Andere Menschen wissen immer alles besser. Vor allem, wenn es um die Angelegenheiten anderer geht. Sie sehen, was andere tun und finden, das müsste anders gehen. Und sie gehen hin und fragen: „Wieso machst du das nicht anders?“ Anders wäre viel besser, sie wüssten das, weil sie es immer anders machten und somit Erfahrung hätten. Und überhaupt, sie seien Experten. Selbsternannt.
Und man steht da und hinterfragt sich und denkt, der andere klänge gar überzeugend und man selber hätte dann und wann Zweifel ob des eigenen Tuns gehabt. Man fängt an, mit dem eigenen Tun zu hadern, für das man zwar Gründe hatte, die man aber nie abstützen konnte – sie waren einfach dem eigenen gesunden Menschenverstand, einigen Ängsten und dem Nach-bestem-Wissen-und-Gewissen geschuldet gewesen.
Und dann geht man hin und ändert sein Tun und es geht auch gut. Einmal. Zweimal. Das dritte Mal nicht. Und man hadert mit sich und denkt, man hätte nicht auf andere hören sollen. Und dann kommt einer und fragt: „Wieso hast du das bloss getan? Das hättest du doch wissen müssen?“ Und man hinterfragt sich noch mehr und gibt sich die Schuld.
Und da steht sie dann: Die Schuldfrage. Und sie bohrt sich tief und tiefer in die eigene Seele, man spiesst sich selber dran auf. Hätte man es besser wissen müssen? Können? Fakt ist: Man wusste es nicht besser. Hätte man es besser gewusst, hätte man anders gehandelt. Es liegt aber auf der Hand, wieso man es nicht besser wissen konnte: Man kennt das Drehbuch des Lebens nicht. Das Leben besteht nicht aus linearen Kausalketten, sondern aus einer Vielzahl von Variablen, die keiner wirklich durchschauen kann. Wir alle treffen Annahmen, welche die grösstmögliche Wahrscheinlichkeit betreffen, die wir uns vorstellen können. Und ignorieren dabei, dass wir damit gerade mal die Spitze des Eisbergs in die Rechnung miteinbezogen haben.
Trifft uns also eine Schuld, wenn wir etwas tun, von dem wir annehmen, es wäre das Beste, was wir in dem Moment tun können? Ich denke nicht. Wir können nur nach dem handeln, was wir als bestmögliche Weise zu Handeln erachten. In dem Moment erscheint uns das richtig und drum tun wir, was wir tun. Wenn es sich im Nachhinein als falsch herausstellt, dann nur drum, weil die Folge nicht die war, die wir uns gewünscht hätten – nicht weil das Tun per se falsch war. Kierkegaard schrieb in seinem Tagebuch:
Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den andern Satz, dass vorwärts gelebt werden muss.
Ich möchte hinzufügen, dass das, was wir im Rückblick zu verstehen glauben, unsere eigene Interpretation der Dinge ist. Wir bilden eine Kausalkette, die uns stimmig erscheint, die unser Verstand fassen kann:
Weil ich A getan habe, ist B passiert.
Dabei ignorieren wir, dass ich, A und B nur drei von ganz vielen Variablen sind, die im Moment X, als etwas passierte, aktiv waren. Zeit und Ort sind die einen, andere Menschen andere, und es gäbe noch ganz viele mehr. Wir haben sie nicht beachtet, darum beziehen wir sie nicht in die Sinnfrage mit ein und beschränken uns auf die einfach fassbare Kausalität. Und haben damit den Schuldigen gefunden: Das ICH.
Wir werden mit dieser Schuldzuschreibung nicht rückgängig machen können, dass B passiert ist. Wir können damit nur unser eigenes Leid immer wieder erneuern. Dabei ist B nicht mehr der Grund des Grames, sondern die Schuld – die sinnlos (und in dem hier beschriebenen Fall auch falsch) ist.
Wenn wir das tun, von dem wir überzeugt sind, dass es gut ist, haben wir getan, was wir konnten. Was daraus resultiert, ist nicht unsere Schuld. Wenn wir dieses Schuldgefühl loslassen können, können wir anfangen, zu trauern, dass B passiert ist. Und diese Trauer wird irgendwann leichter werden. Ganz wichtig ist in dem Ganzen aber eines: Die anderen wissen es (vermeintlich) immer besser, nur tragen sie nie die Konsequenzen für ihre Ratschläge – die trägt man selber. Darum empfiehlt es sich, Tipps und Tricks anzuhören, für sich zu prüfen, und dann das zu tun, was man selber für das Beste erachtet. Mehr kann man nie tun im Leben.