Rezension – Wolfgang Martynkewicz: Das Café der trunkenen Philosophen

Wie Hannah Arendt, Adorno & Co. Das Denken revolutionierten

Zum Inhalt

«Als sich die Akteure dieser Geschichte über ihre Ideen stritten, sahen sie sich einer Welt gegenüber, in der vieles fragwürdig geworden war, insbesondere der Mensch und seine Stellung in der Welt schien höchst problematisch.»

Frankfurt 1932, Maskenball bei Paul und Hannah Tillich. Geladen ist ein illustrer Kreis von zeitgenössischen Denkern der Zeit, unter anderem Max Horkheimer, Norbert Elias, Theodor Adorno, Karl Mannheim und viele mehr. Sie diskutieren über ihre Theorien über die Welt und den Menschen in ihr. Sie sehen sich in einer Geschichte, die den Menschen vor Probleme stellt, sei es durch die politische Situation, von der man zu dem Zeitpunkt noch meint, das Schlimmste überstanden zu haben, sei es durch die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft generell: Die Wissenschaft steckte in einer Krise, die Arbeitsverhältnisse nutzten mehr und mehr den Menschen aus, und auch die Wirtschaft hatte sich nach dem Börsencrash von 1929 noch nicht erholt.

«Theorien sind nicht eben nicht nur Theorien, sie leben durch ihre Akteure, durch deren ureigene Lust am Unterschied, an der Differenz, am Anderssein.»

Das Buch behandelt die Leben und das Denken einiger führenden Denker damaliger Zeit, die sich zum Diskutieren ihrer Ideen oft im Café Laumer in Frankfurt trafen. Adorno, Horkheimer, Mannheim, Elias, Hannah Arendt, Hans Jonas und einige mehr werden zueinander in Beziehung gesetzt und durch die Zeit bis 1943 begleitet. Entstanden ist ein Bild der damaligen Denkgebilde, welche vor allem auch durch die Frankfurter Schule bis heute nachhallen, sowie ein Zeugnis der Zeit.

Gedanken zum Buch

«Wir sind oft wie die wilden Tiere übereinander hergefallen, an kann sich das kaum vorstellen, in einer Rückhaltlosigkeit, die auch vor den schärfsten Angriffen auf den Anderen… nicht haltgemacht hat, aber ohne dass das der Freundschaft… den leisesten Abtrag gemacht hätte.» (Theodor Adorno)

Wolfgang Martynkewicz hat sich mit diesem Buch keine einfache Aufgabe gestellt. Es sind grosse Gedanken, die teilweise in grossem Widerspruch stehen. Es sind tiefe Gedanken, die erst für sich und dann in Verbindung mit den anderen verstanden werden müssen. Es ist ihm gelungen, dieses weite und breite Feld der Philosophie, Soziologie, Theologie und der Zeitgeschichte differenziert, kompetent und trotzdem gut lesbar aufzubereiten und in eine flüssige Geschichte zu verarbeiten. Das Buch ist sowohl in seiner wissenschaftlichen Erarbeitung wie auch in der verständlichen Darbietung überzeugend.

Das Buch ist vom Gedanken beseelt, dass Gedanken nie vom Denker und dessen Zeit und Umfeld unabhängig entstehen. Sie sind immer Kinder einer Lebens- und Weltsituation, auf die sie sich beziehen und aus der heraus sie entstehen. Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Denker und ihrer Gedanken weist aber auch darauf hin, dass Menschen trotz gleicher Zeiten und ähnlicher Orte des Lebens und Schaffens zu unterschiedlichen Schlüssen kommen können. Das mag auf den ersten Blick banal klingen, ist es aber nicht, bedenkt man die immer wieder vorherrschende Tendenz, Einheit statt Vielheit als Wunschprinzip zu sehen. Wie befruchtend aber gerade Diskurse zu unterschiedlichen Meinungen und Theorien sein können, zeigt sich bei den hier vorgestellten Geistern, zeigt sich in diesem Buch.

Wolfgang Martynkewicz hat sorgfältig recherchiert, das Buch weist einen umfassenden Zitat- und Fussnotenteil auf, sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis. Durch seinen flüssigen Erzählstil taucht man als Leser in die komplexesten Gedanken ein, lässt sich von ihnen mitreissen, denkt selbst mit, und möchte sich mit jedem Einzelnen dieser klugen Köpfe weiter auseinandersetzen. Noch lieber wäre man wohl dabei gewesen bei all den Treffen und Gesprächen. Durch dieses Buch ist es zumindest möglich, ihnen lesend beizuwohnen.

Etwas bedauerlich war für einen Fan von Hannah Arendt, dass sie so prominent auf dem Umschlag steht, im Buch selbst aber einen eher kleinen Raum einnimmt. Dies aber nur ein kleiner Kritikpunkt, der der Qualität des Buchs in keinster Weise Abbruch tut.

Fazit
Eine grossartige Einführung in das Denken der grossen Philosophen und Soziologen der 1930er Jahre sowie ein Zeitzeugnis dieser Zeit. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Wolfgang Martynkewicz, geboren 1955, ist freier Autor und Dozent für Literaturwissenschaft; zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und zur Geschichte der Psychoanalyse; u.a. über Jane Austen, Edgar Allan Poe, Arno Schmidt, Sabina Spielrein, C. G. Jung und Georg Groddeck. Mit seiner Abhandlung „Salon Deutschland. Kunst und Macht 1900–1945“ gelang ihm ein viel beachteteter Erfolg bei Presse und Publikum. Zuletzt erschien sein Buch „1920. Am Nullpunkt des Sinns“

Angaben zum Buch
Herausgeber ‏ : ‎ Aufbau; 1. Edition (15. November 2022)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 459 Seiten
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3351038878

3 Kommentare zu „Rezension – Wolfgang Martynkewicz: Das Café der trunkenen Philosophen

  1. Guten Morgen liebe Sandra,

    danke für diesen wertvollen Literaturhinweis, wie von Dir schon angekündigt.
    Ich hoffe Zeit zu finden, dieses und ggf. weitere Bücher des Autors zu lesen, gerade weil ich die Frankfurter Schule sehr mag.
    Die Frankfurter Schule hat ja versucht, Marxismus und Psychoanalyse im Sinne einer Synthese zusammen zu führen. Die Differenzierungen der Ausführungen in dortigen Inhalten haben mir, soweit mir verständlich geworden, sehr zugesagt.

    Erich Fromm war 1988 der erste Vertreter, welcher mir bekannt geworden ist. Dieses hat bei mir damals sehr viel bewirkt.

    Th. Adorno hat von Rückhaltlosigkeit in den seinerzeitigen Auseinandersetzungen gesprochen, von einer quasi kompromisslosen Auseinandersetzung innerhalb des Zirkelts, losgelöst von Namen oder Freundschaften, welche dennoch fortbestanden.

    Dieses führt den Bogen noch einmal zurück für mich zu Deinem vorangegangenen Beitrag über Kränkungen. Diese können, wie auch bei mir, entstehen, durch Beleidigungen oder Herabsetzungen. Aber diese treffen mich gar nicht so. Es kommt eben auf das `Wie´ an, so dass ich davon ausgehe, dass Th. Adorno hier eine einvernehmliche Wertschätzung immer noch wahrgenommen hat.
    Diese Wertschätzung, dieser Begriff wird jetzt von mir hier gewählt, liegt jedoch nicht mehr vor, wenn Menschen nicht beachtet oder ignoriert werden. Hierzu fallen mir Begriffliclhkeiten wie repressive Ignoranz oder aktive Ignoranz ein, wo Menschen unberücksichtigt werden bzw. bleiben. Die Nichtbeachtung von etwas, wenn Menschen nicht zur Geltung kommen, wie oftmals schon die Kinder nicht gehört werden, stellt für mich die schwerwiegenderen Kränkungen dar.

    Die Ausmaße von Ignoranz, oftmals bewusst eingesetzt, aber auch unbewusst, haben in den geschichtlichen Zeiträumen der Frankfurter Schulde geradezu u.a. dazu geführt, dass diese begründet worden ist.
    Hier will ich nur erwähnen die Verweigerungen von Aufarbeitungen nach den Zeiten des Nationalsozialismus. Die nachfolgenden Analysen der Frankfurter Schule und deren Vertretern, sowie unternommenen Vorschlägen einer humanistischen Gesellschaftsform sollten gleichbleibende Bedeutung behalten.

    `Der eindimensionale Mensch´ von Herbert Marcuse fasst dieses vielleicht in einer Möglichkeitsform gut zusammen.

    Ein Literatursalon bei Dir in Zürich wäre bestimmt wunderbar, auch wenn ich natürlich weit entfernt wohne.

    Einen bunten Donnerstag wünsche ich Dir liebe Sandra –

    Lieben Gruß von Matthias

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Matthias
      Lieben Dank für deinen ausführlichen Kommentar mit den Weiterführungen. Fromm ist bei mir auch als erster auf dem Radar gewesen und ich habe ihn immer wieder gelesen seit da. Ich finde seine Art zu denken und dieses Denken in verständliche, aber nie banale Worte zu fassen, grossartig. Bei anderen Philosophen habe ich oft das Gefühl, dass sie sich absichtlich gestelzt ausdrücken, um elitärer zu klingen. Das tut meiner Meinung nach der Sache eher Abbruch als es ihr nützt.

      Liebe Grüsse zu dir
      Sandra

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  2. Theodor W. Adorno: «Wir sind oft wie die wilden Tiere übereinander hergefallen, man kann sich das kaum vorstellen, in einer Rückhaltlosigkeit, die auch vor den schärfsten Angriffen auf den Anderen… nicht haltgemacht hat, aber ohne dass das der Freundschaft… den leisesten Abtrag gemacht hätte.»

    So etwas passiert, wenn EGOs aufeinanderprallen, wenn die vermeintlich eigenen Verstandes-Konstrukte auf andere stoßen. Damit werden die Emotionen geweckt. Die Höhe der Geistige Reife der Beteiligten entscheidet, ob es zur Messerstecherei kommt, oder nicht.

    🌼

    Zitat: «Theorien sind nicht eben nicht nur Theorien, sie leben durch ihre Akteure, durch deren ureigene Lust am Unterschied, an der Differenz, am Anderssein.»

    Theorien sind nichts weiter als Theorien – Gedankenkonstrukte.

    Das Leben geht seiner eigenen Wege.

    Aber ja, die Lust am Unterschied, an der Differenz unserer Rollen und Weltbilder macht das Lebens-Drama aus.

    Doch letztlich ist unser Anders-sein nur marginal, so wie die Schaumkronen der Wellen ihr Anders-sein feiern, aber im Grunde… eins sind, ein einziges Meer.

    🌼

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