«Siehst du den Mann an dem Bartisch?» Sandra deutete auf einen Tisch ganz hinten in der Strandbar. «Der sitzt jeden Nachmittag mit einem Glas Weisswein hier und schaut vor sich hin.» Claudia wusste sofort, wen sie meinte. Der Mann hatte die grauen Haare zu einem Pagenschnitt geschnitten, der nun unter einem Strohhut hervorlugte. Er trug ein rosa Poloshirt und kurze Hosen. Die Augen lagen hinter spiegelnden Sonnengläsern versteckt und im Mund dampfte eine Pfeife. Auf dem Tisch vor sich hatte er eine kleine Männerhandtasche abgelegt, daneben stand sein Glas Wein. «Vielleicht kennt man den, aber er sitzt nun inkognito hier, versteckt hinter seiner Sonnenbrille.» «Ich glaube nicht. Mit dieser Frisur würde man ihn doch sofort erkennen, Brille hin oder her. Aber er hat was von einem Künstler – oder er will suggerieren, dass er einer sei. Oder aber er ist ein Geheimkünstler, einer, der im Geheimen schafft und irgendwann kommt alles ans Licht und versetzt die Welt in Erstaunen.»
«Oh, jetzt hat er einen Whiskey bestellt. Das hat er noch nie getan.»
«Hätte er noch eine Schreibmaschine bei sich, könnte man denken, das sei Hemingway. Der sass doch auch immer in Cafés und schrieb da, einen Whiskey vor sich – oder eine ganze Flasche.» «Vielleicht lässt er die Maschine zu Hause, weil sie zu sperrig zum Mitnehmen ist. Er speichert nur alles im Kopf ab und geht dann schnell heim, um es aufzuschreiben.»
«Vielleicht kommen wir in seinem neuen Roman vor und werden berühmt. Sehe ich gut aus? Ich möchte nicht als die zerzauste, mittelalte Frau aus der Bar bekannt werden.» «Bloss nicht, dann würde auch die Bar hier berühmt, die Leute kämen in Scharen und wir hätten keinen freien Tisch mehr. Das wäre übel.»
«Du, der schaut ständig zu uns rüber. Das mag ich ja gar nicht, wenn mich Menschen im Restaurant so anstarren.»
Geschichte für die ABC-Etüden – Die Wörter für die Textwochen 40/41 des Schreibjahres 2021 stiftete Yvonne mit ihrem Blog umgeBUCHt. Sie lauten:
Geheimkünster, sperrig, suggerieren. Die Regeln: 3 Begriffe in maximal 300 Wörtern.
Einladung bei Christiane: HIER
Habana, Kuba, ach, was kommen da für Erinnerungen hoch. Aber getrunken haben soll er eine Art von Daiquiri mit doppeltem Rum, den er wohl liebevoll Papa Doble nannte. Frei übersetzt: einen Doppelten für den Papa.
Ein tolles Thema hast Du da gewählt!
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Ich danke dir! Freut mich, dass dir meine Geschichte gefällt.
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Vermutlich überlegt der Typ nur, ob er es wagen kann, die Dame mit der Windstoßfrisur anzusprechen, die ihm schon vor Tagen aufgefallen ist, weil sie ebenfalls jeden Nachmittag in der Bar auftaucht oder zumindest dort vorbeigeht … 😉
Sehr atmosphärisch, nimmt mich mit beim Lesen, gefällt mir sehr. Und die Idee ist eh klasse. 😁👍
Herzliche Grüße 😁🌤️🍃🍂☕🍪👍
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Oh, das hätte die Geschichte ganz neu geschrieben. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung, wer weiss (der Gedanke kam mir auch ganz kurz beim Schreiben)
Liebe Grüsse
Sandra
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Wundervolle Story!
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lieben Dank!!
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Dazu Musik von Ry Coder. Wim Wenders verfilmt das ganze. Toll geschrieben.
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Lieben Dank!!
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Und wieder einmal sorry. Ry Cooder. Das ist alles der Aufregung verschuldet. Jürgen bemüht sich in Zukunft.
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