Was wär ein Apfel ohne -Sine, Was wären Häute ohne Schleim? Was wär’n die Vita ohne -Mine, Was wär’n Gedichte ohne Reim? Was wär das E ohne die -llipse, Was wär veränder ohne -lich? Was wär ein Kragen ohne Schlipse, Und was wär ich bloß ohne Dich? Heinz Erhardt
Nun sind es immerhin zwei Äpfel, doch ohne Sine und ohne Reim, aber wie heisst es so schön: A apple a day keeps the doctor away – und: doppelt gemoppelt hilft bekanntlich besser. Der Apfel ist Teil einer Sechser-Serie, ich mag es Serien zu malen, die das gleiche Motiv auf ähnliche Weise aufnehmen und doch unterschiedliche Ergebnisse abgeben.
„Vom Wind umweht, mit leisem Rauschen, sieht der Baum den Wellen zu. Er steht schon lang, ist alt und weise, stolze Kraft auf festem Grund, der hält und ihn zum Himmel treibt .
Was klein begann mit einem Stein, das wuchs in Ringen an und an. Erst nur ein Stamm, dran Äste dann, die weit und breit ins Land ausschweifen, es ergreifen, Blätterregen
um sich legen und daran ganz klein ein Stein in grüner Hülle, die in sich Genuss mitträgt. Es scheint die Sonne, nährt
Die Früchte, lässt sie reifen, rund und prall, bis eines Tages diese fallen, und zu neuem Leben streben – irgendwann.“ SVS
Vor meinem Schlafzimmer steht ein Olivenbaum. Zu ihm geht mein erster Blick, wenn ich auf die Wiese trete. Nie habe ich mich an ihm satt gesehen, immer wieder entdecke ich Neues an ihm. Matisse sagte einst:
„Eine vertiefte Studie erlaubt es mir, vom Gegenstand meiner Betrachtung Besitz zu ergreifen und mich bei der endgültigen Ausführung des Bildes mit ihm zu identifizieren.“
Ähnlich auch Wolfgang Tillmans:
„Wenn man sich nicht für die vielseitigen Qualitäten eines Baumstamms interessiert, kann man sich den Gegenstand auch nicht künstlerisch aneignen, indem man ihn malt, zeichnet, filmt oder fotografiert.“
Und so wird mich der Baum auch weiter jeden Morgen fesseln.
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.“
Rainer Maria Rilke (1899)
Mein Bild des Tages – Kleine Studie im Skizzenbuch
Wie du dalagst, wenn ich kam. So lieb. So schmal. Immer ging mir das Herz auf. Um sich dann vor Schmerz wieder zu verkrampfen. Weil mir bewusst war, dass ich dich nicht mehr lange so daliegen sehen würde. Wobei du gar nicht daliegen solltest. Du solltest durch die Berge wandern, deine geliebten Kreuzworträtsel lösen. Du solltest lachen, singen, tanzen. Du solltest Witze machen, von früher erzählen. Du solltest zu Hause sein. Ans Telefon gehen. Du solltest… Aber das Sollen war vorbei. Das Wollen auch. Es war, wie es war. Und würde auch so nicht bleiben.
Wir waren in diesen Zug eingestiegen, der nur noch eine Haltestelle kannte. Ich hasste Reisen schon immer.
Rainer Maria Rilke schrieb einst:
„Die Blätter fallen. Fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; Sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“
Ich fragte mich, wieso das Gedicht so schön klingt, so friedlich. In mir weinte und schrie und tobte und wütete es. Und doch berührten mich die Zeilen. Darum wollte ich sie mit dir teilen, Papa. Ich habe dich gar nie gefragt, ob du Gedichte magst. Ich habe so vieles nicht gefragt.
Friedrich Ani Er trat als Sohn einer Schlesierin und eines syrischen Arztes am 7. Januar 1959 in Kochel am See in diese Welt, absolvierte die Schule bis zum Abitur und veröffentlichte bald danach erste Hörspiele und Theaterstücke. In der Drehbuchwerkstatt München der Hochschule für Fernsehen und Film lernte er das Handwerk des Schreibens und publizierte bald schon seinen ersten Roman. Er gewann mehrere Preise, wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, bewegt sich in den unterschiedlichsten Genres, vom Drehbuch über (Kriminal-) Romane bis hin zu Gedichten. Es ist nicht leicht, ihn in wenigen Worten zu beschreiben bei einer solchen Vielfalt.
Für uns hat er die Tür zu seiner Schreib-Werkstatt geöffnet und gewährt uns einen Blick hinein.
Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?
Ich bin Schriftsteller, Verfasser melancholischer Kriminalromane, von Gedichten, Hörspielen und Theaterstücken. Geboren an einem See, zu Hause in einem Zimmer in der Stadt.
Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?
Zu schreiben begann ich, weil ich feststellte, dass mir das Erfinden von Geschichten oder Szenen Freude bereitete. Meine Großmutter las mir viel vor, und ich bekam Lust, mir selbst etwas auszudenken. Ich schrieb, wie andere Kinder auf einer Trommel herumhauen oder plötzlich auf dem Klavier Noten beherrschen, ohne jede Vorkenntnis. Ich schrieb, als hätte ich einen neuen Atem für mich erfunden.
Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?
Ich erstelle ein vages Konzept, ein Exposé mit den Hauptfiguren und einem ungefähren Verlauf der Geschichte. Die Biografien der Figuren sind mir früh vertraut, alles andere muss folgen während des Schreibens.
Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?
Die meisten Vorarbeiten – Recherchen, Ideen, Fetzen von Dialogen – schreibe ich mit der Hand. Manchmal benutze ich eine meiner mechanischen Schreibmaschinen, wie früher. Dann haue ich in die Tasten, als wären es die siebziger Jahre.
Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Ich glaube, du würdest dem zustimmen?
Menschen stören grundsätzlich oft. Der größte Feind des Schriftstellers ist der Tod.
Ich las in einem Interview, du bezeichnest dich als Zimmerling. Ein Mensch also, der am liebsten allein in einem Zimmer schreibt. Paul Auster meinte, Schriftsteller seien verwundete Menschen, da sich keiner ansonsten in ein einsames Zimmer zurückzöge. Paul Nizon sagte etwas ähnliches. Beuys würde nun wohl sagen: Zeige deine Wunde. Woher kommt der Wunsch nach dem Alleinsein?
Das Alleinsein beherrsche ich seit früher Kindheit, das habe ich aus verschiedenen Gründen früh lernen müssen, und es wurde Einsamkeit. Aber ich gehe darin umher wie in einem Mantel, ich trage ihn aufrecht, manchmal schnürt er mich ein, dann lege ich ihn vorübergehend ab. Das klappt. Meistens. Nicht lang.
Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?
Meine Schreibzeit ist morgens. Bis zum frühen Nachmittag. Das heißt nicht, dass ich die ganze Zeit etwas aufs Papier bringe, es heißt nur, ich laufe nicht weg, bleibe in der Nähe der schweigenden und unsichtbaren Figuren. Sie entscheiden, wann sie auf die Bühne wollen. Na ja, manchmal scheuche ich sie auch raus. Vermutlich gar nicht so selten.
Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?
Mühen beim Schreiben sind nicht das Gegenteil von Freude. Schreiben ist mein Werk, ich habe mich dafür entschieden und versuche, der Herausforderung gewachsen zu bleiben.
Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?
Wenn ich nicht schreibe, sehe ich mich selten als Schriftsteller, eher als jemanden, der etwas ratlos herumsteht. Ich glaube, für solche Leute wurde die Gastronomie erfunden.
Du schreibst in verschiedenen Genres, vom Krimi über Jugendbücher bis hin zur Lyrik. Landläufig heisst es, „Schuster bleib bei deinen Leisten“ – wieso diese Vielfalt?
Anders kann ich nicht leben.
Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Dein Ermittler trägt dein Pseudonym von früher. Wie viel von dir steckt in ihm? Und generell in deinen Krimis und anderen Werken?
Meine Autobiografie ist das, was ich schreibe, ich bin in allen Figuren. Vielleicht habe ich deswegen damit begonnen: Um eine Zeitlang wahrhaftig in der Welt zu sein.
Du schreibst keine Krimis nach Lehrbuch, immer überwiegen die Tiefenansichten von Menschen am Rand der Gesellschaft. Was fasziniert dich daran?
Ich wüsste nicht, worüber ich sonst schreiben sollte.
Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?
Diese Kategorien sind außerhalb meines Schreibens. Ich bewerte sie nicht, und sie bedeuten mir nichts.
Was treibt dich immer wieder an, noch ein Buch zu schreiben? Oder anders gefragt: Wäre ein Leben ohne zu schreiben denkbar für dich?
Vermutlich, aber ich kenne kein anderes Leben.
Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und wieso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?
Ich lese Bücher wegen der Sprache, weniger wegen der Handlung, wegen der Gedanken der Figuren und des Autors, der Autorin, wegen deren Haltung zur Welt und den Menschen. Ich lese, um zu lernen.
Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?
Wenn jemand ernsthaft ein Buch schreiben möchte, muss man ihm nichts raten, dann schreibt er es schon.
Zwei aktuelle Buchempfehlungen aus der grossen Vielfalt von Publikationen:
Friedrich Ani: Lichtjahre im Dunkel (Roman)
„Eines frühen Morgens im Juli wankte ich ins Bad, sah in den Spiegel und bemerkte, dass ich alt geworden war. Das erschien mir kurios.“
Das Aufwachen nach einer durchzechten Nacht ist mitunter schwer. Noch schwerer ist das Leben an sich, in welchem mysteriöse Dinge passieren. Zum Beispiel verschwindet Leo Ahorn eines Tages nach vergeblichen Versuchen, Geld für seinen maroden Laden aufzutreiben. Obwohl seine Frau noch unschlüssig ist, ob sie ihn überhaupt wiederhaben will, muss sie etwas tun. Polizei kommt nicht in Frage, also wendet sie sich an den Privatdetektiv Tabor Süden, von welchem sie allerdings auch nicht vollends überzeugt ist. Bei seinen Ermittlungen trifft dieser auf die unterschiedlichsten Gestalten und erfährt mehr über das wenig glückliche Leben des Verschwundenen. Als ob das nicht alles schon genug wäre, findet sich auch noch eine Leiche, die Polizei mischt nun auch mit und sich ein und plötzlich sieht alles nochmals ganz anders aus.
Friedrich Ani: Stift (Gedichte)
„Worte hauchen, allmählich Gewöhn ich mich ein, wie die Anderen auch, so muss es Sein, wir leben zum Gebrauch“
Friedrich Ani nimmt die Sprache, zerlegt sie in Worte, zerbricht ihre Sätze, gliedert sie neu und entdeckt so die doppelten Böden und eröffnet neue Felder. Seine Gedichte sind Sprachanalysen in Poesie gegossen. Es sind Freilegungen von tieferen Schichten, die zwischen den Zeilen, über Punkte hinaus und durch Buchstaben hindurch schimmern. Es sind Gedichte zum Wiederlesen, zum Wiederkäuen, zum Bedenken. Gedichte, die sich setzen lassen müssen.
Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär, und der bleierne Schatten, der niederfällt, lastet grabesschwer.
Komm, wir wollen uns näher verbergen… Das Leben liegt in aller Herzen Wie in Särgen.
Du, wir wollen uns tief küssen… Es pocht eine Sehnsucht an die Welt, an der wir sterben müssen.
Es gibt Gedichte, die finden immer wieder eine Zeit, in die sie passen, sie weisen über den eigenen Zeitrahmen hinaus in die Ewigkeit, in der sich wiederholt und immer wiederholen wird, was im Menschen angelegt ist. Wir können noch so hehre Wünsche und grosse Theorien haben, der Mensch wird sie durchbrechen und seinen (An-)Trieben folgen, die nicht selten auch Verderben und Krieg mit sich bringen.
Else Lasker-Schüler weist auf das Grauen in der Welt hin, in der wir leben, sie zeigt aber auch, dass gerade in einer solchen Welt die Liebe und der geliebte Mensch einen Halt darstellen können. Das eigene Überleben hängt am Miteinander, nur durch dieses findet man Halt, findet man das Schöne, kann man die tiefsten Sehnsüchte leben, während da draussen die Welt wartet, an der wir einmal sterben werden.
Ein trauriges Gedicht, umso trauriger, weil es keine Phantasie, sondern bittere Wahrheit transportiert. Aber auch ein Aufruf an den Einzelnen, in seinem eigenen Umkreis auf das Gute und die Liebe zu bauen, um wenigstens diesen Kreis zu einem besseren Ort zu machen.
Two roads diverged in a yellow wood, And sorry I could not travel both And be one traveler, long I stood And looked down one as far as I could To where it bent in the undergrowth;
Then took the other, as just as fair, And having perhaps the better claim, Because it was grassy and wanted wear; Though as for that, the passing there Had worn them really about the same.
And both that morning equally lay In leaves no step had trodden black. Oh, I kept the first for another day! Yet knowing how way leads to way, I doubted if I should ever come back.
I shall be telling this with a sigh Somewhere ages and ages hence: Two roads diverged in a wood, and I- I took the one less traveled by, And that has made all the difference.
Eines der wohl bekanntesten Gedichte von Robert Frost, fast möchte ich sagen, der englischsprachigen Dichtung. Im Spiel mit dem Bild eines Weges, der für den Lebensweg stehen kann, trifft der Gehende auf eine Weggabelung. Welchen Weg soll er beschreiten? Was verspricht der eine, was der andere? Was werden sie beide halten? Vor dem Gehen wird man es nicht wissen, man kann nur Abwägungen machen, die Wege von aussen betrachten, Vorstellungen zu Hilfe ziehen – und dann wird man eine Entscheidung treffen müssen.
Das Ich im Gedicht schaut sich die Wege an, schaut dem einen nach, bis er sich der Sicht entzieht, begutachtet den anderen. Vieles deutet darauf hin, dass beide etwa gleich viel begangen worden sind, und doch gibt es Spuren für das Gegenteil. Beide Wege liegen gleich vor ihm an diesem Morgen. Und so entscheidet sich das Ich für einen, behält sich den anderen für später vor, im Wissen, dass ein Weg oft in einen anderen führt, die Chance also gross ist, dass es nie mehr an den Punkt von heute zurück kehren wird.
Oft im Leben stehen wir vor Entscheidungen und überlegen nach allen Seiten, welche die für uns beste sei. Wir wägen ab, stellen uns Konsequenzen vor und wissen, dass jede Entscheidung für etwas, auch eine gegen etwas anderes sein wird. Nur: Wir können nicht alles haben, wir müssen eine Wahl treffen. Und: Vieles im Leben kommt nicht wieder.
Bemerkenswert ist der letzte Vers. In der ersten Zeile heisst es da, dass das ich dies mit einem Seufzen sagen werde. Das Ich sagt es nicht mal jetzt, sondern erst irgendwann und irgendwo, dann, wenn der Weg gegangen ist und es sehen wird, wohin er geführt hat. Was aber bedeutet das? Ein Seufzen ist keine eindeutige Angelegenheit. Je nachdem, wie man seufz, kann es Erleichterung oder Bedauern ausdrücken. Wir wissen nicht, welche Art des Seufzen es hier sein wird.
Und dann wird alles nochmals zusammengefasst: Wir haben die klare Ausgangslage der zwei Strassen, die sich trennen in einem Wald. Und dann folgt die Entscheidung: Das Ich nimmt den Weg, der weniger begangen ist. Und das macht den ganzen Unterschied. Was nun so klar daliegt, ist allerdings alles andere als klar. Wir wissen nicht, welchen Unterschied das macht, ob dieser positiv oder negativ ist für das Ich, das den Weg gegangen ist. Und vermutlich ist das gar nicht wichtig. Nur schon das Treffen einer Entscheidung hat einen Unterschied gemacht, indem ich nämlich weiter gehe im Leben und nicht stehen bleibe. Einmal getroffen, gilt es, den Weg zu gehen. Bis sich wieder neue Weggabelungen zeigen.
Ich konzentriere mich in meinem Blog und auch in meinem Lesen allgemein mehrheitlich auf deutschsprachige Literatur, doch gibt es so ein paar Lieblinge aus anderen Ländern, die ich nicht missen möchte. Robert Frost ist einer davon. Die Schwierigkeit, die sich dabei zeigt, ist die des Übersetzens – gerade in der Lyrik (sie ist aber auch in der Prosa ein grösseres Thema, als landläufig angenommen wird, da ein falscher Sprachduktus in der übersetzten Sprache das ganze Buch komplett verändern kann und viel vom Charme wegfällt, welchen das Original hatte). Zwar verstehe ich Englisch durchaus ziemlich gut, was bei anderen Sprachen leider nicht mehr der Fall ist, ich habe mich bei diesem Gedicht aber doch um Übersetzungen bemüht, vor allem auch, weil ich das Gedicht so liebe und es auch Menschen zugänglich machen möchte, welche im Englischen nicht so bewandert sind.
Deutsche Übersertzung von Lars Vollert:
Ein Weg ward zwei im gelben Wald. Betrübt, dass ich nicht beide gehen Und Einer sein kann, macht’ ich Halt und sah dem einen nach, der bald im Dickicht war nicht mehr zu sehn.
Ich nahm darauf den andern dann. Sein gutes Recht gewährt’ ich ihm: Das Gras stand dort schon wieder lang, obgleich er durch der Leute gang genauso ausgetreten schien.
Auf beiden an dem Morgen lag das Laub von Tritten nicht zerdrückt. Dem ersten blieb ein nächster Tag! Weil eins zum andern führen mag, ahnt’ ich, ich käm wohl nicht zurück.
Ich sag mit einem Seufzen sicherlich, wenn viele Jahre ich verbracht: Ein Weg ward zwei in einem Wald, und ich – ich nahm den einsamen für mich, das hat den Unterschied gemacht.
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Literaturhinweis: Robert Frost: Promises to keep. Poems Gedichte, Übersetzung und Nachwort von Lars Vollert, C. H. Beck textura, 9. Auflage, München 2016.
Sieh nicht, was andre tun, der andern sind so viel, du kommst nur in ein Spiel, das nimmermehr wird ruhn.
Geh einfach Gottes Pfad, lass nichts sonst Führer sein, so gehst du recht und grad, und gingst du ganz allein.
Eine lyrische Analyse wird hier eigentlich überflüssig. Klar könnte man den Klammerrein anmerken, den jambischen, regelmässigen Fluss, aber es erscheint nicht nötig. Wir haben hier ein kleines, feines Gedicht, das viel Lebens-Wahrheit in sich trägt. Kurz gesagt bringt es folgende Botschaft an den Leser:
Sei du selbst und alles ist gut.
Wir neigen oft dazu, uns an anderen auszurichten, sie zum Vorbild zu nehmen. Dann stehen wir da, vergleichen uns und sind mit uns unzufrieden. Wie viel besser wäre es, so zu sein wie der andere. Nur: Selbst wenn wir das hinkriegten, wenn wir so wären, wie der andere, bliebe ein Problem – nein, es bleiben mehrere: Wir wären nicht mehr wir selber, insofern nicht mehr authentisch. Wir hätten eine Rolle übernommen, die wir nun spielen. Und in diesem Spiel werden wir nie zur Ruhe kommen, weil unser Naturell, uns zu vergleichen, uns sicher bald einen Nächsten bringen wird, dem wir noch besser nacheifern würden.
So gehen wir rastlos durch das Leben auf der Suche nach dem besten Ich, welches wir aber nie sind, da wir fremde Massstäbe übernehmen. Erst wenn wir uns auf unser eigenes Sein verlassen, wenn wir unseren eigenen Weg gehen, werden wir zur Ruhe kommen. Dann wird es nicht mehr nur ein Rollenspiel sein, sondern ein Leben aus tiefstem Herzen, ein authentisches und echtes Leben. Unser Leben.
Zwei Becken, eins das andere übersteigend aus einem alten runden Marmorrand, und aus dem oberen Wasser leis sich neigend zum Wasser, welches unten wartend stand,
dem leise redenden entgegenschweigend und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand, ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend wie einen unbekannten Gegenstand;
sich selber ruhig in der schönen Schale verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis, nur manchmal träumerisch und tropfenweis
sich niederlassend an den Moosbehängen zum letzten Spiegel, der sein Becken leis von unten lächeln macht mit Übergängen.
Rilke hat dieses Gedicht im Jahr 1906 in Paris geschrieben (es erschien in den «Neuen Gedichten»), er dürfte beim Schreiben aber an seine Reise nach Rom gedacht haben, wo er mit seiner Frau Clara war und oft den Borghese-Garten besucht hatte. Rilke empfand diesen Garten als Zuflucht, als Ort der Stille im lärmig-lauten Rom, mit dem er sich nicht richtig anfreunden konnte.
Das Sonett besteh aus einem einzigen Satz, der sich über die Strophen ergiesst, wie das Wasser es beim Brunnen tut. Wie bei seinen anderen Ding-Gedichten fehlt auch hier ein lyrisches Ich, der Brunnen steht für sich allein und das Wasser fliesst ungehindert. Es ist quasi eine Selbstbegegnung des Wassers mit sich selber, wir haben hier auch kein Geben und Nehmen wie zum Beispiel bei Meyers Gedicht zum selben Brunnen. Bei Rilke ist es ein Fliessen und wartendes Empfangen.
Zentral erscheint in diesem Gedicht die Ruhe, keine Hektik ist zu spüren, kein Lärm, alles ist langsam, leise, sanft. Es wird gewartet, sich geneigt, sich gezeigt, gelächelt. Zwei Becken liegen übereinander, aus dem einen neigt sich das eine leise und redet ebenso, das andere wartet und schweigt. Im Brunnen spiegelt sich ruhig sich ausbreitend der Himmel, fast verborgen. Er gehört da hin, denn er verspürt kein Heimweh, ist also nicht am falschen Ort – anders als Rilke in Rom. Und wohl auch anders als Rilke im Leben, war er doch ohne eigentliches Heim, immer auf der Durchreise und wohl doch mit einer Sehnsucht nach Heimat im Herzen.
Aus dem ganzen Gedicht dringt die Stille, derer Rilke so sehr bedurfte in dem hektischen Rom. Damit tut er schreibend das, wozu Gedichte beim Lesen so oft dienen können: Er schafft mit dem Gedicht einen wohltuenden Ort inmitten eines Raumes, in welchem er sich unwohl fühlt.
Zum Autor René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Glücklich kann man seine Kindheit wahrlich nicht nennen. Erst wollte die Mutter ihn eigentlich als Mädchen sehen, steckte ihn in entsprechende Kleider, später sollte er eine Militärlaufbahn anstreben, was gar nicht seinem Naturell entsprach und ihn entsprechend unglücklich machte. Nach sechs Jahren konnte er krankheitsbedingt abbrechen. Der nachfolgende Besuch der Handelsakademie wurde auch abgebrochen, dies wegen einer unstatthaften Beziehung zu einem Kindermädchen. Es folgte ein Studienbesuch und dann kam es zu der Begegnung, die wohl sein Leben am massgeblichsten geprägt hat: Lou Andreas-Salomé trat in sein Leben und änderte gleich mal seinen Namen hin zum (wie sie fand) männlicheren Rainer.
Rilke ist ein Nomade, wohnt an keinem Ort lange, hält es mit keiner Frau lange aus, mag Beziehungen eher auf Distanz als in der Nähe. Seine einzige und wirkliche Liebe scheint der Dichtung zu gehören. Immer wieder um seine Gesundheit kämpfend wurde 1926 bei Rainer Maria Rilke Leukämie diagnostiziert. Er stirbt am 29. Dezember 1926 in der Nähe von Montreux und wird am 2. Januar darauf im Bergdorf Raron beigesetzt, nahe seines letzten Wohnortes. Den Spruch für seinen Grabstein hat er selber verfasst:
Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern.
Die Gassen haben einen sachten Gang (wie manchmal Menschen gehen im Genesen nachdenkend: was ist früher hier gewesen?) und an die Plätze kommen, warten lang
auf eine andre, die mit einem Schritt über das abendklare Wasser tritt, darin, je mehr sich rings die Dinge mildern, die eingehängte Welt von Spiegelbildern so wirklich wird wie diese Dinge nie.
Verging nicht diese Stadt? Nun siehst du, wie (nach einem unbegreiflichen Gesetz) sie wach und deutlich wird im Umgestellten, als wäre dort das Leben nicht so selten; dort hängen jetzt die Gärten gross und gelten, dort dreht sich plötzlich hinter schnell erhellten Fenstern der Tanz in den Estaminets.
Und oben blieb? – – Die Stille nur, ich glaube, und kostet langsam und von nichts gedrängt Beere um Beere aus der süssen Traube des Glockenspiels, das in den Himmeln hängt.
Ein Gedicht voller Bilder, ein Gedicht, das anschaulich macht, was nur zu fühlen ist beim Gang durch die Stadt. Brügge sei es, steht oben. Das ist verwunderlich, als im Gedicht vorkommt, die Stadt sei vergangen, was mit Brügge nie passiert ist, blieb diese doch verschont im Krieg. Ob das Vergehen der Zeit gemeint ist, der Wandel durch die Zeiten hindurch? War Brügge früher Handelszentrum, nahm die wirtschaftliche Stellung in der Neuzeit ab, die Industrialisierung hat sie nicht mehr mitgemacht. Ob das Erbe der alten Zeiten noch in den Gassen hängt?
Es ist Abend, die Kanäle rund um die Stadt haben klares Wasser, in welchen sich die Häuser spiegeln. Ein Spiegel ist nie das, was wirklich ist, es ist ein Abbild. Von diesem Abbild erzählt das Gedicht, welches wiederum ein neues Abbild schafft, indem es Gefühle und Stimmungen in Worten ausdrückt und sie so erfahrbar macht. Als Leser sind wir nun mit einer Wirklichkeit betraut, welche es eigentlich nicht gibt, die aber doch durch die Worte hindurchschimmert als Ahnung dessen, was sein könnte.
Während das Hier und heute schnell und hell und gross erscheint und als Leben in den Kneipen tanzt, bleibt leise die Ahnung dessen, was war, in den Gassen, die in der Abendstille daliegen. Und diese Stille ist es, die Rilke als die wahre Schönheit, als süsse Traube des Himmels, sieht.
Ein Gedicht voller bildsprachlicher Schönheit, das dazu aufruft, hinzuschauen, nicht einfach blind durch die Gassen und Strassen zu gehen, sondern offen zu sein für die Schönheiten, die sich zeigen, für die Geschichten, die versteckt lauern, für die Gefühle, die sich einstellen können, wenn man offen bleibt.
Zum Autor René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Glücklich kann man seine Kindheit wahrlich nicht nennen. Erst wollte die Mutter ihn eigentlich als Mädchen sehen, steckte ihn in entsprechende Kleider, später sollte er eine Militärlaufbahn anstreben, was gar nicht seinem Naturell entsprach und ihn entsprechend unglücklich machte. Nach sechs Jahren konnte er krankheitsbedingt abbrechen. Der nachfolgende Besuch der Handelsakademie wurde auch abgebrochen, dies wegen einer unstatthaften Beziehung zu einem Kindermädchen. Es folgte ein Studienbesuch und dann kam es zu der Begegnung, die wohl sein Leben am massgeblichsten geprägt hat: Lou Andreas-Salomé trat in sein Leben und änderte gleich mal seinen Namen hin zum (wie sie fand) männlicheren Rainer.
Rilke ist ein Nomade, wohnt an keinem Ort lange, hält es mit keiner Frau lange aus, mag Beziehungen eher auf Distanz als in der Nähe. Seine einzige und wirkliche Liebe scheint der Dichtung zu gehören. Immer wieder um seine Gesundheit kämpfend wurde 1926 bei Rainer Maria Rilke Leukämie diagnostiziert. Er stirbt am 29. Dezember 1926 in der Nähe von Montreux und wird am 2. Januar darauf im Bergdorf Raron beigesetzt, nahe seines letzten Wohnortes. Den Spruch für seinen Grabstein hat er selber verfasst:
Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern.
Im Jardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris
Der Panther ist wohl eines der bekanntesten Dinggedichte Rilkes. Bei Dingggedichten werden leblose oder lebendige Objekte zum Sujet des Gedichts, sie tragen die Botschaft. Rilke gilt als Schöpfer der Dinggedichte, sie sind bei ihm vor allem in den Neuen Gedichten (1907/08) zu finden.
Der Panther hat drei Strophen mit je vier Versen, die als Reimschema jeweils den Kreuzreim aufweisen. Auffällig ist auch der Binnenreim in der dritten Zeile, des Weiteren die Häufung des Umlauts ä, welche dem Gedicht einen eigenen Klang geben. Der Rhythmus mit dem stets gleich bleibenden jambischen Metrum nimmt den Inhalt auf, er wirkt träge. Indem man das Gedicht laut liest, spürt man die Bewegung des Panthers förmlich. Man sieht und hört, wie er hinter Stäben hin und her geht, wie er ganz auf sich zurückgeworfen ist, weil da ausser tausend Stäben keine Welt mehr zu sein scheint.
Indem Rilke den Panther von aussen beschreibt, in der ersten Strophe den Blick, dann den Gang, schliesslich das Auge, von wo er im Herzen landet, legt er gleichzeitig die Innensicht des Panthers offen. Wie der Blick scheint auch der Panther müde, er läuft nur in dem ewig gleichen Rhythmus hin und her. Zwar sieht man noch die Kraft, die in ihm steckte, allein sie ist betäubt – wie es auch sein Wille ist.
Und doch gibt es Momente, da wird er wach, da sieht er ein Stück Welt, die ihm ins Herz dringt, wo alles wieder endet. Danach könnte das Gedicht wieder von vorne beginnen.
Der Erfolg des Gedichts kommt wohl unter anderem daher, dass man sich selbst erkennt in diesem Panther. Auch als Mensch ist man oft müde von all den Alltäglichkeiten des Seins, von (von aussen und innen gebildeten) Gefängnissen und Einschränkungen. Man folgt ewig gleichen Pfaden über Tage Wochen, Jahre, glaubt kaum mehr, dass es irgendwann anders sein könnte – ausser vielleicht dann, wenn ein kleiner Hoffnungsschimmer ins Herz sticht, ausgelöst durch ein Bild, ein Wort, einen Gedanken.
Danach nimmt das Leben wieder seinen Lauf. Und man geht ihn mit, Schritt für Schritt in all den Schranken, die um einen sind.
Zum Autor René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Glücklich kann man seine Kindheit wahrlich nicht nennen. Erst wollte die Mutter ihn eigentlich als Mädchen sehen, steckte ihn in entsprechende Kleider, später sollte er eine Militärlaufbahn anstreben, was gar nicht seinem Naturell entsprach und ihn entsprechend unglücklich machte. Nach sechs Jahren konnte er krankheitsbedingt abbrechen. Der nachfolgende Besuch der Handelsakademie wurde auch abgebrochen, dies wegen einer unstatthaften Beziehung zu einem Kindermädchen. Es folgte ein Studienbesuch und dann kam es zu der Begegnung, die wohl sein Leben am massgeblichsten geprägt hat: Lou Andreas-Salomé trat in sein Leben und änderte gleich mal seinen Namen hin zum (wie sie fand) männlicheren Rainer.
Rilke ist ein Nomade, wohnt an keinem Ort lange, hält es mit keiner Frau lange aus, mag Beziehungen eher auf Distanz als in der Nähe. Seine einzige und wirkliche Liebe scheint der Dichtung zu gehören. Immer wieder um seine Gesundheit kämpfend wurde 1926 bei Rainer Maria Rilke Leukämie diagnostiziert. Er stirbt am 29. Dezember 1926 in der Nähe von Montreux und wird am 2. Januar darauf im Bergdorf Raron beigesetzt, nahe seines letzten Wohnortes. Den Spruch für seinen Grabstein hat er selber verfasst:
Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern.