Wie viel Ehrlichkeit braucht eine Beziehung? Wie viele Lügen verträgt sie? Wo fängt eine Lüge an und wo hört die Wahrheit auf? Ist etwas zu verschweigen auch schon eine Lüge? Was darf verschwiegen werden, wo ist Redebedarf? Gibt es ein Massband, an dem ich es sehe? Kann ich es fühlen oder weiss ich es intuitiv?
Es heisst jeder Mensch lügt tagtäglich einige Male, gibt es weisse und schwarze Lügen? Gibt es Motive, die Lügen rechtfertigen oder wäre es doch immer besser, die Tatsachen zu kennen? Hilft ein Vertuschen und wenn ja, wem eigentlich? Ist es nicht oft mehr als Fürsorge getarnte Feigheit denn wirkliche Rücksicht?
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, was passiert mit dem Vertrauen? Ist es dahin, wo bleibt die Liebe dann? Kann man alles verzeihen? Muss man gar? Wie steht es mit dem Vergessen? Wenn was verziehen, nicht aber vergessen ist, liegt es nicht doch in der Luft? Die schwächste Stelle der Vase, die immer wieder genau da bricht?
Ist eine Lüge nicht auch ein Zeichen, dass man sich mehr zugesteht als dem anderen, weil man denkt, der andere sei zu klein, die Wahrheit zu tragen? Kann darauf gebaut werden oder ist dieses Fundament nicht immer schief? Ein Schloss, das auf Sand gebaut wurde?
Kann ich lieben und lügen gleichzeitig? Bedingt Liebe nicht auch Respekt und Achtung und machen beide nicht die Lüge unmöglich? Kann ein Leben mit Lügen ein Miteinander sein? Ist es nicht eher so, dass einer lenkt, der andere blind den Weg hinterhertapst, der ihm zugewiesen wurde, ohne dass er eine Wahl hatte? Wieso sollte man das wollen? Wieso sollen?
Ich habe viel über das Thema nachgedacht und bin zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.
Zum Beispiel über die Ehefrau meines Freundes in Deutschland, der versucht hat, in einer offenen Beziehung mit mir zu leben. Die Ehefrau hat sich immer gewünscht, keine Details zu wissen.Seit Mai 2013 nun weiß sie Details. Und das Ergebnis: Stress auf allen Seiten. Bei ihm, bei ihr, bei ihm.
Oder bei meinem anderen Freund in den USA, der auch gebunden ist, dessen Frau aber gar nichts weiß. Natürlich hätte er die Beziehung mit mir gar nicht erst anfangen sollen, aber das ist nun zu spät. Würde er ihr von mir erzählen, würde sie sich trennen – die sind dort, wo er wohnt, recht kleinkariert. Unglücklich wären sie, die Kinder, er.
Natürlich kann man nun argumentieren, dass man, wenn man die Wahrheit, frei entscheiden kann, was man damit machen kann. Kennt man sie nicht, kann man auch nichts entscheiden. Aber:
Die Ehefrau meines hat keine Wahl. Sie kann sich nicht trennen, sie ist finanziell, emotional und gesundheitlich von diesem Mann abhängig. Ja, das gibt es auch, auch in meiner Generation. Und da sie keine Wahl hat und bleiben muss, tut jetzt alles einfach nur weh.
Ganz so einfach ist es meines Erachtens mit der Wahrheit nun doch nicht.
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Niemand sagte, die Wahrheit sei einfach. Thomas Mann behauptete, eine schreckliche Wahrheit sei trotzdem besser als jede Lüge. Ich würde sagen, sie ist fairer. Die Beispiele die du anbringst zeigen eigentlich, dass der Mensch belogen werden will, weil er die Wahrheit nicht verkraftet. Nun müsste man sich fragen, wieso er diese nicht verkraftet? Vermutlich wegen der Lage, in der er ist. Die zweite Frau, die sich nicht trennen kann – wobei ich denke, können ginge schon, nur die Angst ist zu gross und der Schrecken noch zu klein… sie weiss um ihre Lage, die keine selbstgewählte ist. Irgendwo belügt sie sich da wohl auch selber.
Die erste Lüge war die Nebenbeziehung. Die an sich ist kein Problem, wenn alle damit leben können. Das tun sie aber offensichtlich nicht und das wusste er. Diese Lüge zieht nun eine Lüge nach der anderen nach sich und alle sind wie kleine Widerhaken, die sich, wenn alles auffliegt, tief ins Fleisch eingraben. Egal wie man sich nachher aus der Affaire zu ziehen versucht, es wird Wunden hinterlassen. Ist aber darum die Lüge und das immer weitere Lügen der bessere Weg? Ich weiss es nicht. Aber: Einfach ist es sicher nicht.
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Ich weiß nicht, ob Du mich richtig verstanden hast:
Beide Frauen aus meinen Beispielen können sich natürlich trennen, aber sie sind nicht bereit die Folgen, die das beinhaltete, zu tragen.
Die erste Frau, die ja von unserer Beziehung weiß, ebenso wenig wie der Mann selbst. Für sie wären die Folgen auch wirklich groß: Verlust von allem, was sie hat, es wäre ein völiger Neuanfang notwendig, für den sie wohl nirgendwo genünged unterstützung bekommt. ICH würde mich wohl trotzdem trennen. Geht nicht gibt es nicht. Aber ich bin nicht sie.
Die zweite Frau, die nichts weiß, könnte sich besser trennen, denn finanziell hätte sie keine Probleme, und die Gesellschaft würde sie als betrogene Frau massiv unterstützen. Aber sie verschließt (wohl) die Augen, sie wird wissen, wie ihr Mann ist. Ihr Leben würde ebenfalls zersplittern.
Ich an der Stelle beider Frauen würde die Wahrheit wissen wollen. Ich war auch immer schon in die Lage, die Konsequenzen zu ziehen und mein Leben umzukrempeln. Aber viele Menschen wollen und können genau das nicht. Und deshalb: Manchmal ist die Lüge der bessere Weg. Nur wann?
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Liebe Grüblerin,äusserst dankbar las ich Deine ehrlichen Fragen und fühlte, im derzeitigen Alleingang, prompt ein Gegensatz von der Lüge zur Liebe. Lüge zentriert und erhebt das Ich – Liebe lebt dengemeinschaftlichen Austausch der Wahrnehmung im Wir. Doch schon in den weiteren Zeilen deiner wunderbar offenen Fragestellung, hörte ich den vergangenen Beziehungsmodus in mir schwingen. Ist man zu sehr im Wir, verliert sich der Bezug zum Ich und eine Lüge ist schnell geschaffen und somit auch ein neuer Raum zum Ich-sein. Daraus resultierend aber auch immer eine Trennung des „Wirs“. Passend dazu Deine abschliessende Frage,lebt nicht immer einer vor und der andere folgt? Gerade der weibliche Anteil eines Liebesmoduls neigt aufgrund der heimeligschaffenden Bindungshormone schnell zur Selbstaufgabe und übersieht dabei schnell ihr eigenes Heimeligsein. Vielleicht sogar so sehr, dass es sich selbst anlügt. Als derzeit aussenstehende kann ich gut rumsamen, dass ich die Liebe als ein Gewächs betrachte, dass aus Vertrauen und Respekt besteht und die Lüge ein übles Gift für diese zarte Pflanze in den heutigen ohnehin zu harten Witterungen ist. Habe ich vielleicht die verlebten Wahrheitsgrauzonen vereinsamt..Dennoch habe ich nicht vergessen, wie jede noch so kleine aufgedeckte Lüge meine Liebespflanze langsam zerfrass-egal ob sie von ihm oder mir ausging. Fazitär möchte ich ganz leise flüstern, achte Dich, Deinen Raum, Deine Werte und Deine Erwartungen an Vertrauen und Respekt und drücke sie aus; anstatt sie liebevoll zu unterdrücken. Lautflüsternd, ich weiss. Dennoch möchte ich weiterflüstern, dass meines Erachtens im Schweigen Deine Meinung und Werte häufig besser gebären als im Wir; solang Du Dich, ihn oder Euch nicht totschweigst…Ich+Du = Wir. Die wohl schwierigste mathematische Berechnung,obwohl das Ergebnis bereits vorhanden ist 😉 Danke, für Deine Fragen
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Die weibliche Selbstaufgabe ist sicherlich ein grosses Thema. Noch immer scheinen wir in den Rollen des Gefallenwollens zu stecken, denken, uns anpassen zu müssen, es nicht wert zu sein, die eigenen Bedürfnisse durchzusetzen. Auch das ist sicher eine Form der Lüge, man verleugnet sich selber, das eigene Sein. Wer führt dann noch die Beziehung?
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Das ist die Frage, ist die Treue zu sich selbst in einer Beziehung überhaupt möglich? Und ist sie es nicht, fängt mit dieser Untreue nicht schon die Lüge an?
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dazu fallen mir nur herzlichste zwei buchstaben ein-beginnend mit einem „J“ und endend mit einem „a“…
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