Eine Geschichte: Quo Vadis? (XXXXVII)

Lieber Papa

Die Reise ging weiter und weiter. Während du im Bett lagst, verschwand immer mehr von dir. Das Leben zog mehr und mehr aus. Und in mir wuchs die Leere. Irgendwann kam der Moment, als sie nochmals reden wollten. Alle miteinander sollten wir darüber reden, wie es weitergehen solle. Weitergehen?

«Papa kann heim.»

Sagte Mama am Telefon.

«Das ist unmöglich. Papa kann nicht heim.»

Und wenig später sagte ich:

«Ich komme!»

Du hattest immer gesagt, du wolltest nicht in einem Spital sterben. Das sollte ermöglicht werden. Auch wenn du eigentlich zu schwach für eine Reise warst. Wir standen alle um das Bett versammelt. Die Ärzte erklärten die Situation und die verbleibenden Möglichkeiten: Keine. Die Pflegefachkräfte erzählten, was für ein lieber Mann du seist, wie dankbar und höflich. Es klingt blöd, aber ich war stolz auf dich. Fast fühlte es sich an wie Mutterstolz. Verkehrte Welt. Ich schien plötzlich ich in der Rolle, aufpassen zu müssen. Auf dich.

Du lagst da und schwiegst. Während alle anderen redeten. Und argumentierten. Und irgendwie auch nichts sagten. Nichts von Belang.

Sie erzählten, was es zu Hause brauche, Mama wollte es besorgen. Du schwiegst.

«Sie wollen doch nach Hause?»

Das fragte plötzlich ein Arzt. Du stelltest dich schlafend. Um Schweigen zu können. Sie besprachen weiter das Organisatorische. Ich sah, dass du es hörst. Ich am zu dir ans Bett, setzte mich. Schaute dir in die Augen. In deine kleinen, lieben, müden Augen.

«Papa, was willst du? Hier bleiben oder nach Hause?»

Du schautest mich an. Öffnetest den Mund. Es kam kein Ton. Du schautest mich nur an. Mit einem traurigen Blick. Es zerriss mir das Herz. Aber nein, das war unnmöglich. Das lag schon lange in Fetzen.

«Wollen wir bis Ende Woche schauen, wie alles geht, und dann entscheiden?»

Du nicktest. So würden wir es machen. Ich verabschiedete mich von dir. Ich umarmte dich, küsste dich. Du drücktest mich leicht. Es muss dich deine ganze verbleibende Kraft gekostet haben.

«Ciao, Papa!»

«Ciao!»

(«Alles aus Liebe», XXXXVII)


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