Johannes Bobrowski: Gesammelte Gedichte (Rezension)

Poesie als sinnliche Rede

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Letzter Winter
Des Tages ist die Sonne und
nachts der Mond
über den Bergen.
Doch das Herz ist ertrunken
lang in den blauen Schatten
des Tals.

Am 9. April 2017 wäre Johannes Bobrowski 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat die DVA seine Gedichte neu in einem Band verlegt. Der Band besteht aus drei Teilen:

  • Die Gedichte: Sämtliche Gedichte, die Bobrowski selber herausgegeben oder für den Druck bestimmt hat
  • Gedichte aus dem Nachlass
  • Anhang

BobrowskiGesammelteGedichteDie Gedichte umfassen den Gedichtband Sarmatische Zeit (1961), Schattenlandströme (1962), und Wetterzeichen (leider nicht mehr zu Lebzeiten publiziert, aber für die Publikation vorbereitet). Diese drei Gedichtbände stellen Bobrowskis Hauptwerk dar. Daneben existieren vereinzelte Gedichte, die an unterschiedlichen Orten publiziert, aber zu keiner Sammlung vereinigt worden waren.

Teil 2 des vorliegenden Bandes umfasst die Gedichte aus dem Nachlass. Darin enthalten sind Gedichte aus den Jahren 1935 – 1965. An ihnen lässt sich auch gut die Entwicklung Bobrowskis als Lyriker ablesen.

Den Abschluss macht ein umfangreicher Anhang, der einerseits ein Nachwort von Helmut Böttinger (Literaturkritiker) enthält, des Weiteren editorische Nachbemerkungen, Bobrowskis Lebensdaten sowie ein alphabetisches Gesamtverzeichnis.

Bobrowskis Lyrik
Bobrowski bezeichnete Poesie einst als „vollkommen sinnliche Rede“. Dichtung solle dabei nicht anheimeln, sie solle die Zeit zeigen, wie sie ist, nicht verschönernd, sondern mit all ihren Dissonanzen, Unruhen und Spannungen. Er selber verwirklichte das oft mit Stilmitteln wie der Inversion und des Enjambements. Beide durchbrechen den normalen Fluss der Sprache, setzen Akzente und bauen Spannungen auf. Beide können sie Dissonanzen verstärken und Disharmonie herstellen – das, was Bobrowski auch in der Welt sah und ausdrücken wollte.

Die Enjambements tragen also den Inhalt in die Form und verstärken ihn so. Indem das Enjambement die Versgrenze überschreitet, widerspricht es dem eigentlichen Sprachgefühl und hat so eine akzentuierende Funktion im Gedicht. Dasselbe gilt für die Inversion, bei welcher das Subjekt an den Schluss gestellt wird, Prädikat und Adjektiv ihre angestammten Plätze in der Syntax verlassen, so dass sich eine Spannung hin zum Subjekt aufbaut.

Trotz dieser Stilmittel sind Bobrowskis Gedichte oft in alten Gedichtformen verhaftet. Er legte grossen Wert auf Versmass und Metrum, es findet sich auch die klassische Ode in seinen Werken und Gedichte, die sich ganz offensichtlich an den alten Meistern orientieren. Trotzdem bewegt er sich inhaltlich in der Gegenwart.

Thema seiner Lyrik sind oft die Landschaften und Siedlungen Osteuropas, sind die Zeit und ihre Wunden durch den Krieg. Bobrowski war wies auf die Geschichichte und war dabei immer auch politisch. Er spielte eine einzigartige Rolle als Vermittler zwischen Ost und West, indem er auf eine Weise schrieb, die für den Osten eigentlich fast nicht denkbar schien.

In den Gedichten aus dem Nachlass finden sich aber auch leisere Töne. Gedichte über Blumen, die seine Sinnesschärfe und Beobachtungsgabe zeigen, die trotz leiser Töne auch ab und an kritische Zwischentöne mitklingen lassen, ohne dabei das schöne Bild zu stören.

Fazit:
Ein wunderbares Buch eines grossartigen Lyrikers. Laute und leise Töne, alte Formen und neue Inhalte, Poesie, die durchdringt, in der Form und Inhalt Hand in Hand gehen. Sehr empfehlenswert.

Autor
Johannes Bobrowski wurde am 9. April 1917 in Tilsit geboren. Ab 1949, nach der Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft, lebte er in Ostberlin, wo er als Lektor arbeitete. 1961 publizierte er seinen ersten Lyrikband „Sarmatische Zeit“, der wie auch seine folgenden Bücher parallel in Ost- und Westdeutschland erschien. 1962 wurde ihm der Preis der Gruppe 47 verliehen, 1965 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis für den Roman „Levins Mühle“. 1965 starb der Dichter in Ostberlin. Seine Texte sind in über 35 Sprachen übersetzt.

Angaben zum Buch:
Taschenbuch: 752 Seiten
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (13. März 2017)
ISBN-Nr: 978-3421047625
Preis: EUR 34.99/ CHF 48.90
Zu kaufen in Ihrer Buchhandlung vor Ort oder online u.a. bei AMAZON.DE und BOOKS.CH

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