Tagesgedanken: Einer sein zu zweit

Die meisten haben wohl schon Situationen erlebt, in denen sie sich unwohl fühlten, sich irgendwie am falschen Ort wähnten und das Gefühl hatten, nicht wirklich dazuzugehören. Wie schrieb Erich Kästner in seinem Gedicht «Kleines Solo»:

«Einsam bist du sehr alleine –
Und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.»

Aktuell sind einige Bücher zum Thema Alleinsein, Einsamkeit entstanden, dies wohl auch aus dem Grund, dass es noch nie so viele Singlehaushalte gab wie heute. Womit das zusammenhängt? Ich könnte mir vorstellen, dass die Tendenz, immer mehr die Individualität und Einzigartigkeit zu betonen, den einzelnen Menschen und damit sich selbst ins Zentrum zu stellen, für ein Miteinander nicht einfach ist – auf allen Ebenen und in allen Bereichen des (Zusammen-)Lebens.

Welten schafft man nie allein. Man wird in eine geboren, doch dann liegt es an einem selbst, sich in ihr zu bewegen – als einer unter vielen. Und alle sind wir verschieden. Und alle haben wir doch ähnliche Bedürfnisse oft. Hannah Arendt betonte in diesem Zusammenhang immer wieder die Notwendigkeit, von DEN Menschen, nicht DEM Menschen zu sprechen. Pluralität als Grundlage des aktiven Handelns Unterschiedlicher zum Gestalten einer gemeinsamen Welt, die nur zwischen Menschen entstehen kann, ist ein zentraler Punkt ihres Denkens. Viele sind dazu nicht bereit. Zu komfortabel lebt es sich in der eigenen Blase Gleichgesinnter, die anderen beäugt man kritisch oder schliesst sie gar aus.

Das führt zu einer Einsamkeit unter vielen, die die kaum weniger quälend ist als die zu zweit in Kästners Gedicht. Sich nicht dazugehörig, entfremdet vom Ganzen und ohne Resonanz zu fühlen, das sind nagende Gefühle, die einen auf sich selbst zurückwerfen, um da den Stein des Anstosses zu suchen. Als Ausgeschlossener fragt man sich:

«Was ist an mir nicht richtig?»

Es gibt aber noch eine andere Form der Einsamkeit, eine, in der man in sich ruht und geborgen ist, weil man weiss, dass man zur Welt eines Menschen gehört, in dieser geborgen ist. Heinrich Blücher hat diese in einem Brief an seine Frau Hannah Arendt in wundervolle Worte gefasst: 

„Wie gut einsam und damit wirklich Einer sein kann, wenn man so wie mit dir zweisam und richtig Zweie sein kann…“

Es ist dieser andere Mensch, der einem das Gefühl einer gemeinsamen Welt gibt, in die man gehört, so dass man selbst in einsamen Momenten in Beziehung ist und nicht entfremdet. Auf diese Weise, durch Menschen, mit denen man verbunden ist, die einen akzeptieren, wie man ist, wird die Welt zu einem Zuhause. Nochmals Blücher:

„Ich… konnte immer sagen ‚Wo ich bin, da bin ich nicht zu Hause‘. Dafür habe ich aber mir in dieser Welt hier…, mitten in ihr, ein ewiges Zuhause gegründet durch dich und Freunde.“

Dazu passt auch das wundervolle Zitat von Erich Fried:

„Für die Welt bist du irgendjemand. Aber für irgendjemanden bist du die Welt.“

4 Kommentare zu „Tagesgedanken: Einer sein zu zweit

  1. Die andere Seite dieses wichtigen Gedankens, ganz im Sinne de Beauvoirs und Sartres, dass man wirklich nur zu zweit ist, wenn man auch allein sein kann. Dieses Wechselspiel ist die beste Figur einer Gedankendialektik – zwei, heißt ja eins und eins; und manchmal aber heißt dann zwei auch eins, denn der eine sieht nur sich im anderen. Manchmal aber ist eins auch zwei, weil der eine den anderen sieht und in sich wieder erschafft, wie in der Literatur. Dieser bunte Tanz hört nicht auf. Er wandelt sich und alles festhalten entpuppt sich als unmöglich. Viele Grüße.

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