Es geht nur gemeinsam

2013 riefen drei Frauen of Color die Bewegung „Black Lives Matter (BLM) ins Leben. Auslöser war der Freispruch eines Wachmanns, nachdem dieser einen 17-jährigen schwarzen Highschoolschüler erschossen hatte. Der Vorfall löste grosse Rassismusdiskussionen aus, nicht nur in den USA. Weitere Todesfälle hielten den Protest gegen Gewalt gegen Schwarze, bzw. People of Color sowie die Diskussionen um die Problematik des Rassismus, welches ein strukturelles ist, am Leben.

Ziel dieser Bewegung und der davon ausgelösten Diskussionen ist es, Rassismus zu bekämpfen, damit People of Colour nicht mehr struktureller Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt sind. Die Bewegung hat rund um den Erdball Aufmerksamkeit erregt und zu Protestaktionen geführt. Die Auswirkungen auf die Politik waren eher klein, an kritischen Stimmen mangelt es nicht. Doch das ist Stoff für einen anderen Artikel. Worum es mir hier geht, ist folgendes:

Seit der Bewegung „Black Lives Matter“ kommt es an amerikanischen Schulen immer wieder zu Aufregungen seitens der Eltern. Schulkommissionssitzungen werden gestürmt, aufgeregte Stimmen stören sich an Covid-Massnahmen, an links-liberalem Gedankengut und: an der „Critical Race Theory“. Sie begehren auf gegen Themen wie unbewusstem Rassismus, weissen Privilegien und einigen mehr. Sie finden es inakzeptabel, dass „solche Ideologien“ die Schule unterwandern. Gleichstellung könne kein Ziel sein, da es immer Verlierer geben müsse. Gleichstellung sei eine Gefahr für das Leistungsprinzip und darauf baue Amerika sein Identitätsbewusstsein: Alles ist möglich (wenn auch nur für einige, aber das zu sagen ist sicher auch inakzeptabel für diese Gemüter – oder aber sie erachten dies als ihr gutes Recht). Amerika ist in Gefahr durch solche Ideologien, so die aufgebrachte Kritik.

Die „Critical Race Theory“ (CRT) entstand in den 70er Jahren in den Vereinigten Staaten, sie wurde unter anderem mitentwickelt von Kimberlé Crenshaw, einer Rechtsprofessorin, welche auch den Begriff der Intersektionalität (Überschneidung mehrer Diskriminierungskriterien in einer Person) massgeblich geprägt hat. Im Zentrum der CRT steht die Fragestellung, wie sich Formen von Minderheitsdiskriminierung über Jahrzehnte/-hunderte halten konnten. Crenshaw sieht in den aktuellen Protesten allerdings eher einen Backlash gegen die BLM-Bewegung denn gegen die CRT. Solche Backlashes sind nicht neu, sie führten in der Geschichte jedes Mal zu einem Erstarken der Diskriminierung von Schwarzen. Auch in anderen Bewegungen sieht man diesen Effekt deutlich, zum Beispiel beim Feminismus, wo jeder Backlash das Erstarken des Patriarchats nach sich zog.

Kritiker des CRT propagieren einen umgekehrten Rassismus durch Massnahmen des CRT, zum Beispiel anti-rassistische Diversity-Seminare. Der Begriff des umgekehrten Rassismus ist nicht unumstritten, gibt es doch Stimmen, die sich dafür stark machen, dass es keine Diskriminierung von Weissen gebe, da diese durch ihre Hautfarbe und ihre Geschichte immer per se die Unterdrücker seien und sich deswegen schuldig fühlen müssten. Das erachte ich nicht nur als unangebracht, sondern schlicht und einfach als falsch. Es ist in meinen Augen zudem schlicht nicht zielführend, da es nur Fronten verhärtet oder gar neue schafft. Jeder Mensch kann unterdrückt werden, jeder Mensch kann diskriminiert werden, so wie auch jeder Mensch zum Unterdrücker werden kann – wenn die Situation entsprechend ist. Dass Diskriminierung in Gesellschaften mit strukturellem Rassismus mehrheitlich so gelagert ist, dass die Weissen die Privilegien haben (und damit die Schwarzen die Benachteiligten), lässt sich aus der Geschichte erklären: Fakt ist, dass in der Vergangenheit mehrheitlich Schwarze unterdrückt wurden und zwar von Weissen.

Fakt ist, dass es auch heute noch Rassismus gegen Schwarze gibt, von Weissen. Fakt ist auch, dass wir alle Menschen sind und uns in diesem Menschsein sehr ähnlich (wenn man bedenkt, wie ähnlich wir genetisch sogar Gorillas sind. Es scheint, hier greift das Tocqueville-Paradox, nach dem bei grösser werdender Ähnlichkeit die noch vorliegenden Unterschiede immer sensibler wahrgenommen werden.). Doch das scheint nicht zu reichen als gefühlte Verbindung, um gegenseitigen Respekt und gegenseitige Sorge aufzubringen, von Solidarität ganz zu schweigen. Wo liegt das Problem?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Individuum das Höchste der Gefühle ist. Das eigene Wohlergehen, die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten stehen im Fokus, sehen wir die gefährdet, kriegen wir Angst und fangen an zu kämpfen – gegen die (vermeintliche) Gefahr. Wir wissen zwar, dass wir ohne andere nicht überlebensfähig wären, aber wir suchen uns eine kleine Gruppe Ähnlicher aus, mit denen wir dann gegen den Rest vorgehen. Nur: Das ist sehr kurzsichtig. Schlussendlich leben wir alle gemeinsam auf dieser Welt, die eine Vielzahl von Problemen aufweist. Und bei jedem sind wieder andere involviert und sollten sich zusammenschliessen, um gemeinsam etwas zu erreichen. Dazu müssten wir aber miteinander reden können, was schwer wird, wenn wir beim letzten Problem die anderen zu Feinden erklärt (und gar mund-tot gemacht )haben. Ob wir uns wirklich wohl fühlen in so einer Welt? Wären wir nicht glücklicher mit mehr Verständnis (und damit Solidarität), auch für fremde Bedürfnisse, die immer von (wenn auch anders denkenden, aussehenden, fühlenden) Menschen kommen, wie auch wir welche sind?

Martin Bubers dialogisches Prinzip könnte dabei helfen, in dem es zu Bewusstsein führt, dass jedes „Ich“ nur existiert durch ein „Du“, mit dem es in Beziehung tritt. Dafür muss das Du selbst Subjekt sein, eine Objektifizierung würde zur Entfremdung zwischen den Individuen sowie in der Welt führen (vgl. dazu auch Jaeggi, Entfremdung). Im Wissen also, dass wir mit anderen in den Dialog treten müssen, dass wir in der Welt nur ein gelingendes Leben führen können, wenn wir das anderen ebenso zugestehen, sollten wir im Zeichen der Solidarität dahin gehen, das uns Verbindende zu nutzen, um noch offene Missstände anzugehen. Immer auch im Wissen, dass auch wir in anderen Fällen dieser Solidarität bedürfen, weil keiner allein die Welt verändert.

Leider sieht man es immer wieder in Bewegungen, dass sie sich nach einer Zeit spalten, einzelne Gruppen für ein eigenes Unterthema kämpfen und sich für diesen Kampf gegen die ehemalige Gemeinschaft stellen. Sehr deutlich konnte man das beim Feminismus sehen. Kämpften anfänglich alle gemeinsam für die Rechte der Frau, fühlten sich schwarze Frauen (zu recht) in ihren Belangen untervertreten und zu wenig unterstützt. Es folgte eine Spaltung und damit nicht nur eine Front innerhalb der Gruppe, sondern natürlich auch eine Schwächung derselben nach aussen durch die kleinere Grösse sowie den Energieverlust durch die eigenen Grabenkämpfe. Andere Grabenkämpfe kamen dazu, die jungen Feministinnen bekämpfen die alten, die schwarzen die weissen, die homosexuellen die heterosexuellen und umgekehrt. Kimberlé Crenshaws Ansatz der Intersektionalität könnte da Abhilfe schaffen. Wichtig ist dabei allerdings, nicht innerhalb der Diskriminierungskriterien Hierarchien zu schaffen, sondern Diskriminierung als ein grosses Thema (mit Unterthemen) zu betrachten, das uns alle angeht und das wir alle gemeinsam angehen müssen. Wobei wir wieder zurück beim Dialog wären. Halten wir es doch mit Gottfried Benn:

„Komm, reden wir zusammen
wer redet, ist nicht tot.“

Und: er ist nicht nur nicht tot, er wird beim Zusammen-Reden (statt einfach nur auf den Anderen einreden) gehört. Dieses gegenseitige Gehörtwerden schafft eine neue Lebendigkeit und Kraft, für die gemeinsame Sache einzustehen.

Ein Kommentar zu „Es geht nur gemeinsam

  1. Kann ich nur schreiben: Hut ab. Ich schätze differenziertes Argumentieren sehr. Deine Meinung entspricht auch meiner Haltung.
    Durch Spaltung innerhalb einer Gruppe, die sich gegengesetzt zu einer anderen Gruppe ergibt, ist m.E.n ein sicherer Wert für Diskriminierung, wenn sich diese Gruppen nur zusammengefunden haben um gegen einen gemeinsamen „Feind“ vorzugehen. Eigentlich müsste jedes Gruppenmitglied einer Gruppe auch einer Gegengruppe angehören oder in den sozialen Medien zu den eigenen Meinungen auch die konträren gelesen werden. Stattdessen werden Andersdenkende blockiert und ausgeschaltet. Nur wer um rechts und links weiss, kann seine Mitte finden.

    Gefällt 1 Person

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