Was ist Heimat? Manchmal denke ich, Heimat erkennt man erst wirklich, wenn man keine (mehr) hat, erst aus der Ferne denkt man zurück an diesen Ort – oder sind es Menschen? Oder die Wohnung, das Haus? Ein Land? Während manche freiwillig losziehen, um die Welt zu erkunden, ihr Fernsein von der Heimat freiwillig und begrenzt ist, gibt es andere, die nicht anders können: Diese Menschen werden vertrieben, sie werden gezwungen, die Heimat zu verlassen, um in der Fremde das weitere Dasein zu bestreiten.
Manche von ihnen haben Glück und sie landen an einem Ort, wo sie sich heimisch fühlen. Hannah Arendt ging es mit Amerika so, sie und Heinrich Blücher fanden sich schnell zurecht in diesem Land, sie integrierten sich und bauten ein neues Umfeld auf. Und doch sagte Hannah Arendt noch 1964 (gut dreissig Jahre nachdem sie Deutschland verlassen hatte):
»Genaugenommen war und bin ich, wohin ich auch kam, immer das Mädchen aus der Fremde gewesen, von dem ein Gedicht Schillers spricht – in Deutschland nur ein bißchen weniger fremd als in Amerika. Und hier wie da, am wenigsten noch im geliebten Italien, hat mich die Angst begleitet, ich könnte zuletzt mir selber verlorengehen«
Andere traf das Schicksal härter: Auch Mascha Kaleko war eine Heimatlose. Schon als Kind einige Male umgezogen, floh sie vor den Nazis nach Amerika, doch heimisch fühlte sie sich nie. Immerhin hatte sie ihren geliebten Mann, der ihr das gemeinsame Leben lang das Zuhause war:
«Zur Heimat erkor ich mir die Liebe…»
Der Verlust dieser Heimat ereilte sie mit seinem Tod.
Manche haben nicht mal diese Heimat: Else Lasker-Schüler suchte die Liebe ihr Leben lang vergeblich. Sie war als Vertriebene der Nazis weder an einem Ort noch bei einem Menschen zuhause. Selbst die imaginierte Herzensheimat Jerusalem stellte sich am Ende als Illusion heraus, so dass sie tief im Herzen halt- und heimatlos blieb:
«Meine Sehnsucht will nicht enden.»
War Ingeborg Bachmann glücklicher? Sie musste nie fliehen und scheint doch nie da gewesen zu sein, wo sie sich zuhause fühlte. Eine Suchende im Leben, im Schreiben, im Lieben, ohne je wirklich dauerhaft zu finden – vielleicht nicht einmal sich selbst ganz – und dann versiegten auch die poetischen Worte:
«Meine Gedichte sind mir abhanden gekommen.
Ich suche sie in allen Zimmerwinkeln.»
Was ist also Heimat? Wohl ein Gefühl ganz tief drin: Da gehöre ich hin. Vielleicht muss man sich das manchmal auch selbst erschaffen, wenn es nicht einfach gegeben ist? So oder so: Glücklich der, welcher es erleben darf.
Das Gedanken- und Gefühlsnetzwerk zwischen diesen Künstlerinnen und Denkerinnen spannt das ganze Jahrhundert auf. Ich könnte in ihren Werken ständig lesen und immer wieder Neues entdecken. Viele Grüße!
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Das geht mir gleich wie dir!
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Hallo Sandra,
ein sehr schöner Beitrag zum Thema Heimat. Ich selbst habe mir lange die Frage gestellt, was Heimat ist und heute kann ich sagen: Heimat ist für mich da wo ich glücklich bin. Meine Heimat ist nicht der Ort, andem ich aufwuchs, sondern der Ort, den ich selbst gewählt habe. Der Ort, andem ich Freunde und die Liebe gefunden habe. Der Ort, andem ich der Mensch sein kann, der ich wirklich bin-ohne Masken und Verkleidungen. Der Ort, am dem meine Seele erblüht und mich zum Lachen bringt. Heimat ist da, wo ich ich bin.
Viele liebe Grüße aus Osnabrück
Anja
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Das klingt wunderschön, liebe Anja. So stelle ich mir Heimat auch vor, weil ich mir denke, dass man nur da zu Hause ist, wo man aufblühen kann als der/die, der/die man ist, und wo man geborgen und gehalten ist in einem Kreis lieber Menschen.
Liebe Grüsse zu dir
Sandra
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Mascha Kaleko: «Zur Heimat erkor ich mir die Liebe…»
Sandra: „Der Verlust dieser Heimat ereilte sie mit seinem Tod.“
1. „Heimat“ ist eine Illusion mit hohem Sentimentalitäts-Gehalt.
2. Es gibt keine Heimat als Ort.
3. Kein Mensch und kein Tier ist unsere Heimat. (siehe Zitat)
🌺
Sandra: „Was ist also Heimat?“
1. Alles was wir als Mensch wahrnehmen und alles was wir nicht
wahrnehmen können – inklusive des Nichts – ist unsere Heimat.
2. Es gibt keine Heimat – denn unsere eigene Mitte.
Schönen Sonntag! ☀️
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Hat dies auf Der Bücherflüsterer rebloggt und kommentierte:
Ein wundervoller Beitrag. Sage ich ja immer. Aber es stimmt. Allein das Zitat von Ingeborg Bachmann….
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Das freut mich sehr, lieben Dank!
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