Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist
Inhalt
«Es scheint also nicht nur eine Sehnsucht danach zu geben, Weisssein per se zu verteufeln und abzuwerten. Bizarr ist auch, wie man sich auf die Suche nach einer Person macht, die ein noch grösseres Opfer ist als man selbst.»
Judith Sevinç Basad spricht von Meinungsmache, welche totalitären Charakter angenommen habe, wenn sie Themen wie #MeToo, die Stigmatisierung Weisser zu Rassisten, der Verurteilung alter weisser Männer, Cancel Culture und weitere behandelt. Die Social-Justice-Warriors verbreiten eine Ideologie, welche keinen Widerspruch duldet, weil diese die einzig mögliche Wahrheit darstellt. Wer trotzdem anderer Meinung ist, wird schändlicher Motive bezichtigt und er soll sich schämen – zusätzlich zur falschen Meinung auch für seine weisse Hautfarbe, denn die offenbart ihn schon als Rassisten, egal, was er tut oder sagt.
Weitere Betrachtungen
Judith Sevinç Basad hat mit diesem Buch einen Gegenentwurf entworfen zu der aktuellen Debatte um Feminismus und Rassismus. Sie kritisiert linke Kriegerinnen, die sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen schreiben und die eigene Meinung als richtige definieren, welche keinen Widerspruch duldet. Sie werden damit dem vergleichbar, was Hannah Arendt als Methoden totalitärer Systeme bezeichnet: Man führe die verschiedenen Mitglieder einer definierten Gruppe auf einen typischen Vertreter derselben zusammen und teile dann das System in gut (die Eigenen) und schlecht (der definierte andere Gruppenmensch) zusammen. Eine so gleichgeschaltete Gruppe lässt sich in der Folge besser manipulieren.
Basad beschreibt auf eine unaufgeregte, sachliche und gut abgestützte und mit Beispielen belegte Art die heutigen Zustände an der Front der Social Justice Warroirs und ihren treuen Folgern. Sie weist auf die so entstehenden Gefahren und Missstände hin und sensibilisiert für einen bewussteren Blick auf Forderungen und Anschuldigungen der beschriebenen Kriegerinnen, welche zwar im Ansatz teilweise durchaus legitim erscheinen, in dieser Vehemenz und Verallgemeinerung aber zu einer Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen führt. Es sollen hier nur einige Beispiele angeführt werden:
In den letzten Jahren wurden Geschlechterzuschreibungen immer mehr hinterfragt und geöffnet. Die Überzeugung, dass es jedes Menschen Recht sein soll, seine eigene Geschlechtsidentität definieren zu können, setzte sich durch, was ein Durchbruch war und Menschen aus der Stigmatisierung (früher gar Kriminalisierung) befreien sollte. Aktuell scheint das extreme Züge anzunehmen:
«Zugespitzt heisst das: Die weisse heterosexuelle ‘Normalität’ muss zerstört werden, weil sie rassistisch und sexistisch ist.»
Alles, was man als frühere Norm definiert, wird nun verteufelt. Nach den weissen Männern kamen die Weissen überhaupt, nun sind die Heterosexuellen an der Reihe. Dass man dabei eigentlich mit umgekehrten Vorzeichen fortführt, was man bekämpfen wollte, nämlich die Diskriminierung von Menschen aufgrund einer zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit, wird vehement zurückgewiesen, da all die, welche zur Norm gehörten eben darum gar nicht diskriminiert werden könnten.
«Die gendergerechte Sprache dagegen hat nichts mit natürlichem Sprachwandel zu tun. Denn beim Gendern handelt es sich nicht um harmlose Ausdrücke, die neu auftreten, sondern um eine politische Agenda, die – wenn möglich – von oben durchgesetzt werden soll, um moralisch zu erziehen.»
Einen weiteren Angriff startet Basad auf die geforderten Sprachanpassungen. Das Argument, Sprache sei immer im Wandel, lässt sich dabei nicht gelten, sondern führt Studien an, welche widerlegen, dass sich Frauen früher nicht angesprochen fühlten bei der Nennung eines generischen Maskulinums. Sie führt (korrekt) an, dass dieses mit dem biologischen oder sozialen Geschlecht nichts zu tun hat, sondern eine grammatische Eigenschaft ist.
«Alle Weissen sind rassistisch. Ihre Gesten sind rassistisch. Ihr Verstand ist rassistisch. Ihre Emotionen sind rassistisch. Ihre Handlungen sind rassistisch. Alles an ihnen ist rassistisch, weil sie eine weisse Hautfarbe haben.»
Dieses Fazit zu den vorherrschenden Meinungen zieht Basad am Schluss. Sie bezieht sich dabei auf Aussagen, die behaupten, Weisse seien per se rassistisch und könnten keinen Rassismus erfahren, sondern sollten sich eher schämen dafür, weiss zu sein. Es gibt Schulprogramme, die weisse Kinder in eine «Identitätskrise» stürzen sollen, um sie von der Neurose des Konsens zu heilen, Rassismus sei zu verurteilen, da sie, als Weisse, nicht nicht rassistisch sein könnten. Man muss nicht sehr weit in der Geschichte zurückzugehen, um ähnliche Zuschreibungen und Verurteilungen zu finden – die grausamen Auswüchse damals sind sicher noch in vielen Köpfen präsent.
Persönlicher Bezug
«Weisse, so heisst es da, würden sich nur deswegen gegen den Rassismus-Vorwurf wehren, weil ihre ‘weisse Psyche’ an einer ‘weissen Neurose’ leide. ‘Weisse Emotionen’ seien krankhafter ‘emo-kognitiver Zustand’, der zu ‘weisser Angst’, ‘weisser Furcht’, ‘weisser Wut’, ‘weisser Traurigkeit’, ‘weisser Hilflosigkeit’, ‘weisser Schuld’ und ‘weisser Scham’ führe. Diese ‘weissen Emotionen’ seien ein ‘Motor von Rassismus’.»
Ich habe in letzter Zeit viele Bücher junger Frauen zum Thema Rassismus gelesen. Ich war erschüttert, betroffen, der tiefen Überzeugung, dass das nicht immer so weiter gehen darf, dass etwas getan werden muss, um Rassismus von Generation zu Generation weiterzugeben. Dass aber gerade diese Betroffenheit eine eigene Neurose sei, die mich zu einer psychisch Kranken herabsetzt, lässt meinen Mund doch offenstehen. Dass ich aufgrund meiner Hautfarbe per se ein Rassist sein soll, macht mich sprachlos, da eine solche Zuschreibung ohne Kenntnis meiner Person und meiner Einstellung als Unrecht erscheint, das ich nicht gewillt bin, hinzunehmen.
Ich bin überzeugt, dass Rassismus wie Sexismus (auch) ein strukturelles Problem ist, das wir mit vereinten Kräften angehen sollten. Ich sehe wenig Sinn darin, uns immer wieder in neue Gruppen zu teilen und die anderen zu bekämpfen. Ich sehe wenig Erfolg für die Sache, wenn unsachliche Behauptungen und individuelle Befindlichkeiten zu allgemeingültigen Wahrheiten verklärt und mit Vehemenz und blindem Eifer durchgesetzt werden sollen. Bücher wie dieses können helfen, den Blick wieder zu schärfen, in der Hoffnung, dass wir endlich aufhören, Fronten zu schaffen.
Fazit
Ein sachlicher, fundierter, intelligenter Gegenentwurf zu aktuellen, teilweise radikalen Positionen in Bezug auf Rassismus, Sexismus und Feminismus.
Autorin
Judith Sevinç Basad studierte Germanistik und Philosophie und schloss ihren Master mit einer Arbeit über totalitäre Tendenzen in der queerfeministischen Bewegung ab. Sie arbeitete für die Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die einen geschlechtergerechten und liberalen Islam praktiziert und publizierte u.a. für WELT, FAZ, NZZ und den Autoren-Blog „Salonkolumnisten“. Im Jahr 2019 absolvierte Basad ein Zeitungsvolontariat im Feuilleton der NZZ. Seit 2020 erscheint ihre Online-Kolumne „Triggerwarnung“ im Cicero. Sie lebt als freie Autorin in Berlin.
Angaben zum Buch
Herausgeber: Westend; 1. Edition (29. März 2021)
Taschenbuch: 224 Seiten
ISBN-Nr.: 978-3897713376
Zu kaufen in jeder Buchhandlung vor Ort und online u. a. bei AMAZON.DE und ORELLFUESSLI.CH
Stimme voll und ganz zu. Dieser Ausschlag in die Extreme kann nicht gesundend sein.
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Sehe ich eben auch so. Es stiess mir immer mehr sauer auf.
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Eine anregungsreiche Besprechung! Die Passage „Sie werden damit dem vergleichbar, was Hannah Arendt als Methoden totalitärer Systeme bezeichnet: Man führe die verschiedenen Mitglieder einer definierten Gruppe auf einen typischen Vertreter derselben zusammen und teile dann das System in gut (die Eigenen) und schlecht (der definierte andere Gruppenmensch) zusammen. Eine so gleichgeschaltete Gruppe lässt sich in der Folge besser manipulieren.“ ist, so meine ich, der Schlüssel. Darin spricht sich die dem Menschen eigentümliche Neigung aus, sich einem „Wir“ zugehörig fühlen zu wollen, indem es ein „die anderen“ konstruiert. Diese Neigung ist wohl tierischem Erbe zu verdanken (Rudelbildung, um im Territorialkampf die Überlebenschancen zu verbessern). Die Typisierung des „anderen“ in einem negativen Bild ist freilich menschlich: Sie ist projektiv und erleichtert die Grenzziehung (der hässliche aggressive Iwan, der hässliche geldgierige Jude, der dümmliche grinsende Neger, der hässliche weiße Mann). Der eigene Schatten wird auf den „anderen“ projiziert – vergleichbar dem Ziegenbock, den die Israeli in die Wüste jagten, nachdem sie ihn mit ihren Sünden beladen hatten.
Interessant ist, dass ein eigentlich hoffnungsvoller Prozess (Auflösung rassischer, geschlechtlicher, völkischer Stereotype) von übereifrigen Ideolog*Innen in sein Gegenteil verkehrt wird.
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Das bin ich ganz bei dir. Es wird zu nichts führen, neue Stigmatas zu schaffen. Nicht jeder Weisse ist Rassist, nicht jeder Mann Sexist. Es laufen viele Muster unbewusst, unbestritten, die muss man ans Licht bringen. Aber nun einfach alles umzudrehen, zu sagen, die, welche via Zuschreibung eine Gruppe von früheren Unterdrückern sind, müssen das heute noch sein, wird keinem helfen.
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Ein wirklich spannender Beitrag über eine Autorin, die mir bisher noch nicht bekannt war. Auch dieses Buch, liebe Sandra, wird auf meiner nächsten Bestellliste landen.
Viele der Argumente, die du im Beitrag aufgeführt hast, sehe ich ganz genau so. Ich stehe dem auch bisher eher skeptisch gegenüber und das macht es auch vor allem in den sozialen Netzwerken nicht einfacher, sich zum Feminismus oder den Ideen dahinter zu bekennen. Denn egal was und wie man es tut, es reicht nicht aus, wenn es nicht der Meinung der „linken Kriegerinnen“ entspricht. Sie verkehren ihren eigenen Anspruch, nicht in Schubladen zu denken und eine freie Entfaltung zu fordern, ins Gegenteil in dem sie allen, die nicht ihrer als wahr definierten Meinung angehören, ebenso in eine Schublade stecken und diese labeln. Vor allem auch Instagram ist das immer wieder ein Problem, weshalb sich auch gar keine Möglichkeit zur Diskussion oder Toleranz bietet.
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Ich finde es schwer, dem Feminidmud verbunden zu bleiben, wenn ich sehe, wie intolerant und destruktiv und aggressiv gegegneinaner gekämpft wird. Die Sache selber finde ich wichtig, Gleichberechtigung, Antidiskriminierung, all das – aber die Zugehörigkeit zu einer Bewegung wird so schwierig.
Wie schrieb schon Audre Lorde: Es macht wütend, wenn Alte gegen Junge, Weisse gegen Schwarze, Männer gegen Frauen kämpfen -wir müssten miteinander gegen Unterdrückung kämpfen, müssten das Gemeinsame sehen und uns nicht an den Unterschieden aufreiben.
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Dem stimme ich voll und ganz zu.
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