Eine Geschichte: Geheimnisse (XXXI)

Lieber Papa

Ach Papa, wer warst du wirklich? Manchmal denke ich, ich habe dich gar nicht richtig gekannt. Habe ich nicht gut genug hingeschaut? Oder wolltest du dich nicht zeigen? Wieso? Was hast du versteckt? Was war nur Schauspiel? Was echt?

Ich wusste als Kind nichts von deiner Vergangenheit. In späteren Jahren hast du ab und zu etwas erzählt, meist Oberflächliches. Lustiges. Nie Tiefes. Oder Persönliches.

Gotti hat mir ein paar Bruchstücke erzählt. Als deine ältere Schwester kannte sie dich länger. Aber auch sie wusste nur, was man von aussen sah. Ich weiss nicht mehr, wie wir dazukamen. So erfuhr ich von einem düsteren Kapitel aus deinem Leben. Dinge, die du nicht lachend weggesteckt hast. Du hast nie davon gesprochen. Wieso? Hast du dich geschämt? Ging es mich in deinen Augen nichts an? Hast du es verdrängt?

Was sie erzählte und was ich erlebte, passte nicht zusammen. Es liess sich nicht in Einklang bringen. Als ob hinter deiner heutigen Maske ein vergangenes (echtes?) Gesicht verborgen wäre. Verbogen für alle anderen. Auch für mich. So hast du alle auf Distanz gehalten. Auch mich. Das fühlt sich nicht schön an. Ein Teil deiner Maske war das Schweigen. Etwas, das du in deiner Familie gelernt hast.

„Darüber spricht man nicht.“

Was nicht gesagt wurde, existierte nicht. Präsentiert wurde nur die glatte Oberfläche. Die, welche man auf Hochglanz poliert hatte. Was störte, wurde unter den Teppich gekehrt. Stillschweigend. Einvernehmlich. So sollte es sein. Die Teppiche waren geräumig. Ganze Menschen hatten unter ihnen Platz. Zum Beispiel Grossvati. Vom verehrten Familienoberhaupt zur Persona non grata. Von heute auf morgen.

„Wir sprechen nicht mehr über Grossvati.“

Hiess es.

„Was ist passiert?“

„Das tut nichts zur Sache.“

Die Botschaft war klar. Das Thema war durch. Was folgte, war Schweigen. Zu dem Zeitpunkt war er schon viele Jahre tot. Es war ein Sockelsturz post mortem. Er starb quasi zum zweiten Mal. Ich verstand nicht, wie man einen Menschen erst lieben und loben und dann fallen lassen konnte. Ich habe auf all meine Fragen nie eine Antwort bekommen. Es gab ein paar Andeutungen. Ich weiss nicht mehr von wem. Frauengeschichten, Schulden. Alles unzusammenhängend und vage. Ich hatte ihn gerngehabt. Es war, als ob ich das nicht mehr dürfte. Was mir bleibt, ist die Erinnerung. Ich erinnere mich an die Besuche bei ihm. Er sass in seinem Sessel. Schon schlecht auf den Füssen. Ich war noch klein. Ich krabbelte vor ihn, zog ihm seine Finken aus. Ganz schnell. Er schaute runter, als ob er mich vorher nicht gesehen hätte. Und dann lachte er. Er lachte so sehr, dass sein ganzer Körper wackelte. Und da war viel, das wackeln konnte. Ich habe es geliebt. Mehr Erinnerungen an ihn habe ich nicht.

Wer war Grossvati, bevor er Grossvati wurde? Ich weiss es nicht. Es hiess mal, er hätte gerne Geschichte studiert. Das Geld fehlte, also machte er eine Lehre. Als Metzger. Weil man da immer zu essen hätte. Das glaubte er. Der Beruf machte ihm keine Freude. Später wurde er Schlachtermeister am Schlachthof Zürich. Und er litt mit den Tieren mit. Ging jedes Wochenende hin und fütterte und tränkte sie, war bei ihnen. Dann war er Wirt. Hätte die Braunen aus dem Lokal geworfen. Trotz Drohungen. Das habt ihr stolz erzählt, als er noch ein Held für euch war. Auch das zählte nicht mehr.

Wie war er für dich als Vater? Wie war deine Beziehung zu ihm? Ich weiss nur, dass er dich mal mit dem Gürtel verprügelte und du dir dann geschworen hast, dein Kind nie zu schlagen. Das hast du gehalten. Und noch eine Geschichte hast du lachend erzählt. Vom Krieg. Als das Essen knapp war. Eines Tages hättet ihr Kaninchenbraten auf dem Tisch gehabt. Euch gefreut. Bis deine Schwester nach der Katze fragte. Und Schweigen zurückkam. Grossvati hatte die Katze geschlachtet, um euch etwas auf den Tisch zu bringen. Keiner hätte einen Bissen gegessen. Er sei wütend geworden. Ich vermute, auch traurig. War es nicht gut gemeint gewesen? Während ich das schreibe, frage ich mich, wann die Geschichte für dich lustig wurde. Das waren die Geschichten, die du erzählt hast. Es waren wenige. Wie ging es dir mit all dem? Das hast du nie erzählt. Auch später nicht. Wenn ich dich fragte, wie es dir geht, kam zurück:

„Es geht mir gut.“

Du zogst diese Worte morgens an wie eine Uniform und trugst sie durch den Tag. Du warst ein Meister der Tarnung. Du lehrtest auch mich, nie zu zeigen, dass es mir schlecht geht. „Von Menschen, denen es nicht gut geht, wendet man sich ab“, sagtest du. Ich war leider nie so gut in meiner Tarnung wie du. Gute Miene zum bösen Spiel? Lag mir nie. Selbst wenn ich mich bemühte und versuchte, so zu tun, als sei alles gut: Man sah mir das Gegenteil an. Wie oft hast du mich dafür gerügt.

„Trag dein Herz nicht immer auf der Zunge!“

Hast du gesagt.

„So will niemand mit dir zusammen sein!“

Hast du gesagt. Ich habe es geglaubt. Ich glaube dir bis heute. Will es einer doch, hat er nur noch nicht gemerkt, wie ich bin. Spätestens dann ist er weg. Deine Sätze, deine Überzeugungen, deine Lehren, sie begleiten mich durchs Leben.

Wie bist du eigentlich zu dem Schluss gekommen? Dass man Menschen nicht mag, die nicht immer fröhlich sind? Mochtest du sie nicht? Weil sie dich an deine düsteren Stunden erinnerten? Oder interessierte dich schlicht nicht, wie es anderen ging? Weil du an der Oberfläche bleiben wolltest? Fürchtetest du das Aufdecken deiner eigenen Tiefen? Was hat dich in deinem Leben so sehr verletzt, dass du die Entdeckung befürchtetest?

Und so trugst du eine Maske. Schafftest Distanz. Ich hatte Ahnungen, was dahinter versteckt sein könnte. Sicher war ich nie. Ich kam sprichwörtlich nicht an dich heran. So hieltst du alle auf Abstand. Wovor hattest du Angst? Dass Nähe dich verletzbar gemacht hätte? Vor neuen Wunden? Sogar bei mir? Ich habe dich geliebt. Und wäre dir gerne nah gewesen. Ich hätte deine Nähe gebraucht. Und kam nicht zu dir durch. Auch jetzt hast du dich mir wieder entzogen. Darum bleiben mir nur diese Briefe.

(„Alles aus Liebe“, XXXI)

Die Welt des tödlichen Scheins

Ab und an frage ich mich, in was für einer Welt wir leben. Man sieht wunderschöne junge Menschen strahlend in die Kamera lächeln, ihr wunderbar buntes und meist luxuriöses Leben präsentieren. Alles glänzt, alles ist perfekt. Und dann bringen sie sich um. Weil sie – wie man dann so liest – schon lange Depressionen gehabt hätten. Aber: Sie haben einen Schein aufrecht erhalten, der andere mitriss, es ihnen gleich zu tun. Und sie sind nachher am Druck zerbrochen. Die nächsten werden es unter Umständen auch tun.

Wir sind darauf geeicht, zu präsentieren, was wir alles haben, da wir nur wer sind, wenn wir was haben – und davon bitte möglichst viel. Mein Haus, mein Boot, mein Auto. Drunter geht nichts. Die erste Frage beim Kennenlernen ist, was man beruflich mache und ob das Einkommen gut sei. Oder aber es kommt ein Monolog, was alles vorhanden ist. Danach stockt das Gespräch. Man möchte natürlich bitte nicht drauf reduziert werden. Tut es aber selber meist.

Sein und haben – die Thematik ist nicht neu, Erich Fromm schrieb ein ganzes (wirklich lesenswertes) Buch darüber. Worauf gründen wir unser Selbst-Bewusstsein? Wie bewerten wir die anderen? Wie viel zählt der Mensch noch, der Kern unter dem Leistungsträger? Böse Stimmen erachten alle, die es nicht schaffen, als Leistungsschmarotzer. Sprich: Einer, der – wieso auch immer – nicht mehr kann, ist ein Parasit. Damit wird ihm die Würde abgesprochen, denn Würde liegt in der Fähigkeit, autark zu leben. Grundsätzlich würde das in einem Sozialstaat auch der, welcher darauf angewiesen ist… da er in einem System lebt, in welchem das so vorgesehen ist. Dafür sollten wir dankbar sein, denn es kann wirklich jeden treffen. Nur:

Stimmen werden lauter, die alle, welche dann wirklich darauf zurückgreifen müssen, degradieren. Im Grundgesetzt heisst es, die Würde des Menschen sei unanstastbar. In meinen Augen müsste man das durchsetzen. Und ahnden. Ich denke nicht, dass die unsere Demokratie und unser System gefährden, die – aus meist tragischen – Gründen darauf angewiesen sind, davon getragen zu werden. Wirklich gefährdend sind die, welche die Grundwerte mit Füssen treten. Und ja, es gibt Menschen, die das System anklagen. Aber es heisst schon im Rechtssystem „in dubio pro reo“ – da wäre es im sozialen Bereich nichts als billig…

Wir scheinen in einer Welt zu leben, in der Schein alles ist. Du musst gut aussehen, um was und wer zu sein. Daran zerbrechen viele. Wie schön wäre es, wieder sein zu können. Und zu wissen, dass es Hilfe gibt, wenn es mal nicht geht. Dass man nicht einen Schein bewahren muss, bis man nicht mehr kann… zu wissen, dass man Mensch sein kann mit Schwächen. Unter Menschen. Mit Empathie.

Schein und Sein

Ich hörte in letzter Zeit von verschiedenen Seiten, ich wirke immer so fröhlich, male Bilder, verbreite positive Gedanken. Ich habe die anderen durchaus auch verbreitet, man wollte sie wohl nicht sehen.

Die Menschen beurteilen alle Dinge nach dem Erfolg.
Jeder sieht, was du scheinst
und nur wenige fühlen,
was du bist.
(Niccolò Machiavelli)
Man möchte wohl oft das sehen, was grad passt.
Und wenn ich denn male, wollen Menschen die Bilder haben. Aber viele wollen dafür lieber nicht zahlen.
Und dann gibt es noch die, welche fragen, wovon ich denn lebe? Was ich denn arbeite?
Die Menschen beurteilen alle Dinge nach dem Erfolg.
Jeder sieht, was du scheinst
und nur wenige fühlen,
was du bist.
(Niccolò Machiavelli)
Was ist Erfolg? Woran misst man ihn?

Von Schein und Sein

Es war einmal ein Scheinheiliger, der trug zum Schein einen Heiligenschein. Er dachte, wenn er diesen nur offensichtlich genug trüge, glaubten alle dem Schein und hielten ihn für einen Heiligen. So ging er durchs Leben und schien heilig, bis er merkte, dass selbst die grösste Frequenz derer, die dem Schein auf dem Leim gingen, ihm kein Glück verschafften.

So nahm er den Heiligenschein ab und siehe da: Er realisierte, dass dieser Schein, so heilig er erschienen, nur Last gewesen war. Plötzlich fühlte er sich frei. Nun musste er nicht mehr heilig scheinen, nun konnte er sein, was und wer er war.

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2017_36-17_eins

Für die abc.etüden, Woche 36.17: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche von Christiane von „365tageasatzaday“ (https://365tageasatzaday.wordpress.com) und lauten: Heiligenschein, Frequenz, erleichtert.

Der Ursprungspost: HIER

Alles Werbung oder was?

Gerade sah ich ein Werbevideo. Ein Coach (mir gewogene Leser kennen meine Gefühle gegenüber dieser Gattung) warb für sich und seine Idee. Natürlich tat er das nicht plump, er sagte nicht:

Kommt alle her, ich bin der Beste und durch mich werdet ihr auch die Besten!

Er erzählte eine Geschichte. So ganz harmlos. Erzählte, dass er Läufer sei, erzählte, dass es dabei gewisse Dinge brauche. Hatte nette Bildchen auf Karten, die er zu Stichworten aufs Pult warf. Es war nett, harmlos. Die Stimme plätscherte beruhigend dahin. Man sass so da, sah zu und nickte ein wenig.

Ich war aber grad eher nicht nickend gepolt. Ich sah plötzlich dies und das und machte mir diese und jene Gedanken. Das kommt ab und an über mich. So sage ich nun auch nicht, dass ihr nun ganz gut aufpassen sollt und ich am Schluss recht habe, ich erzähle einfach eine Geschichte:

Ich sah ein Video eines Coaches. Alles, was er sagte, klang nett und gut. Dann fiel mein Blick auf seine Hände. Von da war der Weg nicht weit zu seinen Hemdsärmeln. Die ragten aus den Sakkoärmeln hervor. Ich habe mal gelesen, so getragen und zur Schau gestellt signalisiere das Publikumsnähe. Als Redner sage man:

Ich bin einer von euch.

Vor den Hemdsärmeln prangte eine sehr – wirklich sehr – grosse Uhr. Das Sakko war nicht schwarz, sondern in einem glänzenden Anthrazit gehalten. Das Hemd nicht reinweiss, sondern mir Punkten. Die Botschaft:

Ich kann mir was leisten, ich kauf nicht von der Stange und ich weiss, was gerade modern ist.

Im Hintergrund stand ein Flipboard mit einer Zeichnung. Das Flipboard war nie in Gebrauch, es stand quasi nur so rum. Die Zeichnung drauf in einfachen, energischen Strichen gehalten und durchaus passend – das aber nicht zu offensichtlich.

Und so sass ich da und fand es irgendwie schade. Um sich gegen immer mehr Werbeangebote schützen zu können, muss man drauf trainiert werden, Signale zu deuten, damit man ihnen nicht wehrlos erliegt. Alles wird zur Botschaft, alles kann eingesetzt sein. Was ist echt? Rutscht das Sakko einfach mal nach hinten? Mag man einfach Punkte? Ist alles eingesetzt oder blosser Zufall?

Klar, das könnte man nun die Evolution des modernen Menschen bezeichnen. Erkenne die Gefahren und wappne dich dagegen. Und doch beklage ich, dass die immer grösser werdende Deutungswut in Bezug auf alle nur erdenklichen Ebenen menschlichen Daseins dazu beiträgt, dass keiner mehr einfach so sein und tun kann. Jeder fragt sich:

Was heisst das denn nun? Was sagt es über mich aus?

Und auch:

Was meint der denn nun?

Aber natürlich war das immer schon so. Das ist übrigens das beliebteste Argument derer, die eigentlich nichts zu sagen haben, aber doch was sagen wollen. Man kann das deuten.

Hauptsache, es klingt gut

BücherbergeKürzlich stolperte ich über einen Artikel über Empathie. Da mir das Thema sehr am Herzen liegt, war ich erfreut, dass es anderen auch so geht. Die Autorin bezeichnete sich denn auch als Expertin auf dem Gebiet der Empathie. Empathie, so meinte sie, sei ein Akt des gegenseitigen Verständnisses. Nun gut, das ist sehr kurz gefasst, aber nicht grundsätzlich falsch. Im Nächsten Satz fordert sie den Leser auf, Empathie für einen elektronischen Dienst aufzubringen, Empathie für all das Gute, das dieser Dienst für uns täte. Da wurde mir das Ganze schon mehr suspekt. Das wäre in etwa dasselbe, wie wenn ich morgens Empathie mit meinem Käsebrot verspürte, weil es meinen Hunger stillt.

Leider steht die gute Dame nicht allein mit dem, was sie tut. Werbung und Kommunikation lebt häufig von leeren Worten, die gut klingen. Man packt alles, was Klang, Rang und Namen hat, zusammen, mixt etwas peppig klingendes zusammen und spuckt es dem Kunden vor die Füsse. Vermeintliche Botschaft:

Wir sind cool, du hast nur auf uns gewartet.

Empfangenes Gefühl:

Die denken, ich bin dumm, was wollen die von mir?

Ich denke kaum, dass die Rechnung wirklich langfristig aufgeht. Das gerade aktuelle Zugpferd Empathie lässt sich nicht beliebig einsetzen, schon gar nicht, wenn es offensichtlich nicht verstanden wird. Auch wenn die mehrfache Nennung des Schlagwortes und die ebenso offensive Verwendung des Produktenamens dazu führen werden, den Link weit nach oben in den Google Rankings zu bringen, wird ihm ausser vielleicht einigen Klicks wenig zuteil werden.

Auch hier wäre mehr Inhalt und weniger Schein schlussendlich mehr gewesen. Das hätte dann von Empathie mit dem Kunden gezeugt.

Es gibt so Tage…

Heute hatte ich meinen Papa am Telefon. Er wagt wieder erste Schritte, es gehe aufwärts, meinte er. Eigentlich eine tolle Botschaft, eine, die so sehnlich erwartet war. Er klingt müde, schwach. Aber er klingt. 

Und ich merke, wie sehr er mir fehlt. Der Mann, der so stark war, voller Energie. Der Mann, zu dem ich gehen konnte, wenn was war. Grad jetzt würde ich ihn brauchen. Aber ich kann nichts sagen. Er soll gesund werden. Ich möchte für ihn da sein. Er soll sich nicht sorgen. 

Und irgendwie sind alle beschäftigt mit sich. Und überall bin ich da und rate, stütze, helfe. Und überall denke ich, dass Meines keinen Platz hat, denn überall ist es schon voll. Das Gefühl der Einsamkeit macht sich breit. Ich, die ich so gerne alleine bin, fühle mich grad erschlagen von dem Nichts, das um mich ist. Könnte toben, wüten, alles kurz und klein schlagen und einfach weinen. Und niemand ist da, der mich auffängt. Ich möchte wieder klein sein, nur für einen Moment, bis die Beine nicht mehr schwanken. Aber ich bleibe gross. Und an mir klebt all die Last der Verantwortung, die ich so ernst nehme.

„Du bist so stark“ – wie oft hörte ich das. Blieb mir je eine Wahl? Ich wurde gegen Wände geknallt, verbal zu Kleinholz geschlagen, mir wurden Gerechtigkeit und Fairness versagt. Ich war meist allein mit allem und suchte mir meinen Weg. Fand ihn immer, aber einfach war das nicht. Das kümmerte niemanden. Entweder kämpfte ich gegen Vorurteile, Dinge nicht hinkriegen zu können, oder aber ich war mit dem Stempel der ach so Starken versehen, da war Jammern eh nicht angebracht. 

Das macht einsam. Verdammt einsam. Ich suchte nach Halt, nach Geborgenheit – und war immer wieder neu am Kämpfen. Und vermutlich sollte man solche Blogs nicht schreiben. Und ich werde mich ohrfeigen dafür. Doch wie viele Menschen sitzen da draussen und niemand schaut hin? Niemand kümmert es, wie es ihnen wirklich geht, da sie ihr Bild schon gemacht haben? Wie viele trauen sich nicht, zu sagen, was ist, weil das neue Unwort vom „Opfer-Abo“ kursiert. Und wer will schon Opfer sein? Damit hat man gleich doppelt die Arschkarte gezogen.

Ups, pardon, ein Unwort. Das sagt man nicht. Man drückt sich gewählt aus. Das kann ich auch, keine Frage. So gewählt, dass keiner mehr versteht, was gemeint ist. Das macht man heute so. Blosser Schein, wohin man schaut. 

Wert des Lebens

Was wirklich zählt in dieser Welt,
lässt sich ganz leicht erzählen.
Wie oft ist uns der Blick verstellt,
verirren wir in Wünschen, Plänen.
Seh’n, was fehlt und wollen hin,
schätzen nicht, was da schon steht,
in den Augen, aus dem Sinn,
wir wollen das, was wirklich geht..

Doch eines Tages, knüppeldicke,
holt uns schon das Schicksal ein,
reisst unser Sein in viele Stücke,
hinterlässt bloss Wut und Pein.
So langsam dämmert’s, wir seh’n ein,
dass was wir suchten und begehrt,
war nichtig und auch blosser Schein,
denn wo dein Herz sitzt, liegt nur Wert.

Auswüchse der Profitgier oder: Jeder ein Manager

Da man vom Kader unentgeltliche Überstunden erwarten kann (schön geregelt im OR), erhebt ein Unternehmen alle seine Mitarbeiter gut und gerne in den Managerstatus(so wird zum Beispiel aus dem Hausabwart ein Facility Manager, der weiteren Beispiele wären viele…). Alter Wein in neuen Fässern.

Das bringt den so Beförderten im ersten Moment den Stolz des Titels, im zweiten das Nachsehen im eigenen Portemonnaie. Das Unternehmen auf der anderen Seite kann auf eine grosse Dichte an ausgewiesener Führungsqualität verweisen (man sehe die vielen Titelträger) und spart Ende des Jahres an Ausgaben, was dem Umsatz wiederum zu  Gute kommt. 

 

Es lebe die Wirtschaft. Oder doch: Mehr Schein als Sein?

Schein und Sein

Von aussen sieht man nur, wie etwas scheint; wie es ist, weiss nur, wer es erlebt.

Ich bin mit Krimis wie „Der Alte“, „Derrick“, „Ein Fall für zwei“ und wie sie alle hiessen, aufgewachsen. Auch deutsche Komödien schaute ich dann und wann. In allen traf man immer wieder auf dieselben Schauspieler, man wusste so schon bald am Anfang des Krimis, wer der Mörder ist, weil dieser immer von denselben Schauspielern gespielt wurde. Ein Problem war das keines, im Gegenteil, wir erheiterten uns und schauten mit Freude weiter. 

Der Umstand, dass diese Schauspieler so präsent waren, liess darauf schliessen, dass sie Erfolg hatten. Dass sie auf der Sonnenseite des Lebens standen. Ab und an kriegte ich von meiner Grossmutter Regenbogenpresse, von deren Cover sie mir entgegen lächelten. Sie strahlten all ihr Glück vom Magazin in mein Wohnzimmer. Und es gab Momente, in denen ich dachte: „Ich hätte auch gerne so viel Glück!“ Nicht dass ich Schauspielerin werden wollte oder sonst berühmt, den Gedanken hatte ich nie. Es ging mir eher um das offensichtliche Glück, das sie im Leben zu haben schienen. Sie konnten den Beruf verfolgen, den sie wollten (ich ging davon aus, dass niemand Schauspieler wider Willen ist, da es doch der Traum vieler ist und doch Glück und Einsatz erfordert, ihn wirklich auszuüben). 

Viele Jahre später gelangte mir ein Buch in die Hände. Ich forschte zum Thema, wie man heute mit der Vergangenheit umgehen soll, vor allem, wenn diese Vergangenheit eine so schreckliche wie der Holocaust ist. Ich las Überlebendenbiographien, las Bücher über die Lager, über die Zeit. Und dabei auch eine Biographie, die mir nahe ging. Es war Michael Degens „Nicht alle waren Mörder“. Er schilderte darin seine Kindheit in Berlin, eine Kindheit auf der Flucht, eine Kindheit in Verstecken, eine Kindheit ausgesetzt den Launen und der Übermacht anderer. 

Wie oft hatte ich ihn in die Kamera lächeln sehen? Wie oft hatte ich gedacht: „Wow, toller Mann, toller Schauspieler, Glückspilz!“? Hatte ihn auf der Sonnenseite des Lebens gewähnt? Das Buch ist nicht wehleidig. Es ist nicht im Stil „Ich bin ein armes Opfer“ geschrieben. Es beschreibt eine Mutter mit ihrem Sohn, der voller Zuversicht durch diese schwierige Zeit geht, weil seine Mutter ihm verspricht, dass sie heil aus ihr hervorgehen. Eine tolle Frau. Wie viel Kraft muss es sie gekostet haben?

Er hatte sicher viel Glück im Leben. Trotz dieser unglaublich düsteren Zeit, welche aber nicht ausschliesslich eine düstere Kindheit war, wie er sagt. Er konnte für sich positive Momente daraus ziehen. Er hat überlebt. er hat einen Beruf ergriffen, der ihm lag, der ihn erfüllte. Er hatte Glück, hat sich eingesetzt. Und steht noch heute in diesem Beruf. Und wenn man ihn darüber sprechen hört, spürt man das Herzblut. Spürt man die Freude und die Leidenschaft. 

Also doch Sonnenseite des Lebens? Das wäre in meinen Augen zu kurz gegriffen. Leid war da. Ist sicher immer mal wieder da gewesen über die Jahre. Gesehen hat man von aussen nur den strahlend fotografierten. Und sich gedacht: „Was für ein Glückspilz. Wenn es mir so gut ginge, könnte ich auch so lachen.“ Dahinter blickt man nie, nur dran hin. Und dessen sollte man sich immer bewusst sein. 

Was ist der Mensch?

Was ist der Mensch, wie soll er sein?

Was macht ihn gross, wann ist er klein?

Sind es die Berge auf der Bank,

was ist gefragt, dick oder schlank?

Zählen  Titel oder Schönheit,

Sein allein oder zu zweit?

Ist Egoist er oder nett?

Wie sich kleiden, stets adrett?

Grosses Auto, teures Haus?

Oder macht das gar nichts aus?

Zählen wirklich inn’re Werte,

grosses Herz, das unbeschwerte?

Oder sind Struktur und hoher Rang,

grosses Anseh’n von Belang?

Ist angepasst, was er muss sein,

zählt wirklich Sein oder nur Schein?

Wer sagt es mir, wo muss ich hin,

wie muss ich sein, dass ich gut bin.

Wer setzt das Mass, wo ist die Norm,

gibt es Schablonen, eine Form?