Maxim Leo: Wo wir zu Hause sind

„Als Kind habe ich Menschen mit grossen Familien beneidet, alles schien mir so warm und selbstverständlich zu sein, wie ein Nest, aus dem man nicht herausfallen kann. Meine eigene Familie kam mir dagegen zerbrechlich vor.“

Maxim Leos Berliner Familie ist sehr überschaubar, der Rest der Menschen seiner Verwandschaft ist über den ganzen Erdenball verteilt, an spannenden Orten, wie Maxim als Junge denkt, während er im langweiligen Deutschland sitzt. Die Verteilung hatte ernste und tragische Gründe, die Machtübernahme der Nationalsozialisten liess der Familie keine andere Wahl, wollte sie überleben. Für einen kleinen Jungen war das nicht immer verständlich und teilweise schmerzhaft.

„Heute kann ich selbst durch die Welt reisen und meine Familie besuchen, aber je näher ich meinen Leuten in der Ferne komme, desto mehr fehlen sie mir hier, zu Hause. Ich fühle mich wie ein Scheidungskind, das immer hofft, eines Tages könnten wieder alle zusammen sein.“

Anlässlich der Hochzeit von Maxims Bruder kommt die Familie in Berlin zusammen und es wird offenkundig: Die Geschichte hat alle betroffen und auch erschüttert, die Trennung hat auf alle eine prägende Wirkung gehabt und die Sehnsucht sitzt bei allen tief – bei jedem auf seine Weise.

„An diesem warmen Septemberabend wurde mir klar, wie tief die Sehnsucht der anderen nach ihrer verlorenen Heimat ist. Wie sehr sie die Nähe und Zugehörigkeit brauchen, Erinnerungen suchen.“¨

Maxim Leo reist durch die Welt auf den Spuren seiner Familie. Er sucht die Lebensgeschichten der einzelnen Mitglieder zusammen, erzählt von ihren ursprünglichen Träumen, Wünschen und vom Weg, den sie schliesslich gingen. Er gräbt in der Geschichte und legt einerseits das Schicksal einer Generation von Menschen offen, andererseits die ganz persönlichen Lebensgeschichten der einzelnen Familienmitglieder. Sein Hauptaugenmerk liegt in diesem Buch auf drei Frauen, seiner Grosstante Ilse und deren Cousinen Hilde und Irmgard.

Es gelingt Maxim Leo, trotz der Tragik der Thematik einen gut lesbaren, sachlichen und doch menschlichen Ton anzuschlagen. Im Stil einer Reportage beschreibt er die Flucht vor dem Regime, die neuen Lebensentwürfe in der Fremde, die Höhen und Tiefen der verschiedenen Leben. Zwar wird man als Leser Zeuge von vielen Schicksalen und verhinderter Lebenswünsche, daneben aber auch von Lebenswillen, Kraft und Kampfgeist.

Ein gelungenes Buch, ein Buch über Menschen, denen das Leben viel genommen hat, ein Buch über Menschen, die Opfer eines Unrechtsregimes wurden, ein Buch, das von den Sehnsüchten und Wünschen von Menschen handelt, welche ein Leben weit weg vom ursprünglichen Lebensentwurf suchen mussten, und ein Buch über Menschen, die dieses Leben fanden und lebten.

Fazit:
Ein Buch über eine Familie, die durch das Regime des Nationalsozialismus auf der ganzen Welt verstreut ist, ein Buch über die Sehnsucht von Menschen, die sich nach Nähe und Miteinander sehnen, ein Buch über den Wert eines Zuhauses. Und vieles mehr. Sehr empfehlenswert.

Über den Autor
Maxim Leo, 1970 in Ost-Berlin geboren, ist gelernter Chemielaborant, studierte Politikwissenschaften, wurde Journalist. Heute schreibt er Kolumnen für die Berliner Zeitung, gemeinsam mit Jochen Gutsch Bestseller über sprechende Männer und Alterspubertierende, außerdem Drehbücher für den »Tatort«. 2006 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis. Für sein autobiografisches Buch »Haltet euer Herz bereit« wurde er 2011 mit dem Europäischen Buchpreis ausgezeichnet. 2014 erschien sein Krimi »Waidmannstod. Der erste Fall für Kommissar Voss«, 2015 »Auentod«. Maxim Leo lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin.

Angaben zum Buch:
Taschenbuch: 368 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch; 2. Edition (14. Februar 2019)
ISBN-Nr.: 978-3462000405
Preis: EUR 12 / CHF 18.90

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