Heute stolperte ich über den Artikel von Shane Burcaw, der davon handelt, dass seine Freundin oft für seine Betreuerin gehalten wird, da es in den Augen der Gesellschaft kaum sein kann, dass eine hübsche junge Frau die Freundin eines sogenannt behinderten Menschen ist. Das ist traurig genug, zeigt es doch die Wertesysteme in den Köpfen der Menschen.
Der Artikel handelt davon, wie sich Anna und Shane kennenlernten und wie Anna durch die Schule des „Wie helfe ich Shane?“ durchging. Mit gemeinsamem Lachen wurden diese Lektionen gelernt und überall, wo etwas landläufig „Normales“ nicht geht, erfinden die beiden Neues. Spontan kam mir der Gedanke: „Wie praktisch! Eigentlich ein Vorteil.“ Wieso?
Bei Shane ist es offensichtlich: Er kann gewisse Dinge nicht, er braucht bei gewissen Dingen Hilfe und man braucht ab und an Phantasie, neue Wege zu finden, weil die gängigen nicht gangbar sind. In Beziehungen, in denen keiner von beiden eine offensichtliche Einschränkung hat, geht man davon aus: Alles gut, alles normal, alles muss gehen. Man überlegt sich nie, wie man dem anderen helfen könnte, das Leben zu bestreiten, da man davon ausgeht, dass er das selber kann. In allen Bereichen. Und jeder Bereich, der nicht klappt (vor allem nicht so, wie man das gerne hätte von ihm), gereicht zum Vorwurf.
Menschen sind nie perfekt. Jeder hat seine Einschränkungen, seine Beschränkungen, seine Behinderungen. Die einen haben sie offensichtlich, bei den anderen sind sie gut versteckt. Versteckt vor allem auch, weil man weiss, dass von einem erwartet wird, perfekt zu sein, da jede Schwäche ganz schnell gegen einen verwendet werden kann. Das sogar in Partnerschaften. Da wird nicht gefragt: „Wie kann ich dir helfen, mit Dingen umzugehen, die dir schwer fallen?“, sondern oft gesagt: „Hab dich nicht so!“ Nicht mal nur bös gemeint, einfach unverstanden. Wir gehen von uns aus, dass wir sehen und wissen, wie wir mit Dingen umgehen würden, und erwarten, dass der andere dies auch so tut. Weil es ja machbar ist. Für uns.
Dass wir selber auch nicht alles ganz souverän meistern, übersehen wir dabei gerne. Und wenn wir es sehen, erwarten wir vom anderen Verständnis. Und wenn er es nicht versteht, dann nehmen wir ihm das übel, weil er es doch sehen müsste. Nur sieht er uns als gesunde Menschen und denkt: „Was hat die/der bloss?“ Dabei wäre auch hier der Ansatz hilfreich: „Wie kann ich ihr/ihm helfen?“
Irgendwo las ich, Menschen wären Mängelwesen. Die Quelle kann ich nicht anführen, aber der Ausspruch ist – glaube ich – bekannt. Wieso stürzen wir uns also gleich auf das, was nicht unseren Erwartungen entspricht und verurteilen, statt uns zu fragen: „Wie kann ich helfen?“
Danke dir, Sandra, für diese Gedanken!
Ich kann nicht anders als unmittelbar fortzusetzen: Du hast Recht, körperliche Behinderung wird heute als Makel gesehen und der Umgang ist dementsprechend schwer. Die Geschichte von Anna und Shane zeigt, wie auch ähnliche, dass es dennoch geht. Vor allem, wenn man einander liebt.
Die psychische Behinderung wird heute noch mehr stigmatisiert, und da ist es wohl noch schwieriger.
Aber Psychisches zählt ja heute nicht so viel. Wäre es „gleichberechtigt“, müssten wir uns eingestehen, dass wir alle zumindest einen Winkel in unserer Seele haben, in dem wir alle psychisch „behindert“ sind. Und wenn man sich das eingesteht und bewusst macht, dann ist es sogar „einfacher“, einander zu helfen, weil man dann einen gemeinsamen Weg gehen kann.
Dieses Bewusstsein könnte aber auch dazu beitragen, ein anderes Licht auf schwere (physische oder psychische) Behinderung zu werfen. Nicht auszugrenzen, sondern zu fragen: Wie kann ich helfen?
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Das wäre schön. Dann müsste man sich nicht schämen, weil man eben nicht immer und überall funktioniert, sondern wüsste, dass Menschen da sind, die einen verstehen wollen und die einen nehmen – mit allem, was man eben mitbringt. Das hiesse, Menschen würden angenommen. So wie sie sind. Mit all ihren Imperfektheiten.
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Hm… So viele Konjunktive?
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Ich denke, die Realität ist oft (ich sage nicht immer) anders. Oder zumindest ist die Gefahr und auch die Angst, dass sie es ist, gross.
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Meine (unsichere) Vermutung ist, daß solch eine ungleiche Beziehung oft nur zu Anfang funktioniert. Zu Anfang idealisiert man das Gegenüber und hilft, weil die Beziehung als solch eine ganz besondere ist.
Später kann es kommen, daß man wie in jeder Beziehung an Beschränkungen durch den anderen „leidet“ und das vermutlich noch mehr, wenn der andere ohnehin eingeschränkt ist.
Ich hoffe nicht, daß der Eingeschränkte Besonderes leisten muß, um zu kompensieren. Das wäre wie Handel und entwürdigend.
Manchmal hörte ich – ganz allgemein – von Frauen, daß sie im Ausgleich für etwas, was ihr Partner vermisste, zu kompensieren trachteten. Macht man das selbst auch in seiner Partnerschaft?
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Wie bereits geschrieben, denke ich, dass wir alle in irgend einer Form eingeschränkt sind. Manchmal sind wir uns dessen bewusst und überspielen es, ab und an sind wir uns nicht mal bewusst (oder wollen es nicht sein?).
Kompensation bringst du ins Spiel und es klingt von dir sehr negativ (wie eigentlich die ganze Antwort). Ist Kompensation per se negativ? Ich denke nicht. Wir alle kompensieren. Kompensation ist nichts anderes als eben, etwas auszugleichen oder zu ersetzen, was nicht ist, fehlt, nicht geht. Das kann durchaus positiv sein, wenn man sieht, dass man eben auch auf anderen Wegen zu einem Ziel kommt. Schlussendlich ergibt sich die Wertung aus den eigenen Wertmassstäben und aus der (individuellen) Situation.
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Schade, daß meine Antwort für Dich als ganzes negativ klingt.
Ich habe Erfahrungen eingebracht, ob imaginiert oder real – und eben mal nichts beschönigt. Daß ich damit nicht ohne weiteres kommen kann, war mir nicht bewusst.
Übrigens: Dein Passus zur positiven Kompensation überzeugt, ist gut geschrieben.
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Gerhard, das negativ war nicht wertend im Sinne von „das ist falsch“ oder „das stimmt so nicht“ gemeint, sondern es war eher so, dass es für mich halt eher pessimistisch klang – vor allem für eine Langzeitbeziehung mit solchen Herausforderungen. Das heisst nicht, dass ich deine Sicht per se unrealistisch finde. Ich würde mir vielleicht wünschen, dass es anders wäre, was aber mehr meinem idealistischen und für alle nur das Beste wünschenden Gemüt entspringt, während meine Sicht vom Leben damit ab und an auf Konfrontation steht 😉
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Ja, das mit dem Idealismus stimmt.
Manchmal piekst mich das – aber wieso eigentlich??
Gestern gratulierte ich einem fernen Freund zum Geburtstag: Er meinte, mit seinem Schwager käme er nicht zurecht, weil dieser seinen Optimismus, seine positive Grundhaltung nicht aushalte.
Und fürwahr: Mein Freund (ein Single) ist ein heiterer Mensch!
Nun könnte man ja postulieren: Der hievt sich beständig in eine angenehm-positive Grundstimmung! Was für ein Aufwand und was für ein Theater.
Aber ist das so? Wenn ein Mensch immer wieder eine heitere Haltung aufzeigt, dann geht es ihm doch objektiv gut. Nichts ist da zu rügen.
Vielleicht bin ich auch nur neidisch auf dieses Wünschen und Wollen zum Guten hin, in Dir.
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Nun, ich löse vieles vielleicht positiv auf, aber dass ich mir überhaupt die Gedanken mache, rührt oft auch daher, dass ich all das Schwere überhaupt wahrnehme und damit hadere, dass es da ist. Ich bin wahrlich nicht der Optimist vor dem Herrn, ich finde das Leben beschwerlich, mitunter düster. Ich gehe meinen Weg, weiss, er geht immer weiter und denke, ich habe es – bei Lichte betrachtet – sehr gut damit getroffen, das Schicksal war mir – trotz einiger Schläge – günstig gestimmt. Nur denke ich eben immer wieder: Es wäre doch möglich, es müsste doch möglich sein, dass diese Welt eine einfachere, hellere, fröhlichere wäre. Wenn nur alle ein ganz kleines Bisschen dazu beitragen würden. Und ja, es wäre (theoretisch) möglich, aber dann kommt immer wieder die Variable Mensch dazwischen. 😉
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Ich habe gestern und heute an zwei Konferenzen teilgenommen, die mir in ihrem Zweck, früher vor allem, völlig unnötig erschienen. Jedes Mal bedankte sich der Moderator ausdrücklich für unsere Teilnahme und unser Mitwirken.
Das war jedesmal fast wie ein Schock!
Da hatten Leute ihre Aufgabe angenommen, genau das, haderten nicht, sondern bedankten sich für die Gegenwart und den Beitrag der anderen.
Das Hadern: Ist das nicht sogar die Krankheit? Nicht die Umstände, sondern dieses unfruchtbare Hadern?
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Wieso muss Hadern per se unfruchtbar sein? Kommt es nicht drauf an, was man daraus macht? Ob man sich in das Hadern ergibt oder aber es sieht und versucht, etwas daraus zu machen?
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Selbstverständlich kommt es darauf an, was man daraus macht. Wenn es aber nur time-consuming ist, dann hat es keinen Wert.
Habe ich persönlich jemals aus dem Hadern heraus etwas beschlossen? Dazu hat es selten mal gereicht.
Meist war es Hadern ohne Konsequenzen.
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Wenn ich hadere, suche ich Alternativen und Auswege. Zu was wäre hadern sonst gut. Drin verweilen? Liegt mir nicht. Mal kurz, ja, dann muss es weiter gehen.
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Ich möchte einem Freund helfen, der „schleichend“ von seiner Freundin verlassen wurde. Die Treffen wurden weniger, ohne Erklärung und plötzlich war nichts mehr da.
Er hatte sich wieder in eine Beziehung gewagt gehabt, nach einer doch für ihn recht enttäuschenden Beziehung zuvor. Und dann lief diese neue Beziehung einfach nach einem Jahr aus…
Er hadert damit – oder es tut ihm weh. Dabei ist es schon ein gutes Jahr her.
Ich habe Angst, daß er davon jahrelang nicht wegkommt.
Was kann man tun?
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