Ich habe hier ja schon einige Male angedeutet, dass mich das Thema Frauen in der Literatur beschäftigt. Ich war nie ein Mensch, der fand, man müsse ein Geschlecht in einer Form hervorheben, im Gegenteil, mir schwebte eher ein Blick auf den Menschen als Menschen vor, da ich nur in diesem eine Möglichkeit eines Miteinanders sehe. Das ist so geblieben, und doch merke ich immer wieder, dass es wohl nicht reicht. Zwar soll es wirklich kein Gegeneinander der Geschlechter geben, aber gerade in der Literatur sticht der unterschiedliche Blick auf die Autoren und Autorinnen ins Auge.
Mein Studium war von männlichen Professoren, welche männliche Autoren behandelten, bevölkert. Sowohl in Schule als auch im Studium gab es, wenn überhaupt, eine Autorin, welche behandelt wurde: Annette Droste-Hülshoff. Sicher keine schlechte Wahl, aber doch. Der Literaturkanon, den ich im Studium lesen musste für die Zwischenprüfung, war zu einem grossen Teil männlich. Und das hat leider nicht gross geändert. Ich war gestern in einem neuen Gymnasium, einem Gymnasium, dass vom Unterrichtsstil und der Haltung sehr fortschrittlich ist. Ich steuerte gewohnheitsmässig auf das Bücherregal zu und: Keine einzige Frau im Regal, auch bei den neuen Büchern nicht. Da die Klassiker erst ab dem 19. Jahrhundert auch Frauen beinhalten, könnte ich es da noch verstehen, aber bei den neuen? Beim Blick durch den Literaturkanon der Schule kam heraus, dass bei 127 Autoren 20 Frauen waren.
Ich möchte nicht aufhören, Männer zu lesen, ihre Bücher zu lieben. Es gibt grossartige männliche Autoren, solche, die ich bewundere, von denen ich alles lese – alte und neue. So werde ich immer Thomas Mann lesen, Rainer Maria Rilke ist der Stern an meinem Lyrikhimmel, von Bernhard Schlink will ich jedes neue Buch haben, das rauskommt, aber auch Theodor Fontane, Arthur Schnitzler, Fjodor Dostojewski und viele mehr werden immer einen wichtigen Platz in meinem Leben und Lesen haben. Sie plötzlich auszublenden, zur Seite zu legen, käme mir nicht nur falsch vor, es würde mir auch einen grossen Teil meiner Lesefreude nehmen. Bücher müssen für mich nach wie vor zuerst gut sein. Da kommt es nicht drauf an, ob sie von einem Mann oder von einer Frau geschrieben werden. Daneben möchte ich den Blick vermehrt auf die Frauen lenken. Für mehr Aufmerksamkeit.
Ruth Klüger schrieb mal ein Buch darüber, wie Frauen schreiben. Vom Stil und von der Qualität her kaum anders als Männer, aber: Während bei Männern oft Frauen Protagonistinnen sind (Anna Karenina, Madame Bovary, Effi Briest, etc.) und diese durchaus auch stimmig und authentisch beschrieben werden, schreibt eine Frau doch mehr von innen und geht damit auf andere Themen im Frausein ein, als es ein Mann tun würde. Das kann vor allem für lesende Frauen ansprechend sein, sind Literaturwelten doch immer mögliche Lebenswelten, Welten, in welchen Menschen ihren Weg, mit dem Leben umzugehen, gehen, der dann auch für den Leser, die Leserin neue Möglichkeiten aufzeigen kann.
Marcel Reich-Ranicki gab zu dem Thema einen Gedichtband heraus: Frauen dichten anders. Auch dem stimme ich zu. Es ist ein anderer Blick auf die Welt, wenn er von Frauen oder Männern kommt. Und ich denke, das ist gut so und darf so bleiben. Die Welt ist vielfältig und sie erschliesst sich keinem allein. Gerade auch aus diesem Grund finde ich es wichtig, dass alle Blickrichtungen präsent sind und die Aufmerksamkeit kriegen, die sie verdienen. Dem möchte ich mich vermehrt widmen.
An dieser Stelle noch ein paar für mich inspirierende Frauen:
- Simone de Beauvoir – ich mag ihre selbstreflexive, entschlossene Weise, das Leben anzugehen und darüber zu schreiben
- Hannah Arendt – ich mag ihr sprichwörtliches Denken ohne Geländer, den unbeugsamen Blick auf das, was ist
- Ingeborg Bachmann – ich mag ihr Ringen mit den Worten und dem Leben, dem unbändigen Wunsch zu schreiben und die Qualitätsansprüche, die sie an das Schreiben hat
- Susan Sontag – ich mag ihre grosse Liebe für die Kunst und den differenzierten Blick darauf
- Hilde Domin – ich mag ihren unermüdlichen Einsatz für die Lyrik und ihre eigene Lyrik
- Mascha Kaléko – ich mag ihre melancholische Sicht auf die Welt und ihre Weise, diese in Worte zu fassen
- Eva Strittmatter – ich mag ihre Gedichte, die von viel Tiefe, Menschlichkeit und sensible Sicht auf das Zwischenmenschliche
In meiner Sicht kulminiert in dem Satz „Frauen dichten anders“ die ganze Diskriminierung von Frauen.
Männer dichten (=die Norm), Frauen dichten anders (=die Abweichung).
Männer dichten (=individuell), Frauen dichten anders(=geschlechtsspezifisch).
Warum lautet der Satz nicht „Männer dichten anders“?
Die Qualität eines literarischen Werks ist unabhängig von der schaffenden Person. Gerechtigkeit herrscht, wenn diese Unabhängigkeit in gleicher Weise für die öffentliche Wahrnehmung des Werks gilt.
Sie ist dann erreicht, wenn die Namen im Bücherregal ein Spiegel der gesellschftlichen Vielfalt von Lebensentwürfen sind.
LG Michael
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Ich stimme dir in allem zu. Danke für diese präzise Analyse! Liebe Grüsse, Sandra
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Oh danke! Jetzt muss nur noch die Wirklichkeit zustimmen und gerecht werden… 🙂
LG Michael
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Wenn Männerdichtung üblich ist, finde ich es schön, wenn es auch andres gibt. Für mich – wäre ich eine Frau – wäre dieses Anderssein eine ehrenhafte Formulierung. Ich mag es, anders zu sein, auch als Mann!
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Das ist auch eine schöne Sicht auf das Anderssein. So wie ich Reich-Ranicki „kenne“, war sein „anders“ auch kein despektierliches im Gegenteil. Er hielt ja selber wenig von der Differerenzierung in Männer- und Frauenliteratur, hat aber doch einige Urteile ausgesprochen, die durchaus in die Richtung deuteten. Das Buch „Frauen dichten anders“ kann eigentlich als Hommage gesehen werden, vereint es doch lauter Gedichte von Frauen, die ihm am Herzen liegen.
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Für den Moment nur kurz. Zunächst finde ich den Titel Deiner Besprechung sehr schön. Bei Deinem Empfehlungen geht es mir häufig wie in einem schönen Lokal. Griechenland vielleicht. Ich bin hungrig. Freue mich auf das Essen. Zunächst eine Vorspeise. Mit einem schönen Glas Wein. Dann die Überlegung. Was folgt später. Und genau das ist der Punkt. Die Vorspeise war so schön und animierend. Da verschiebe ich alles andere gerne auf morgen. Für heute reicht mir die wunderbare Vorspeise. Der Wein war schön. Das frische Brot und der Schafskäse ebenso. Alles andere wäre Völlerei. Lieber der Vorfreude Raum geben. Deine Empfehlungen sollten eigentlich in Buchform erscheinen. Mit Deinen schönen Bildern. Wenn ich dann so eines in der Hand hätte. Ein Glas Sauternes wäre schön. Mit einer Schale getrockneter Früchte. Alles auf ganz normalen Niveau. Kein Schicki Micki Gedöns. Je nach Tageszeit wäre ein schöner Kaffee auch fein. Löcher in die Luft denken. Das Buch durchblättern. Ruhe.
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Ich mag die kulinarische Auswahl – wäre ganz meine
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Per Handy klappt es gerade nicht. Ich habe die Oliven übersehen. Und die Sache mit der Buchform meine ich ernst. Etwa in der Größe eines Insel oder Reclam Bändchens. Daraus könnte man sich vorlesen. Oder es ertönt Klaviermusik. Ganz leicht. Aus dem Hintergrund. Alles unter freiem Himmel natürlich.
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