Vor der eigenen Türe kehren

„Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest.“ (Mahatma Ghandi)

Wenn der andere nur ein wenig anders wäre, wenn er sich nur ein bisschen ändern könnte, wäre das Zusammenleben viel leichter. Wer hat nicht schon so gedacht und sich gleich daran gemacht, Änderungswünsche anzubringen. Leider ist es eine alte Weisheit, dass man andere kaum ändern kann – ändern kann man nur sich selber.

Änderungswünsche an andere Menschen bringen meist nur Unfrieden und vergiften das Klima. Der andere denkt, er sei so, wie er ist, nicht in Ordnung, was ihn sicher nicht in Freudentaumel ausbrechen lässt. Zudem ist man selber immer mehr enttäuscht, wenn trotz mehrfacher Aufforderung keine Veränderung sichtbar wird.

Was also tun? Veränderungen fangen bei einem selber an. Statt beim nächsten Streit Veränderungen beim Gegenüber zu fordern, könnte man sich auch fragen, was man selber ändern könnte, um zukünftig Streitigkeiten zu vermeiden. Meist tragen immer zwei zu einem Streit bei – was ist der eigene Anteil? Und: Kann ich daran etwas ändern? Dabei geht es nicht um Komplettveränderungen oder gar das Verleugnen ganzer Wesenszüge. Oft sind es eigene Seiten, die man selber an sich nicht mag, unbewusste Verhaltensmuster, die uns auf eine Weise reagieren lassen in Situationen, die weder der Situation angemessen noch einem friedlichen Miteinander zuträglich sind.

Wenn ich also wieder einmal die Welt verändert sehen möchte, frage ich mich: Lebe ich selber so, wie ich es mir von den anderen Menschen auf dieser Welt wünsche?

Ausbruch aus der negativen Spirale

„Ein grosser Teil des Leidens ist hausgemacht.“ (Dalai Lama)

Das Wetter ist schlecht, obwohl ich Pläne habe, eine Verkäuferin bedient mich unfreundlich oder gar nicht, ein Freund sagt etwas zu mir, das mich verletzt – die Liste liesse sich endlos weiter ziehen. All diesen Situationen gemeinsam ist, dass sie nicht so waren, wie ich sie mir gewünscht hätte. Ich litt. Und: Obwohl die Situation nun vorbei ist, leide ich weiter. Weil ich sie nicht aus den Gedanken verbannen kann, sondern diese ständig weiter um die ganze Sache drehen.

Ist nun wirklich die Situation an meinem Leiden schuld? Oder trage ich nicht zumindest eine Mitschuld? Es gibt Dinge, die ich schlicht nicht ändern kann. Da aus anderen Erwartungen heraus mit dem Schicksal zu hadern, bringt wenig mehr als Leiden – und das ist selbstgemacht. Und auch wenn Situationen unschön sind, wenn sie vorbei sind, könnte ich sie abhaken. Doch ich halte sie fast krampfhaft am Leben durch meine Gedanken. Ich erzähle mir immer und immer wieder, was mir passiert ist, erzähle es auch anderen und ärgere mich bei jedem Erzählen von Neuem. Ich verfange mich selber in einer negativen Spirale und lasse nicht los.

Wenn das wieder mal passiert, könnte ich auch anders reagieren? Könnte ich nicht hinschauen und mich fragen, ob das alles wirklich nötig ist, was ich tue? Was bringen mir die negativen Gedanken bezüglich des Wetters? Wäre es nicht sinnvoller, ein Alternativprogramm zu suchen? Und selbst wenn ich gefrustet bin: Wieso halte ich diesen Frust fest, selbst wenn der Tag gelaufen und eigentlich ein neuer, schöner Tag da ist? Gehören all die negativen Gefühle, die ich immer wieder heraufbeschwöre, wirklich ins Hier und Jetzt oder produziere ich sie selber durch meine Gedanken? Könnte ich damit aufhören? Gäbe es aktuell etwas Erfreuliches, an das ich viel lieber denken würde?

Erkenne dich selbst

„Gnothi seauton – erkenne dich selbst!“ (Inschrift am Apollotempel in Delphi)

Wer bin ich und wer will ich sein? Wie reagiere ich in schwierigen Situationen? Welche Motive stecken hinter meinen Handlungen?

Eigentlich einfache Fragen, doch sind sie selten leicht zu beantworten. Oft laufen wir mit einer Art Autopilot durchs Leben, unsere Reaktionen kommen aus dem Affekt, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, auch viele Handlungen sind zu Automatismen geworden, so dass wir nicht mehr darüber nachdenken, was wir wann tun – wir tun es einfach aus einer Gewohnheit heraus. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, da es uns den Alltag erleichtert, genauer hinschauen müssen wir nur, wenn wir immer wieder in ähnliche Situationen geraten, die uns nicht gut tun: Bei Streit in der Partnerschaft, Konflikten im Büro oder auch eigenen Reaktionen auf Situationen, die im Nachhinein eher zu unserem Schaden sind.

Was ist mein Anteil an dem Ganzen? Woher kommt mein Verhalten? Und wenn man das erst mal erkannt hat, kann man das verändern, was zu leidvollen Situationen führt. Das mag nicht immer einfach sein, sind die eigenen Verhaltensmuster doch tief eingeprägt und Veränderungen brauchen immer Zeit und Anstrengung, aber: Es kann helfen, wenn man sich bewusst ist, in welchen Situationen gewisse Muster auftreten, um dann statt gleich zu reagieren, erst mal durchzuatmen. Das verschafft Zeit, die eigene Reaktion zuerst zu überdenken, um sie gegebenenfalls anzupassen.

Und: Wenn es mal nicht gelingt: Die nächste Gelegenheit wird kommen.

selbsterkenntnis

wir reden viel
und hören wenig
wollen tun und
machen nichts

wir rasen durch
und warten kaum je
wollen sein wo
wir nicht sind

Wir hoffen stets
und sehen gern nur
unser Ziel nicht
das was ist

vergessen so
was einzig wichtig
für uns ein- und
hinzusteh’n.

denn nur wer sieht
wo er grad feststeckt
wird je sein wo
er hin will.

©Sandra Matteotti

Mit Facebooktests zur Selbsterkenntnis

Es gibt ja diese netten Facebook-Tests. Ich mag die, mache sie immer wieder. Einige denken dann jedes Mal, sie müssten mich drauf hinweisen, dass die nichts taugen, dass da nie was rauskommt. Ich verkneife mir jeweils, sie eines Besseren zu belehren. Andere finden, ich hätte zu viel Zeit, dass ich die mache. Auch hier verkneife ich mir den Hinweis auf Zeitmanagement und dass es nicht ganz richtig sein könne, wenn man sich nicht mal einen Spass erlauben kann.

Dank Facebook habe ich nun also herausgefunden, welches Tier ich wäre, wer ich im letzten Leben war, welches meine Farbe ist und in welchem Märchen ich lebe. Ich kenne meinen Song, weiss den Film, aus dem ich entstamme und auch, wer mich in meiner Biographie spielen würde.

Nachdem mir nun Facebook über viele Fragen immer wieder zeigte, wer ich bin, kam mir heute – so quasi aus dem Nichts (das natürlich nie nichts, sondern ganz viel ist) – das Resultat in den Sinn, für welches ich noch auf den Test warte: Was ist deine herausragendste Eigenschaft? Resultat: Gutgläubigkeit.

Der Text dazu:

Du glaubst immer an das Gute im Mensch. Wenn dir jemand etwas erzählt, gehst du davon aus, dass er die Wahrheit spricht. Du vertraust den Menschen, bis du auf die Nase fällst, und bist auch dann bereit, eine zweite Chance zu geben – wenn nötig auch eine dritte und vierte. Solltest du mal zögern, reicht ein treuherziger Blick und ein „Ich mach es nie wieder“, dich weichzukochen.

Ich würde mich total wiedererkennen. Vermutlich würde ich den Test nicht online stellen, denn stolz bin ich nicht drauf. Ab und an schelte ich mich gar dumm, naiv, weltfremd. Und doch schaffe ich es nicht, davon auszugehen, dass Menschen von Grund auf schlecht sind. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie davon haben, andere zu belügen, zu betrügen, schlecht zu behandeln oder nur schon in Kauf zu nehmen, dass sie leiden. Und ich möchte das auch nicht.

Aus dem Grund habe ich mich vielleicht ein bisschen zurückgezogen. Ich möchte mein Bild des Menschen als gutem Menschen nicht ändern. Aber ich möchte verschiedene Erfahrungen nicht mehr machen. Eine Gratwanderung zwischen Selbstschutz und Mauerbau. Die Durchlässigkeit soll bleiben, aber es muss nicht jeder rein. Ich bin der Torwart, der entscheidet, wer gut tut und rein darf, wer mir nicht gut tut und besser draussen bleibt.

Rezension: Irvin D. Yalom: Und Nietzsche weinte

Werde, wer du bist

Doktor Breuer,
ich muss Sie in einer dringlichen Angelegenheit sprechen. Die Zukunft der deutschen Philosophie steht auf dem Spiele. Ich erwarte Sie morgen früh um neun im Café Sorrento.
Lou Salomé

Diese drängende Nachricht erreicht Josef Breuer in seinen Ferien. War er extra mit seiner Frau nach Venedig gereist, um alle dringlichen Angelegenheiten hinter sich zu lassen, empfindet er das Schreiben von Lou Salomé, die er noch dazu nicht kennt, als besonders störend. Trotzdem lässt er sich auf das Treffen ein und ist mehr als angenehm überrascht und angetan von dieser sehr verführerischen, selbstbewussten, gradlinigen Frau. Nur eines geistert durch seinen Kopf:

Während er in Gesellschaft Lou Salomés gemächlich frühstückte, wurde er der Ironie der Situation inne. War es nicht seltsam, wie er, der nach Venedig geflohen war, um das Unheil wiedergutzumachen, welches eine schöne Frau angerichtet hatte, hier nun im Tête-à-tête mit einer noch reizvolleren Frau zusammensass?

Lou Salomés Anliegen betrifft nicht sie selber, sondern Friedrich Nietzsche, der an einer grossen Verzweiflung leidet und um den sie sich sorgt. Josef Breuer soll sich diesem annehmen, darf dem Patienten aber nicht verraten, wer seine Auftraggeberin ist.

Nietzsche kommt eher widerwillig nach Wien, im Glauben, das Klima hier schade seiner Gesundheit. Stattdessen beginnt ein Heilungsprozess – nicht nur für Nietzsche, auch für Breuer. Beide erkennen den Mangel in ihrem Leben: Das Vertrauen in ihre Natur und ihre Lebensumstände. Während Breuer gewahr wird, dass genau das beschauliche Familienleben, das er führt, ihm entspricht, er also nichts bereuen muss, sieht Nietzsche, dass sein Naturell das eines Rastlosen ist, der erforschen will.

Und der Mensch Nietzsche? ‚Verkehren wir nach wie vor ausschliesslich als gemeinsam Forschende miteinander?’ fragte sich Breuer. ‚Immerhin kennt er mich besser – oder weiss zum mindesten mehr von mir – als jeder andere. Bin ich ihm zugetan? Ist er mir zugetan? Sind wir Freunde?’

Und Nietzsche weinte handelt vom Leben und von der Selbsterkenntnis. Es geht darum, wie einer wird, was einer ist und darum, wie Psychotherapie damit umgeht. Yalom lässt Psychiatrie und Philosophie aufeinandertreffen und das Leben diskutieren. Breuer ist beauftragt, Nietzsche zu helfen und lernt dabei viel über sich selber kennen. Neben Nietzsche und Breuer treten noch weitere Namen wie Bertha Pappenheim, Lou Salomé, Paul Ree und Sigmund Freud auf, reden über ihre Gedanken, über ihre Sicht des Lebens und der Welt, über die Liebe, Sexualität, Narzissmus – und vieles mehr.

Zwar haben sich Breuer und Nietzsche nie persönlich getroffen, allerdings ist es durchaus realistisch, dass ihre Gespräche genauso ausgesehen hätten, wie Yalom diese beschreibt. Der Roman zeugt von grosser Belesenheit, akribischer Recherche und umfassendem Verständnis der jeweiligen Theorien, die er in einer klaren und doch der Zeit, in der der Roman spielt, angepassten Sprache und in eine fiktive Geschichte verpackt seinen Lesern präsentiert. Trotz der grossen thematischen Tiefe und der vielen Theorien und Hintergründe bleibt das Buch lesbar, wirkt nicht überladen oder theoretisch trocken.

Fazit:
Philosophie und Psychiatrie, historische Charaktere und die Stimmung Wiens Anfangs des 19. Jahrhunderts – dieser Roman vereint alles und er tut dies auf eine lesbare und literarisch grossartige Weise. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Irvin D. Yalom
Irvin D. Yalom wurde am 13. Juni 1931 als Sohn jüdisch-russischer Einwanderer in Washington, D. C., geboren. Während die Eltern mit dem Lebensmittelladen und dem ökonomischen Überleben beschäftigt waren, zog sich der Sohn von der verarmten und gewalttätigen Nachbarschaft in die Welt der Bücher zurück. Die Liebe für Geschichten und deren biographische Bedeutung beeinflusste seine Studienwahl: Medizin mit der Fachrichtung Psychiatrie. Sein erstes Fachbuch, „Theorie und Praxis der Gruppentherapie“, enthielt zahlreiche biographische Fallvignetten, die den Band mit 700.000 Exemplaren zu einem Verkaufsschlager weit über Expertenkreise hinaus werden ließen. Yalom hat vier erwachsene Kinder und zahlreiche Enkel.

Angaben zum Buch:
YalomNietzscheTaschenbuch: 448 Seiten
Verlag: btb Verlag (4. Februar 2008)
Übersetzung: Uda Strätling
ISBN-Nr.: 978-3442737284
Preis: EUR 9.99 / CHF 14.90

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Selbsterkenntnis

Wir haben nie nach uns gesucht – wie sollte es geschehen, dass wir uns eines Tages fänden? (F. Nietzsche, Genealogie der Moral)

„Wer suchet, der findet“ heisst es so schön im Volksmund. Manchmal findet man auch etwas, das man nicht gesucht hat. Des Weiteren gibt auch die Momente, in denen man sucht und sucht – die Nadel im Steckhaufen, doch sie bleibt verborgen. Alles Suchen scheint ins Leere zu laufen, höchstens vorübergehende Funderfolge zu liefern, keine überdauernden. Das mag ab und an frustrieren, wollen wir doch als Menschen alles wissen, alles kennen, über allem stehen. Wir sehen uns als Beherrscher der Welt, der Natur, stehen gerne über den Dingen und auch über anderen Menschen. Wer zuoberst steht, der hat gewonnen.

Der Mensch ist begrenzt, alles, was er findet, muss im Rahmen seiner Möglichkeiten – vor allem der sinnlichen – liegen. Zwar können wir die so wahrgenommenen Dinge weiter denken, sie durch unsere Gedanken weiter entwickeln, daraus Schlüsse ziehen, die über das direkt Wahrgenommene hinausgehen. Aber auch dieses Denken hat Grenzen, natürliche Grenzen. Der Mensch ist nicht auf die umfassende Wahrheit ausgerichtet, sondern darauf, zu überleben. Das weiss man spätestens seit Darwin, das war aber auch vorher schon immer wieder Thema und Theorie. Viele Philosophen wollten den Menschen über allem stehend sehen, ihn quasi zum Übermenschen erklären. Nietzsche hat den Menschen als Tier gesehen, der sich selber ständig überschätzt und überstilisiert. Schopenhauer hat dem Menschen seine Begrenztheit vor Augen geführt, indem dieser die Welt nur sieht, wie er sie wahrnehmen kann. Nie objektiv, immer durch die eigene Brille. Kant hat sich der subjektiven Weltsicht angeschlossen, in dem er fragte, ob man sicher sein kann, ob etwas grün ist oder nur das Auge eine grün gefärbte Glasscheibe, die den Gegenstand grün erscheinen lässt.

Was wissen wir von der Welt, woher nehmen wir so oft die Sicherheit, alles richtig zu sehen und zu wissen, wie der sprichwörtliche Hase läuft? Grundsätzlich können wir es nicht wissen, wir können es im allerbesten Fall ahnen, es uns ausmalen, aus schlüssigen Argumenten zu einer Meinung kommen, die eher Glaube als Wissen ist. Wir nennen es Wissen, weil wir unserer Argumentation glauben wollen und weil wir uns über Wissen definieren. Wissen ist Macht. Wer mehr weiss, wird es weiter bringen. Die, welche Nichtwissen zugeben, zaudern, werden den Fuss nie auf die höchste Stufe der Leiter bringen. Sie sind die ewigen Zauderer, die, welche es eben nicht wissen. Dass sie im Grunde genommen recht haben, ist dabei irrelevant.

Das mag alles stimmen, doch bleibt auch zu sagen, dass man sich für Dinge entscheiden muss, will man überleben – und nur darauf kommt es an in der Evolution. Wenn ich 5 Tage überlege, ob ich nun besser ein Brot oder einen Apfel esse, dabei nichts esse und das Trinken vergesse ob all des angestrengten Nachdenkens, wird die Frage irrelevant, da ich schlichtweg verdurstet bin. Das eigene Überleben fordert von uns Entscheidungen und die treffen wir nur dann, wenn wir das, wofür wir uns entscheiden wollen und sollen, als wahr und richtig erkennen und ihm aus diesem Grund folgen wollen und können. Dass wir dies können bedarf, dass wir wissen, wer wir sind und was wir wollen. Und schon haben wir das nächste Problem.

Klar kann man einfach tun, was von anderen für richtig gehalten wird. Sie werden schon Recht haben und da sie alle überlebt haben (zumindest die heutigen Entscheidungsträger bis jetzt) kann ihr Entscheid so falsch nicht sein. Zumindest nicht tödlich und überleben ist schon mal die halbe Miete. Um aus Überleben Leben zu machen, braucht es aber eine Nuance mehr – nämlich das eigene Zutun. Wer bin ich und wer will ich sein? Das ist bei der „Brot oder Apfel“-Frage nicht wirklich relevant, bei tiefer gehenden Fragen wie „Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um?“, „Welcher Zweck heiligt welche Mittel?“, „Wo liegt die Grenze des Erlaubten? Wo die des Gewollten? Wo die des Gekonnten?“ wird es schon wichtiger.

Wir werden uns nie ganz erkennen können, dazu ist unser Denken und Sein zu beschränkt. Die moderne Hirnforschung kommt zu immer neuen Schlüssen, will aufdecken, wer der Mensch ist, wie er funktioniert. Sie behauptet ab und an, es gäbe gar kein „Ich“ im Menschen, alles sei blosse Aneinanderreihung von chemischen und physikalischen Prozessen. Auch sie bleibt die letzte Antwort schuldig, so wird es nach der hier vertretenen Auffassung auch immer bleiben. Das ist aber kein Beinbruch, denn die umfassende Wahrheit ist in meinen Augen nicht nötig. Wir leben gut mit der Meinung, dass es uns als „Ich“ gibt und wir über einen freien Willen verfügen, der es uns ermöglicht, die Dinge in Frage zu stellen, uns selber damit. Wir leben gut damit, zu glauben, dass wir wissen und wir uns an diesem Wissen orientieren können. Selbst wenn das alles eine Illusion sein sollte, wenn wir also keine freie Wahl haben, so bleibt doch eine Tatsache, dass es immer zwei Möglichkeiten gibt, zu entscheiden: Dafür und dagegen. Welche wir treffen, liegt irgendwie bei uns und damit an der Frage, wer wir sein wollen, wenn wir entscheiden, wie wir handeln sollen.