Lebenskunst: Ich sein – weil ich es darf!

Als Kind der (vor-?)letzten Generation bin ich mit Aufforderungen aufgewachsen, bloss nicht zu laut zu sein, bloss nicht aufzufallen, mich auch ja schön artig zu benehmen. Am besten war es, wenn man mich nicht wahrnahm, ich quasi als braver Mitläufer in dieser Welt existierte, der seine Leistungen gut und richtig (nach äusserem Massstab) erfüllte und wenn eine Wirkung, dann eine positive hervorrief. Unter allem lag die latente Botschaft: Sei nicht so (wie du bist). und bei Nicht-Gelingen sofort: „Du bist nicht gut genug.“

Leider nehmen wir solche Prägungen oft ins Erwachsenenleben, die Sätze setzen sich fest, sie werden Glaubenssätze, an denen wir unser Denken, Fühlen und Handeln ausrichten. Der Satz „Das kann ich nicht.“, die eigene Verurteilung „Ich bin nicht gut genug.“ und das harte Gericht mit uns selbst, wenn etwas misslingt, sind Zeugen davon. Sich davon loszusagen, erfordert Mut. Ja, man könnte anecken, ja, es könnte nicht jedem gefallen. Nur: „So what?“ Gefällt es dir, es nicht zu tun?

Es ist (auch) deine Welt, es ist (nur) dein Leben!

Tagesgedanken: Visionen

Kürzlich sagte ich, dass ich hoffe, dass wir nie wieder in eine Situation kommen werden, in welcher soziale Isolation als Lösung für ein Problem gesehen wird, in der man nicht beachtet, dass Menschen, um leben und nicht nur überleben zu können, andere Menschen, Beziehungen, Begegnungen, Berührungen brauchen. Da wurde mir folgende Frage gestellt:

«Woher nimmst du diese Hoffnung?»

Es war zwar als Frage formuliert und doch schoss mir aus jedem Wort der Unglaube entgegen, dass sie berechtigt sein könnte. Hinter der Frage stand offensichtlich die Einschätzung: Wie kann man so naiv sein, so etwas zu hoffen. 

«Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, weil wir es nicht wagen, ist es schwer.»

Es mag oft schwer sein, die Hoffnung zu bewahren, dass es besser wird, wenn die Vergangenheit immer wieder zeigte, dass eher das Gegenteil davon eingetreten ist. Und doch: Was bleibt, wenn wir nicht einmal mehr die Hoffnung haben? Wie sollen wir weiterleben? Nun ist mit Hoffnung nicht eine blinde Illusion, ein blosses Schöndenken und -reden gemeint. Gemeint ist, noch Visionen zu haben von einer Welt, wie wir sie uns wünschen, und daran zu glauben, dass sie möglich sein kann – dass wir vielleicht auch unseren Beitrag dazu leisten können, dass sie möglich wird.

Ernst Bloch schrieb einst, dass eine Vision das Noch-nicht-Seiende sei. Selbst wenn Dinge gross erscheinen, auch wenn sie fast unmöglich erscheinen: Sie sind denkbar und sie sind wünschenswert. Wieso also gleich aufgeben? Wieso die Vision nicht pflegen, hinschauen, was es braucht, sie zu verwirklichen, daran glauben, dass Dinge sich verändern können, dass der Mensch lernfähig ist, die Welt sich zum Besseren hin wandeln kann? Solche Dinge sind durchaus schon passiert. Wieso nicht wieder?

Wie muss eine Welt aussehen, in der wir uns zuhause fühlen? Was brauchen wir, um ganz Mensch zu sein, um ganz wir selbst zu sein? In dieser Welt müssten unsere grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sein. Wir müssten uns in dieser Welt eingebettet fühlen, akzeptiert und angenommen – als die, die wir sind. Wir wünschen uns eine Welt, die einen gesunden und fruchtbaren Boden schafft für unser Menschsein, die einen Raum von Toleranz und gegenseitiger Anerkennung bereitet, in welchem wir uns entfalten können, ohne uns zu verbiegen. 

Und ja, diese Vision einer besseren Welt, diese Hoffnung, dass sie möglich ist, mag naiv klingen, utopisch auch, und doch möchte ich beides haben. Was wäre die Alternative? Für mich undenkbar. Mir ist klar, dass ich die Welt nicht im Ganzen retten oder nur schon verändern werde, aber ich kann versuchen, zumindest mein Umfeld (vielleicht in immer grösseren Kreisen) so zu gestalten, dass es meiner Vision für dieses Leben nahe kommt.

Das Äussern von Visionen ist neben allem anderen ja immer auch ein Ausdruck dessen, was und wer ich bin. Und ich bin schlicht ein Mensch mit Visionen und Hoffnungen. Ich bin ein Mensch mit dem Glauben an das Gute und dem Wunsch, es immer wieder zu sehen. Es gibt ein schönes Lied dazu:

«Ich will ich sein,
anders kann ich nicht sein.»