Daniel Schreiber: Allein

Inhalt

«Einsamkeit ist ein Gefühl, das jede und jeden von uns früher oder später einholen wird, egal, wie viele Freundschaften wir pflegen, egal, ob wir in einer Partnerschaft leben.»

Daniel Schreiber nähert sich dem Thema Alleinsein auf verschiedenen Wegen, er greift auf eigene Erfahrungen zurück und erzählt aus seinem Leben, er beruft sich auf philosophische und soziologische Ideen sowie auf psychologische Erklärungen.

«In mancher Hinsicht lässt sich, wenn man allein lebt, das ganze Leben als ein «uneindeutiger Verlust» beschreiben. Man trauert, auch ohne es zu merken, um eine Idee von Zweisamkeit, die überall in der Luft liegt, an die man selbst glaubt oder zumindest geglaubt hat.»

Entstanden ist so ein sehr persönliches Buch über ein aktuelles Thema, ein Buch mit der zentralen Frage, wie wir leben wollen und können.

Weitere Betrachtungen

«Denn an manchen Tagen glaubte ich zu ahnen, dass ich auch allein lebte, weil mir so etwas wie eine essentielle Zuversicht fehlte. Ich hatte ganz grundsätzlich nicht den Eindruck, dass vor mir eine gute, eine vielversprechende Zukunft lugt, eine Zukunft, die es sich zu teilen lohnt.»

Daniel Schreiber erzählt aus seinem Leben, er erzählt aus seinem Alleinsein unter Paaren, aus der Zurückgeworfenheit auf sich selber vor allem auch in der Coronazeit, in welcher Kontakte nach aussen weniger wurden und alle im eigenen Familienverband eingeschlossen waren. In solchen Zeiten fällt das eigene Alleinsein doppelt ins Gewicht. Kann man sich sonst noch mit vielen Freunden und Unternehmungen aus der einsamen Wohnung in eine gefühlte und auch gelebte Gemeinschaft begeben – flüchten? – bleibt das plötzlich aus.

«Zwischen all den Geschichten, die wir uns erzählen, um zu leben, und zwischen all den Versuchen, diese Geschichten abzulegen, gibt es Momente der Stille. Es sind genau diese Momente, in denen sich das Leben neu schreibt.»

Daniel Schreiber zeigt weiter, wie wir uns oft selber erzählen, was wir glauben wollen, unsere persönliche Geschichte vom guten und gewünschten Leben. Bis etwas kommt und die Geschichte ad absurdum führt. Vielleicht will man in Tat und Wahrheit gar nicht allein sein, aber es geht nicht anders? Weil keiner sich findet, der passt? Weil man Angst hat?

Wir lesen in diesem Buch auch von vielen persönlichen Erlebnissen, Abgründen, Möglichkeiten des Umgangs mit dem Alleinsein. Die Offenheit, wie hier Persönliches schonungslos offen dargelegt wird, ohne Selbstmitleid aber doch mit einer guten Portion Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge, gibt dem Leser das gute Gefühl, nicht allein zu sein in seinem ab und zu gefühlten und vielleicht auch erlittenen Alleinsein.

Persönlicher Bezug
Alleinsein und Einsamkeit sind Themen, die mich immer wieder beschäftigten im Leben. Als Einzelkind in einer sehr kleinen Familie ist man schon von klein auf gewöhnt, ab und an allein zu sein, als eher introvertierter Mensch mit einem grossen Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug, lebt man das Alleinsein auch später weiter.

Ich bin gerne allein, war auch lange Zeiten in meinem Leben allein. Ich denke, ich kann es gut und brauche es mitunter. Ich merke aber durchaus, dass es einfacher ist, allein zu sein, wenn man weiss, dass Menschen da sind. Das Alleinsein im Wissen, dass keiner da ist, den man anrufen könnte, der an einen denkt, der einem zugewandt ist, muss ein grausames sein. Und selbst wenn man ein Umfeld hat, gibt es mitunter Momente, wo das Alleinsein über einen hereinbricht, einen förmlich erdrückt.

Oft schämte ich mich wohl dafür, wollte mir auch nach aussen keine Blösse geben. Wenn man unter dem eigenen Alleinsein leidet und dies kommuniziert, zeigt man auch, dass man es gerne anders hätte und wohl schlicht nicht schaffte. Das nagt am Selbstbewusstsein. Zwar kann man sich selten selber belügen, aber wenigstens nach aussen möchte man das Bild aufrechterhalten, das eigene Leben so zu leben, wie man es leben möchte. Und gerade durch diesen Stolz, dieses Aufrechterhalten einer Illusion nach aussen drängt man sich wohl selber noch mehr ins Alleinsein zurück.

Ich habe mich manchmal beim Lesen des Buches gefragt, ob Daniel Schreiber nicht ein zu negatives Bild des Alleinseins zeichnet. Oder ob das nur seine Sicht ist, es auch ein positiveres Bild davon gäbe. Und wie es wirklich für mich ist, was an meinem Bild des Alleinseins Idealisierung und Wunsch, was Realität ist. Darüber werde ich sicher weiter nachdenken.

Es gibt ein Lied von einem deutschen Liedermacher:

«Du sagst du bist frei und bist dabei alleine…»

Der Sänger fordert dazu auf, ihm die Angst zu geben, er sei da und halte. Vermutlich ist das trotz allem für viele ein Grundbedürfnis, eine Grundsehnsucht: Gehalten werden.

Fazit
Ein sehr persönliches, tiefgründiges Buch über das Alleinsein,  über die Geschichten, die wir uns dazu erzählen, aber auch ein Buch über Freundschaft und Verbundenheit. Sehr empfehlenswert.

Autor
Daniel Schreiber, 1977 geboren, ist Autor der Susan-Sontag-Biografie Geist und Glamour (2007) sowie der hochgelobten und vielgelesenen Essays Nüchtern (2014) und Zuhause (2017). Er lebt in Berlin. Auf Instagram: @thedanielschreiber

Angaben zum Buch
Herausgeber ‏ : ‎ Hanser Berlin; 4. Edition (27. September 2021)
Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 160 Seiten
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3446267923

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2 Kommentare zu „Daniel Schreiber: Allein

  1. Vielen Dank für Deine Gedanken. Ich bin ein Mensch, der – mindestens bis heute – die Einsamkeitsgefühle nicht selber erlebt hat. Irgendwie habe ich das immer verhindert, sodass es wohl gar nicht so weit gekommen ist.

    Mir fällt eine Strophe aus einem Kästner-Gedicht ein:
    Einsam bist du sehr alleine
    aus der Wanduhr tropft die Zeit.
    Einsam bist du sehr alleine
    und am Schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

    Glücklicherweise habe ich auch das nicht erlebt.

    Gefällt 1 Person

    1. Du bist ein glücklicher Mensch. Ich bin froh, habe ich die Einsamkeit allein erlebt. Sie hat auch Folgen gehabt, die mir wertvoll erscheinen – Einblicke, Erkenntnisse, Erfahrungen. Das habe ich aber direkt im Gefühl wohl selten so gesehen, erst im Rückblick. Frei nach Kierkegaard, dass man das Leben nur vorwärts leben und nur rückwärts verstehen kann.

      Auf die Einsamkeit zu zweit hätte ich gerne verzichtet – zu jeder Zeit.

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