich finde. 


[1] Zitat aus Christina Berndt: Individuation. Wie wir werden, wer wir sein wollen. Der Weg zu einem erfüllten Ich, DTV Verlag, 2020.

Tagesgedanken: Visionen

Kürzlich sagte ich, dass ich hoffe, dass wir nie wieder in eine Situation kommen werden, in welcher soziale Isolation als Lösung für ein Problem gesehen wird, in der man nicht beachtet, dass Menschen, um leben und nicht nur überleben zu können, andere Menschen, Beziehungen, Begegnungen, Berührungen brauchen. Da wurde mir folgende Frage gestellt:

«Woher nimmst du diese Hoffnung?»

Es war zwar als Frage formuliert und doch schoss mir aus jedem Wort der Unglaube entgegen, dass sie berechtigt sein könnte. Hinter der Frage stand offensichtlich die Einschätzung: Wie kann man so naiv sein, so etwas zu hoffen. 

«Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, weil wir es nicht wagen, ist es schwer.»

Es mag oft schwer sein, die Hoffnung zu bewahren, dass es besser wird, wenn die Vergangenheit immer wieder zeigte, dass eher das Gegenteil davon eingetreten ist. Und doch: Was bleibt, wenn wir nicht einmal mehr die Hoffnung haben? Wie sollen wir weiterleben? Nun ist mit Hoffnung nicht eine blinde Illusion, ein blosses Schöndenken und -reden gemeint. Gemeint ist, noch Visionen zu haben von einer Welt, wie wir sie uns wünschen, und daran zu glauben, dass sie möglich sein kann – dass wir vielleicht auch unseren Beitrag dazu leisten können, dass sie möglich wird.

Ernst Bloch schrieb einst, dass eine Vision das Noch-nicht-Seiende sei. Selbst wenn Dinge gross erscheinen, auch wenn sie fast unmöglich erscheinen: Sie sind denkbar und sie sind wünschenswert. Wieso also gleich aufgeben? Wieso die Vision nicht pflegen, hinschauen, was es braucht, sie zu verwirklichen, daran glauben, dass Dinge sich verändern können, dass der Mensch lernfähig ist, die Welt sich zum Besseren hin wandeln kann? Solche Dinge sind durchaus schon passiert. Wieso nicht wieder?

Wie muss eine Welt aussehen, in der wir uns zuhause fühlen? Was brauchen wir, um ganz Mensch zu sein, um ganz wir selbst zu sein? In dieser Welt müssten unsere grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sein. Wir müssten uns in dieser Welt eingebettet fühlen, akzeptiert und angenommen – als die, die wir sind. Wir wünschen uns eine Welt, die einen gesunden und fruchtbaren Boden schafft für unser Menschsein, die einen Raum von Toleranz und gegenseitiger Anerkennung bereitet, in welchem wir uns entfalten können, ohne uns zu verbiegen. 

Und ja, diese Vision einer besseren Welt, diese Hoffnung, dass sie möglich ist, mag naiv klingen, utopisch auch, und doch möchte ich beides haben. Was wäre die Alternative? Für mich undenkbar. Mir ist klar, dass ich die Welt nicht im Ganzen retten oder nur schon verändern werde, aber ich kann versuchen, zumindest mein Umfeld (vielleicht in immer grösseren Kreisen) so zu gestalten, dass es meiner Vision für dieses Leben nahe kommt.

Das Äussern von Visionen ist neben allem anderen ja immer auch ein Ausdruck dessen, was und wer ich bin. Und ich bin schlicht ein Mensch mit Visionen und Hoffnungen. Ich bin ein Mensch mit dem Glauben an das Gute und dem Wunsch, es immer wieder zu sehen. Es gibt ein schönes Lied dazu:

«Ich will ich sein,
anders kann ich nicht sein.»

5 Inspirationen – Woche 16

Schon wieder ist eine Woche um, zwar verändert sich in meinem Leben ja selten viel, da ich darum bemüht bin, es möglichst gleichförmig zu halten – und aktuell ist auch wenig drüber hinaus möglich. Das Highlight der Woche war sicher, dass meine Mutter in meine Nähe zog. Wir waren über Jahrzehnte lokal weit gestreut, der Kontakt war eher wenig. Ich freue mich auf hoffentlich noch ganz viele wunderbare gemeinsame Zeiten. Ansonsten bin ich dankbar für alles, was gut ist, stosse ab und zu an eigene Grenzen, nehme sie wahr, hadere weiter und versöhne mich. Leben halt.  

Was ist mir diese Woche begegnet, hat mich diese Woche inspiriert?

  • Diese Woche wurde mir etwas bewusst, das ich zwar schon wusste, das ich mir aber wohl immer wieder neu vor Augen führen muss: Ich bin in meiner Art des Seins wohl eher eigen. Ich bin ein Mensch, der viel Zeit für sich, für seine Projekte braucht, ein Mensch, der schnell an Grenzen stösst, wenn zu viele Menschen etwas wollen oder schlicht da sind, wenn zu viele Termine in der Agenda stehen. Für andere Menschen mag das anders sein, doch hilft mir das nichts. Ich bin, wie ich bin. Es tat mir gut, in einem Podcast eine Schriftstellerin sagen zu hören:

„Mir ging es in dieser Coronazeit sehr gut, endlich hatte ich Ruhe, endlich wollte keiner mehr was von mir, endlich musste ich das Haus nicht mehr verlassen.“

Und auch sie hat sich diese Pandemie nicht gewünscht, auch sie hatte grosses Mitgefühl für all diejenigen, die auf ganz verschiedenen Ebenen leiden darunter. Aber sie empfand für sich selber so. Und das tue ich auch. Ich nenne diese Erkenntnis „Mut, ich selber zu sein und dazu zu stehen“.

  •  Ich hörte den Podcast „Hotel Matze“, dieses Mal mit dem Philosophen Markus Gabriel zur Frage, wie Philosophen über die Zeit nachdenken. Es ging darin um Themen wie die Schere zwischen Arm und Reich und was man dagegen tun könnte, um das Aufräumen mit Feindbildern durch eine klarere Sicht auf sich selber, um das Lernen und den Umgang mit Fehlern – und vieles mehr. Ein schönes Zitat aus dem Podcast:


Moralischer Fortschritt geschieht dann, wenn wir neue Erkenntnisse darüber gewinnen, was wir tun und was wir lassen sollten.“

Und noch ein Podcast hat mich diese Woche inspiriert und bewegt, da er ein Thema behandelt, das mir auch am Herzen liegt: Der Bücher-Podcast der FAZ zum Buch «Lesen macht stark». (Die Rezension zum Buch wird noch folgen). Darin wurde das Thema «Leseförderung» angesprochen, ein Feld, in dem ich mich auch noch mehr engagieren möchte. Wenn man weiss, dass (in Deutschland – in der Schweiz sind die Zahlen wohl ähnlich und sie stammen von vor Corona… eventuell gab es da noch eine Verschiebung) 18% der Kinder in der 4. Klasse nicht sinnentnehmend lesen können (sie kennen zwar die Buchstaben, verstehen aber den Sinn dessen, was sie lesen nicht), dass es in der 1. Sekundarstufe schon 21% sind und insgesamt 1/3 der nichtgymnasialen Abgänger ebenso strukturelle Analphabeten sind, dann zeigt sich da ein Handlungsbedarf. Dabei denke ich nicht an Lesezwang oder ähnliche Unsinnigkeiten, sondern daran, Kindern Freude am Lesen zu vermitteln durch das Einbinden von Lesen in gemeinsame Erlebnisse. Und so einiges mehr. (Mehr würde diesen Rahmen sprengen, aber auch darüber werde ich noch genauer schreiben).

  • Prokrastination ist etwas, das ich fast in Perfektion beherrsche. Ich setze mich am Morgen – eigentlich guten Mutes – an meinen Schreibtisch und verzettle mich dann völlig. Lese meine Mails, statt mit meiner Arbeit zu beginnen, bleibe bei einem hängen, dieses führt zum nächsten, und so finde ich mich schon bald dabei kreuz und quer durchs Netz zu lesen, durchaus spannende und interessante Artikel, aber halt nicht das, was ich mir vorgenommen habe. Ab und an geschieht das unbewusst, ab und an schiebe ich wirklich bewusst auf, weil ich irgendwie eine Ladehemmung habe. Die Frustration über das Liegengebliebene ist verständlicherweise gross, zumal es eigentlich Herzensprojekte sind, die ich aufschiebe. Diese Woche war ich wieder einmal dabei und sagte dann „stopp“. Und ich „zwang mich, alles auszuschalten und mich an meine Arbeit zu setzen. Und siehe da. Sobald ich angefangen hatte, lief es wie von selber, es machte Spass, ich kam voran und war danach richtig erfüllt. Ab und an muss man seinen eigenen inneren Schweinehund in die Schranken weisen – das ist im Moment schwierig, danach aber so bereichernd.
  • Kürzlich machte ich mir Sorgen um einen lieben Menschen. Da ich mir das nicht anmerken lassen wollte, überspielte ich diese Sorge mit gut gemeinten (kennt ihr den Ausspruch *gut gemeint ist der kleine Bruder von scheisse gemacht“ oder habe ich den erfunden? Ist zumindest meine Überzeugung) Sprüchen, die Fürsorge zeigen sollten, aber wohl davon ziemlich weit entfernt waren. Nicht, weil ich diese nicht haben wollte, im Gegenteil, aber ich wollte dem Betroffenen nicht mit meiner besorgten Haltung zur Last fallen. Und ich habe wohl genau damit alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Weil: Ich war nicht mehr verständlich. Zumindest nicht für einen Menschen, der hinsieht, mich kennt, „mit dem Herzen sieht“. Ich wäre es wohl auch für den Rest nicht gewesen, was bleibt: Sich verstellen bringt wenig – und wenn, dann nur bei Menschen, die eigentlich nicht zählen sollten, da sie so weit weg sind, dass weder sie mich noch ich sie betreffe. So wirklich.

Ich hoffe, es war was für euch dabei, das euch angesprochen hat. Wenn ihr etwas habt, das euch diese Woche angesprochen, bewegt, inspiriert hat – ich würde mich freuen, wenn ihr davon berichten würdet. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende und einen guten Start in die neue Woche!

Gewahrsein – Das beste Ich

Was ich für mein Leben möchte?

Gewahrsein. 

Was das ist? Es soll davon handeln, was in mir und um mich ist Wie will ich sein, wie will ich leben? Lebe ich so? Und das möchte ich mich fragen. Jeden Tag neu. Und entsprechend handeln. Für mich. Nicht nach äusseren Regeln, nicht nach Maximen oder Grundsätzen. Ich bin mein eigenes Licht, das mir den Weg leuchtet, ich bin mein Massstab. Aber ja, ich möchte keinem weh tun, ich möchte zu einem guten Miteinander beitragen. Und genau das denke ich zu tun, wenn ich genau so lebe: Wie bin ich das beste Ich, das ich sein kann?

Das heisst nicht, dass ich nie mehr Fehler mache, im Gegenteil, ich werde wohl noch viele machen. Aber: Ich lerne, damit umzugehen und damit auch besser, gelassener, wohl auch angemessener auf einen zu reagieren.

Das heisst nicht, immer zu wissen, was zu tun ist. Aber: Ich kenne meine Stärken und meine Schwächen – und lasse bei den Schwächen auch Hilfe zu.

Das heisst nicht, alles zu können und von allen gemocht zu werden. Aber: Ich lerne, damit umzugehen, wenn es mal nicht so ist. Im Glauben daran, dass ich so sein darf, wie ich bin.

Nur, wenn ich mir dieses Ich-Sein gestatte, wenn ich lerne, damit umzugehen, dass es auch Fehler, Schwächen hat und Ablehnung hervorruft (und rufen darf), schaffe ich es, wirklich authentisch zu sein. So ich. Und wie anders sollte das beste Ich sein, das ich sein könnte? Alles andere wäre jemand anders. Und davon hat es genug. Andere.

Ich-Sein

„Oft kämpft man mit dem am meisten, was einem am nächsten ist.“

„Sei mal so wie alle andern. Sei einfach mal normal.“ Das sagte mir mein Vater als Kind oft. Später kam dann, dass ich nicht einfach sei und mir bewusst sein müsse, dass mich so nie jemand mögen würde. Auf Dauer. Und ja, er meinte es nur gut, ich weiss, er liebte mich, er wollte, dass ich ein leichtes Leben habe. Und er hat es damit so schwer gemacht. Nicht, dass er schuld wäre daran. Ein anderes Kind hätte Paroli geboten, wäre in den Widerstand gegangen, hätte aufbegehrt. Ich wollte genügen. Ich wollte in die von ihm bereitete Schachtel passen, in die man passen muss, um geliebt zu werden – wenigstens von ihm. Um einmal gut genug zu sein.

Ich habe mir im Leben immer wieder Ziele gesetzt. Und immer gedacht: Wenn ich DAS erreiche, dann bin ich gut genug. Das erste war die Matur. Ich hasste die Schule, aber ich wollte sie machen. Erstens, weil ich dann gut wäre. Zweitens, weil ich nichts lieber wollte, als zu studieren. Als ich die Matur bestanden hatte, merkte ich: Hinter der Tür ist alles noch wie vor derselben. Die Matur hatte ich im Sack, ich fühlte mich aber nicht besser. Aber das nächste Ziel stand schon da: Studienabschluss. Ich hätte gerne Kunst oder Innenarchitektur studiert. Das Veto kam sofort. Ich fing mit Jura an. Nach der Zwischenprüfung war mein Mass an stillem Zuhören erreicht. Ich ertrug es nicht und wollte mitreden, kreativer denken dürfen. Literatur und Philosophie waren die Rettungsanker, ein wirklich wunderbares Studium mit ganz vielen grossartigen Professoren, für die ich noch heute dankbar bin ( zu nennen wären u.a. Peter von Matt, Georg Kohler, Thomas Fries – sie haben meinen Lebensweg alle massgeblich geprägt).

Und ich dachte: Wenn ich ein Studium schaffe, dann bin ich gut genug. Mein Vater fand eigentlich, dass ich gar nicht studieren sollte, da ich sowieso irgendwann mal Familie haben würde. Als ich neben dem Studium auch Jobs für meinen Lebensunterhalt hatte, die mehr einbrachten, als es ein Studium wohl je bringen würde, verstand er mich gar nicht mehr, nur: Für mich waren diese Stellen nur Mittel zum Zweck und immer auch eher Qual, da mir diese Art Arbeit nicht entsprach. Aber ich nahm sie auf mich, um mein Ziel zu erreichen. Und ja, ich erreichte es Ich erreichte es sogar mit Kleinkind als Alleinerziehende. Damals fiel ein paar Männern nichts Besseres ein, als zu spotten, ich hätte sicher einen kurzen Rock angehabt beim Abschluss – sicher unglaublich witzig gemeint, aber trotzdem auch verletzend. Und: Auch hinter der Tür war nichts besser oder anders als vorher. Meine Zweifel an mir bestanden nach wie vorher. Aber: Es gab ein neues Ziel: Doktorat.

Ich bewarb mich um ein Stipendium, um diesen Traum zu erfüllen – wie sonst hätte ich das mit Kleinkind machen sollen? Ich hatte mich vorher für einige Assistenzstellen beworben, kriegte aber explizit die Antwort: Als Alleinerziehende mit Kind würde ich das sowieso nicht schaffen. Wäre ich ein Mann oder ohne Kind, hätte ich die Stelle gehabt mit meinem Abschluss. Ich kriegte das Stipendium, es war für ein Jahr begrenzt. Das reichte natürlich nicht für eine ganze Dissertation, so dass ich ein Neues anvisierte, beim Schweizer Nationalfonds. Auch das habe ich gekriegt. Die nächste Hürde stand schon an: Der Professor, unter dem mein Antrag gelaufen war, fand: Als Alleinerziehende schaffst du das eh nicht. Ich wäre vor Gericht gezogen, doch dann lenkte er ein mit der Äusserung: Wärst du ein Mann, würde ich dich in Ruhe arbeiten lassen, aber so??? Will ich Beweise… es waren eher Schikanen und ein drohendes Damoklesschwert, dass das Geld weg sei, sobald ich nicht genügend liefere einen Monat. Ich kürze ab, ich erreichte auch den Doktortitel, es kamen ein paar Hürden dazu, aber nun denn. Nur: Auch danach war alles beim Alten: Ich fühlte mich noch immer nicht zureichend.

Ich absolvierte noch einige weitere Ausbildungen, gründete Unternehmen… Das innere Bild blieb. Und die Stimme:

„Sei doch mal wie alle anderen. So bist du nicht genug.“

Und ich dachte immer, die anderen fänden das sicher auch. Und wollte mich beweisen. Egal, was ich tat oder erreichte, immer wieder kamen neue Wogen des Selbstzweifels. Zwischendurch auch wieder Hoch-Zeiten, in denen ich glücklich und dankbar war für meinen kreativen Weg, sah, was ich erreicht hatte. Doch sie wurden schnell wieder abgelöst durch das Grundgefühl des Nicht-Genügens.

Ich bin nun in der zweiten Hälfte meines Lebens. Ich war nie ein Freund von Feminismus und Emanzipation und möchte auch fortan keinen Kampf gegen Männer führen, denn ich mag Männer. Und doch möchte ich endlich das Thema angehen, das mich doch so lange begleitet hat… und ich kann nur das aus eigenem Herzen tun: Was bedeutet Frau-Sein? Was würde ich mir wünschen im Leben als Frau? Für mich selber, in der Gesellschaft.

Ich wünsche mir Männer, die das ebenso für ihr Geschlecht tun. Damit wir endlich mal in ein Miteinander starten können, in welchen keine vorgefertigten Muster das Rollenspiel definieren, sondern Menschen auf Menschen treffen und sich gegenseitig annehmen in ihrem So-Sein.

Ich-Sein, Frau-Sein, der Umgang mit Mustern, Rollen und Zwängen wird für mich ein Hauptthema werden – in Bild und Text. Weil: Es ist mein Thema. Von klein an. Und es prägt noch heute.

Es ist (auch) MEIN Leben

„Ich muss nicht alles können. Ich muss nicht jedem gefallen. Ich muss nicht alles wissen. Ich muss nicht jeden mögen.“

Das schrieb ich mal auf Twitter. Aus einer Erkenntnis heraus, sicher vermischt aus einem Frust, weil ich das so nicht gelebt hatte, aber als eigentlich wünschenswerte Lebenshaltung erkannte. Ich kann es nicht allen recht machen. Der Versuch, dies zu wollen, ist per se zum Scheitern verurteilt. Und doch: Ich hatte den Spruch, ich fand ihn gut – gelebt habe ich ihn nicht.

Ich habe Mühe, wenn ich was nicht gut (genug) kann. Ich habe Mühe, wenn ich merke, man mag mich nicht. Ich habe Mühe, wenn ich Wissensdefizite bemerke, ich fühle mich dumm – und ja, es gibt sehr viele. Ich mag Menschen eigentlich. Mag ich wen nicht, versuche ich, was Liebenswertes zu finden, da ich denke, dass dies jeder hat. Umso mehr Mühe habe ich natürlich, wenn ich denke, jemand mag mich nicht. Kann es aber verstehen. Ich finde mich selber ja auch nicht sooo toll. Aus Gründen. Sie stehen oben. Ich kann nicht alles, weiss nicht alles, habe ab und an Bedürfnisse, die andere nicht kennen, habe Eigenarten…

Und oft denke ich dann: Damit man das alles mag, muss ich mich ja anstrengen. Es recht machen. Entgegen kommen. Akzeptieren. Und oft spüre ich auch die Erwartung: He, ich will das so, das musst du akzeptieren. Was das dann mit mir macht? Das scheint kein Thema. Und das ist nicht gut.

Ja. Ein anderer kann etwas wollen. Auch entgegen meiner Bedürfnisse. Aber: Es macht was mit mir und das bringt wiederum etwas mit sich. Vielleicht auch Konsequenzen für den anderen. Nicht als Strafe für sein Wollen, sondern als Reaktion, damit ich es tragen kann. Wie oft hört man dann aber: He, nun hab dich nicht so. Es kann doch alles genau so bleiben, wie es war (für den anderen), ich mach doch nur dies und jenes – und du bist wie immer. Eine verständlich bequeme Sicht – aber sehr einseitig.

Beziehungen bestehen immer aus zwei Menschen. Jeder bringt sich rein. Jeder lebt sich aus. Und ja, jeder muss sich vielleicht auch mal einschränken. Für ein Wir. Und bei allem bleibt: Jeder trägt die Konsequenzen, für das, was passiert. Er kann sich also vorher ausrechnen, welchen Preis er für sein Ausleben zahlen will und was zu hoch ist.

Mit der Entscheidung müssen dann immer beide leben. Wenn aber nur einer lebt, wie er lustig ist, der andere sich anpasst, lebt nur einer. Der andere hat sich schon längst aufgegeben. Und DAS ist immer ein viel zu hoher Preis. Für alles. Die Entscheidung für ein Leben zu zweit sollte nie eine Entscheidung gegen das eigene Sein sein. Aber es wird wohl eine sein müssen, die den anderen miteinbezieht in die eigenen Entscheidungen. Ist man dazu nicht bereit, sieht man alles, was eingeschränkt ist, als Beeinträchtigung des freien Seins und die Bedürfnisse des anderen und die daraus resultierenden Konsequenzen als Gefängnis, ist vielleicht eine Beziehung nicht das richtige Lebensgefäss. Denn: Jeder andere Mensch bringt sich und seine eigenen Gefühle, Sichtweisen und Wahrnehmungen mit. Die sind nie richtiger oder besser – aber auch nicht das Gegenteil davon. Sie sind aber mit Garantie anders. Es gibt nur zwei Möglichkeiten hier: Man findet einen gemeinsamen Weg oder man sucht sich wieder den eigenen. Denn: Auf Dauer macht man keinen Spagat.

Und so bleibt am Schuss doch:

„Ich muss nicht alles können. Ich muss nicht jedem gefallen. Ich muss nicht alles wissen. Ich muss nicht jeden mögen.“

Umgekehrt aber auch nicht. Und damit muss ich auch leben können. Mit allem, was ich bin und tue. Alles bringt Konsequenzen. Will ich sie tragen? Kann ich es? Wenn nicht: Was ist die Alternative? Kann ich die tragen? Besser als die anderen? Schlussendlich ist alles ein Entscheid. Sogar ein wenigstens teilweise freier. Nicht frei im Sinne davon, dass ich alle Parameter von aussen steuern kann, aber frei darin, dass ich entscheiden kann, was ich an Konsequenzen tragen will und kann für meine Entscheidungen. Und ab und an schmerzen sie alle. Nur: Selbstaufgabe schmerzt lange, denn man tötet sich damit eigentlich selber permanent bei lebendigem Leib. Das würde man keinem anderen wünschen. Wieso tun wir es so oft mit uns selber?