«Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.» Simone de Beauvoir
Simone de Beauvoirs Satz wurde oft zitiert – und sehr oft falsch. Dann lautete er wie folgt:
«Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.»
Es sind nur zwei Worte, doch sie implizieren viel. Man betont durch sie die soziale Komponente des Frauseins, der Rollenzuschreibung Frau. So gesehen kommt man zur Welt und wird dann in die Mangel der Gesellschaft genommen wird, welche einen zu dem formt, was man in dieser Gesellschaft als Frau versteht. Die Frau als solche ist damit ein Opfer, das Opfer der bestimmenden Kräfte einer Gesellschaft, welche ihr durch die soziale Prägung eine Rolle zuschreibt.
Der Satz ist nicht nur falsch zitiert, so formuliert widerspricht er auch dem Grundgedanken des Existenzialismus. Im Existenzialismus gibt es zwei wichtige Kerngedanken: Den der Freiheit und den der Verantwortung. Beide wären ausgesetzt, würde man Simone de Beauvoirs Satz so verstehen, wie die falsche Übersetzung oft verstanden wird. Die Frau als Opfer wäre weder frei noch trüge sie die Verantwortung für ihr sein. Dass Simone de Beauvoir das so nicht gemeint haben kann, liegt meines Erachtens auf der Hand. Was also meinte sie wirklich?
Folgt man dem Existenzialismus, haben wir folgende Ausgangslage: Der Mensch wird in eine Welt geworfen, die er sich nicht selbst ausgesucht hat. Diese Welt bestimmt seinen Rahmen, sie bietet ihm die dieser Welt inhärenten Möglichkeiten. Es ist nun am Menschen, diese Möglichkeiten zu nutzen und sich das Leben zu gestalten, das er sich für sich selbst wünscht. Dadurch, dass es diesen Rahmen gibt, wird nie alles für jeden möglich sein. Doch bei dem, was möglich ist, hat er die Wahl. Er hat die Freiheit, sich zu entscheiden – er muss es sogar. Nun kann man einwenden, dass niemand ganz frei ist und wir alle von verschiedenen Prägungen gesteuert werden, die uns unbewusst handeln lassen. Das ist sicherlich richtig, doch ist es durchaus möglich, diesen Prägungen auf die Schliche zu kommen und sie zu umgehen. Nicht dass das leicht wäre in jedem Fall, aber doch möglich.
Dies im Hinterkopf nochmals auf das Zitat geschaut, bietet sich nun folgende Interpretation: Man wird nicht zur Frau geboren, sondern man wird es – weil man sich selbst für diesen Weg entscheidet. Die Frau ist nicht das Opfer der Gesellschaft, sondern sie selbst wählt, in das von dieser gezeichnete Frauenbild zu passen – oder eben nicht. Nun ist es durchaus so, dass dieses Frauenbild problematisch sein kann. Zudem wird es sich auch nicht einfach verändern, nur weil sich eine Frau entscheidet, sich dem Bild zu widersetzen und eigene Wege für sich zu finden. Die Gesellschaft (was immer einzelne Menschen sind im individuellen Fall) ist in der Lage, Steine in den Weg zu legen, Druckmittel bereitzuhalten, das Leben zu erschweren, folgt der Mensch nicht der ihm zugesprochenen Vorbestimmung. Will man daran etwas verändern, kann das nur gelingen, wenn der Mensch einsieht, dass er die Wahl hat, dass er nicht einfach Opfer ist, sondern ein selbstbestimmtes Wesen mit der Verantwortung dafür, was er ist und tut. Und: keiner kann eine Veränderung des Systems allein bewirken.
Um die Gesellschaft zu verändern, braucht es viele. Es braucht das Bewusstsein, dass Muster und Rollenzuschreibungen nur verändert werden können, wenn sich die davon Betroffenen zusammentun und dafür einstehen, dass jeder ein Recht auf Selbstverwirklichung hat – in dem Sinne, sein zu dürfen, wer er ist. Mit den Worten Simone de Beauvoirs:
«Der Frau bleibt kein anderer Ausweg, als an ihrer Befreiung zu arbeiten. Diese Befreiung kann nur eine kollektive sein.» Simone de Beauvoir
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Danke für diese stimmige Interpretation. Ich würde den Satz allerdings gern anders auslegen:
Eine Frau wird man – ja! Und ist es nicht wundervoll, wenn man es schafft, eine Frau zu werden? Ich bin sehr froh, eine Frau geworden zu sein, wenngleich die Erfahrungen, die mich dazu machten, nicht gut waren.
Nicht einverstanden bin ich mit Simone Beauvoirs Ansicht, dass man eine „befreite“ Frau nur im Kollektiv werden kann. Überhaupt nichts kann man im Kollektiv werden. Eine freie Frau werden kann jede nur für sich selbst. Es bleibt immer eine persönliche Herausforderung, den Begriff zu füllen, egal welche Rollen gesellschaftlich zur Verfügung gestellt werden. Auch in modernen Gesellschaften mit juristischer Gleichstellung und sogar der Freiheit, das Geschlecht zu wählen, ist es nicht einfacher geworden, eine freie Frau zu werden.
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Liebe Gerda, danke für deine Gedanken zu dem Thema, in denen ich mich durchaus auch wiederfinde.
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„Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat.“ Jean Paul Sartre
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Wir können uns leicht als Opfer sehen und das Gefühl haben, in diese Welt geworfen worden zu sein und daß man uns die Konditionierungen angetan hat ― sofern wir außer Acht lassen (oder keine Erinnerung daran haben), daß wir es bis ins kleinste Detail genau so gewollt haben, daß wir genau diese individuelle Erfahrung mit ihren Möglichkeiten der Entfaltung gewählt haben.
Die Babys sind nicht so hilflos wie sie aussehen. 😉
„Überhaupt nichts kann man im Kollektiv werden.
Eine freie Frau werden kann jede nur für sich selbst.“
― gkazakou
Und das gilt ebenso für den Mann –
das ist keine Frage des Geschlechts.
Gute-Nacht-Grüße! 🌙
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Man kann es nur im Kollektiv und man kann es nur für sich selbst. Das ist kein Widerspruch, sondern das gehört zusammen. Niemand kann es für mich machen, aber niemand ist eine isolierte Insel für sich.
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So sehe ich das auch!
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