Tagesbild: Spielen

„Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall.“ Novalis

Den Bleistift spazieren führen, so beschrieb Paul Klee das Zeichnen. Die Freiheit, diesen Spaziergang ohne festes Ziel sondern mit spielerischer Neugier zu machen, gibt dem Ganzen einen Hauch von Abenteuer und Lebendigkeit. Der Zufall spielt mit, sich ihm auszusetzen kann befreiend wirken.

Habt einen schönen Tag!

Kreativität: Neues probieren

Guten Morgen

„Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer der, der er schon ist.“ Henry Ford

Es ist so verlockend, in sicheren Gewässern zu schwimmen. Man geht kaum Risiken ein, das Resultat wird ziemlich sicher gut. Ich mag das eigentlich, da ich mit Misserfolgen und Fehlern Mühe habe (wie wohl so viele). Und doch reizt es mich immer wieder, Neues auszuprobieren, neue kreative Welten zu entdecken. Gestern kochte ich zum Beispiel etwas, das ich noch nie gemacht hatte, es war eine Herausforderung, doch es hat sich gelohnt. Dasselbe versuche ich auch beim Malen. Ich habe mir vorgenommen, alle möglichen Medien auszuprobieren und zu sehen, wie sie sich anfühlen, was sich damit bewerkstelligen lässt, wie ich damit auch kreativ spielen oder sie sogar kombinieren kann. herausgekommen sind schon viele kleine Freuden, die mich bestärken, den Weg weiterzugehen und die gewohnten Gewässer hinter mir zu lassen.

Ganz schwer für mich ist immer, loszulassen, lockere zu werden, sprichwörtlich über den Rand hinauszumalen. Was für ein Gewühl. Wieviel Freiheit da plötzlich auskommt.

Dies war ein Versuch mit einfachen Neocolors im Skizzenbuch – meiner Spielwiese für alles momentan. Klecksereien, Aquarell, Filz- und Farbstifte, Collagen finden hier ihren geschützten Raum. Das Buch sieht schlussendlich nicht so perfekt durchgestylt aus wie viele, die man so sieht, aber ich liebe es genau so: mein Raum, meine Spielwiese.

Habt einen schönen Tag
Sandra 💕

Eine Geschichte: Ein Stück Glück (XXIV)

Lieber Papa

Ich blättere mich weiter durch die Seiten des Albums. Ich arbeite mich von Bild zu Bild, stöbere in meiner Vergangenheit. Was mir auffällt: Ich lache kaum je auf den Bildern. Das deckt sich mit meinen Erinnerungen. Doch dann stosse ich auf ein Bild, auf dem ich glücklich aussehe. Ich stehe inmitten einer Schar von Kindern. Alle strecken die Arme zum Himmel, auf den Händen tragen wir einen grossen Drachen. Wir haben ihn, so erinnere ich mich, aus vielen Papieren zusammengesetzt und wollten ihn später fliegen lassen.

Das Bild ist in einem Sommerlager entstanden. Das Spielerlebnis fand jedes Jahr ganz in unserer Nähe statt und ich durfte hin. Zwei Wochen. Es war grossartig.

In der ersten Woche bauten wir in kleinen Gruppen Holzhütten. Das Material dazu, Holzlatten und -stangen gab es vor Ort. Die geübteren Baumeister schafften sogar doppelstöckige Häuser mit Leitern, die in den zweiten Stock führten. In einem Haus, ich erinnere mich genau, bauten wir sogar einen Balkon. Wie stolz wir waren. Unser Haus. Selbst gebaut.

In der zweiten Woche durften wir in diesen Hütten übernachten. Ich auch. Das gab es sonst nie. Ich war glücklich. Das Glück spricht aus dem Bild. Aus meinen Augen. Wie kaum sonst auf anderen Bildern.

Ich weiss noch, wie frei ich mich in diesen zwei Wochen fühlte. Da gehörte ich dazu. Da konnte ich sein, wie ich war. Da konnte ich ausleben, was in mir steckte. Ich konnte wild sein, konnte rennen, lachen, schreien, bauen, spielen. Wenn ich zurückdenke, jetzt beim Schreiben, merke ich, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht gebildet hat. Die Erinnerung bringt das Glück zurück. Wie schön.

Wir hatten grossartige Lagerleiter. Sie waren auch in der Pfadi aktiv. Da kam mir die Idee: Was, wenn ich dieses Sommerglück ins Jahr hineinziehen könnte? Ich wollte in die Pfadi. Jeden Samstag ein Stück Freiheit. Jeden Samstag wieder ein Stück vom Glück erleben. Das stellte ich mir schön vor.

Du hast es verboten. Du wolltest mich am Wochenende zu Hause haben. Das Wochenende gehört der Familie. Hast du gesagt. Mama schwieg. Wie immer. Was immer du geboten, verboten, kritisiert, bestraft hast. Sie schwieg. Und stimmte so zu. Das habe ich ihr übelgenommen. Wieso setzte sie sich nicht mal ein für mich. Wieso kämpfte sie nicht für mich? Gegen dich? Heute denke ich, sie fühlte sich wohl genauso hilflos wie ich. Weil auch sie deine Reaktion fürchtete.

Das zu schreiben fällt mir schwer. Weil du kein böser Mensch warst. Weil du mein Papa bist, den ich liebe.  

(„Alles aus Liebe“, XXIV)

Gedankensplitter: Die Wahl, wie man leben will

«Jede Zeit wie jeder Mensch hat ein gewisses Gedankenfeld, über das hinaus nichts wahrgenommen wird.» Bertha von Suttner

Eigentlich ist es schon lange bekannt: Wir nehmen nur einen kleinen Bruchteil dessen wahr, was ist. Vor allem was einen selbst betrifft, hat man oft blinde Flecken, Dinge, die von aussen offensichtlich sind, die man selbst nicht sieht. Diese blinden Flecke bei sich und in der Wahrnehmung des Aussen sind vielem geschuldet: Der Zeit, in der wir leben, der Kultur, in der wir aufgewachsen sind, dem Umfeld, in dem wir uns bewegen, und verschiedenen anderen Prägungen aus Erfahrungen und Erlebnissen. Wir sind geprägte Menschen und agieren aus diesen Prägungen heraus. Sind wir ihnen ausgeliefert?

Teilweise wohl schon, zumindest so lange, bis wir uns bewusst werden, dass wir sie haben und sie zu ergründen suchen. Dass dies nicht immer angenehm ist, liegt auf der Hand. Wer im Dunkeln buddelt, kann auf Dreck stossen. Den wollen wir oft nicht sehen, wollen uns die Hände nicht schmutzig machen. 

«Bedenke, was du bist: vor allem ein Mensch, das bedeutet, ein Wesen, dass keine wesentlichere Aufgabe hat als seinen freien Willen.» Epiktet

Im Buddhismus heisst es, dass die schönste Lotusblume aus dem Sumpf kommt. Es braucht wohl immer beide Seiten, um Leben zu kreieren. Die dunklen, düsteren Seiten zu verneinen, zu verurteilen, wird an keinen guten Ort führen, denn das macht uns zu Sklaven dieser Arbeit. Sie anzunehmen, hinzusehen, ihre Funktion anzuerkennen, aber ihnen dann nicht mehr Macht zu geben, sondern unser Sein und Tun aktiv dem Guten hinzuwenden, wäre die bessere Alternative. So würden wir zu den Menschen, die wir sein wollen, im Wissen, dass alles in uns steckt, aber wir die Wahl haben, was wir leben wollen. 


Gedankensplitter: Zur Freiheit verdammt

«Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.» Simone de Beauvoir

Simone de Beauvoirs Satz wurde oft zitiert – und sehr oft falsch. Dann lautete er wie folgt:

«Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.»

Es sind nur zwei Worte, doch sie implizieren viel. Man betont durch sie die soziale Komponente des Frauseins, der Rollenzuschreibung Frau. So gesehen kommt man zur Welt und wird dann in die Mangel der Gesellschaft genommen wird, welche einen zu dem formt, was man in dieser Gesellschaft als Frau versteht. Die Frau als solche ist damit ein Opfer, das Opfer der bestimmenden Kräfte einer Gesellschaft, welche ihr durch die soziale Prägung eine Rolle zuschreibt.

Der Satz ist nicht nur falsch zitiert, so formuliert widerspricht er auch dem Grundgedanken des Existenzialismus. Im Existenzialismus gibt es zwei wichtige Kerngedanken: Den der Freiheit und den der Verantwortung. Beide wären ausgesetzt, würde man Simone de Beauvoirs Satz so verstehen, wie die falsche Übersetzung oft verstanden wird. Die Frau als Opfer wäre weder frei noch trüge sie die Verantwortung für ihr sein. Dass Simone de Beauvoir das so nicht gemeint haben kann, liegt meines Erachtens auf der Hand. Was also meinte sie wirklich?

Folgt man dem Existenzialismus, haben wir folgende Ausgangslage: Der Mensch wird in eine Welt geworfen, die er sich nicht selbst ausgesucht hat. Diese Welt bestimmt seinen Rahmen, sie bietet ihm die dieser Welt inhärenten Möglichkeiten. Es ist nun am Menschen, diese Möglichkeiten zu nutzen und sich das Leben zu gestalten, das er sich für sich selbst wünscht. Dadurch, dass es diesen Rahmen gibt, wird nie alles für jeden möglich sein. Doch bei dem, was möglich ist, hat er die Wahl. Er hat die Freiheit, sich zu entscheiden – er muss es sogar. Nun kann man einwenden, dass niemand ganz frei ist und wir alle von verschiedenen Prägungen gesteuert werden, die uns unbewusst handeln lassen. Das ist sicherlich richtig, doch ist es durchaus möglich, diesen Prägungen auf die Schliche zu kommen und sie zu umgehen. Nicht dass das leicht wäre in jedem Fall, aber doch möglich.

Dies im Hinterkopf nochmals auf das Zitat geschaut, bietet sich nun folgende Interpretation: Man wird nicht zur Frau geboren, sondern man wird es – weil man sich selbst für diesen Weg entscheidet. Die Frau ist nicht das Opfer der Gesellschaft, sondern sie selbst wählt, in das von dieser gezeichnete Frauenbild zu passen – oder eben nicht. Nun ist es durchaus so, dass dieses Frauenbild problematisch sein kann. Zudem wird es sich auch nicht einfach verändern, nur weil sich eine Frau entscheidet, sich dem Bild zu widersetzen und eigene Wege für sich zu finden. Die Gesellschaft (was immer einzelne Menschen sind im individuellen Fall) ist in der Lage, Steine in den Weg zu legen, Druckmittel bereitzuhalten, das Leben zu erschweren, folgt der Mensch nicht der ihm zugesprochenen Vorbestimmung. Will man daran etwas verändern, kann das nur gelingen, wenn der Mensch einsieht, dass er die Wahl hat, dass er nicht einfach Opfer ist, sondern ein selbstbestimmtes Wesen mit der Verantwortung dafür, was er ist und tut. Und: keiner kann eine Veränderung des Systems allein bewirken.

Um die Gesellschaft zu verändern, braucht es viele. Es braucht das Bewusstsein, dass Muster und Rollenzuschreibungen nur verändert werden können, wenn sich die davon Betroffenen zusammentun und dafür einstehen, dass jeder ein Recht auf Selbstverwirklichung hat – in dem Sinne, sein zu dürfen, wer er ist. Mit den Worten Simone de Beauvoirs:

«Der Frau bleibt kein anderer Ausweg, als an ihrer Befreiung zu arbeiten. Diese Befreiung kann nur eine kollektive sein.» Simone de Beauvoir

Gedankensplitter: «Ich bin so frei»

Ein höflicher Satz. Ein Satz des Anstands, oft begleitet mit einer entsprechenden Geste. So hat sich das eingeprägt, das ist unsere kulturelle und damit unhinterfragte Sicht. Schaut man aber genauer hin, holt man die Wendung aus ihrer gewohnten und damit unreflektierten Bedeutung heraus, zeigt sich ein anderes Bild. Verwendet wird diese Wendung mehrheitlich dann, wenn man einen eigentlichen Grenzüberschritt höflich verpacken will. Man würde es nicht sagen, wenn man nicht tief drin wüsste, dass das, was man zu tun vorhat, eine Grenze überschreitet, nämlich die des anderen: Man tritt ihm zu nah. Man begrenzt dessen Freiheit indem man sich explizit die eigene gewährt. Damit ist diese Wendung in Tat und Wahrheit eigentlich eine höfliche Entschuldigung, die aber nicht nach einer passierten Handlung nachgereicht wird und damit eine Einsicht des eigenen Fehlverhaltens impliziert, sondern eine vorweggenommene Rechtfertigung für ein noch auszuführendes Tun.

Würde man stattdessen fragen: «Darf ich?» und (ganz wichtig) die Antwort abwarten, um sie dann auch wirklich als Richtschnur für das eigene Handeln zu nehmen, sähe die Sache ganz anders aus. Dann hätten wir zwei Menschen auf Augenhöhe, von denen einer etwas will, bei dem er an die Grenzen eines anderen stösst. Der andere hat dann die Möglichkeit, seine eigenen Bedürfnisse oder Abneigungen zu formulieren, in denen er gesehen und respektiert würde. Ansonsten werden diese ignoriert und übergangen.

Ist das alles reine Sprachklauberei, eine weitere Form eines woken oder identitären Sprachverhunzungsprogramms, wie sie heute oft angeklagt werden? Nein, es ist die Aufforderung, hinzuschauen, was wir wirklich tun und sagen, die Worte auf ihren tatsächlichen Inhalt und die damit verbundenen Implikationen zu prüfen. Es ist die Aufforderung, Abwertungen und Machtverhältnisse im alltäglichen Sprachgebraucht zu sehen und zu überwinden, da diese die Strukturen unserer Welt schaffen. Sprache schafft Wirklichkeit oder wie Ludwig Wittgenstein sagte:

«Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.»

Die Art und Weise, wie ich spreche, offenbart viel von meinem Weltbild. Oft agieren wir unbewusst aus diesem heraus, weil wir schon die Sprache unbewusst verwenden. Wenn wir mit einem «Ich denke, also bin ich» durch die Welt gehen, unsere Gedanken als die richtigen sehen und diese den anderen überstülpen wollen, bleiben wir in unserer eigenen kleinen Welt gefangen und sehen die Weite hinterm Horizont nicht. Es entstehen Fronten von lauter Ichs, die die Welt erklären können, nur verstehen sie sich leider gegenseitig nicht, so dass jeder in seiner eigenen Welt vereinzelt lebt.

Wir müssen hin zu einem «Wir denken, also sind wir» kommen, im Wissen, dass der gemeinsame Blick auf eine Sache diese erst wirklich sichtbar macht – nämlich von verschiedenen Seiten. Indem wir unser Denken durch eine zugewandte und respektvolle Sprache mit dem Denken anderer zusammenbringen, schaffen wir eine gemeinsame Welt, in der jeder seinen Platz findet, weil durch das gegenseitige Verständnis und die Erweiterung des eigenen Blicks ein Miteinander möglich wird. So finden wir eine gemeinsame Sprache und schaffen damit eine gemeinsame Welt. Dann ist diese Welt grösser, da die Grenzen meiner Sprache nicht mehr die Grenze meiner Welt ist, sondern sie sich ausweitet hin zu den Grenzen unserer Sprache, die eine gemeinsame Welt begründen.

Bruno Heidlberger: Mit Hannah Arendt Freiheit neu denken

Inhalt

«Es geht mir um eine konstruktive Neubewertung einer der einflussreichsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts und um die Sichtbarmachung der ungebrochenen Aktualität ihrer Themen.»

Was hat uns Hannah Arendt heute noch zu sagen? Wie aktuell sind ihre politischen Theorien, gerade auch im Hinblick auf die Kriegssituation zwischen Russland und der Ukraine?

Bruno Heidlberger liefert eine fundierte Darlegung der Hintergründe der Kriegssituation sowie deren Entstehung, und beleuchtet anhand dieses Beispiels Hannah Arendts Theorien zum Totalitarismus sowie der Freiheit, welche Ziel des gemeinschaftlichen politischen Handelns in einer Demokratie sein soll.

Gedanken zum Buch

«Eine Welt, die Platz für Öffentlichkeit haben soll.»

Politik nach Arendt bedeutet die gemeinsame Gestaltung der Welt, welche nur möglich ist durch Beziehungen und Begegnungen. Damit sich Menschen in ihrer Vielfalt begegnen können, bedarf es öffentlicher Plätze, in denen das gemeinsame Handeln, das politsche Handeln seinen Anfang hat.

«Während für Kant der Wille und der Gebrauch der Vernunft vonnöten sind, um Böses zu verhindern, das Böse eine Option der menschlichen Freiheit ist, betont Arendt die Notwendigkeit des autonomen Denkens, des ‘Denkens ohne Geländert’.»

Sich auf die Vernunft zu berufen ist mitunter eine gute Ausrede, nicht selbst denken zu müssen, sondern sich der gängigen Meinung als aktuell verbindliche Vernunft anzuschliessen. Die Sicht, was vernünftig, gut und richtig ist, wandelt aber mit Zeit und Ort, je nach Kulturkreis und Epoche gelten andere moralische Massstäbe, denen es zu folgen gilt. Erst das eigene Denken, das Denken ohne vorgeschriebene Geländer, bringt den Einzelnen dazu, sich und sein Handeln zu hinterfragen und dafür auch Verantwortung zu übernehmen. Dies ist die wirkliche Freiheit, derer es bedarf, will man dem Guten Vorschub leisten und das Böse nicht selbst befeuern.

«Freiheit als Handeln bleibt für Arendt immer ein riskantes Ereignis, das allein auf der Anerkennung der Pluralität und dem Versprechen und Verzeihen beruht.»

Menschen sind unterschiedlich, aus dieser Pluralität setzt sich die Gesellschaft zusammen, die als Gemeinschaft aufgefasst werden sollte, will man zusammenleben. Dies gelingt nur, wenn diese Pluralität, jeder in seinem Sein, akzeptiert ist und das gegenseitige Versprechen im Raum steht, seinen Teil dazu beizutragen, diese Gemeinschaft zu schützen und zu stützen.

«Freiheit ist jedoch keine Willkür, sondern vielmehr eine kollektive Verantwortung, die wir alle für die Dinge tragen, die in unserem Namen geschehen.»

Dazu ist es wichtig, sich nicht nur als einzelnes Individuum zu sehen, sondern als Kollektiv, als Zusammenschluss verschiedener Einzelner, die gemeinsam entscheiden in demokratischer Absicht, um dann die Verantwortung dafür zu übernehmen, was durch dieses und in diesem Kollektiv geschieht.

«Die dunkelste Zeit ist für Hannah Arendt die des Totalitarismus. In ihm ist der Raum für politisches Handeln zerstört.»

Das ist in totalitären Systemen nicht mehr möglich, weil es da um die Gleichschaltung der Einzelnen geht, bei welcher eigenes Denken und Vielfalt nicht mehr gefragt, sondern im Gegenteil verurteilt, ausgegrenzt und oft mit harten Mitteln bestraft wird.

Fazit
Ein fundiertes und aufschlussreiches Buch über die aktuelle Situation zwischen Russland und der Ukraine (wie auch die Vorgeschichte des Krieges) sowie die Anwendbarkeit von Hannah Arendts Gedanken zu einer funktionierenden Politik verstanden als gemeinsames Handeln zwischen Verschiedenen und doch Gleichen als Kollektiv zur Schaffung einer gemeinsamen Welt.

Angaben zum Autor
Bruno Heidlberger (Dr. phil.), geb. 1951, ist Studienrat für Politik und Philosophie. Er ist Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der Medizinischen Hochschule Brandenburg und an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Philosophie, Philosophie der Aufklärung, Kulturphilosophie, kritischer Rationalismus, Wissenschaftstheorie und kritische Theorie der Gesellschaft.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ transcript; 1. Edition (28. März 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 282 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3837666588

Lesemonat Mai 2023

Nachdem im April ein Lesehighlight dem anderen folgte, war der Mai etwas durchzogener. Ich hatte teilweise Mühe, überhaupt zu lesen, fand in viele Bücher nicht rein, unwissend, ob es an mir, an den Büchern, an beiden gelegen hat. Zum Glück besteht das Leben nicht nur aus Lesen, auch wenn das eine wunderbare Sache ist, denn: Ansonsten war es ein grossartiger Monat, der mir unter anderem ein wunderbares Fest mit Musik und Tanz (nur schon beim Drandenken juckt es wieder in den Beinen) auf einem Schiff beschert hat, von dem ich sicher noch lange zehren werde.

Lesend bin ich mit einigen Frauen in deren Vergangenheit gereist, habe mir mit anderen Gedanken über unsere Gesellschaft und die Demokratie gemacht. Ich habe überlegt, was es heisst, am eigenen Platz zu sein und welche Freiheit es ist, da auch bleiben zu dürfen. Ich studierte über soziale Schichten und deren verfügbaren Räume nach, wurde mir einmal mehr darüber bewusst, was es heisst, arm zu sein, und wieso wir als Gesellschaft vor Armut nicht die Augen verschliessen dürfen.

Hier die komplette Leseliste:

Ulrike Draesner: Die Verwandelten – abgebrochenEine tote Mutter, ein adoptiertes Kind, eine Grossmutter, ein Heim der Nazis, viele Namen, manchmal mehrere für eine Person – die Geschichte springt von Person zu Person, von einer Situation zu einer anderen, durch Orte und Zeiten, so dass man kaum einen Zusammenhang findet, geschweige denn einen roten Faden. 
Annika Büsing: Nordstadt – abgebrochenIch-Erzählung einer jungen Frau, flapsig, naiv, mündliche Sprache, spätpubertär-trotzig klingend – es ging mir schlicht auf die Nerven. 
Bruno Heidlberger: Mit Hannah Arendt Freiheit neu denken. Gefahren der Selbstzerstörung von DemokratienEine Darlegung des politischen Denkens Hannah Arendt, die Kritik daran sowie die Gedanken, die auch heute noch aktuell und wichtig sind. Es fehlt ein wenig der rote Faden, doch es ist ein guter und interessanter Überblick, der zeigt, dass diese Denkerin noch wichtig ist.4
Birgit Birnbacher: Wovon wir lebenEine junge Frau aus einem kleinen Dorf geht in die Stadt, um Krankenschwester zu werden. Sie geht in dem Beruf auf, bis ihr ein Fehler unterläuft und sie entlassen wird. Sie geht zurück in ihr Elternhaus, hofft, von ihren Eltern aufgefangen zu werden, doch die Mutter ist nach Sizilien weg und der Vater hofft, von ihr betreut zu werden. Sie ringt körperlich und seelisch nach Luft, sieht sie sich doch all dem, was sie hinter sich gelassen zu haben glaubte, erneut ausgesetzt. Sie ist gefordert, ihren Platz im Leben zu finden. 5
Ulrike Guérot: Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollenEin Aufruf zu mehr Offenheit für andere Meinungen, ein Aufruf für mehr Dialogbereitschaft und Schaffung öffentlicher Räume, um die Demokratie und damit auch unsere Freiheit zu bewahren, statt autoritären Systemen die Hand zu reichen. Im Grundsatz ein guter Ansatz, oft zu populistisch und plakativ, sowie mit fragwürdigen Thesen, welche nirgends abgestützt werden. 3
Bruno S. Frey/Oliver Zimmer: mehr demokratie wagen. für eine teilhabe allerAufbauend auf einer Rede Willy Brandts legen die Autoren ihre Sicht auf die aktuelle Demokratie dar, erklären, wieso Repräsentation und Demokratie nicht gleichzusetzen sind und zeigen Lösungen auf, wie Bürger und Bürgerinnen wieder zu mehr Teilhabe an der Demokratie motiviert werden können. Gute Ansätze, aber mich haben die endlosen Ausführungen historischer Beispiele immer wieder abgehängt. Ein klarerer roter Faden und eine stringentere Argumentation wäre mehr gewesen. 3
Sophie Schönberger: Zumutung DemokratieEin Essay darüber, dass Demokratie auf Gemeinschaft beruht, die dann entsteht, wenn der Einzelne bereit ist, sich mit anderen in diese zu integrieren, die Pluralität anzunehmen und auch auszuhalten. Demokratie ist dann eine Zumutung, wenn der andere nicht verstanden wird, die gemeinsame Basis und das gemeinsame Verbundensein im Staat fehlt. Abhilfe schafft die persönliche Begegnung, die Möglichkeit von sozialen (Kommunikations-)Räumen, die den anderen erfahrbar und dadurch vertrauter machen. 5
Doris Knecht: Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habeEine alleinerziehende Schriftstellerin mit Zwillingen, die bald ausziehen, erinnert sich an ihr Leben. Sie erinnert in kleinen Episoden an Zeiten aus ihrer Kindheit, aus der Jugend, an ihre Beziehungen. Sie ist sich nie ganz sicher, was davon wirklich erinnert und was vergessen und neu erfunden ist. Und manches ist wirklich vergessen. Es ist eine Zeit des Umbruchs: Die Kinder ziehen aus, ihr Leben allein beginnt – nur wo soll es stattfinden?5
Eva von Redecker: BleibefreiheitWas, wenn Freiheit nicht mehr als Bewegungsfreiheit räumlich, sondern als örtliches Bleiben zeitlich gedacht würde? Wie muss diese Zeit gefasst und gefüllt, wie erfüllt sein, damit sie die Freiheit erlebbar macht, sie überhaupt gewährt? Was, wenn wir das Leben nicht mehr vom Tod her denken, sondern von der Geburt? Wenn in jeder Geburt ein neuer Anfang und damit eine Freiheit des sich neu Erschaffens läge? Wenn wir immer wieder neu geboren und damit frei in der eigenen Gestaltung wären? Das sind die Fragen, denen Eva von Redecker in diesem Buch nachgeht. Es ist ein Sammelsurium an Gedankengängen und Ausflügen, irgendwie fehlt die praktische Relevanz und wirkliche Antwort, aber es ist eine Fundgrube an weiterzudenkenden Ideen und Konzepten.4
Claire Marin: An seinem Platz sein. Wie wir unser Leben und unseren Körper bewohnen.Welchen Platz nehme ich ein auf dieser Welt? Wie stehe ich in der Zeit und im Raum, im Gefüge von Gesellschaft, Familie, Umfeld? Welche Prägungen hinterlassen Räume in uns und gibt es diesen einen, sicheren Platz, der unserer ist? Ein Nachdenken über die Räume unseres Lebens, ausserhalb und in uns selbst. 5
Stine Volkmann: Das Schweigen meiner MutterVier Schwestern treffen sich für die Beisetzung der Urne ihrer Mutter auf Langeoog, der Insel, welche in der Kindheit die schönsten Erlebnisse beheimatete, bis zu einem Sommer, in dem ein Erlebnis alles mit einem Schlag verändert. Waren die vier vorher ein eingeschworenes Team, gingen sie danach innerlich und mehr und mehr auch äusserlich getrennte Wege.Bei diesem Zusammentreffen brechen alte Wunden auf, Vorwürfe, die im Raum stehen, werden ausgesprochen, die Erinnerung wird wieder lebendig. Doch: Hat sie sich in den einzelnen Köpfen wirklich richtig eingenistet? Ein mitreissender Roman mit authentischen Charakteren, einem guten Spannungsbogen in einer flüssig lesbaren Sprache, der gegen Ende etwas an Tempo verliert 4
Franz Xaver Baier: Der Raum. Prolegomena zu eienr Architektur des gelebten RaumsEin tiefer Blick auf die Architektur verstanden nicht als blosse Konstruktion von Häusern, sondern als Schlüssel zur Wirklichkeit. Was macht einen Raum zum Raum, aus welchen Gesichtspunkten heraus ist er wahrzunehmen und was macht diese Wahrnehmung aus dem Raum? Zum Nachdenken anregend, komplex, teilweise verwirrend, originell und Augen öffnend.4
Dieter Lamping: Hannah Arendt. Leben für die FreundschaftDas Porträt von Hannah Arendt aufgrund der von ihr gepflegten Freundschaften. Ihre wichtigsten Freundinnen und Freunde werden vorgestellt und das, was die jeweilige Freundschaft ausmachte anhand von Zitaten und beleuchtet. 3
Brigitte Reimann: Die Geschwister – abgebrochenDie Geschichte einer kleinbürgerlichen Familie in der DDR, von den drei Geschwistern fliehen zwei wegen mangelnder Zukunftsaussichten in den Westen. Ein Bild der gesellschaftlichen Zustände der ehemaligen DDR sowie des Lebens mit Mauern – real und in den Köpfen. Mich hat es zu wenig angesprochen, die verschiedenen Zeitwechsel machten das Lesen zeitweise schwierig. 
Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen RadikalismusPlessner thematisiert verschiedene Formen menschlichen Zusammenlebens, stellt dabei Gemeinschaft und Gesellschaft gegenüber, indem er der Gesellschaft als offenes System verbundener Menschen, die das Zusammenleben immer wieder neu entwerfen den Vorzug gibt. Es plädiert im Umgang miteinander für Diplomatie und Takt, da dieser zu einem wohlwollenden und feinfühligen Miteinander führt. 4
Esther Schüttelpelz: Ohne mich – abgebrochenEine junge Frau richtet sich nach der Trennung von ihrem Mann wieder neu ein – in ihrer Wohnung und in ihrem Leben. Diese schnoddrige, mit Flüchen und Kakophonien durchsetzte mündlich anmutende Sprache war für mich nicht lesbar. Abbruch nach wenigen Seiten (zweimal versucht mit demselben Ergebnis)
Daniela Brodesser: ArmutDie persönliche Geschichte der Autorin, wie sie und ihre Familie in die Armut gerieten. Zahlen und Fakten zur Armut in Österreich und Deutschland, die Beschreibung, womit betroffene zu kämpfen haben und was Armut aus Menschen und mit Menschen macht. Das Buch versucht, Aufmerksamkeit für ein Thema zu gewinnen, das noch zu sehr als Tabu behandelt und mit Vorurteilen belastet ist. Es fehlt ein wenig die praktische Hilfe, so bleibt es hauptsächlich das Zeugnis einer Betroffenen, das betroffen macht. 3
Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und KlassenBourdieu untersucht den sozialen Raum, analysiert, durch welche Kriterien sich Gruppen bilden und was sie zusammenhält. Er thematisiert die verschiedenen Kapitalsorten, welche für die Klassenzuteilung ausschlaggebend sind, und wie sich Repräsentation einer Klasse legitimiert. Die Materie wäre nicht so komplex, wie sie durch die unglaublich unverständliche Sprache dargestellt wird. 3
Katharina Mevissen: Mutters Stimmbruch – abgebrochenEine älterwerdende Frau, deren Mann und Kinder ausgezogen sind, die aber doch als einzige Identität die der Mutter der Erzählerin hat. Herbst ist im Leben und im eigenen Körper, mit beidem kämpft sie und das auf eine so schräge, komische Art, dass es nach einem kurzen Amüsement den Reiz verloren hatte, zumal kein Bezug herzustellen war aus dem eigenen Erleben, Empfinden, aus eigenen Erfahrungen. 
Heinz Bude: Das Gefühl der WeltWorauf gründen Stimmungen in der Welt und wie wirken sie sich aus? Heinz Bude geht diesen Fragen in sehr loser und wenig analytischer Weise eher plaudernd nach, es fehlt ein roter Faden und auch ein Ergebnis. Nett zu lesen, aber es bleibt wenig haften.3

Eva von Redecker: Bleibefreiheit

Inhalt

«Unser gängiger Freiheitsbegriff ist untauglich für das Anthropozän.»

Was, wenn Freiheit nicht mehr als Bewegungsfreiheit räumlich, sondern als örtliches Bleiben zeitlich gedacht würde? Wie muss diese Zeit gefasst und gefüllt, wie erfüllt sein, damit sie die Freiheit erlebbar macht, sie überhaupt gewährt? Was, wenn wir das Leben nicht mehr vom Tod her denken, sondern von der Geburt? Wenn in jeder Geburt ein neuer Anfang und damit eine Freiheit des sich neu Erschaffens läge? Wenn wir immer wieder neu geboren und damit frei in der eigenen Gestaltung wären? Das sind die Fragen, denen Eva von Redecker in diesem Buch nachgeht.

Gedanken zum Buch

«So wie Bleibefreiheit das Abzugsrecht voraussetzt, ist Bewegungsfreiheit auch nur Freiheit, wo das Bleiben möglich wäre.»

In einer Zeit, in der die Menschen dazu aufgerufen sind, das von ihnen verursachte Übel auf der Welt wieder in den Griff zu kriegen, in einer Zeit, in welcher die Natur an ihre Grenzen stösst und der Mensch die massgebliche Ursache dafür ist, muss Freiheit umgedacht werden. Freiheit kann nicht mehr bedeuten, alles tun und wohin man will gehen zu können, sondern dafür zu sorgen, dass ein Bleiben möglich bleibt.

«Bleiben-Können ist weitaus voraussetzungsreicher. Es erfordert die Wahrung der bewohnbaren Welt.»

Was, wenn langsam die Arten sterben, das Klima sich in einer Weise entwickelt, die dem menschlichen Leben nicht mehr entspricht? Was passiert, wenn die Schwalben nicht mehr kommen und die Gezeiten sich langsam verabschieden, die doch das Leben ausmachen? Diese und andere Fragen nimmt Eva von Redecker zum Ausgangspunkt ihrers Essays über die Bleibefreiheit, die eine Freiheit ist, die sich in der Zeit zeigt, nicht im Ort. Sie beleuchtet, wieso wir nicht den Mars bewohnen wollen sondern die Erde bewahren sollen. Sie zeigt auf, was das ökologisch bedeutet, indem sie auf die Lebenskreisläufe des Ökosystems verweist.

«Wir können unsere Zeit mit anderem Lebendigem teilen, ohne sie zu verlieren… Bleibefreiheit wächst mit der Fülle der Gezeiten. In einer Zeit der Fülle haben wir grössere Freiheit.»

Aus der Fülle können wir schöpfen, quasi aus dem Vollen. Virginia Woolf sagte, sie wolle das Leben immer voller machen. Voll ist das Leben, wenn es erfüllt ist, voll mit dem, in was wir aufgehen, uns vergessen, uns leicht fühlen. Indem wir in diesem Erfüllt-Sein sind, haben wir nicht das Gefühl, etwas zu verpassen, wir vermissen nichts und damit keine Freiheit, etwas anderes tun oder woanders sein zu wollen. In dem Moment an dem Ort sind wir frei. Doch können wir nur dableiben, wenn wir die Erde so behandeln, dass sie uns diese Bleibefreiheit gewährt. Das ist die Aufgabe des Menschen im Anthropozän, er ist der Schöpfer seiner Freiheit in der Zeit, seiner Bleibefreiheit.

Das Buch weist keine stringente Argumentationskette auf. Es ist mehr eine Aneinanderreihung von Gedanken, die sich oft aus persönlichen Begegnungen und Erfahrungen speisen. Es ist ein Sammelsurium an Gedankengängen und Ausflügen, denen keine klare Handlungsanleitung oder konkrete praktische Relevanz folgt, auch eine klare Antwort sucht man vergebens. Es ist mehr ein Mitnehmen auf eine Gedankenreise, ein Eintauchen in eine neue Form des Denkens von Freiheit, und damit ist es sehr inspirierend.

Fazit
Ein Buch, das dazu anregt, die ausgetretenen Pfade unseres Freiheitsdenkens zu verlassen und mit Blick auf die aktuelle Wirklichkeit unserer Zeit eine neue Art der Freiheit zu denken – eine in der Zeit.

Zur Autorin
Eva von Redecker, geboren 1982, ist Philosophin und freie Autorin. Von 2009 bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität und als Gastwissenschaftlerin an der Cambridge University sowie der New School for Social Research in New York tätig. 2020/2021 hatte sie ein Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiatium an der Universität von Verona inne, wo sie zur Geschichte des Eigentums forschte. Eva von Redecker beschäftigt sich mit Kritischer Theorie, Feminismus und Kapitalismuskritik, schreibt Beiträge für u.a. »Die ZEIT« und ist regelmäßig in Rundfunk- und TV-Interviews zu hören. Seit Herbst 2022 richtet sie am Schauspiel Köln die philosophische Gesprächsreihe »Eva and the Apple« aus. Bei S. FISCHER erschien zuletzt ihr Buch »Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen« (2020) sowie ein Vorwort zur Jubiläumsausgabe der »Dialektik der Aufklärung«. Aufgewachsen auf einem Biohof, lebt sie heute im ländlichen Brandenburg.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ S. FISCHER; 1. Edition (24. Mai 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 160 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3103974997

Lebenskunst: Ausbrechen

«Why do you stay in prison
When the door is so wide open?” Rumi

Da ist dieser eine Wunsch, den du gerne erfüllt hättest, das Bedürfnis, das dir ein Anliegen ist, doch du sagst nichts, du schweigst. Du denkst, es steht dir nicht zu, es wäre vermessen, du hättest es nicht verdient. Du denkst, deine Bedürfnisse würden die anderer tangieren und verzichtest von vornherein. Du behältst deine Bedürfnisse für dich und bist traurig, dass sie nicht beachtet werden. Nur: Es weiss keiner davon.

Du arbeitest schon lange in der gleichen Firma, bist zuverlässig, machst deine Sache gut. Eine Lohnerhöhung wäre in deinen Augen längst angebracht, doch: Es passiert nichts. In dir wachsen Wut und Trauer, du fühlst dich nicht wertgeschätzt, nicht richtig wahrgenommen, übergangen. Nur: Es weiss keiner davon.

Du bist in einer Beziehung, die dich nicht glücklich macht. Schon lange ist der Wurm drin, aus Streitereien ist ein stilles Nebeneinander geworden, Verbindungen und Verbindlichkeiten sucht man vergebens. Du würdest gerne gehen, weisst aber nicht wohin und was dich da erwarten könnte. Du leidest still vor dich hin und bleibst doch, wo du bist. Du würdest gerne etwas ändern, denkst, der andere müsste das doch auch spüren und wollen. Nichts passiert, denn: Es weiss keiner davon.

«You must ask for what you really want.» Rumi

Wie oft schweigen wir, wenn es um unsere Bedürfnisse und Anliegen geht? Wie oft harren wir lieber aus, egal, wie leidvoll die Situation ist, statt etwas zu ändern? Wie oft unterdrücken wir unsere Wünsche, um die anderer zu erfüllen? Wie oft stecken wir zurück, damit andere den Vorrang haben? Wie oft gestehen wir uns selbst nicht den Wert zu, uns selbst ernst zu nehmen?

«Jeder Mensch gilt in der Welt nur so viel, als er sich selbst gelten macht.» Adolph Knigge

Wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen, nicht für uns einstehen, unsere Bedürfnisse nicht wahrnehmen und ansprechen, können wir nicht erwarten, dass andere das tun. Erstens wissen sie oft nichts von alldem, zweitens müssen sie davon ausgehen, dass es nicht so wichtig ist, wenn wir nichts sagen, drittens ist es schlicht nicht ihre Baustelle – es wäre unsere. Die Käfigtür wäre offen, doch wir sitzen als Wächter davor, machen uns zu unseren eigenen Gefangenen und treten nicht in die Welt hinaus. Oft geben wir dann den Umständen die Schuld, schimpfen auf Menschen, die uns nicht wahrnehmen, oder hadern mit Situationen, die ungünstig sind. Dabei gibt es nur einen, der wirklich was tun könnte, der es in der Hand hätte: Wir selbst.

Tagesgedanken: Frei handeln

„Wir suchen den Spielraum, der uns verbleibt
Zwischen Gesetzen, die durch uns handeln,
Und suchen das Mächtige, das uns treibt,
In Freiheiten umzuwandeln.

Es läuft auf Unterwerfung hinaus.
Quer dürfen wir uns nicht stellen.
Sonst zerreißt es uns, und die Wege sind kraus.
Es geht nicht zurück zu den Quellen“

(Eva Strittmatter, Auszug aus „Einklang“)

Ich habe (ziemlich hohe) Ansprüche an mich und mein Tun und strebe danach, diese zu erfüllen. Gelingt es mir nicht, kommt eine Unzufriedenheit auf, eine innere Stimme schilt mich einen Versager, spornt mich an, es noch härter zu versuchen, noch mehr Einsatz zu leisten. Es geht mir nicht gut damit. Wo kommt diese Stimme her. Wessen Stimme habe ich da verinnerlicht? Und ich frage mich weiter, wie frei ich eigentlich bin in meinem Tun und Sein. Tue ich alles, was ich tue, aus mir heraus, oder versuche ich, äussere Anforderungen, Ansprüche zu erfüllen? Will ich etwas beweisen, gut dastehen, und handle aus dieser Motivation heraus? Wessen Ansprüche sind es? Die der Gesellschaft? Des Vaters? Des Chefs?

Im Alltag tun wir vieles aus Gewohnheiten und Prägungen heraus. Unsere Reaktionen auf Umstände, unser Umgang mit Herausforderungen sind selten reflektierte Handlungen, sondern automatisierte Abläufe. Ebenso ist es mit unseren Wünschen und Zielen: Geprägt von unserem Leben, unserer Herkunft und unserer Kultur haben wir Werte und Anforderungen verinnerlicht, denen wir zu entsprechen versuchen. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, im Gegenteil, in gewissen Bereichen ist es sogar sinnvoll und gut für ein gelingendes Miteinander. Wichtig ist dabei jedoch, sich dessen bewusst zu sein.

Es hilft mir, immer wieder innezuhalten und auf mein Leben zu schauen: Was will ich wirklich? Und ich schaue auf meine Wünsche und Ziele, versuche herauszufinden, wo sie herkommen und ob sie wirklich meine sind. Will ich, was ich tue, für mich? Versuche ich, jemandem zu gefallen? Erfülle ich einen alten Anspruch? Versuche ich, Anerkennung zu erhalten durch mein Tun? Die Frage nach dem Wozu hilft, das aktuelle Tun zu hinterfragen und mit meinen wirklichen Wünschen abzugleichen: Wo will ich hin? Was erwarte ich vom Leben für mich? Lebe ich wirklich mein Leben?

Manchmal komme ich dann zum Schluss, dass ich von meiner eigenen Spur abgekommen bin. Was nun? Zuerst ist es sicher wichtig, hinzusehen, wieso ich an den Ort gelangt bin, an dem ich nun bin: Waren es Muster und Prägungen, die mich geleitet haben? Waren die äusseren Umstände so gelagert, dass nur dieser Weg möglich schien oder war? Gab es andere Gründe, die meinen eigenen Wünschen und Zielen nicht entsprachen, die mich aber angeleitet haben? Der nächste Schritt ist, herauszufinden, welche Möglichkeiten bestehen, meine eigenen Wünsche zu verwirklichen: Was kann ich nun tun, um meinen Kurs zu korrigieren? Was brauche ich dazu? Und dann gehe ich weiter – auf meinem Weg.

Tagesgedanken: Freiheit

Als Simone de Beauvoir jung war, gab es einen zentralen Wunsch: Sie wollte frei sein (und schreiben). Der Wunsch entsprang wohl vor allem dem Umstand, dass sie sehr eingeschränkt aufwuchs, mit vielen Verboten und Geboten, von aussen aufgestellte Mauern gegen die eigene freie Entfaltung. Es gibt aber auch die eigenen Schranken, die, welche man sich selber errichtet. Oft haben sie ihren Ursprung in eingeprägten Mustern, die aus der Kindheit stammen, sie äussern sich in Stimmen, die einen selber geformt haben. Das meint Simone de Beauvoir wohl mit diesem Satz aus dem Buch „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“:

„Das Schlimmste aber, wenn man ein Gefängnis mit unsichtbaren Mauern bewohnt, ist, dass man sich den Schranken nicht bewusst ist, die den Horizont versperren.“

Was heisst Freiheit? Ich würde sie so definieren, dass mir ein Leben möglich ist, in welchem ich meine Fähigkeiten nach meinen Wünschen und Absichten entwickeln kann, mir die Möglichkeiten dazu offenstehen. Vielen Menschen auf dieser Welt ist das nicht möglich, sie haben keinen Zugang zu ausreichender Ernährung, Bildung, Gesundheit. Noch immer sind es mehrheitlich Frauen, die darunter leiden. Auch wenn es in unseren Breitengrade sicher besser ist, so finden sich auch hier immer noch strukturelle Benachteiligungen von Frauen, Ungleichbehandlungen, die die Freiheit massgeblich einschränkten. Simone de Beauvoir sah uns hier in der Pflicht:

„Der Frau bleibt kein anderer Ausweg, als an ihrer Befreiung zu arbeiten. Diese Befreiung kann nur eine kollektive sein.“

Es geht nicht an, nur für uns selber zu schauen, denn Unterdrückung ist selten ein individuelles Problem, sondern ein strukturelles. Es ist ein Problem, das in den Köpfen der Menschen sitzt und da ersetzt werden muss durch eines der gleichberechtigten Mitmenschlichkeit oder wie Hannah Arendt es ausdrückt: Weltgestaltung. Schön wäre es, wenn wir uns dieses verinnerlichen würden:

„Das eigene Leben hat einen Wert, so lange man dem Leben anderer einen Wert zuschreibt.“ (SdB)

3 Inspirationen – Woche 26

Endlich Sommer und endlich wieder in Spanien. Fast ein Jahr ist vergangen seit meinem letzten Aufenthalt in meiner zweiten Heimat hier, umso grösser war erst die Sehnsucht und dann die Freude, wieder hier zu sein. Ich bin mit vielen Projekten im Kopf und Hoffnungen hierher gekommen und seit der Ankunft auch schon fleissig am Arbeiten. Das tut richtig gut! Ich merke, wie hier immer viel mehr Lebensfreude und Schaffenskraft in mir sind. Und ja, das Geniessen kommt auch nicht zu kurz, was aber leicht ist bei der Umgebung. Nur schon all die wunderbaren Farben, die Sonne und vor allem: Das Meer.

Was hat mich diese Woche inspiriert?

  • Als mich diese Woche eine Mail erreichte, ich müsse sofort sämtliche Gedichte von Erich Fried aus dem Blog nehmen, da diese rechtlich geschätzt seien, ich ansonsten eine Strafe erwarten müsse, hat mich das zuerst aus der Bahn geworfen. Erstens hatte ich gedacht, mit meinem Engagement der sonst eher stiefmütterlich behandelten Lyrik zu helfen und somit auch dem Verlag, und zweitens sah ich durch das Zitieren in einem Artikel, der oft durchaus literaturwissenschaftliche Ansätze trägt, die Rechte nicht verletzt. Nun denn – ich fügte mich, löschte auch Gedichte anderer nicht gemeinfreier Autoren und merkte, wie die Luft draussen war. Doch dann regte sich etwas und es kamen neue Ideen, solche auch, die schon lange im Kopf waren, aber noch nicht angepackt, obwohl sie mich reizten. Was soll ich sagen:

Manchmal wird aus einem vermeintlichen Übel etwas Gutes.

  • Mein Englisch war früher sehr gut, auch heute ist das Verständnis lesend und hörend gut, nur das Sprechen habe ich stark vernachlässigt und dadurch verloren geglaubt. Wenn ich in Situationen kam in der letzten Zeit, wo ich etwas sagen musste, wurde ich unsicher und durch diese Unsicherheit fiel mir alles schwer. Dann war ich kürzlich in einem Restaurant, auf dem Weg zur Toilette kam ich an einem Ehepaar mit Hund vorbei, die ich ansprach. Schon bald befand ich mich in einem angeregten Gespräch mit ihnen – auf Englisch. Es ging wunderbar. Dies vermutlich darum, weil ich nicht musste, weil ich mich gar nicht fragte, ob ich das kann, sondern einfach loslegte. Ich habe daraus dies gelernt:

Wenn ich mich nicht mit meinen eigenen Unsicherheiten lähme, kann ich mehr, als ich mir zutraue.

  • Ein Interview mit Adolf Muschg hat mich sehr inspiriert. Es ging um Grenzen und wie nur durch diese Freiheit überhaupt möglich ist – eine Sicht, die ich teile. Grenzenlose Freiheit ist nicht nur undenkbar, sondern auch nicht wirklich wünschenswert, wäre der Mensch doch eine Insel, wollte er sie irgendwie haben. Grenzen bringen auch Sinn und Kreativität. Wäre das Leben grenzenlos, wo läge der Sinn, es zu gestalten? Wären Möglichkeiten unendlich, was wollte man noch finden oder kreativ selber schaffen?

HIER das Video des Interviews.

5 Inspirationen – Woche 18

Es war eine nachdenkliche Woche, eine Woche mit viel Einkehr, mich Hinterfragen. Das sind nicht immer einfache Wochen, oft aber sehr bereichernde, da ich am Schluss meinem Motto gemäss (Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen) finde, eine neue Stufe erreicht zu haben, gewachsen zu sein, indem ich mich tiefer ergründet habe. Nun freue ich mich aber auf ein erholsames Wochenende, hoffe auf wenig Fragen, viel Ruhe und Genuss.

Was ist mir diese Woche begegnet, hat mich diese Woche inspiriert?

  • Diese Woche stiess ich auf den Ausspruch „Freiheit ist nur innerhalb von Grenzen möglich“. Und ich stimmte dem spontan zu, wusste aber bei näherem Nachdenken nicht gleich, wieso. Kurz darauf stand eine Entscheidung an. Ich hörte, ich hätte freie Hand, es sei alles gut. Und irgendwie… wäre das ja die totale Freiheit. Und doch: Ich fühlte mich nicht frei, ich fühlte mich irgendwo verloren. Da die Entscheidung nicht nur mich beträfe, wollte ich sie für alle stimmig machen. Und sah mich nun in der Pflicht, das selber in der Waagschale zu wägen. Die Aussage, das müsste ich nicht, half wenig, denn MEIN Bedürfnis war, dass es gemeinsam entschieden und für alle gut wäre. So gut halt möglich. Insofern war diese grenzenlose Freiheit mehr Haltlosigkeit denn freiheitliches Glücksgefühl. Der Mensch ist immer nur innerhalb von Grenzen Mensch, da er als soziales Wesen Freiheiten nur bis zu den Freiheiten des nächsten ausreizen darf. Das ist wohl irgendwo tief in uns, da auch so wichtig, um ein Miteinander überhaupt friedlich lebbar zu machen. Dies mein aktueller Stand der Überlegungen. Was denkt ihr?
  • Ich bin im Moment an einem grossen Projekt, da noch ganz am Anfang. Als generell vielseitig interessierter Mensch, mag ich Einschränkungen kaum, in der Vergangenheit scheiterte einiges daran, weil mir zu viel fehlte. Ich überlegte mir dann, wie ich die Offenheit behalten kann und doch an meinem Projekt dran bleiben kann. Und ich fand Nebenprojekte, die alle kurz waren und mir so eine gewisse Bandbreite ermöglichten. Das beruhigte mich, ich musste mich nicht beschränken, nichts Interessantes aufgeben. Und merkte plötzlich: Das eigentliche Projekt zieht mich so an, dass ich mich fast dazu zwingen muss, die anderen Projekte zu verfolgen. Mein Schluss für mich ist: Wenn etwas wirklich meins ist, reicht es. Wenn ich das noch nicht gefunden habe, kann aber die Vielfalt durchaus wertvoll sein. Und es muss ja auch nichts in Stein gemeisselt sein. Sollte mich die Freude an etwas nebenher anspringen, kann ich ihr durchaus nachgeben. Oft ergibt sich durch solche Nebenprojekte sogar noch etwas für das Hauptprojekt. Das habe ich bei früheren grossen Projekten oft erlebt. Wie ist das bei euch? Gerne etwas, das richtig, oder aber lieber viele kleine Dinge und Abwechslung im Tun?
  • Ich stiess auf Gottfried Benns Gedicht „Wer allein ist“:

Wer allein ist, ist auch im Geheimnis,
immer steht er in der Bilder Flut,
ihrer Zeugung, ihrer Keimnis,
selbst die Schatten tragen ihre Glut.

Trächtig ist er jeder Schichtung
denkerisch erfüllt und aufgespart,
mächtig ist er der Vernichtung
allem Menschlichen, das nährt und paart.

Ohne Rührung sieht er, wie die Erde
eine andere ward, als ihm begann,
nicht mehr Stirb und nicht mehr Werde:
formstill sieht ihn die Vollendung an.

Es hat mich sehr berührt. Benn zeigt den Einzelnen in seinem Alleinsein, wie er auf sich selber zurückgeworfen wird. Er hat keinen, mit dem er sich über die Welt austauschen kann, insofern ist all sein Erkennen ein Geheimnis, es bleibt bei ihm. Alles, was bewegt, was anregt und anrührt, stellt sich ein, da es nicht teilbar ist und dadurch wird er ein stiller Beobachter – ohne Bewertung, ohne Zuschreibung von Bedeutung. Das wäre zu einem Teil das Ideal des Buddhismus, das nicht bewerten, das nur beobachten dessen, was ist. Doch fangen wir damit wohl an, sobald wir einen haben, mit dem wir uns austauschen können. Ansonsten könnten wir uns nicht gegenseitig verorten.

  • Vor meinem Fenster stehen Kirschenbäume. Noch vor kurzem waren sie wunderbar in rosa Blüte gewandet. Fast möchte ich sagen «über Nacht» waren die Blüten alle weg, die Bäume standen grün vor mir. Ich spürte ein Bedauern. Vergessen war, dass die Bäume noch vor nicht allzu langer Zeit ganz kahl waren. Vergessen war auch, dass es ohne das Verblühen keine Früchte gäbe. Für einen Moment war da nur Bedauern. Bis ich merkte, dass auch dieses Grün wunderschön ist. Und: Nicht nur hat alles seinen Sinn und Zweck, durch das Festhalten an Zuständen verpassen wir oft, was Neues Gutes bringen könnte.
  • Als ich kürzlich mal mit dem Auto unterwegs war, spielten sie am Radio die Mondscheinsonate. Und irgendwie hat mich diese Musik berührt, fast kam es mir vor, als schwebe mein Auto durch die Gegend, getragen durch die Musik. Und drum möchte ich dieses Stück mit euch teilen – hier gespielt vom wunderbaren Igor Levit, von dem übrigens gerade eine Biografie erschienen ist:

Ich hoffe, es war was für euch dabei, das euch angesprochen hat. Wenn ihr etwas habt, das euch diese Woche angesprochen, bewegt, inspiriert hat – ich würde mich freuen, wenn ihr davon berichten würdet. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende und einen guten Start in die neue Woche!

Menschen, die wissen, was geht

Auf Facebook treffe ich sie immer wieder: Menschen, die wissen, was geht und was nicht. Sie definieren Kleidung, Musik und Bücher und stellen es so rein:

Leute, DAS geht gar nicht

Widerworte werden nicht geduldet. Jedes Aber wird abgeschmettert, wagt man ein nächstes, fällt man schon in die Ecke der Total-Ignoranten. Argumentieren geht gar nicht. Nicht, weil man sich über Geschmack nicht streitet, sondern: Sie haben recht. Alles Weitere ist obsolet. Und sie stehen da und glauben dran. So total.

Es gibt dann immer bewundernde Stimmen: Wow, du hast so recht. Wow, du bist so toll. Und der/die so ursprünglich Schreibende suhlt sich im Lobespfuhl und schiesst weiter auf seinem absolutistischen Pfad.

Ich finde es erschreckend. Zumal sich oft die wirklichen Argumente für oder gegen solche Absolutismen widersprechen. Sie kämpfen mit Mitteln gegen Männer, die sie bei Frauen nie gelten liessen, greifen aber Männer an, die bei Frauen genau diese Kriterien anwenden. Sie reden gegen Absolutismen, wenden sie selber an. Sie sind für freie Meinung, lassen sie nicht gelten.

Oft sind halt ganz viele Prinzipien nur Argumente, wenn diese für die eigenen Meinungen eingesetzt werden können. Und nein, ich mag das nicht. Ich habe meine Meinung, aber ich diskutiere diese, ich setze sie nie absolut. Denn:

Die Wahrheit zeigt sich immer nur im Diskurs. Im eigenen Universum dreht man im Kreis.