Wir werden als Einzelne in eine Welt geboren, die wir als viele gemeinsam bewohnen. Wir bewegen uns in ihr und haben die Möglichkeit, diese Welt durch Gespräche gemeinsam neu zu schaffen. Nur der Austausch verschiedener Meinungen, der Dialog miteinander, in welchem ein offenes und freies Mitteilen und einander Zuhören gepflegt wird, bildet einen Raum zwischen Menschen, der diesen zur Welt werden lässt, in welcher alle als Freie und Gleiche leben können. Nur durch dieses einander als Einzelne und als solche Dazugehörige Anerkennen wird die Welt ein Ort der Freundschaft, eine Welt des Wohlseins, und das einzelne Leben ein In-der-Welt-Sein.
Es ist wichtig dafür, anzuerkennen, dass es nicht die eine Wahrheit gibt, denn gäbe es sie, hätte alles Sprechen ein Ende und damit würde keine Welt mehr entstehen oder existieren, weil der Raum zwischen den einzelnen Menschen verschwinden würde, der erst durch das Gespräch geschaffen wird. Hannah Arendt beschreibt das im Sinne Lessings so,
«dass es Wahrheit nur geben kann, wo sie durch das Sprechen vermenschlicht wird, nur wo ein jeder sagt, nicht was ihm gerade einfällt, aber was ihm gerade ‚Wahrheit dünkt’. Ein solches Sagen aber ist in der Einsamkeit nahezu unmöglich; es ist an einen Raum gebunden, in dem es viele Stimmen gibt und wo das Aussprechen dessen, was ‚Wahrheit dünkt‘ sowohl verbindet als auch distanziert, ja diese Distanz zwischen den Menschen, die zusammen dann die Welt ergeben, recht eigentlich schaffen.»
Es braucht andere Meinungen, es braucht andere Menschen, es braucht Pluralität, damit eine Welt existieren kann, damit Menschen als Gemeinschaft diese Welt gemeinsam gestalten und bewohnen können. Wenn wir also wieder einmal jemanden einfach ausschliessen, verurteilen oder abwerten, weil er eine andere Meinung vertritt, sollten wir uns fragen, in was für einer Welt wir leben wollen. In einer, in der ein Einzelner die Wahrheit bestimmt, damit das gemeinsame Schaffen der Welt ein Ende hat und wir dieser einen Wahrheit ausgeliefert sind? Denn: Wer würde wissen, ob er der eine ist oder nur ein unsichtbares, zum Gehorsam verdammtes Teilchen der Vielen, der grossen Masse?
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Buchempfehlung für weiterführende Gedanken:
Hannah Arendt: Freundschaft in finsteren Zeiten, Matthes & Seitz Berlin.
Ich glaube, besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Dort, wo der Pluralismus bereits im Keim erstickt wird, geschieht viel Unrecht, werden Menschenrechte mit Füßen getreten, werden wir, die wir hier die vollen Vorzüge einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu genießen imstande sind, mahnend daran erinnert, dass eben diese keine Selbstverständlichkeit ist. Und deshalb halte ich es für äußerst wichtig, dass wir uns gemeinsam für Frieden, Freiheit und Menschenrechte einsetzen, uns gegen jegliche Form von Antipluralismus und Unterdrückung erheben!
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Da sind wir uns einig!
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Sandra: „Wir werden als Einzelne in eine Welt geboren, die wir als viele gemeinsam bewohnen.“
…und werden als Einzelne wieder abtreten, Platz machen. Es wollen noch so viele hierher kommen.
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Sandra: „…diese Welt durch Gespräche gemeinsam neu zu schaffen“
Es sind nicht die Gespräche. ― Die sind nur ein Medium.
Es sind die Gedanken. Die wiederum hängen ab von der
Geistigen Reife der Denkenden und danach Handelnden.
Mit den Gedanken formen wir die Welt…
…zunächst jeder für sich und schließlich im Kollektiv.
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Sandra: „Nur der Austausch … bildet einen Raum zwischen Menschen, der diesen zur Welt werden lässt“
Das ist nicht zutreffend: So viele Menschen irgendwo anwesend sind,
so viele Welten gibt es. Die Welten sind schon da. Die Sprache ist nur
ein Plus, ein Hilfskonstrukt.
Wie schon gesagt: Hier ist die REIFE von entscheidender Bedeutung.
Sprache kann konstruktiv genutzt werden, ebenso aber auch destruktiv,
manipulativ, propagandistisch, zündelnd, verzerrend…
Sprache an sich
hat keinen Wert.
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Sandra: „…wird die Welt ein Ort der Freundschaft, eine Welt des Wohlseins“
In einer Welt des Wohlseins leben wir, wenn wir ALLEN (!) Menschen und
auch den anderen Wesen gegenüber wohlgesinnt sind. In einer solchen Welt
würde es keine Freundschaft mehr geben – weil es dort keine Feindschaft gibt.
Bündnisse werden nur gebraucht, wenn wir Arges
im Schilde führen oder Angst vor anderen haben.
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Sandra: „dass es nicht die eine Wahrheit gibt“
So ist es. Jedes Ding hat viele Seiten und bietet
viele Perspektiven, es zu sehen und zu deuten.
https://philosophischereplik.home.blog/wahrheit-2/
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Sandra: „…hätte alles Sprechen ein Ende und damit würde keine Welt mehr entstehen oder existieren“
Das wiederum ist nicht zutreffend –
denn Sprache ist nur ein Werkzeug.
Die Existenz des Werkenden ist nicht abhängig von seinen Werkzeugen.
Bestenfalls unterstützen sie ihn in seinen Absichten. Ende ihrer Funktion.
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Hannah Arendt: „…dass es Wahrheit nur geben kann, wo sie durch das Sprechen vermenschlicht wird“
Hier ist nicht von der Wahrheit die Rede, sondern von
der Wahrhaftigkeit in der Kommunikation. Nur diese
ist von mindestens einer weiteren Person abhängig.
Denn „die“ Wahrheit ist von nichts abhängig.
Wahrheit ist auch dort, wo nur ein Mensch anwesend ist.
Auch eine Klause ist von Wahrheit voll.
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Hannah Arendt: „wo ein jeder sagt, nicht was ihm gerade einfällt, aber was ihm gerade ‚Wahrheit dünkt’“
Solcher Art Sprechen, das authentischem Kommunizieren ist von großem Wert,
― welches aber… eine entsprechende Geistige Reife voraussetzt.
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Hannah Arendt: „Ein solches Sagen aber ist in der Einsamkeit nahezu unmöglich
Dort wird das Reden auch nicht gebraucht.
Es wird eh überbewertet.
Sprache ist nur ein Hilfsmittel ― das oft missbraucht wird.
Zum Beispiel um Stille zu vermeiden. Dann wird gelabert.
Die Stille wird vermieden, weil man vor der Präsenz Angst hat.
Es gibt Gemeinschaften, in denen so
gut wie… gar nicht gesprochen wird.
🌼
Grüße !
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