Tagesbild: Hello, it’s me

Ich
„
Sklaverei ertrag ich nicht

Ich bin immer ich

Will mich irgend etwas beugen

Lieber breche ich.

Kommt des Schicksals Härte

oder Menschenmacht

Hier, so bin ich und so bleib ich

Und so bleib ich bis zur letzten Kraft.

Darum bin ich stets nur eines

Ich bin immer ich

Steige ich, so steig ich hoch

Falle ich, so fall ich ganz.
(Ingeborg Bachmann)

Aristoteles plädierte für den mittleren Weg als guten Weg, ein Gedanke, der sich in vielen Philosophien findet. Extreme sollen vermieden werden, weil sie oft ein „zu“ in sich tragen, welches dann Unruhe oder gar Leid mit sich bringt. Leider musste ich über die vielen Jahre merken, dass ich für mittlere Wege irgendwie nicht das Naturell bin. Es wurde etwas milder mit den Jahren, doch es blieb dabei: Was ich bin, das bin ich ganz. Und so verschreibe ich mich den Dingen auch ganz, mag keine halben Sachen.

Würde ich es empfehlen? Nein. Ich stelle mir einen gemässigten, ruhigeren Weg sehr schön und friedlich vor. Es ist einfach nicht meiner. Wenn ich früher hörte, ich müsste das lernen, fühlte ich mich schlecht. Ich dachte, mit mir ist etwas nicht in Ordnung. Und ich habe gelernt. Nämlich: Das ist Quatsch. Den mittleren Weg finde ich zwar toll, es ist einfach nicht meiner.

Wie haltet ihr es? Ganz oder gar nicht oder aber die goldene Mitte?

Habt einen schönen Tag!

Zum 51. Todestag von Ingeborg Bachmann


«Ständig bewohnt von Gefühlen

Gespinst voll von Gespinsten
wehenden,
flatternden, zerrissenen

veränderlichen, denen ich ein

mangelhaftes Haus aus Fleisch und Wasser und Muskel

und Haut gebaut hab.»

Heute vor 51 Jahren starb Ingeborg Bachmann. Ich hebe mein Glas auf diese wunderbare, tiefgründige Frau und Schriftstellerin, die so viele verschiedene Facetten in sich trug, dass wohl nie alle ans Licht kommen werden. Das macht sie einerseits zum Mysterium, andererseits aber zutiefst menschlich, sind wir doch alle mit unterschiedlichen Sehnsüchten, Anlagen und Facetten bestückt.

Selbst gab sie kaum Informationen über sich preis, und wenn, dann widersprachen sich die einzelnen in einer Weise, dass man nie sicher sein konnte, was denn nun stimmte. Diese Mehrdeutigkeit war nicht nur in ihren Selbstaussagen zu finden, auch ihr Verhalten sprach eine ähnliche Sprache. Mal ungeschickt, schüchtern flüsternd, dann wieder ganz Ikone und Grand Dame der Deutschen Lyrik. Dass vieles davon nur Selbstinszenierung war, liegt auf der Hand, gedacht als Schutzschild, was auf eine unsichere Person hinter diesem deuten lässt. Liest man die Lebensgeschichte, lässt sich dieses Bild leicht bestätigen. Und doch wusste Bachmann schon früh, was sie will im Leben: Schreiben.

In diesem kommt man Ingeborg Bachmann wohl auch am nächsten. Dabei finden sich darin keine chronologischen Lebenserzählungen, sondern eher Bilder von Gefühlswelten. Oft schreibt sie von Frauen als verwundetes Wesen, von grausamen Männern, von nicht gelebter Liebe, von Tod, Angst, Mord, Unsicherheiten? Wäre es bloss eine Geschichte mit diesen Themen, könnte man an schöpferische Freiheit und phantasievolle Vorstellung glauben, doch in der Dichte? Glaubt man Goethes Aussage, dass alles Schreiben autobiographisch ist, so muss man zum Schluss kommen, dass ganz viel Ingeborg im Bachmannschen Werk steckt

«Der Krieg wird nicht mehr erklärt,

sondern fortgesetzt. Das Unerhörte

ist alltäglich geworden. Der Held

bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache

Ist in die Feuerzone gerückt.

Die Uniform des Tages ist die Geduld,

die Auszeichnung der armselige Stern

der Hoffnung über dem Herzen.»

Ingeborg Bachmann fühlte sich lange, wenn nicht zeitlebens schuldig für ihre Herkunft als Tätertochter. Sie hat es als Pflicht gesehen, ihren Teil dazu beizutragen, dass nicht einfach weiter geht, was so viel Unheil angerichtet hat. Dies tat sie unter anderen mit ihren Gedichten, später auch in der Prosa, indem sie die Geschichte und die durch diese aufgeladene Schuld immer wieder thematisierte, den (eigentlichen Nicht-) Umgang damit durch ihre Beschreibung der Kritik zugänglich machte.

Hinschauen wollte sie, nicht schweigen – zumindest im öffentlichen Raum, denn über das Private, vor allem die Vergangenheit ihres Vaters, schwieg auch sie.

«Allein sein. Frei sein.»

Sucht man einen einzigen Ausdruck, der Ingeborg Bachmann beschreiben soll, so könnte man sie wohl eine «unglücklich Liebende» nennen. Zeitlebens auf der Suche nach Liebe, wollte sich doch keine wirklich lebbare einstellen. Das mag teilweise an den Männern gelegen haben, hatte aber sicher auch einen grossen Anteil bei Bachmann selber. Sie konnte und wollte sich nicht anpassen, unterordnen, abhängig sein, sie kämpfte für ihre Freiheit, ihre Autonomie. Und: Sie stellte ihr Schreiben über alles. Sie war nicht bereit, dafür Zugeständnisse zu machen. So scheiterte ihre grosse Liebe zu Paul Celan, die Beziehung mit Max Frisch, und auch jede Liebelei zwischendurch. Zurück blieb eine einsame Frau, die am Leben und der fehlenden Liebe krankte. Und irgendwann blieben auch die Worte aus, um die sie sowieso zeitlebens kämpfte, da sie ihr selten einfach zuflogen.

„Meine Gedichte sind mir abhanden gekommen.

Ich suche sie in allen Zimmerwinkeln.

Weiss vor Schmerz nicht, wie man einen Schmerz

aufschreibt, weiss überhaupt nichts mehr.

Weiss, dass man so nicht daherreden kann,

es muss würziger sein, eine gepfefferte Metapher.

müsste einem einfallen. Aber mit dem Messer im Rücken.

Parlo e tacio, flüchte ich mich in ein Idion,

in dem sogar Spanisches vorkommt, los toros y

las planetas, auf einer alten gestohlenen Platte

vielleicht noch zu hören. Mit ezwas Französischem

geht es auch, tu es mon amour depuis si longtemps.

Adieu, ihr schönen Worte, mit euren Verheissungen.

Warum habt ihr mich verlassen. War euch nicht wohl?

Ich habe euch hinterlegt bei einem Herzen, aus Stein.

Tut dort für mich, Haltet dort aus, tut dort für mich ein Werk.“

Mit nur 47 Jahren ist Ingeborg Bachmann gestorben. Ihr Tod war genauso mysteriös wie ihr Leben. Ein Kreis schloss sic

„Wir halten. Beenden den Trott.

Sonst ist auch das Ende verdorben.

Und richten die Augen auf Gott:

wir haben den Abschied erworben!“

Leseerlebnis – Ingeborg Bachmann: «Senza Casa»

Autobiographische Skizzen, Notate und Tagebucheintragungen

«Ständig bewohnt von Gefühlen
Gespinst voll von Gespinsten
wehenden, flatternden, zerrissenen
veränderlichen, denen ich ein
mangelhaftes Haus aus Fleisch und Wasser und Muskel
und Haut gebaut hab.»

Es gibt wohl kaum eine Zweite, mit der ich mich so verbunden fühle, weil ich mich in ihren Zeilen immer wiedererkenne, wie Ingeborg Bachmann. Das ist sicher auch der Grund, wieso ich an keinem Buch von ihr oder über sie vorbeikomme. Ich muss sie haben, ich muss in sie eintauchen, ich muss mehr erfahren. Und finde immer auch mich in den Texten.

«Einbruch des Vergangenen in die Intensität. Die Liebe: das Zurückrufen der Liebe aus einer Zeit, in der sie es nicht war.»

«Senza Casa» ist wohl eines der persönlichsten Bücher. Hier finden sich Notate aus ihren Tagebüchern, hier finden sich ihre tiefsten Gedanken, Gefühle, aufgeschrieben aus der Situation heraus, wie sie gerade auftauchten, sich drehten und damit Ingeborg Bachmann umtrieben. Liest man es als erstes Buch, um ihr näher zu kommen, stösst man in die Tiefe vor, sieht sich mit Gefühlen konfrontiert, die man nicht zuordnen kann, die aber für sich Bilder auslösen. Liest man es vor dem Hintergrund eines schon vorhandenen Wissens über ihr Leben, Denken und Schaffen, finden sich zusätzlich Bezüge zu diesem, weiss man die einzelnen Stellen zuzuordnen.

«Allein sein. Frei sein.»

Ein Herzensbuch, das ich nur ans Herz legen kann. All denen, die eine spannende, wunderbare und sehr eigensinnige, eigenwillige Frau näher ergründen wollen.

Ich hebe mein Glas auf Max Frisch

„Dass es ein unsagbares Glück ist, leben zu dürfen, und dass wohl nirgends die Leere sein kann, wo dies Gefühl auch nur einmal wirklich errungen worden ist, dies Gefühl der Gnade und des Dankes.»

Zu spät, aber von Herzen hebe ich mein Glas auf Max Frisch, der gestern 113 Jahre alt geworden wäre. Ich habe mich immer wieder mit ihm als Menschen, mit seiner Biografie und Interviews beschäftigt, habe seine Fragebögen beantwortet, bin in sein Werk eingetaucht. Ich mag ihn, er ist mir in seinem Denken, in seiner Art, die Dinge anzugehen, sie zu hinterfragen, nah. 

Er war kein Heiliger, was ihm oft zum Vorwurf gemacht wurde. Vor allem die Beziehung zu Ingeborg Bachmann wurde ihm zu Lasten gelegt, war sie durch ihr Leiden und ihren mysteriösen Tod später ein vermeintlich offensichtliches Opfer. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte, wie so oft. Sein Satz, der auch zum Titel des Briefwechsels wurde, hat viel Wahres:«Wir haben es nicht gut gemacht.»
Was er gut gemacht hat, sind seine Werke, die ich immer wieder lesen kann und immer wieder Neues finde, das mich begeistert. Frei nach Gretchen: Wie haltet ihr’s mit Max Frisch?
Habt einen schönen Tag!

Mehr zu Max Frisch:

Biografien von A bis Z: B

Die Reise durch die Leben von Menschen, die mich beeindrucken, geht mit dem Buchstaben B weiter: Ein Gruppenbild mit Herrn quasi. Das Gemeinsame meiner Verbindung zu den einzelnen ist, dass ich mich mit jedem von ihnen eine Zeit lang intensiv auseinandergesetzt habe, da förmlich in ihr Werk eingetaucht bin. Ihnen gemeinsam ist, dass sie sich alle mit dem Thema der Identität auseinandergesetzt haben, jeder auf seine ganz eigene Weise.

Martin Buber setzte zeitlebens auf den Dialog. In ihm entwickelt sich das Leben, in ihm erkennt sich jeder selbst. Das Ich existiert nur, weil es ein Du gibt. Im Dialog kann sich etwas entwickeln, der Dialog ist die Schöpfungskraft von Neuem und der Weg zur Erkenntnis dessen, was ist.

«Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas…Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.»

Simone de Beauvoir wusste von klein auf, was sie will: Schreiben und frei sein. Sie hat sich diesem Ziel verschrieben und es gelebt, immer aus der Überzeugung heraus, dass wir in diese Welt geworfen werden, ohne uns das ausgesucht zu haben, und es nun an uns selbst ist, uns darin zu positionieren, uns quasi nach unseren Massgaben zu erschaffen. Sie stiess mit ihrem Forschungsdrang und Lebenswillen nicht immer auf Zustimmung:

«Niemand nahm mich so, wie ich war, niemand liebte mich; ich selbst werde mich genügend lieben, beschloss ich, um diese Verlassenheit wieder auszugleichen.»

Das Glück wollte es, dass sie auf einen Menschen stiess, der ihren eigenen Lebensentwurf und damit den Menschen, der sie dadurch wurde, anerkannte und unterstützte. So befand Sarte, wie Simone de Beauvoir in ihren «Memoiren einer Tochter aus gutem Hause» schrieb:

«Auf alle Fälle sollte ich mir das bewahren, was das Schätzenswerteste an mir sei: Meinen Hang zur Freiheit, meine Liebe zum Leben, meine Neugier, meinen Willen zu schreiben.»

Auch Ingeborg Bachmann war eine, die schreiben wollte. Diesem Drang ordnete sie alles unter, für ihr Schreiben war sie zu Opfern bereit, sie zahlte einen hohen Preis dafür, denn Ingeborg Bachmann sollte das Glück einer lebenslangen Liebe verwehrt sein – sie verwehrte es sich wohl teilweise selbst. Sie suchte diese Liebe unentwegt, sie sehnte sich danach, fand zwar viele Männer, die sie verehrten, ihren Weg eine Zeit lang begleiteten, aber nie die überdauernde Liebe, welche ihr hätte Halt und Lebenssinn geben.

«…ich habe in der Liebe und durch die Liebe immer den Boden verloren und daher nie einen gehabt… ich werde, solange ich liebe, keinen Platz in der Welt finden, nie das bekommen, was ich am meisten ersehne, und darum wird alles, was ich sonst bekomme und wofür ich mich bemühe , dankbar zu sein, für immer ohne Glanz sein.»

Welche Biografien zum Buchstaben B könnt ihr empfehlen?

Ingeborg Bachmann, Max Frisch: «Wir haben es nicht gut gemacht.»

Der Briefwechsel

Inhalt

«Wir wären ein Unheil füreinander. Aber auch so kein Heil.» (MF)

Diese Worte schreibt Max Frisch an Ingeborg Bachmann, nicht lange nach ihrem ersten Treffen, in dem schon die Ahnung lag, was kommen wird. Es muss eine grosse Liebe gewesen sein, die einschlug und beide ergriff. Und doch war wohl beiden bewusst, wie schwer es für jeden von ihnen selbst ist, mit einem anderen Menschen zu eng zusammen zu sein, wie schwer es durch denselben Beruf und auch die Öffentlichkeit, in welcher beide standen, sein würde.

«…Lass das nicht zu! Ich möchte mit Dir ans Ende gehen, und wenn Du mich verlassen musst, nie wieder lieben…» (MF)

Der Leser wird Zeuge eines verzweifelten Ringens von zwei Personen um die Lebbarkeit einer Liebe, er liest sich Zeile für Zeile durch Alltäglichkeiten, Hoffnungen, Abgründe, Schmerz und Liebe. Es waren zwei Königskinder, die zwar sich, aber nicht wirklich zueinander im Sinne eines Miteinanders fanden.

Der hier veröffentlichte Briefwechsel gewährt erstmals einen offenen Blick auf eine Beziehung, die von Mythen umgeben war. Vor allem auf der Seite der Bachmannanhänger existierte das Bild der zum Opfer eines Beziehungstyrannen gewordenen Frau. Die 3jährige Arbeit von vier Herausgebern, Bachmann- und Frisch-Experten, legen einen neuen Grundstein für einen neuen Blick sowohl auf die Lebens- und Beziehungswege sowie die Werkbezüge der beiden Autoren.

Gedanken zum Buch

«Jetzt weiss ich es aus Erfahrung, dass ich in deiner Liebe, uns wenn sie mir über Jahre erhalten bliebe, allein sein werde… Man kann nicht zuhause sein zu zweit und allein sein. Du wirst mich aber immer allein lassen.» (MF)

Max Frisch suchte die Zweisamkeit, er wollte die Liebe im Alltag präsent haben und sah sich mit einer Frau konfrontiert, die sich diesem Wunsch immer wieder entzog, die sich nicht einengen lassen wollte und wohl auch nicht konnte. Dies lag wohl in ihrem Naturell, welchem sie sich nicht entziehen konnte. Ihre Worte klingen anders:

«Es ist schwer für mich, weil ich so gerne etwas Ganzes möchte, etwas Kompromissloses mit Mann und Haus und Kind.» (IB)

Ingeborg wollte eigentlich alles, sie suchte die Liebe, sie brauchte sie, sie lechzte förmlich danach. Und doch konnte sie sie nicht so leben, sie konnte die Nähe nicht aushalten, floh immer wieder nach kurzer Zeit oder, wenn schon weg, verzögerte die Rückkehr. So lebten die beiden zwar in einem Haushalt, und waren doch sehr selten beide am gleichen Ort.

«…ich habe in der Liebe und durch die Liebe immer den Boden verloren und daher nie einen gehabt… ich werde, solange ich liebe, keinen Platz in der Welt finden, nie das bekommen, was ich am meisten ersehne, und darum wird alles, was ich sonst bekomme und wofür ich mich bemühe , dankbar zu sein, für immer ohne Glanz sein.» (IB)

Es klingt, als ob Ingeborg Bachmann resigniert hat, als ob sie Angst hat, die Liebe zu leben, wie sie sie gerne leben würde, aus Angst vor neuem Schmerz, wie sie ihn in der Vergangenheit erlebt hat. Indem sie sich also nicht auf Max Frisch einlassen kann, entzieht sie ihm das, was er wiederum bräuchte, um ihr das zu bieten, wonach sie sich tief drin sehnen würde. Und so drehen sich die beiden im Kreis eines sich gegenseitig befeuernden Entziehens, mit dem schlussendlich beide nicht zurechtkommen.

«Ich fand keine Brücke, keine Möglichkeit einer Brücke. Ich bin auf Brücken angewiesen, Du wahrscheinlich nicht. Ich zweifle nicht an deiner Liebe, Ingeborg, nicht an der Grösse deiner Liebe, wenn du liebst. Ich weiss nur, dass ich nicht beziehungslos lieben kann… Vielleicht weil bei mir die Leidenschaft nicht ausreicht, um sich selbst zu genügen. Ich kann nicht allein sein.» (MF)

Wir lesen diese Briefe mit steigernder Bestürzung, wir werden Zeuge eines Paares, das mit sich und mit dem anderen ringt, das leidet, kämpft und doch immer wieder resigniert. Wir lesen Liebesschwüre, Anschuldigungen, wir lesen Entschuldigungen und Selbstverteidigungen, wir lesen von Lösungsansätzen und Missverständnissen und sind tief in einer Zweierkiste der Dritte, irgendwie nicht ganz zu Recht da. Es stellt sich die Frage, ob es legitim ist, eine so intime Geschichte so nah mitzuverfolgen. Es stellt sich die Frage, ob wir als Voyeure dieses privaten Austauschs nicht zu weit gehen, eine Grenze überschreiten. Und doch gibt es diesen Briefwechsel, er ist gedruckt worden und das hatte Gründe, die vielschichtig sind.

Für die Literaturwissenschaft ist der Briefwechsel wohl ein Geschenk. Es sind Briefe von hohem literarischem Niveau, die nicht einfach nebenbei geschrieben, sondern regelrecht sprachlich komponiert sind. Man merkt den Briefen die Mühe und Sorge an, welche die Schreibenden einfliessen liessen. Die Briefe sind zudem ein weiterer Schritt zur Erschliessung zweier Werke, die durch diese Offenlegung einen neuen Schlüssel zu ihrer Interpretation erhalten.

«Ich möchte wieder lieben können – Dich und vieles und auch mich.» (IB)

Die vorliegende Korrespondenz ist nichtsdestotrotz privat und sie legt intime Gedanken und Gefühle zweier Menschen offen. Ingeborg Bachmann wollte aus diesem Grund nicht, dass die Briefe veröffentlicht werden, und Max Frisch hatte ihr testamentarisch zugesichert, dass dies nie passieren wird. Er hat später seine Meinung geändert und sie lediglich für eine bestimmte Zeit nach seinem Ableben gesperrt. Da diese Frist bald ausläuft, wären die Briefe bald öffentlich zugänglich. Diesen Umstand nennt Heinz Bachmann, Ingeborg Bachmanns Bruder, als eine Begründung, wieso er einer Veröffentlichung in diesem vorliegenden Rahmen zustimmte: so sei immerhin die sorgfältige und gewissenhafte Aufarbeitung gewährleistet. Dies ist auch gelungen. Ergänzt wird der Briefwechsel durch verschiedene sachkundige Kommentare der Herausgeber sowie einen ausführlichen Stellenkommentar.

«Wir haben es nicht gut gemacht.»

Was Frisch hier zum Ausdruck bringt, kann als sachliches Fazit gesehen werden. Wer die Briefe gelesen hat, weiss, dass keiner der beiden so sachlich gewesen ist, was diese Beziehung anbetraf. Beiden ging sie tief, beide litten sie, beide nagten am Ende und zogen ihre Wunden ins weitere Leben hinein. Als Leser bleibt man tief betroffen und auch nachdenklich zurück. Das ist kein Buch, das man einfach mal durchliest und beiseitelegt. Es hallt nach.

Fazit
Ein bewegendes, berührendes, ab und zu auch bedrückendes Buch, das einen neuen Schlüssel zur Erschliessung von Leben und Werk zweier grossartiger Schriftsteller liefert.

AutorInnen und Herausgebende
Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wurde durch einen Auftritt vor der Gruppe 47 als Lyrikerin bekannt. Nach den Gedichtbänden Die gestundete Zeit (1953) und Anrufung des Großen Bären (1956) publizierte sie Hörspiele, Essays und zwei Erzählungsbände. Malina (1971) ist ihr einziger vollendeter Roman. Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.

Max Frisch, geboren am 15. Mai 1911 in Zürich, arbeitete zunächst als Journalist, später als Architekt, bis ihm mit seinem Roman Stiller (1954) der Durchbruch als Schriftsteller gelang. Es folgten die Romane Homo faber (1957) und Mein Name sei Gantenbein (1964) sowie Erzählungen, Tagebücher, Theaterstücke, Hörspiele und Essays. Frisch starb am 4. April 1991 in Zürich.

Hans Höller war bis 2012 Professor für Neuere Deutsche Literatur am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg und bis 2020 einer der Gesamtherausgeber der Salzburger Bachmann Edition. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Literatur, Mitherausgeber mehrerer Bände der Thomas-Bernhard-Werkausgabe und der Jean-Améry-Ausgabe.

Renate Langer ist Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik der Universität Salzburg, Herausgeberin der Bände 3 und 6 der Thomas-Bernhard-Werkausgabe und Herausgeberin mehrerer Bände der Salzburger Bachmann Edition.

Thomas Strässle ist Professor für Neuere deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und Leiter des transdisziplinären Y Instituts an der Hochschule der Künste Bern. Er ist Präsident der Max Frisch-Stiftung.

Barbara Wiedemann, Literaturwissenschaftlerin mit editionsphilologischem Schwerpunkt, Lehrbeauftragte an der Universität Tübingen, Herausgeberin von Werken und Briefen Paul Celans, quellenkritische Studien zu Paul Celan im Kontext der zeitgenössischen Literatur (u. a. von Ingeborg Bachmann und Nelly Sachs).

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Suhrkamp Verlag; 3. Edition (21. November 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 1039 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3518430699

Ingeborg Bachmann/Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht“

Lesegedanken zum Briefwechsel

Langsam lese ich mich durch die Briefe hindurch, tauche ein in diese verzweifelte Sehnsucht nach Liebe von Ingeborg Bachmann. Ich habe viel gelesen über sie, von ihr, und doch öffnet dieses Buch einen neuen Blick auf alles. Zu sehen, wie sie hängt zwischen den Stühlen, wie sie vergeblich versucht, sich zu erklären, dann sich zu lösen, dann wieder aufgibt und der Trauer freien Lauf lässt, dem Unverständnis, wie es hat kommen können, wie es ist. All das berührt mich sehr, bewegt mich, zieht mich mit und in das Buch hinein. Sie wächst mir ans Herz, mehr und mehr.

Ein tiefes Buch, keines, das sich einfach weglesen lässt, keines, das ich einfach so nebenbei lesen kann und will. Ich möchte es leben, mitleben, erleben, erfühlen.

Und doch kommt ab und zu der Gedanke auf: Das war nicht für mich bestimmt. Und doch kann ich mich dem nicht entziehen. Ich versuche, dem Buch, dem Inhalt, den beiden Menschen dahinter, mit dem nötigen Respekt und einer wertungsfreien Offenheit zu begegnen. Ich versuche, dem Vertrauen, das sie mir schenken müssten, sich mir so zu offenbaren, gerecht zu werden.

Und immer wieder staune ich, was Bücher bewirken können, was sie bewegen, auslösen können. Und ich bin dankbar, habe ich die Möglichkeit, immer wieder in diese Welten einzutauchen.

Bettina Storks: Die Poesie der Liebe. Ingeborg Bachmann und Max Frisch

Zum Inhalt

«Sie würden einander neu erfinden, als Mann und Frau, als Schriftsteller und Schriftstellerin. Sie würden das erste Paar sein.»

Sie treffen sich 1958 in einer Bar in Paris. Max Frisch verliebt sich auf den ersten Blick, Ingeborg Bachmann ist anfangs zögerlicher. Sie laufen durch die Nacht in Paris und wollen gemeinsam durchs Leben laufen. Dass es ein Sturzflug werden würde, der in den Abgrund zu führen drohte, war ihnen da noch nicht bewusst – höchstens als kleine Ahnung, dass es nicht einfach werden könnte, vorhanden.

Die Liebe von Max Frisch und Ingeborg Bachmann dauerte 5 Jahre, sie war durchdrungen von Leidenschaft, von einer grossen und tiefgehenden Liebe und von vielen Streitereien. Hier trafen zwei unterschiedliche Charaktere aufeinander, zwei Menschen von Format und dem Auftrag zu schreiben. Hier trafen zwei Künstler aufeinander, die schon in sich viele Widersprüche hatten, und mit denen, die sie im anderen fanden, überfordert waren. Sie floh immer wieder vor ihm, weil sie ihre Freiheit suchte, als er sie dann verliess, weil er es nicht mehr aushielt, brach sie zusammen und wollte ihn halten. Es war zu spät – und doch hat sie es wohl auf eine Art sein Leben lang getan.

Gedanken zum Buch

«Wir zwei, du und ich, wir denken alles um. Ein Paar, das sich als das erste Paar versteht, als die Erfindung des Paares. Wir! Und die Welt kann sich stossen an unserem Übermut, aber sie kann uns nicht verletzen.»

Sie waren voller Leidenschaft, vom Wunsch beseelt, es gut zu machen, zu leben, zu lieben. Sie sahen die Gefahr in der Aussenwelt, da sie als Künstler für diese sichtbar existierten und alle ihre Schritte der Öffentlichkeit sichtbar waren. Dass die eigentliche Gefahr für ihre Beziehung von innen, von ihnen selbst auskommt, das hätten sie ganz am Anfang wohl nicht gedacht – oder zumindest gehofft, diese Gefahr bannen zu können, denn es war von Anfang an klar, wie verschieden sie waren. Sie, die Durchdachte, die Frau, die nach Worten sucht, sie auf die Goldwaage legt, prüft. Er der Unmittelbare, der spontan sagt, was er denkt, ohne Skrupel, ohne Abwägen.

«Gegen den Realisten Max war sie eine Traumwandlerin mit verbundenen Augen auf dem Trapez.»

Max Frisch war ein Mann der Strukturen, der Ordnung liebte und pragmatische Lösungen suchte. Sein Arbeitsalltag war genauso geregelt wie sein Pult und sein Kopf. Das Chaos einer Ingeborg Bachmann fegte da wie ein Tornado durch, wirbelte auf und um. Und noch schlimmer: Sie wirbelte immer auch wieder davon, weil sie sich, der Luft gleich, immer entzog, ihre Freiheit suchte, förmlich vor ihm floh. Und er? Er verfolgte sie mit seiner Eifersucht, seiner Wut, und vor allem seinem Unverständnis.

«Es existieren so viele verminte Bereiche in deinem Leben. Ein Schritt in die falsche Richtung, alles fliegt mir um die Ohren. Was ist das für eine hochentzündliche Luft, in der du dich aufhältst, Inge’ Wie ein Blinder taste ich mich zuweilen durch deine Tabus.»

Die unterschiedlichen Charaktere von Max Frisch zogen sich durchs ganze Leben. Vor allem Max Frisch störte sich an Ingeborg Bachmanns Art, ihr Leben zu leben und ihn davon auszuschliessen. Sie pflegte ausufernde Brieffreundschaften zu verschiedenen Männern, sie entzog sich ihm immer wieder durch Reisen, regelrechte Fluchten. Sie trennte ihre Welten feinsäuberlich: auf der einen Seite ihre Freunde, ihr Schreiben, ihre Termine, ihre Kontakte, auf der anderen Seite Max Frisch. Durchmischungen fanden nur widerwillig statt. Max Frisch, von Natur eifersüchtig, kam damit kaum klar und so eskalierten immer wieder Streits um die Sache, die für beide schwer zu tragen waren.

«Ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe.» Ingeborg Bachmann

Ingeborg Bachmann definierte sich über das Schreiben, es war für sie ihr Lebenssinn. Dass sie während der Beziehung mit Max Frisch eine ausgewachsene Schreibblockade erleben musste, hat sie tief verunsichert und verstört. Interessant wäre, ob diese Blockade durch die Konflikte im Aussen, in der Beziehung entstanden ist, oder aber die Verzweiflung über das eigene Nichtschreiben diese Konflikte mitbefördert hat.

«Je ehrlicher das Leben, je lebendiger, je echter, umso sicherer der Schmerz. Angst vor Schmerz bringt uns zur Rücksicht, nie zum Leben.» Max Frisch

Mangelnde Leidenschaft oder Liebe war es nicht, die ihnen zum Verhängnis wurden, im Gegenteil: Die gegenseitige Anziehung war immer da. Vielleicht wurde gerade diese Gefühlswoge zum Verhängnis, indem sie sie beide einrollte und unter sich zu erdrücken drohte. Beiden kam immer wieder der Gedanke an Trennung im Anblick an die Wunden, die sie sich immer wieder zufügten. Beide kamen zu oft an ihre Grenzen, krankten förmlich an der Beziehung, und doch war da diese Verbindung, dieser Sog zueinander. Sie wollten es wagen, sie wollten es schaffen.

Es war Max Frisch, der schlussendlich den Schlussstrich zog. Ingeborg Bachmann hat dieses Ende schlecht verkraftet. Es war für sie keine Erlösung in die vorher ersehnte Freiheit, sondern ein Sturz ins Bodenlose.

Bettina Storks ist es gelungen, mit viel Hintergrundwissen, grosser Nähe zu den beiden Protagonisten und doch der nötigen Distanz diese grossartige Liebesgeschichte zu erzählen, so dass man als Leser in zwei Leben eintaucht, die zu einem wachsen wollten und doch immer grössere Mauern und Abgründe zwischen sich errichteten. Entstanden ist eine Romanbiografie, die sowohl Aufschluss über das Leben und Lieben von Max Frisch und Ingeborg Bachmann gibt, als auch flüssig und packend lesbar ist.

Fazit
Eine grossartige Romanbiografie über die Liebe zweier grosser Schriftsteller, Ingeborg Bachmann und Max Frisch –  gut recherchiert, fundiert, tiefe Einblicke gewährend, und dabei doch packend und eine wahre Lesefreude. Sehr empfehlenswert!

Zur Autorin
Bettina Storks, geboren bei Stuttgart, lebt und schreibt am Bodensee. Sie ist die Autorin zahlreicher Bestseller über faszinierende Frauenfiguren.  Ingeborg Bachmann fasziniert sie seit Langem, schon an der Universität Freiburg promovierte sie über deren literarisches Werk. Nachdem zuletzt immer mehr Quellen über die Beziehung zwischen der Bachmann und Max Frisch zugänglich wurden, begann Bettina Storks einen Roman über die außergewöhnliche Liebe dieser zwei schillernden Literaten zu schreiben. Im Aufbau Taschenbuch liegt von ihr außerdem der Roman „Dora Maar und die zwei Gesichter der Liebe“ vor.

Angaben zum Buch
Herausgeber ‏ : ‎ Aufbau Taschenbuch; 1. Edition (16. August 2022)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Taschenbuch ‏ : ‎ 430 Seiten
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3746637983

#abcdeslesens – I wie Ingeborg Bachmann

Passend zu ihrem Geburtstag möchte ich heute Ingeborg Bachmann die Bühne überlassen – und ich hebe mein Glas auf diese wunderbare, tiefgründige Frau und Schriftstellerin, die so viele verschiedene Facetten in sich trägt, dass wohl nie alle ans Licht kommen werden. Das macht sie einerseits zum Mysterium, andererseits aber zutiefst menschlich, sind wir doch alle mit unterschiedlichen Sehnsüchten, Anlagen und Facetten bestückt.

Ingeborg Bachmann ist wohl eine der unfassbarsten Künstlerinnen der Geschichte. Selbst gab sie kaum Informationen über sich preis, und wenn, dann widersprachen sich die einzelnen in einer Weise, dass man nie sicher sein konnte, was denn nun stimmte. Diese Mehrdeutigkeit war nicht nur in ihren Selbstaussagen zu finden, auch ihr Verhalten sprach eine ähnliche Sprache. Mal ungeschickt, schüchtern flüsternd, dann wieder ganz Ikone und Grand Dame der Deutschen Lyrik. Dass vieles davon nur Selbstinszenierung war, liegt auf der Hand, gedacht als Schutzschild, was auf eine unsichere Person hinter diesem deuten lässt. Liest man die Lebensgeschichte, lässt sich dieses Bild leicht bestätigen. Und doch wusste Bachmann schon früh, was sie will im Leben: Schreiben.

Am nächsten kommt man Ingeborg Bachmann wohl auch in ihrem Schreiben. Es sind keine chronologischen Lebenserzählungen, es sind Bilder von Gefühlswelten. Wie oft schreibt sie von Frauen als verwundetes Wesen, von grausamen Männern, von nicht gelebter Liebe, von Tod, Angst, Mord, Unsicherheiten? Wäre es eine Geschichte, könnte man an schöpferische Freiheit und phantasievolle Vorstellung glauben, doch in der Dichte? Glaubt man Goethes Dichtung, dass alles Schreiben autobiographisch ist nur schon teilweise, so muss man wohl zum Schluss kommen, dass ganz viel Ingeborg im Bachmannschen Werk steckt.

Ingeborg Bachmann fühlte sich lange, wenn nicht zeitlebens schuldig für ihre Herkunft als Tätertochter. Sie hat es als Pflicht gesehen, ihren Teil dazu beizutragen, dass nicht einfach weiter geht, was so viel Unheil angerichtet hat. Dies tat sie unter anderen in ihren Gedichten, später auch in der Prosa, indem sie die Geschichte und die durch diese aufgeladene Schuld immer wieder thematisiert, den (eigentlichen Nicht-) Umgang damit durch die Beschreibung der Kritik ausliefert.

Alle Tage

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
Ist in die Feuerzone gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.

Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.

Er wird verliehen
für die Flucht vor den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

Hinschauen wollte sie, nicht schweigen – zumindest im öffentlichen Raum, denn über das Private, vor allem die Vergangenheit ihres Vaters, schwieg auch sie. Sucht man einen einzigen Ausdruck, der Ingeborg Bachmann beschreiben soll, so könnte man sie wohl eine «unglücklich Liebende» nennen. Zeitlebens auf der Suche nach Liebe, wollte sich doch keine wirklich lebbare einstellen. Das mag an den Männern gelegen haben, hatte aber sicher auch den Anteil bei Bachmann selber. Sie konnte und wollte sich nicht anpassen, unterordnen, abhängig sein, sie kämpfte für ihre Freiheit, ihre Autonomie. Und: Sie stellte ihr Schreiben über alles. Sie war nicht bereit, dafür Zugeständnisse zu machen. So scheiterte ihre grosse Liebe zu Paul Celan, die Beziehung mit Max Frisch, und auch jede Liebelei zwischendurch. Zurück blieb eine einsame Frau, die am Leben und der fehlenden Liebe krankte.

[Wir gehen, die Herzen im Staub]

Wir gehen, die Herzen im Staub,
und lange schon hart am Versagen.
Man hört uns nur nicht, ist zu taub,
um das Stönen im Staub zu beklagen.

Wir singen, den Ton in der Brust.
Dort ist er noch niemals entsprungen.
Nur manchmal hat einer gewusst:
wir sind nicht zum Bleiben gezwungen.

Wir halten. Beenden den Trott.
Sonst ist auch das Ende verdorben.
Und richten die Augen auf Gott:
wir haben den Abschied erworben!

Mag dieses Bild auch düster klingen, so sei doch gesagt, dass Ingeborg Bachmann es bei jeder Niederlage, nach jedem Leiden, wieder gelang, auf die Beine zu kommen, Energie zu finden, um weiterzuschreiben. Vermutlich war gerade das Schreiben ihr Lebensanker, auch wenn es ihr alles andere als leichtfiel, sie kämpfte mit Worten, Wendungen und Sätzen, sie kaum je zufrieden war und an allem feilte, bis es den eigenen – sehr hohen – Ansprüchen genügte. Entstanden sind so grossartige Gedichte, Marcel Reich-Ranicki nannte Bachmann denn auch eine der grossen Lyrikerinnen der jüngeren Vergangenheit, neben Lasker-Schüler und Droste-Hülshoff.

Doch irgendwann hörte sie auf, Gedichte zu schreiben. Sie sagte, sie hätte schon früh gewusst, dass das enden würde. Doch es endete nur nach aussen. Sie schrieb weiter, einige las sie noch vor, andere wurden erst nach ihrem Ableben publiziert. Schade, denn sie hatten nichts an der Grossartigkeit der früheren eingebüsst.

Meine Gedichte sind mir abhanden gekommen.
Ich suche sie in allen Zimmerwinkeln.
Weiss vor Schmerz nicht, wie man einen Schmerz
aufschreibt, weiss überhaupt nichts mehr.

Weiss, dass man so nicht daherreden kann,
es muss würziger sein, eine gepfefferte Metapher.
müsste einem einfallen. Aber mit dem Messer im Rücken.

Parlo e tacio, flüchte ich mich in ein Idion,
in dem sogar Spanisches vorkommt, los toros y
las planetas, auf einer alten gestohlenen Platte
vielleicht noch zu hören. Mit ezwas Französischem
geht es auch, tu es mon amour depuis si longtemps.

Adieu, ihr schönen Worte, mit euren Verheissungen.
Warum habt ihr mich verlassen. War euch nicht wohl?
Ich habe euch hinterlegt bei einem Herzen, aus Stein.
Tut dort für mich, Haltet dort aus, tut dort für mich ein Werk.

Mit nur 47 Jahren ist Ingeborg Bachmann gestorben. Ihr Tod war genauso mysteriös wie ihr Leben. Ein Kreis schloss sich. 

Helmut Böttiger: Wir sagen uns Dunkles

„Sie verbrachten nur sechs Wochen gemeinsam in Wien, (…) Aber diese sechs Wochen sind der rätselhafte Kern ihrer Beziehung, ihr privater Mythos und der Quell unzähliger späterer Zuschreibungen.

Beim ersten Treffen im Mai 1948 war Ingeborg Bachmann knapp 22, Paul Celan siebenundzwanzig. Ingeborg Bachmann war in der Literaturszene noch nicht mit eigenen Werken bekannt, Paul Celan war schon weiter, war es ihm doch gelungen, in kurzer Zeit in der literarischen Szene Wiens Fuss zu fassen. Schon wenige Tage nach dem ersten Treffen schwärmte Ingeborg Bachmann in Briefen von dem „bekannten Lyriker“, welcher ein Auge auf sie geworfen habe. Sechs Wochen später reiste Paul Celan weiter nach Paris und liess nicht nur Wien, sondern auch Ingeborg Bachmann hinter sich.

Helmut Böttiger erzählt die Liebesgeschichte von „zwei Königskindern, die nicht zueinander finden konnten“. Obwohl von Anfang an eine Anziehung da war, sie auch zeitlebens nicht wirklich voneinander loskamen, war ein Zusammenleben als Paar nicht möglich. Die Gründe dafür sind wohl vielfältig: Anfangs stand Paul Celans Opferrolle im Zweiten Weltkrieg und Ingeborg Bachmanns Herkunft als Tätertochter im Raum, Unsicherheiten auf verschiedenen Ebenen machten alles sicher nicht einfacher.

„Vielleicht täusche ich mich, vielleicht ist es so, dass wir einander gerade da ausweichen, wo wir einander so gerne begegnen möchten, vielleicht liegt die Schuld an uns beiden. (Paul Celan)

Dazu trafen hier zwei sehr sensible Menschen aufeinander, welche sich beide der Kunst verschrieben haben, und diese an oberste Stelle stellten. Die jeweilige Identifikation mit dieser Kunst machte jede kritische Äusserung zu dieser zu einem persönlichen Angriff.

„Ich liebe dich und ich will dich nicht lieben.“ (Ingeborg Bachmann)

Wirklich getroffen haben sich Ingeborg Bachmann und Paul Celan nicht oft. Nach der ersten Begegnung am 16. Mai 1948 und den Wochen in Wien sahen sie sich erst zwischen Oktober und Dezember 1950 wieder in Paris, sie übten das Zusammenleben, welches aber nicht klappt und beide frustriert zurück lässt. Ein nächstes Wiedersehen erfolgt Februar/März 51. Waren zwischen diesen Treffen noch sporadisch Briefe geflossen, kam es dann zu einem langen Schweigen.

„Du bist der Lebensgrund, auch deshalb, weil du die Rechtfertigung meines Sprechens bist und bleibst.“ (Paul Celan)

Erst im Oktober 1957 kam es zu einem erneuten Treffen – und Paul Celan, mittlerweile verheiratet und Vater, verliebte sich vorbehaltslos in Ingeborg Bachmann und wollte alles aufgeben für ein Leben zusammen. Dieses Mal machte Ingeborg Bachmann den Rückzieher – sie wollte keine Ehe und Familie auseinander reissen.

„Ich habe oft nachgedacht, ‚Corona‘ ist Dein schönstes Gedicht, es ist die vollkommene Vorwegnahme eines Augenblicks wo alles Marmor wird und für immer ist. Aber mir hier wird es nicht ‚Zeit‘. Ich hungre nach etwas, das ich nicht bekommen werde, alles ist falsch und schal, müde und verbraucht, ehe es gebraucht wurde.“

Wenn sie sich auch nicht oft sahen, sogar die Briefe zeitweise ausblieben, sie verloren sich nie wirklich, hielten gegenseitige Bezüge in ihren Werken aufrecht, webten so ein Band weiter, das sie aneinander knüpfte.

Am 2. Juli 1958 kam es zum definitiven Ende mit Paul Celan, am 3. Juli startete die Beziehung mit Max Frisch – und damit ein neues, ins Dunkle führendes Kapitel für Ingeborg Bachmann. Nicht nur stand die Beziehung immer unter dem Schatten Paul Celans, auch waren die unterschiedlichen Naturelle und Ingeborg Bachmanns Bestreben, verschiedene Lebensbereiche komplett voneinander zu trennen, einer Beziehung nicht förderlich. Als sich Max Frisch wegen einer anderen von ihr trennte, sah Ingeborg Bachmann dies als grösste Niederlage ihres Lebens. Ihre schon da angeschlagene Gesundheit leidet weiter, die psychischen Probleme häufen sich.

Es gelingt Helmut Böttiger, das Leben zweier Lyriker zu beschreiben, aufzuzeigen, wo sie sich kreuzten, wie sie sich gegenseitig beeinflussten. Nicht nur verortet er die beiden Menschen in ihrer Zeit, zeigt die gegenseitigen Lebensbezüge auf, er weist auch auf die Spuren in den beiden Werken hin. Dadurch entsteht ein umfassendes Bild einer nicht lebbaren Liebe, die so tief war, dass beide trotz der Unmöglichkeit des Zusammenseins nie voneinander loskamen.

Corona

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der
                                                                Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Fazit:
Eine echte, wirkliche Leseempfehlung für alle, die an Ingeborg Bachmann und Paul Celan, an ihrem Leben und Werk interessiert sind. Eine absolute Leseempfehlung.

Über den Autor
Helmut Böttiger, geboren 1956, ist einer der renommiertesten Literaturkritiker des Landes. Nach Studium und Promotion war er als Literaturredakteur u.a. bei der Frankfurter Rundschau tätig. Seit 2002 lebt er als freier Autor und Kritiker in Berlin und veröffentlichte u.a. »Nach den Utopien. Eine Geschichte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur« (2004) und »Celan am Meer« (2006). Er war Kurator der Ausstellung »Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland« (2009) und Verfasser des Begleitbuchs. 1996 erhielt er den Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis für Essayistik, 2012 den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Für sein zuletzt veröffentlichtes Buch »Die Gruppe 47« wurde er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2013 ausgezeichnet.

Angaben zum Buch:
Taschenbuch: 272 Seiten
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt; 2. Edition (28. August 2017)
ISBN-13 : 978-3570554166
Preis: EUR  15 / CHF 23.90

Zu kaufen in Ihrer Buchhandlung vor Ort oder online u.a. bei AMAZON.DE und ORELLFUESSLI.CH

Ingeborg Bachmann: An die Sonne

An die Sonne

Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,
Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,
Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen
Und zu weit Schönrem berufen als jedes andre Gestirn,
Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne.

Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat
Und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag
An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel
Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.

Ohne die Sonne nimmt auch die Kunst wieder den Schleier,
Du erscheinst mir nicht mehr, und die See und der Sand,
Von Schatten gepeitscht, fliehen unter mein Lid.

Schönes Licht, das uns warm hält, bewahrt und wunderbar sorgt,
Daß ich wieder sehe und daß ich dich wiederseh!

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein…

Nichts Schönres als den Stab im Wasser zu sehn und den Vogel oben,
Der seinen Flug überlegt, und unten die Fische im Schwarm,

Gefärbt, geformt, in die Welt gekommen mit einer Sendung von Licht,
Und den Umkreis zu sehn, das Geviert eines Felds, das Tausendeck meines Lands
Und das Kleid, das du angetan hast. Und dein Kleid, glockig und blau!

Schönes Blau, in dem die Pfauen spazieren und sich verneigen,
Blau der Fernen, der Zonen des Glücks mit den Wettern für mein Gefühl,
Blauer Zufall am Horizont! Und meine begeisterten Augen
Weiten sich wieder und blinken und brennen sich wund.

Schöne Sonne, der vom Staub noch die größte Bewundrung gebührt,
Drum werde ich nicht wegen dem Mond und den Sternen und nicht,
Weil die Nacht mit Kometen prahlt und in mir einen Narren sucht,
Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst
Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.

(Ingeborg Bachmann, 1926 – 1973)

Die Sonne. Schöner als Mond und Sterne, mehr als Adel oder Ruhm. Feurig ist sie, hat einen Auftritt. Sie nimmt den Schleier von der Welt, sie spendet unser Licht. Ohne Sonne läge alles im Schatten (das erlauben wir der Dichtung, da der Schatten auch nur durch die Sonne entsteht, es wäre hier wohl das Dunkel – aber mein Gott: ob Schatten, ob Dunkel, es wäre alles dahin, es wäre nur Flucht, eine gepeitschte gar). Mit der Sonne aber haben wir Wärme, sehen Schönes, alles lebt, alles zeigt sich in bunter Farbe. Die ist die Schönheit selber. Sie wird hier besungen. In einer Inbrunst, die ihresgleichen sucht. Sie wärmt, sie erhellt.

In dem Gedicht steckt so viel Schönheit und so viel Lob der Schönheit. Da ist einer, der hinschaut und er sieht. Die Sonne. In all ihrer Pracht. Und alles fliesst. In langen Zeilen, die fast ins grenzenlose gehen. Da ist nichts Böses, nichts Hässliches, nichts Schlechtes. Alles ist schön. Schon fast so schön, dass man in Faust-Manier sagen möchte: Augenblick du bist so schön, verweile doch. Da steckt ein Mut drin, eine Kraft. Ein Wunsch. Eine Utopie. Und man möchte sie annehmen, in all ihrem Wirken in ihrem Gut-Tun.

Wir können nun dahin gehen und Analyse betreiben. Wir würden herausfinden, dass die Strophen akkurat aufgebaut sind: 5 4 3 2 1 2 3 4 5 . Man kann daraus ein Bild entstehen lassen: Das Meer als Horizont, darüber in Kreisen die Farben der untergehenden Sonne. Oben wirklich, unten im Spiegel. Und in der Mitte die Konzentration aller Schönheit. Wenn man in die Runde fragt, haben genau diese Analysen die Lyrik verleidet zu Schulzeiten. Wie schade.

Und doch: Die Analyse mag so leidenschaftslos erscheinen, aber sie zeigt doch etwas auf: Wenn man ganz genau hinsieht, ergibt sich aus den Worten, aus dem Aufbau, auf dem für Bachmann so wichtigen Punkt der Konstruktion, der Komposition ein Bild. Und es ist wieder pure Schönheit. Es ist das Gefühl des Hinschauens auf das Schöne, das sich jeden Tag von Neuem bietet. Wieso also sträuben wir uns dagegen? Weil die Analyse so wesensfremd daherkommt? Ohne Leidenschaft, rein sachlich?

Gute Gedichte sind nie sachlich. Selbst wenn sie absolut sachliche Themen behandeln. Gedichte sind Gefühle auf den Punkt gebracht. Es sind Worte, wenn die Worte eigentlich ausgehen und nur Fühlen bleibt. Ansonsten sind es aneinander gereihte Worte, die irgendeinem analytisch gedachten Zweck gereichen sollen. Die auseinanderzunehmen gliche einem sich in den Schwanz beissenden Fuchs. Wo kein Gefühl ist, ist alle Analyse obsolet. Aber ab und an muss man auch genauer hinsehen, will man die wirkliche Bandbreite erkennen. So auch hier. Schon allein das Lesen eröffnet eine Schönheit.  Die Analyse legt diese in eine Form, formt daraus ein Bild. Worte und Gefühle treten in eine neue Dimension ein. Man könnte darüber hinweglesen, es wäre immer noch so viel da an Bewunderung, an Schönem, an Wert, an Aufforderung da, hinzusehen. Wieso sich also den letzten Rest verschliessen?

Max Frisch (*15. Mai 1911)

Max Frisch wird am 15. Mai 1911 in Zürich geboren, wo er die Schule besucht und studiert. Germanistik soll es sein, will Max Frisch doch Schriftsteller werden. Schon bald merkt er, dass ihm dazu das Studium herzlich wenig bringt. 1931 erscheint sein erster Artikel in der NZZ, nach dem Tod des Vaters weitet Max Frisch seine Tätigkeit im Journalismus aus, um zum Unterhalt der Mutter beizutragen. Daneben entsteht sein erster Essay mit dem Titel Was bin ich?, der bereits die Grundthemen späterer Werke in sich trägt. Noch immer belegt er vereinzelte Kurse an der Uni, schreibt für verschiedene Zeitungen und daneben Arbeiten, die sich allesamt um ein Thema drehen: Max Frisch und wer er sei.

1933 unternimmt Frisch eine Reise gegen Osten, Prag, Budapest, Belgrad und viele weitere Orte stehen auf dem Plan. Er verwirklicht damit einen von seiner Mutter lange gehegten Traum. Zu der Zeit entsteht Frischs Roman Jürg Reinhart, welcher sinnigerweise von einem Balkanreisenden handelt. Noch immer dreht sich also Frischs Denken und Schreiben um die eigene Person.

Politik ist für Frisch kein Thema, seine Haltung Deutschland und dem Nationalsozialismus gegenüber ist fast schon merkwürdig unbeteiligt. Dies ist wohl aber seiner Arbeit als Schriftsteller dienlich, kann er seine ersten Romane so problemlos bei der Deutschen Verlags-Anstalt veröffentlichen.

1937 erscheint Max Frischs zweiter Roman Antwort aus der Stille. Frisch selber äussert sich später vernichtend über das Werk, die übrigen kritischen Stimmen weisen eine grosse Bandbreite auf. Sicher ist es kein Meisterwerk, vereint aber auch wieder die für Frisch so typischen Themen der Selbstfindung und des Schwankens zwischen Bürgertum und Künstlertum. Max bezieht Stellung und entscheidet sich im Roman wie im Leben für das Bürgertum. Er verbrennt alle bisherigen Schriften und wendet sich einer solideren Materie als dem Schreiben zu: Der Architektur.

Die Würde des Menschen besteht in der Wahl.

Der Entschluss, das Schreiben zu beenden, hält nicht lange, schon 1938 gewinnt Frisch den Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis. Es folgt Militärzeit, die er verschriftlicht und unter dem Titel Aus dem Tagebuch eines Soldaten veröffentlicht. Das Architekturstudium gedeiht, durch eine Anstellung kann Frisch endlich aus der gemeinsamen Wohnung mit der Mutter ausziehen, lernt eine Frau (Gertrude Anna Constanze von Meyenburg) kennen, die er am 30. Juli 1942 heiratet.

1943 gewinnt Frisch einen Architekturwettberb für den Bau des Letzibads in Zürich. Wirklich viel baut er trotzdem nicht, die Schriftstellerein nimmt noch immer einen grossen Platz in seinem Leben ein. Es entstehen in der folgenden Zeit diverse Arbeiten, darunter literarische Tagebücher.

1954 schreibt er seinen Roman Stiller. Frisch nimmt das Thema der Unvereinbarkeit von Kunst und bürgerlichem Leben wieder auf, bezieht nun Stellung für die Kunst und übernimmt diese Haltung ins Leben, indem er sich von seiner Familie trennt. Nicht dass er vorher ein Kind der Traurigkeit gewesen wäre, einige Liebschaften säumen seinen Weg. 1955 schliesst er auch sein Architekturbüro, um fortan als freier Schriftsteller zu leben. Im selben Jahr beginnen die Arbeiten zu Homo Faber.

Die Frau ist ein Mensch, bevor man sie liebt, manchmal auch nachher; sobald man sie liebt, ist sie ein Wunder.

1958 folgt dann das wohl prägendste Erlebnis in Max Frischs Leben: Er lernt Ingeborg Bachmann kennen. Die beiden gehen eine Beziehung ein, in welcher Eifersucht, ein ausgeprägtes Nähe-Distanzproblemen, ausserdem die Problematik von zwei durch und durch gegensätzlichen Menschen unter einem Dach sowie grosse Liebe miteinander kämpfen. Die beiden Schriftsteller ziehen nach Rom, danach nach Zürich, wo die Beziehung zerbricht. Frisch wandelt weiter zu Marianne Oeller, Bachmann kann er aber zeitlebens nicht vergessen, sie spukt weiter durch seine Romane und damit wohl offensichtlich auch in seinem Kopf.

Marianne Oeller und Frisch heiraten, was Frisch nicht davon abhält, weiter über den Zaun zu grasen, Affären zu pflegen. Auch Marianne geht eine nebeneheliche Beziehung ein, welche Max Frisch in seinem Roman Montauk thematisiert. Diese Vermischung von Privatem und Öffentlichem führt zum Zerwürfnis zwischen den Eheleuten, die Scheidung folgt 1979.

Die Zeit verwandelt uns nicht. Sie entfaltet uns nur.

Frisch wird nicht jünger, gesundheitliche Probleme kommen und das Thema Alter zieht in Frischs Werk ein. Nach Abstechern nach New York und teilweisem Leben im Tessin zieht Max Frisch zurück nach Zürich, wo er am 4. April 1991 stirbt.

Das klare Todesbewußtsein von früh an trägt zur Lebensfreude, zur Lebensintensität bei. Nur durch das Todesbewußtsein erfahren wir das Leben als Wunder.

Max Frischs Schreiben

Max Frischs Schreiben dreht sich vor allem in den Anfängen um Max Frisch. Zu den frühen Veröffentlichungen gehören denn auch Tagebücher. Im Tagebuchstil findet er eine Art der Schilderung, welche Fakten und Fiktion vereint. In den ersten Tagebüchern finden sich Vorlagen für seine späteren Romane, die sich auch stilistisch noch immer am Tagebuchstil orientieren.  Max Frisch sieht sich dieser Schreibform ausgeliefert, denkt, keine Wahl zu haben, da nur diese Form ihm zugänglich sei. Dies mag sicher zu einem gewissen Teil so sein, kann vielleicht mit seinem nach wie vor sehr um sich selber kreisenden Denken und Sein zu tun haben.

Frisch feiert grosse Erfolge mit Theaterstücken, veröffentlicht daneben aber hauptsächlich Prosawerke, Romane, Erzählungen und Tagebücher. Zentrale Themen sind immer wieder die Künstler-Bürger-Thematik, die Identitätsfindung des Menschen und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Wenn bei einem Autor das Diktum Goethes, dass alles Schreiben autobiographisch sei, zutrifft, dann sicher bei Max Frisch.

Ausgewählte Werke

  • Jürg Reinhart (1934)
  • Antwort aus der Stille (1937)
  • Tagebuch mit Marion (1947)
  • Tagebuch 1946 – 1949 (1950)
  • Graf Öderland (1971)
  • Stiller (1954)
  • Homo Faber (1957)
  • Mein Name sei Gantenbein (1964)
  • Tagebuch 1966 – 1971 (1972)
  • Montauk (1975)
  • Triptychon (1978)
  • Der Mensch erscheint im Holozän (1979)

Ingeborg Bachmann: Alles

«Wenn wir uns, wie zwei Versteinte, zum Essen setzen oder abends an der Wohnungstür zusammentreffen, weil wir beide gleichzeitig daran denken, abzusperren, fühle ich unsere Trauer wie einen Bogen, der von einem Ende der Welt zum anderen reicht – also von Hanna zu mir….»

Ein namenloser Icherzähler schaut zurück im Leben, denkt an seine Hochzeit mit Hanna, an die Schwangerschaft und an seine Gedanken während der Schwangerschaft. Er denkt an sich, daran, was er dem Kind alles beibringen und zeigen wollte – und steht dann bei dessen Geburt vor dem Nichts, da nichts anwendbar scheint. Wieso Fipps, so heisst das Kind, eine Welt erklären, wieso sie ihm nicht überlassen, in der Hoffnung, dass er nicht eintritt, sondern eine neue findet? Der Vater zieht sich mehr und mehr zurück, spricht weniger, rät nichts, tut alles, um Fipps nicht zu sehr in der Welt zu verhaften. Und er wird immer mehr enttäuscht, weil Fipps die Welt, wie sie ist, immer besser versteht, sich doch in diese eingliedert.

«Ich war mit dem Kind gefangen und verurteilt von vornherein, die alte Welt mitzumachen. Darum liess ich das Kind fallen. Ich liess es aus meiner Liebe fallen. Dieses Kind war ja zu allem fähig, nur dazu nicht, auszutreten, den Teufelskreis zu durchbrechen.»

Die Mutter hingegen geht einen anderen Weg: Sie zeigt dem Kind voller Liebe und mit Geduld alles, was es auf dieser Welt gibt. Alles will sie für dieses Kind haben:

«…mehr Liebe, die ganze Liebe, einen Liebesspeicher wollte sie anlegen, der reichen sollte ein Leben lang, wegen draussen, wegen der Menschen…»

Sie glaubt an das Gute in Fipps, sie will ihn beschützen vor dem Bösen in der Welt. Doch auch Fipps wird zum Menschen, auch in ihm steckt das Böse. Und er trägt es in die Welt. Bis zu dem Tag, an dem er stirbt durch einen Unfall. Nach seinem Tod kann der Vater plötzlich all das tun und sagen, was er sich vorher versagt hat.

«Alles» ist die dritte Erzählung in Ingeborg Bachmanns Erzählband «Das dreissigste Jahr», einem Zyklus von sieben Erzählungen, welcher 1961 erschien. Es ist die Geschichte eines namenlosen Vaters, welcher seine Beziehung zu seinem verstorbenen Kind reflektiert, welcher die Unterschiede des Verhaltens von Vätern und Müttern zu ihren Kindern analysiert. Wie verändert ein Kind das Leben zweier Menschen? Wie unterschiedlich gehen diese mit einem Kind um, weil sie eine jeweils unterschiedliche Sicht auf die Welt haben? Die liebende Mutter umsorgt, herzt und fördert das Kind, der ängstliche Vater hofft aus immer mehr Distanz, dass dieses Kind nicht zu einem gewöhnlichen Menschen heranwächst, damit er nicht Teil dieser kranken Welt wird, sondern eine neue für sich findet. Und doch weiss er insgeheim, dass genau das passieren wird. Und durch all diese Gedanken und Rückblicke des namenlosen Erzählers dringt die Ahnung eines drohenden Unglücks.  

Obwohl die Geschichte einigermassen linear erzählt wird, ist es nicht im herkömmlichen Sinne eine chronologische Abfolge von Ereignissen, sondern eher ein Blick auf die sich verändernde Gefühlswelt eines Vaters zu seinem Sohn.

Wie so oft bei Ingeborg Bachmann hat die Sprache auch in dieser Erzählung eine spezielle Funktion. In ihr vermittelt sich die Welt. Die Sprache der normalen Welt ist keine, mit der sich in die Zukunft gehen lässt. Es bräuchte eine neue Sprache dafür, der Vater findet für diese neue Sprache Namen wie Schattensprache oder Wassersprache. Er hofft, dass Fipps diese neue Sprache finden und sprechen wird, um so nicht Teil der alten Sprachwelt zu werden. Die Hoffnung platzt, als Fipps mit zunehmendem Alter die Sprache seiner Umgebung sprechen lernt.

«Er äusserte schon Wünsche, sprach Bitten aus, befahl oder redete um des Redens willen.»

Das Misstrauen des Vaters gegen den Sohn wächst mit dem Erkennen von dessen Menschwerdung. Dass er diesen zudem bei Handlungen wie beim Abreissen von Grashalmen oder sinnlosen Töten von Käfern und Würmern beobachtet (die Untaten werden mit wachsendem Alter grösser), trägt mit dazu bei, dass er Fipps die Unschuld abspricht, ihn gar einen Teufel sieht. Sich selber spricht er von der Schuld an dieser Entwicklung frei, indem er konstatiert, Kinder kämen schon schuldig zur Welt. Darin steckt die philosophische Frage nach dem Ursprung des Bösen. Die Erzählung bleibt die Auflösung dieser Frage in der konkreten Geschichte von Fipps schuldig.

Fazit:
Eine Geschichte über die unterschiedlichen Beziehung eines Vaters und einer Mutter zu ihrem Kind, über das Heranwachsen in einer kranken Welt, und die – schliesslich sterbende – Hoffnung auf eine bessere Welt. Ganz grosse Leseempfehlung!

Zur Autorin
Ingeborg Bachmann wird am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen im Zweiten Weltkrieg endete nach Bachmanns Aussagen die Kindheit jä – ein Ereignis, das ihr späteres Schreiben immer wieder prägen wird. Erste Gedichte finden sich schon bei der 12-jährigen Ingeborg Bachmann. 1945 beginnt Ingeborg Bachmann ihr Studium in Literatur, Kunst und Jura in Insbruck, wechselt später nach Graz und dann nach Wien, wo sie mit Philosophie und Psychologie abschloss und 1950 eine Dissertation über Martin Heidegger schrieb. Es folgten journalistische Arbeiten, welche aber neben dem schon da dringenden Wunsch, Schriftstellerin zu sein, mehrheitlich eher als ungeliebter Brotjob anzusehen waren. Nach einer Einladung in die Gruppe 47 im Jahr 1952 konnte sie im Jahr 1953 deren Preis gewinnen, im gleichen Jahr erschien ihr erster Gedichtband «Die gestundete Zeit», 1956 der zweite mit dem Titel «Anrufung des Grossen Bären». Damit stand ihr Ruhm als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen der literarischen Moderne fest, was aber leider finanziell zu wenig einträglich war, um davon zu überleben.

Es folgten mehrere Stellen, dem finanziellen Überleben geschuldet, sowie diverse Umzüge, welche wohl finanzielle und andere, der persönlichen Unrast und privatem Unglück geschuldete Gründe hatten. Über die Jahre finden sich verschiedene Liebschaften, denen allesamt wenig (und vor allem kein anhaltendes) Glück beschieden war. Irgendwann versiegten bei Ingeborg Bachmann die Gedichte, sie widmete sich Prosawerken, später einem gross gedachten Romanprojekt, von welchem aber nur ein Roman wirklich fertiggestellt wurde: 1971 erschien Malina.

Die zunehmenden psychischen Probleme, die sie immer wieder plagten, gepaart mit Alkoholexzessen und Tablettenabhängigkeiten verdüsterten das Leben der Dichterin zunehmend. Bei einem einem Feuer in ihrer Wohnung in Rom erlitt Ingeborg Bachmann starke Verbrennungen, weswegen sie ins Krankenhaus kam. Gestorben ist sie aber mutmasslich an den Entzugserscheinungen eines Medikaments, bei welchem bis zu spät nicht klar war, welches es ist. Ingeborg Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.

Ingeborg Bachmann: Eine Art Verlust*

Gemeinsam benutzt: Jahreszeiten, Bücher und eine Musik.
Die Schlüssel, die Teeschalen, den Brotkorb, Leintücher und ein Bett.
Eine Aussteuer von Worten, von Gesten, mitgebracht, verwendet, verbraucht.
Eine Hausordnung beachtet. Gesagt. Getan. Und immer die Hand gereicht.

In Winter, in ein Wiener Septett und in Sommer habe ich mich verliebt.
In Landkarten, in ein Bergnest, in einen Strand und in ein  Bett.
Einen Kult getrieben mit Daten, Versprechen für unkündbar erklärt,
angehimmelt ein Etwas und fromm gewesen vor einem Nichts,

(-der gefalteten Zeitung, der kalten Asche, dem Zettel mit einer Notiz)
Furchtlos in der Religion, denn die Kirche war dieses Bett.

Aus dem Seeblick hervor ging meine unerschöpfliche Malerei.
Von dem Balkon herab waren die Völker, meine Nachbarn, zu grüssen.
Am Kaminfeuer, in der Sicherheit, hatte mein Haar seine äusserste Farbe.
Das Klingeln an der Tür war der Alarm für meine Freude.

Nicht dich habe ich verloren,
sondern die Welt.

Ingeborg Bachmann (1929 – 1973)

Szenen eines Miteinanders, die kleinen Alltäglichkeiten eines geteilten Haushalts, eines geteilten Lebens. Es ist das Leben von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, welche von 1958 bis 1962 ein Paar waren. Einerseits verkörperten die beiden eine Liaison, welche voller Mythen war, zwei helle Köpfe, zwei grosse Literaten vereint – und doch hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Er der pragmatische und disziplinierte Schriftsteller, welcher nach geordneten Bürozeiten in die Tasten haute und praktisch druckreife Werke aus der Maschine holte, sie der immer nach Worten suchende, der an Worten feilende Freigeist mit dem viel zu hohen Anspruch an sich und ihre Texte.

Es ist das erste Mal, dass sich Ingeborg Bachmann wirklich auf eine Beziehung einliess, mit einem Mann zusammenzog. Und immer wieder merkte sie, dass alles zu eng war, sie Distanz brauchte, dass sie ihn doch nicht ganz an sich ranlassen konnte. Es war kompliziert. Und es wurde von Max Frisch beendet, als sich dieser in eine junge Studentin verliebt hatte. Für Ingeborg Bachmann ein Schock, der sie in eine tiefe Krise stürzt, aus welcher sie sich nicht mehr so schnell erholen sollte – vielleicht nie mehr wirklich.

Im Trennungsjahr entstand dieses Gedicht, welches Ingeborg Bachmann 1967 zum ersten Mal im Hörfunk gelesen hat. Gedruckt wurde es erst posthum, 1978. Wie eine Liste, sachlich, in neutraler Sprache, listet Ingeborg Bachmann die Gegenstände, Erlebnisse und Gedanken des gemeinsamen Lebens auf – quasi eine Inventur. Und doch drängt aus jeder Zeile das Trennungsdrama, welches sie als «grösste Niederlage» ihres Lebens bezeichnete.

Man sieht sich im Gedicht an den Zürichsee zurückversetzt, alles, was normaler Alltag war, steht in der Vergangenheitsform. Es ist vorbei. Und am Schluss steht eine Art Verlust. Dieser ist aber grösser, als es rein sachlich scheinen mag. Es ist nicht nur der Verlust eines Menschen, Max Frischs, es ist der Verlust einer ganzen Welt, der Welt, die sie gemeinsam aufgebaut haben aus all den vorhergehenden Listenpunkten.

Max Frisch und Ingeborg Bachmann haben ihre Beziehung und auch ihre Trennung in ihrem Werk wieder und wieder thematisiert. Frisch unter anderem in «Mein Name sei Gantenbein», was Ingeborg Bachmann wegen der intimsten Details ihres Zusammenseins tief traf, und in «Montauk», Ingeborg Bachmann selber chiffrierter durch eine uneindeutigere Sprache und nicht alles offenbarende Komposition. Auf diese Weise lebt die Beziehung auch nach der Trennung von Tisch und Bett und Leben auf eine Weise weiter, lässt nicht los, bleibt lebens- und werkprägender Bestandteil zweier Menschen.

*zit. Nach Ingeborg Bachmann: Liebe: Dunkler Erdteil. Gedichte aus den Jahren 1942 – 1967, Piper Verlag, 6. Auflage, München 1997.

Andrea Stoll: Ingeborg Bachmann. Der dunkle Glanz der Freiheit

„Wer sich heute Person und Werk der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zu nähern versucht, wird mit einem widersprüchlichen Bild konfrontiert. Eine moderne, selbständige Frau scheint uns da anzuschauen, weltgewandt und voller Lebensfreude. Doch die glanzvolle Erscheinung der österreichischen Autorin…war nur eine Seite ihrer Existenz. Die andere, von unauslöschlicher Angst und immer wiederkehrender Verzweiflung geprägte Seite gehörte ebenso dazu.“

1929 in Kärnten geboren, wird Ingeborg Bachmann schon bald mit dem Krieg und seinen Schrecken konfrontiert. Dieses Trauma wird sie ein Leben lang begleiten, immer wieder Thema ihres Werks sein. Andrea Stoll präsentiert uns in ihrer Biografie ein stimmiges Bild dieser spannenden Frau und ihres Schaffens. Sie zeigt die vielen Gesichter Ingeborg Bachmanns, beleuchtet die Hintergründe ihres Seins und Tuns.  

Es ist kein leichtes Unterfangen, eine Biografie von Ingeborg Bachmann zu schreiben, hielt sich diese doch zeitlebens eher bedeckt, was Privates anbelangte. Sie gab nicht nur nach aussen wenig preis, sie wusste sogar die einzelnen Bereiche ihres Lebens voneinander so abzugrenzen, dass die verschiedenen Kreise, in denen sie verkehrte, wenig bis nichts voneinander wussten und vor allem auch nie durchmischt wurden.

„Seit frühester Jugend hatte Ingeborg Bachmann davon geträumt, als freie Schriftstellerin leben und arbeiten zu dürfen, und mit dem ihr eigenen Ehrgeiz und unbedingten Willen alles darangesetzt, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Doch der Preis für ihre Freiheit war hoch, ja, er überstieg im Laufe der Jahre ihre Kraft – und doch hielt sie daran fest, auch dann, als sie längst krank und von den Anstrengungen ihrer freien Autorenexistenz körperlich und seelisch gezeichnet war.“

Leben und Schreiben ist bei Ingeborg Bachmann nicht zu trennen, da Schreiben für sie lebenswichtig, lebensfüllend war. Diesem ordnete sie alles unter. Auch ihre Sehnsucht nach Liebe, nach einer Familie. Sie selber war es oft, die auf Distanz ging, ihre Unabhängigkeit verteidigte, und somit Beziehungen schwierig bis unmöglich machte. Andrea Stoll ist ein offener Blick gelungen, der von offensichtlichem Verständnis für Ingeborg Bachmann geprägt ist. Insofern brauchte sie wohl einen anderen Schuldigen für deren Zerbrechen an einer gescheiterten Liebe. In Max Frisch hatte sie diesen gefunden (das ist nur ein Beispiel, es gäbe andere, da war es am deutlichsten). Dass er da sein wollte, ein Miteinander wollte, drang zwar ab und zu durch die Zeilen, aber dann war er doch der, welcher so viel Leid über Bachmann brachte. Was die Trennung durchaus tat. Aber nicht Frisch allein. Und doch bleibt die Sicht nachvollziehbar. Aus dem, was draus resultierte.

Es ist schlussendlich wohl schwierig, ein wirklich objektives Bild einer so diffusen und komplexen Persönlichkeit zu zeichnen. Andrea Stoll ist mit dieser Biografie eine grösstmögliche Annäherung gelungen. Ich möchte dieses Buch wirklich jedem ans Herz legen, der sich für Ingeborg Bachmann interessiert, der sich für Frauenexistenzen in einer von Männern gemachten Welt interessiert, der sich für Lyrik, Literatur, Geschichte und was sie mit Menschen macht interessiert. Ach, ein Buch, das man lesen sollte.

Fazit:
Eine echte, wirkliche Leseempfehlung für alle, die an Ingeborg Bachmann interessiert sind, die am Literaturbetrieb (gerade auch für Frauen) nach der Kriegszeit interessiert sind. Eine absolute Leseempfehlung.

Über die Autorin
Dr. phil. Andrea Stoll hat als Autorin und Dramaturgin zahlreiche Essays, Bücher und Filme geschrieben und war über fünfzehn Jahre als Dozentin für Literatur an der Salzburger Universität tätig. Sie gilt als ausgewiesene Bachmann-Kennerin und hat seit ihrer Dissertation „Erinnerung als ästhetische Kategorie des Widerstandes im Werk Ingeborg Bachmanns“ (1992) zum Werk der österreichischen Autorin mehrere Essays und Bücher vorgelegt, u.a. als Mitherausgeberin des zum internationalen Beststeller avancierten Ingeborg Bachmann–Paul Celan-Briefwechsels „Herzzeit“ (2008).

Angaben zum Buch:
Kindleversion, da leider vergriffen: 11809 KB
Seitenzahl der Printversion: 382 Seiten
Verlag: C. Bertelsmann Verlag (9. September 2013)
ASIN : B00E7PVO4K
Preis: EUR  9.49 / CHF 12.90

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