Wenn man an Simone de Beauvoir denkt, steht einem oft das Bild einer starken, selbstbewussten Frau vor Augen, die eines der grossen Standardwerke für/über die Frau geschrieben hat: „Das andere Geschlecht“. Simone de Beauvoir ging ihren Weg, und sie wählte einen, der für Frauen damals nicht üblich war.
Sie studierte Philosophie an einer angesehenen Universität unter vorwiegend Männern, und sie schloss als eine der Besten ab. Sie wählte für sich ein Leben, das unabhängig und selbstbestimmt war, und sie widmete es dem, was sie tun wollte: dem Schreiben. Sie kämpfte für das, was ihr wichtig war, allem voran ihre Freiheit. Sie nahm sich das Recht heraus, ihr Leben als die, die sie sein wollte, zu leben, ohne Rücksicht auf Konventionen und gesellschaftliche Ansprüche. Dass sie damit immer auch aneckte, Argwohn und Kritik auf sich zog, liegt auf der Hand. Auch wurde sie als Frau oft nicht ernst genommen, stand als Philosophin mehrheitlich im Schatten ihres Lebensgefährten Sartre (dieser sah das nie so und verdankt bei Lichte betrachtet einige der ihm zugeschriebenen Gedanken Simone de Beauvoir) – das traurige Los vieler Frauen der (wirklich nur?) damaligen Zeit.
Doch da war eine andere Seite: Als sie sich in der Mitte ihres Lebens in den Schriftsteller Nelson Algren verliebte (wohl ihre grosse Liebe, auch wenn sie Sartre immer an erster Stelle in ihrem Leben behielt), wurde sie bei ihrem gemeinsamen Leben plötzlich zur fürsorglichen Frau, stellte ihm Apfelschnitze hin, sorgte für ein ansprechendes gemeinsames Liebesnest, übernahm also wie selbstverständlich die typischen Frauenaufgaben. Sie hörte damit nur dann auf, wenn Sartre sie plötzlich brauchte, dann liess sie alles stehen und liegen (eigenes Schreiben, Ferienpläne mit dem geliebten Mann, etc.) und folgte seinem Ruf.
Es scheint, ihr ging es wie vielen von uns im Leben: Wir wissen tief drin, was wir wollen, was wir fühlen, haben Ideale und Vorstellungen, Theorien und Ansprüche – und lassen diese im tatsächlichen Miteinander sausen, indem wir in althergebrachte Muster verfallen, patriarchische Rollenmuster übernehmen und leben. Wir wollen den eigenen Vater nicht vor den Kopf stossen, keinen Streit mit dem Partner, keine Diskussion mit dem guten Freund – und schlucken Dinge runter, die eigentlich für uns nicht in Ordnung sind, die dann wie ein Kloss im Magen sitzen und das Gefühl hinterlassen: Wieso bloss? Wieso lebe ich immer wieder entgegen meiner eigenen Überzeugungen? Und über allem steht die Frage: Wie reagiere ich das nächste Mal besser?
Ach, Sandra, einige Patriarchen sind so liebenswürdige Geschöpfe, dass man gerne mal was sausen lässt in der Überzeugung: Nicht verdient aber geschenkt. Übrigens: Viele Patriarchen denke so auch von den Feministinnen… Schön, dass es beide gibt.
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Die liebenswürdigen gibt es sicher, und auch die, für die man gerne mal fünfe grade sein lässt. Wenn es aber System hat, die Unterdrückung, wenn sie beruflich, in Bezug auf Möglichkeiten, Chancen eintritt, wenn sie als Abwertung daherkommt, dann besser nicht.
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Voll einverstanden!
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Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre waren wirklich ganz und gar kein ungleiches Paar; „ungewöhnlich“ eher: sie hübsch und schön anzusehen, während der Chamäleon-Blick Sartres, nie erkennbar, welches der beiden Augen nichts (mehr) sah, auf eine Weise eigenartig daherkam. Jean-Paul warf wohl immens viele romantische Worte in die Waagschale der unkonventionellen Zweierbeziehung, bis das „Manko“ für das Defizit ausgeglichen, er sie für sich (lebenslang) gewinnen konnte.
Auf einer geistig-imaginären Ebene, gegenseitig in fleissigem, arbeitssamen Prozess komplettierend und zudienend denkend, schaffend, sodass ich persönlich es einerseits schade fände, wenn man aus heutigem Pathos heraus die beiden unvorteilhaft charakterisierte und gegeneinander ausspielte! Und andererseits nicht vollends anerkennte, was im Bereich des Existentialismus nicht von einem(/einer) allein zu bewerkstelligen war.
Das Paar zeichnete sich mit ihren zahlreichen und gewichtigen Publikationen insgesamt als herausragendstes „Intelligenzbestien-Duo“ aus, welche die philosophischen Ontologien im 20. Jahrhundert neu schablonenlos definiert hatten. Das Werk und Leben des einen wäre ohne das Sein und Wirken des anderen nicht im gleichen Masse aufgeblüht – das ist meine persönliche Meinung.
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Ich bin ganz deiner Meinung, dass die beiden sich gefunden haben und sich gegenseitig begleiteten. Als Gleichgesinnte und sich Wohlgesinnte, sich Unterstützende, Inspirierende, immer wieder auch Auffangende und im wahrsten Sinne das Leben Teilende.
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Hallo Sandra. Allein Deine Frage am Ende ( dieses wunderbaren Beitrages) zeigt doch einen Weg. Wie….
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Oft liegen Wege und Lösungen wohl in den richtigen Fragen. So sehe ich das auch.
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Wieso bloss? Wieso lebe ich immer wieder entgegen meiner eigenen Überzeugungen? Und über allem steht die Frage: Wie reagiere ich das nächste Mal besser?
Zu diesen Fragestellungen wäre ich am liebsten, wie die Existentialisten in ‚persona ad absentum‘ es formulierten „frei in die Vergangenheit“ zurückgekehrt und hätte den Mann und/oder die Frau des Philosophen-Duos befragt und auf seine/ihre Antwort gehört: ich hätte ihm/ihr ins eine oder andere Auge geschaut und ausgedrückt ‚Immer im Blick der einen und des Anderen‘: Das Bild, welche sich andere von uns machen, ist „matchentscheidend“ dafür, wie wir uns selbst sehen… Und was Jean-Paul oder Simone darauf ‚entgegnet‘, würde ich als Antwort, Jürgen, auf exakt Deine Frage, für ‚bare Münze‘ hingenommen haben.
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Bei dem Gespräch wäre ich gerne zugegen. Mit dem Blick zwischen hin- und her-wandernd zwischen den Augen de Beavoirs, deinen und dem je einen Sartres. Das würde eine spannende Reise.
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