«Unmittelbar vor den Grenzen des Staates Israel gibt es rund eine Million Menschen, die aus ihren Häusern, von ihren Bauernhöfen und Arbeitsplätzen vertrieben wurden. Sie leben hauptsächlich von den Almosen einer provisorischen und unzureichend finanzierten UN-Organisation in erzwungener Untätigkeit, Frustration und Verbitterung, mehr als ein Drittel davon in Flüchtlingslagern.»
Es geht weiter:
«Doch nicht nur der Frieden im Nahen Osten ist gefährdet. Die ganze Welt lebt im Schatten einer nuklearen Katastrophe.»
und kommt zum Schluss:
«Eine Lösung dieses Problems ist (natürlich unter anderem) für die Sicherheit der ganzen Welt nötig.»
Wenn man bedenkt, dass Hannah Arendt diesen Text 1958 geschrieben hat, und dann auf die Welt heute schaut, zeigt sich, wie wenig sich zum Guten getan hat (im Gegenteil) und wie aktuell Hannah Arendt auch heute noch ist. Ihre Analyse der Problemstellung ist konzis und differenziert. Sie beleuchtet die Situation aller Beteiligter und weist auf die grössten Herausforderungen hin. Sie bleibt dabei aber nicht bei der blossen Theorie und Analyse und Theorie stehen, sie denkt auch über eine mögliche Lösung nach.
«Das gegenwärtige Problem kann nicht gelöst werden, indem man über die relative Legitimität von Eroberungsansprüchen von vor dreitausend, tausend oder zehn Jahren diskutiert… Die einzigen Ansprüche, die uns an dieser Stelle interessieren, sind die Rechte der Flüchtlinge auf ein würdevolles und normales Leben, sowie die Rechte des Nahen Ostens und der ganzen Welt auf ein höheres Mass an Sicherheit für alle Menschen.»
Hannah Arendt präsentiert in der Folge einen Plan mit 23 Punkten, der zu einer Lösung führen soll. Er gewährleistet, dass keine Nation das Gefühl hat, bedroht zu sein, gibt den Flüchtlingen ein Zuhause zurück und soll den Frieden im Nahen Osten gewährleisten. Wichtig dabei ist Hannah Arendt, wie es ihrer Philosophie eigen ist, der Dialog zwischen den Beteiligten. Es soll keine Lösung am Tisch gezeichnet und über das Ganze gestülpt, sondern in einem Miteinander soll eine solche geschaffen werden.
Wer weiss, wie die Lage im Nahen Osten aussähe, hätte man Hannah Arendts Punkten damals Gehör geschenkt. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Was Hannah Arendt schreibt, könnte auch heute noch zu einer Lösung beitragen – wenn nur die Beteiligten und Betroffenen ein Interesse daran hätten.
Das Buch hat mit betroffen und nachdenklich zurückgelassen. Und es hat mir einmal mehr gezeigt, was für eine grossartige Denkerin Hannah Arendt war. Ich kann die Lektüre nur empfehlen.
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Erstaunlich und sehr bedenklich! Es gibt zu viele Politiker in der Politik und zu wenig Philosophen. Aber ob es die Philosophen in der Politik dann schaffen, ihre Gedanken und Ideen umzusetzen, ist zumindest fraglich. Vielleicht werden sie verhabeckelt und die Politikmange genommen. Es müssten wohl eine Mehrheit an Philosophen in der Politik sein, um Arendts Lösungen umzusetzen
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Ich denke, das Hauptproblem der Politik ist, dass es oft mehr um Personen als um die Sache geht, man sich lieber so positioniert, wie es der eigenen Profilierung und den nächsten Wahlen am besten dient und dabei natürlich verschlossen ist gegenüber Argumenten, die wenig populär und dem Mainstream widersprechend sind. Einstein aber war es, so glaube ich, der sinngemäss sagte: Wenn wir immer wieder auf die gleiche Weise Dinge angehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn immer wieder das gleiche dabei rauskommt. Und so laufen wir mit den ewig gleichen Krisen und Kriegen durch die Zeit und scheinen wenig zu lernen.
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Danke! Ein Lesetipp zur rechten Zeit. Ja: immer noch zur rechten Zeit, so hoffe ich inständig.
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Ich hoffe mit dir!
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