Passend zu ihrem Geburtstag möchte ich heute Ingeborg Bachmann die Bühne überlassen – und ich hebe mein Glas auf diese wunderbare, tiefgründige Frau und Schriftstellerin, die so viele verschiedene Facetten in sich trägt, dass wohl nie alle ans Licht kommen werden. Das macht sie einerseits zum Mysterium, andererseits aber zutiefst menschlich, sind wir doch alle mit unterschiedlichen Sehnsüchten, Anlagen und Facetten bestückt.
Ingeborg Bachmann ist wohl eine der unfassbarsten Künstlerinnen der Geschichte. Selbst gab sie kaum Informationen über sich preis, und wenn, dann widersprachen sich die einzelnen in einer Weise, dass man nie sicher sein konnte, was denn nun stimmte. Diese Mehrdeutigkeit war nicht nur in ihren Selbstaussagen zu finden, auch ihr Verhalten sprach eine ähnliche Sprache. Mal ungeschickt, schüchtern flüsternd, dann wieder ganz Ikone und Grand Dame der Deutschen Lyrik. Dass vieles davon nur Selbstinszenierung war, liegt auf der Hand, gedacht als Schutzschild, was auf eine unsichere Person hinter diesem deuten lässt. Liest man die Lebensgeschichte, lässt sich dieses Bild leicht bestätigen. Und doch wusste Bachmann schon früh, was sie will im Leben: Schreiben.
Am nächsten kommt man Ingeborg Bachmann wohl auch in ihrem Schreiben. Es sind keine chronologischen Lebenserzählungen, es sind Bilder von Gefühlswelten. Wie oft schreibt sie von Frauen als verwundetes Wesen, von grausamen Männern, von nicht gelebter Liebe, von Tod, Angst, Mord, Unsicherheiten? Wäre es eine Geschichte, könnte man an schöpferische Freiheit und phantasievolle Vorstellung glauben, doch in der Dichte? Glaubt man Goethes Dichtung, dass alles Schreiben autobiographisch ist nur schon teilweise, so muss man wohl zum Schluss kommen, dass ganz viel Ingeborg im Bachmannschen Werk steckt.
Ingeborg Bachmann fühlte sich lange, wenn nicht zeitlebens schuldig für ihre Herkunft als Tätertochter. Sie hat es als Pflicht gesehen, ihren Teil dazu beizutragen, dass nicht einfach weiter geht, was so viel Unheil angerichtet hat. Dies tat sie unter anderen in ihren Gedichten, später auch in der Prosa, indem sie die Geschichte und die durch diese aufgeladene Schuld immer wieder thematisiert, den (eigentlichen Nicht-) Umgang damit durch die Beschreibung der Kritik ausliefert.
Alle Tage
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
Ist in die Feuerzone gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.Er wird verliehen
für die Flucht vor den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.
Hinschauen wollte sie, nicht schweigen – zumindest im öffentlichen Raum, denn über das Private, vor allem die Vergangenheit ihres Vaters, schwieg auch sie. Sucht man einen einzigen Ausdruck, der Ingeborg Bachmann beschreiben soll, so könnte man sie wohl eine «unglücklich Liebende» nennen. Zeitlebens auf der Suche nach Liebe, wollte sich doch keine wirklich lebbare einstellen. Das mag an den Männern gelegen haben, hatte aber sicher auch den Anteil bei Bachmann selber. Sie konnte und wollte sich nicht anpassen, unterordnen, abhängig sein, sie kämpfte für ihre Freiheit, ihre Autonomie. Und: Sie stellte ihr Schreiben über alles. Sie war nicht bereit, dafür Zugeständnisse zu machen. So scheiterte ihre grosse Liebe zu Paul Celan, die Beziehung mit Max Frisch, und auch jede Liebelei zwischendurch. Zurück blieb eine einsame Frau, die am Leben und der fehlenden Liebe krankte.
[Wir gehen, die Herzen im Staub]
Wir gehen, die Herzen im Staub,
und lange schon hart am Versagen.
Man hört uns nur nicht, ist zu taub,
um das Stönen im Staub zu beklagen.Wir singen, den Ton in der Brust.
Dort ist er noch niemals entsprungen.
Nur manchmal hat einer gewusst:
wir sind nicht zum Bleiben gezwungen.Wir halten. Beenden den Trott.
Sonst ist auch das Ende verdorben.
Und richten die Augen auf Gott:
wir haben den Abschied erworben!
Mag dieses Bild auch düster klingen, so sei doch gesagt, dass Ingeborg Bachmann es bei jeder Niederlage, nach jedem Leiden, wieder gelang, auf die Beine zu kommen, Energie zu finden, um weiterzuschreiben. Vermutlich war gerade das Schreiben ihr Lebensanker, auch wenn es ihr alles andere als leichtfiel, sie kämpfte mit Worten, Wendungen und Sätzen, sie kaum je zufrieden war und an allem feilte, bis es den eigenen – sehr hohen – Ansprüchen genügte. Entstanden sind so grossartige Gedichte, Marcel Reich-Ranicki nannte Bachmann denn auch eine der grossen Lyrikerinnen der jüngeren Vergangenheit, neben Lasker-Schüler und Droste-Hülshoff.
Doch irgendwann hörte sie auf, Gedichte zu schreiben. Sie sagte, sie hätte schon früh gewusst, dass das enden würde. Doch es endete nur nach aussen. Sie schrieb weiter, einige las sie noch vor, andere wurden erst nach ihrem Ableben publiziert. Schade, denn sie hatten nichts an der Grossartigkeit der früheren eingebüsst.
Meine Gedichte sind mir abhanden gekommen.
Ich suche sie in allen Zimmerwinkeln.
Weiss vor Schmerz nicht, wie man einen Schmerz
aufschreibt, weiss überhaupt nichts mehr.Weiss, dass man so nicht daherreden kann,
es muss würziger sein, eine gepfefferte Metapher.
müsste einem einfallen. Aber mit dem Messer im Rücken.Parlo e tacio, flüchte ich mich in ein Idion,
in dem sogar Spanisches vorkommt, los toros y
las planetas, auf einer alten gestohlenen Platte
vielleicht noch zu hören. Mit ezwas Französischem
geht es auch, tu es mon amour depuis si longtemps.Adieu, ihr schönen Worte, mit euren Verheissungen.
Warum habt ihr mich verlassen. War euch nicht wohl?
Ich habe euch hinterlegt bei einem Herzen, aus Stein.
Tut dort für mich, Haltet dort aus, tut dort für mich ein Werk.
Mit nur 47 Jahren ist Ingeborg Bachmann gestorben. Ihr Tod war genauso mysteriös wie ihr Leben. Ein Kreis schloss sich.
Danke schön für diese Denkzeit! In ihrer widersprüchlichen Art erkenne ich mich wieder – es ist genau dieser Geist, der Leben heißt!
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Leben als Ganzes heisst, die eigenen Widersprüche zuzulassen.
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Es ist nicht leicht
Das auszuhalten
Das Hin und Her
Im eig’nen Walten
Weder für dich
Auch gar für mich
Doch heißt’s zum Schluss
Ich lebte mich!
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