Ihre ersten Worte waren: „Ich wusste, dass ich in Paris sterben würde. Ich wusste es schon, als ich herkam.“
„Aber sie sind nicht gestorben“, erwiderte der Arzt. „Sie sind am Leben und werden wieder ganz gesund.“
Inhalt
Mehr tot als lebendig in ein Pariser Krankenhaus eingeliefert, weiss Sally, als sie aufwacht, nichts mehr: Nicht, wer sie ist, nicht, wo sie wohnt, nicht, was ihr passiert ist. Langsam kehren die wichtigsten Erinnerungen zurück, so erinnert sie sich bald an ihren Namen, ihre Herkunft, dass sie ein Mann im Cafe angesprochen, belästigt, danach verfolgt und zu sich nach Hause gebracht hat, wo es zu den grausamen Misshandlungen gekommen ist. Andere Lücken bleiben hartnäckig: Wie sah der Mann aus, wie kam sie in sein Auto, wie ins Spital?
Sally kehrt nach Hause, nach Montreal zurück und richtet sich langsam in einem Leben ein, welches von vielen Ängsten geprägt ist: Sally kann nicht in kleinen Räumen sein, allein ins Cafe gehen, meidet Männer mehrheitlich, kann nicht allein auf die Strasse – und vieles mehr. Ihr Patenonkel Carson nimmt sich schliesslich ihr an, setzt alles daran, ihre Blockaden zu überwinden, was teilweise auch gelingt. Die beiden heiraten und man könnte Sally fast als glücklich bezeichnen – bis eine schicksalshafte Begegnung dieses Glück und Sally als Menschen ins Wanken bringt. Das kann kein gutes Ende nehmen.
Zum Buch
«Sag mir, wer ich bin» ist die Geschichte einer Frau, die durch ein Erlebnis in jungen Jahren tief traumatisiert ist und die es kaum schafft, in ein normales Leben zurückzufinden. Es ist eine Geschichte über Angst, Hass und Rache, eine Geschichte über die Prägungen im Leben und unser Ausgeliefertsein.
«Weil dies eine Geschichte ist, möchte ich sie nicht mit einem Vorwort belasten, doch irgendetwas in der Art scheint mir nötig zu sein, denn es handelt sich um einen Roman über Kanada.»
Felicity Ward hat der Geschichte ein sehr ausführliches Vorwort zur Lage Kanadas und dem schwierigen Verhältnis der französischsprachigen und englischsprachigen Bevölkerung vorangestellt, welches politisch interessierte Menschen sicher interessiert, der Geschichte aber keinen Mehrwert gibt. Zwar spielt das Thema am Rande mit, ist aber auch in der Geschichte nicht wirklich relevant.
Persönliche Einschätzung
Ein Buch, das mich sehr ambivalent zurückgelassen hat. Einerseits behandelt es ein wichtiges Thema, welches viel zu sehr als Tabu behandelt und mit Schweigen bedacht wird. Es ist wichtig, zu zeigen, dass ein Übergriff auf eine (junge) Frau nicht einfach mit dem Vorfall beendet ist, sondern seine Spuren im Leben hinterlässt und mitunter zu einem lebenslangen Leiden führen kann. Auch ist es Felicity Ward gelungen, zu zeigen, dass die Folgen oft nicht nur für die betroffene Person, sondern für deren ganzes Umfeld zu einem das Leben immer wieder prägenden Thema wird.
Auf der anderen Seite wurde ich mit der Protagonistin nicht warm. Obwohl diese in der Geschichte viele Jahre begleitet wurde, war keine Entwicklung feststellbar, sie blieb immer ein junges Mädchen in ihrem Verhalten. In einer fast schon als pubertär zu bezeichnenden Trotzigkeit brachte sich Sally so immer wieder in Situationen, mit denen sie nicht umgehen konnte, die sie in durchaus vermeidbare Schwierigkeiten brachten, in welche sie dann ihr Umfeld involvierte und gleich darauf auch wieder vor den Kopf stiess.
Dass sie auch jegliche professionelle Hilfe ausschlug, sich in ihrem Opferdasein des Lebens praktisch einrichtete, wirkte auf die Dauer wenig nachvollziehbar, selbst wenn man zugesteht, dass verschiedene Menschen unterschiedlich mit einer solchen Geschichte umgehen, das also ein Weise sein könnte.
Die schicksalshafte Begegnung und deren Folgen könnte man als spannendes Katz- und Maus-Spiel bezeichnen, was es auch wurde, allerdings kam bei mir keine Spannung, sondern nur noch mehr Unverständnis auf. Vermutlich auch aus diesem Grund zog sich das Buch für mich nur noch in die Länge.
Das Buch hat mich trotz einiger guter Ansätze und einem wichtigen Thema nicht wirklich überzeugen können, was aber ein anderer Leser durchaus anders empfinden kann.
Fazit
Die Geschichte einer misshandelten und schwer traumatisierten Frau, die versucht, sich wieder im Leben einzurichten. Ein wichtiges Thema, leider auf eine mich nicht überzeugende Weise erzählt.
Zur Autorin
Felicity Ward, geb. 1945, verbrachte die ersten zehn Jahre ihres Lebens in Montreal, wo sie noch heute Verwandtschaft hat. Sie lebte an vielen verschiedenen Orten der Welt, bevor sie sich endgültig in Frankreich niederließ. Bis heute kehrt sie in regelmäßigen Abständen in ihre Heimat Montreal zurück. Sie war zweimal verheiratet und hat Kinder aus beiden Ehen.
Angaben zum Buch
Gebundene Ausgabe: 328 Seiten
Herausgeber: Europa Verlag; 1. Edition (29. Juli 2021)
Übersetzung: Sabine Leopold
ISBN: 978-3958904057

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