„Deine Frau ist mir gefolgt.“
„Meine Frau.“
„Bis hierher.“ Sofia sah ihn an: „Professore?“
Er warf eien Blick auf die Tür des Seminarraums.
„Sie ist im Hof, glaube ich.“
Carlo Pentecoste trat ans Fenster und erkannte Margheritas amarantroten Mantel, den sie seit dem zweiten warmen Frühlingstag trug.“
Carlo und Margherita sind ein schönes und ein glückliches Paar, er Dozent für Literatur, sie Inhaberin einer Immobilienagentur. Als Carlo eines Tages auf der Universitätstoilette mit einer jungen Studentin erwischt wird, behauptet er, dieser nur nach einem Schwächeanfall geholfen zu haben. Der Vorfall bleibt als Stachel in der Beziehung. War wirklich alles nur ein Missverständnis? Oder ist entgegen der Behauptungen mehr passiert?
Carlo und Margherita gehen unterschiedlich mit dieser Geschichte um, doch auf ihre Weise wird sie für beide eine Obsession. Und sie löst Fragen aus: Nimmt eine Affäre dem Ehepartner etwas weg? Ist eine unterdrückte Leidenschaft nicht schädlicher als das Ausleben derselben? Muss man etwas wirklich leben, um es loswerden zu können, oder kann man es auch sonst aus dem Leben verbannen? Wo fängt ein Seitensprung an, was ist wirklich Betrug?
„Was konnte ein neuer Körper ihrer Ehe überhaupt anhaben?“
Marco Missiroli stellt die grossen Fragen der Liebe. Wie viel Freiheit ist erlaubt, wie viel Geheimnis erträgt sie, wo hört sie auf? Woher kommt die Sehnsucht nach Neuem, wenn man doch glücklich ist? Er erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die trotz ihrer gegenseitigen Liebe mit dem Wunsch nach Neuem kämpfen, die sich und die Beziehung hinterfragen und sich den Herausforderungen, welche dadurch entstehen, stellen müssen. Indem er diese Geschichte immer wieder aus anderen Perspektiven erzählt, sieht man als Leser hinter die Kulissen des reinen Geschehens, man nimmt teil an den Gedanken und Abwägungen jedes Einzelnen. Das macht das Buch spannend und hintergründig, wird ab und zu aber auch etwas chaotisch, da die Perspektiven oft mitten im Absatz wechseln, so dass man sich als Leser wieder zurechtfinden muss, wo man sich im Zusammenspiel der Figuren gerade befindet.
Treue ist ein Roman ohne grosse Höhen und Tiefen, er plätschert ruhig dahin und lässt dadurch Zeit und Raum für die Gedanken der Protagonisten. Missirolis Sprache ist einfach und gut lesbar, sie passt sich dem Lauf der Geschichte an, in einzelnen Passagen vergreift er sich allerdings im Wort, bezeichnet er doch die Sexualität als vögeln (was aber auch der Übersetzung geschuldet sein kann und dann nicht dem Autor zugeschrieben werden dürfte), was irgendwie nicht zum restlichen Sprachduktus passen will. Trotz vieler Innensichten bleiben die Figuren merkwürdig fremd, es fällt schwer, sich mit ihnen zu identifizieren, was aber nicht bedeutet, dass die Fragen, die sie sich stellen, nicht zu eigenen Fragen werden. Als Leser wird man oft auf sich zurückgeworfen, der eigene Blick auf die Fragen der Protagonisten wird herausgefordert.
Fazit:
Die Geschichte von zwei Menschen, die trotz Eheglück mit den Verlockungen der Abwechslung und mit geheimen Sehnsüchten kämpfen. Teilweise etwas chaotisch, aber durchaus empfehlenswert.
Über den Autor
Marco Missiroli, 1981 in Rimini geboren, lebt in Mailand und schreibt für den Kulturteil des »Corriere della Sera«. Er ist Verfasser mehrerer Romane wie »Obszönes Verhalten an privaten Orten« (2017), die Publikum und Kritik gleichermaßen begeisterten. Mit »Treue« gewann Missiroli 2019 den Premio Strega Giovani und stand auf der Shortlist des Premio Strega. »Treue« erscheint in über 30 Ländern, eine auf dem Roman basierende Netflix-Serie startet 2021.

Angaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Wagenbach, K (28. Januar 2021)
ISBN-Nr.: 978-3803133304
Preis: EUR 23 / CHF 35.90
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ein wichtiges Thema ist es jedenfalls. Treue, wenn sie zur sine qua non einer Beziehung wird, kann diese erwürgen, Untreue kann sie töten. Die Lüge, das Vertuschen sind fast unausweichlich – und die vergiften eine Beziehung. Da hat man nun die Wahl zwischen drei Übeln.
Die Untreue des Mannes wurde in früheren Zeiten fast als normal angesehen und insofern „verziehen“. Die Untreue der Frau ist bis heute weitgehend Tabu, daher fordert die gleichberechtigte Frau nun auch vom Mann Treue ein. Und so hat sich für beide die Möglichkeit zum Ausleben von Neugier und alternativen Erfahrungen verengt, mit dem Ergebnis, dass Scheidungen und Vereinsamung zugenommen haben. Funktionierende „offene“ Beziehungen kenne ich nicht.
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Ich bin da ganz bei dir. Mir ist Treue ultimativ wichtig. Eine andere Definition hörte ich aber mal: „Ich muss dir nicht treu sein, ich bin mir treu.“ Und das beinhaltete für den Menschen eben, dass er es dann automatisch mir gegenüber auch sei, da seine Werte und Lebenseinstellungen alles andere nicht zulassen würden. Finde ich irgendwie gut, denn wenn es dem eigenen Wollen gegensprechende, aber der Pflicht geschuldete Treue wäre… wäre sie wohl schwer einzuhalten… oder zumindest nicht freudvoll.
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Zwei Gedankenstränge fallen mir dazu ein: 1) Der Treue scheint die Ewigkeit impliziert zu sein. Ist von ewiger Treue die Rede, erscheinen auch mir die oben genannten drei Übel unausweichlich. Zieht man eine individualgeschichtliche Perspektive in Betracht, so könnte Treue die Treue zum derzeitigen Partner meinen. Das bedeutet, dass man immer nur einem Partner treu ist, nicht zwei Partner gleichzeitig hat, sondern sich immer konsequent für einen entscheidet, den alten oder den neuen. 2) „Liebe Dich selbst, dann ist es egal, wen Du heiratest.“ Ich weiß nicht mehr, von wem dieser Satz stammt, seine Aussage, dass wer selbständig ist, (sich) nicht am Partner festhalten muss, scheint mir bedenkenswert. Es ist, glaube ich, die Antithese zum Füreinender-bestimmt-sein, das Beziehungen zur Schicksalsgemeinschaft pervertiert.
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Ich würde die Treue nun auch eher so sehen wollen, als sie sich auf einen Partner in einer Zeit beschränkt, nicht auf eine lebenslange Sache. Klar ist es schön und wünschenswert, wenn ein geliebter Mensch möglichst lange im eigenen Leben als Partner bleibt und man sich gegenseitig treu und glücklich verbunden ist. Manchmal meint das Schicksal aber, andere Wege gehen zu müssen – und dann bin ich der Meinung, fängt eine neue Zeitrechnung an in Sachen Treue.
Wo ich dir zustimme ist, dass ich denke, ein Mensch kann nur dann in einer Beziehung glücklich sein, wenn er das auch mit sich selber ist. Ansonsten trägt er die eigenen Befindlichkeiten in die Partnerschaft und sie werden da umso lauter schreien.
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