Lebenskunst: Nicht anhaften

Früher hatte ich immer mal wieder den Wunsch, auszuwandern. Ich bin generell oft umgezogen, zwar aus Gründen, und doch auch mit einer Neugier auf etwas Neues, die mich beflügelte. Ein Leben in einem neuen Land stellte ich mir spannend vor. Dass ich es nie machte (zweimal kurz davor war), schob ich auf meine Ängstlichkeit ich schimpfte fast ein wenig mit mir.

Mein Leben hat sich so entwickelt, dass ich oft und lange in Spanien lebe und arbeite. Ein grossartiges Land, wunderschön, das Wetter angenehm für eine Frostbeule wie mich. Schon bald dachte ich: Ich möchte immer hier sein. Das war leider nicht möglich. Über die Jahre merkte ich, dass das Sehnen nach Hause immer grösser wurde, wenn ich in Spanien war. Was ist aus meinem Traum geworden?

«Einsicht verschafft das Gute, erhält es, mehrt es und macht rechten Gebrauch davon.» Plutarch

Manchmal sind Träume ausgeträumt. Ziele, die man vor sich sah und unbedingt erreichen wollte, fühlen sich nicht mehr stimmig an. Oft rennen wir trotzdem weiter in die Richtung, ignorieren das kleine Bauchrumpeln und die unguten Gefühle. Nur: Irgendwann werden die Stimmen lauter, sie lassen sich nicht mehr zur Seite schieben. Und man fragt sich: Was mache ich da eigentlich? In diesem Fall hilft nur eines: Hinschauen. Mit sich in den Dialog treten und ergründen: Will ich das wirklich so haben? Stimmt das noch für mich?

Es ist nicht leicht, einen Traum loszulassen. Wann ist der richtige Zeitpunkt, der Kairos, wie die Griechen sagten? Loslassen ist ein schwieriges Thema, ist es doch ein Abschied von etwas, das man im Leben hatte, das wichtig und lieb war. Dabei entsteht eine Lücke. Womit werde ich sie füllen?

«Ein angenehmes und heiteres Leben kommt nicht von äusseren Dingen: Der Mensch bringt aus seinem Inneren wie aus einer Quelle Lust und Freude in sein Leben.» Plutarch

Die alten Philosophen rieten, sich nicht an äussere Dinge zu heften, sondern das Glück im Innern zu suchen. Frieden und Glück stellen sich nur ein, wenn ich in meiner Seele Ordnung schaffe – und dazu gehört auch, ab und an loszulassen, was nicht mehr ins Leben passt. Wie sagte schon Plutarch:

«Die besten Dinge sind die schwersten.»

Das Prinzip des Nicht-Anhaftens findet sich auch in der Yoga-Philosophie unter dem Sanskritnamen «Vairagya». Dahinter steckt der Gedanke, dass ein an äusseren Dingen orientiertes Leben nicht glücklich macht auf Dauer. Auch hier geht es um ein Loslassen, um die Unterscheidung, was einem glücklichen Leben dienlich und was ihm abträglich ist. So heisst es in Patanjalis Yoga-Sutras:

„Vairagya ist der Bewusstseinszustand, in dem das Verlangen nach sichtbaren und unsichtbaren Objekten aufgehört hat.“ ( I. 15)

Indem der Mensch sich nicht an den äusseren Dingen orientiert, so heisst es in 1.16 weiter, kehre er zu seinem ursprünglichen Menschsein zurück, was die höchste Form der Lösung sei. Diese Sicht wird auch im Buddhismus geteilt, sprich, in der Antike finden sich über den ganzen Erdball verteilt gleiche Ansichten und Lehren, die darauf zielen, ein gutes Leben zu führen.

Was bringt uns das für unser Leben? Was können wir daraus ziehen? Sicher die Sicht, dass alles, was wir für unser wirkliches Glück brauchen, in uns steckt. Wir müssen es nicht zuerst suchen oder finden, es ist da und will entdeckt werden. Nun gibt es auch schöne freudbringende Dinge im Aussen. Die zu geniessen ist wunderbar, dagegen sagen auch die weisen Philosophen nicht. Gefährlich wird es erst, wenn wir sie mit aller Kraft und Macht festhalten wollen, denn: Wir haben das selten in der Hand. Es hilft, sich immer wieder eines vor Augen zu halten: Das Leben ist immer ein Entstehen und Vergehen, im Grossen bei Geburt und Tod (mementum mori), im Kleinen bei Alltäglichkeiten, äusseren Dingen, Wünschen und auch Beziehungen. Das mag manchmal schmerzlich sein, doch nur so kann auch Neues entstehen.

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