Werkstattgespräche – Peter Prange

Foto: Gaby Gerster

Peter Prange, 1955 in Altena geboren, tauchte zuerst studientechnisch in die Romanistik, Germanistik und Philosophie ein und promovierte über die Sittengeschichte der Aufklärung. Den Einstieg ins elterliche Bettengeschäft konnte er sich nicht vorstellen, stattdessen versuchte er sein Glück als Unternehmensberater und in der Wissenschaft, um sich dann dem Schreiben zuzuwenden. Mit dem Bernstein-Amulett gelang ihm der Durchbruch, von da an führte er seine Leser mit seinen Geschichten erzählend durch die Jahrhunderte und Jahrtausende, bevölkert die verschiedenen Zeiten mit seinen Figuren und lässt sie so wieder lebendig werden.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Geboren im Sauerland („Wo Misthaufen qualmen, gibt’s keine Palmen“), lebe ich seit meinem Studium in Tübingen, dem Zentrum der Weltabgeschiedenheit – der perfekte Ort, um zu schreiben. Meine persönliche Biografie ist so langweilig, dass ich mein Leben fortwährend durch die Geschichten substituiere, die ich in meinen Romanen erzähle.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Ich wurde mit einer Dissertation über französische erotische Literatur promoviert: „Das Paradies im Boudoir.“ Welchen Beruf soll man mit einer solchen Ausbildung sonst ergreifen?

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Die Grundideen für meine Bücher fallen buchstäblich vom Himmel auf mich herab, ich kann gar nichts dafür. So kann ich auf die Minute genau bestimmen, wann ich zum Schriftsteller wurde: Am 19. August 1989 um 21:45 Uhr. An dem Tag machte das heute journal mit den Bildern der DDR-Bürger auf, die in Ungarn durch einen Zaun in den Westen flüchteten, Sinnbild des Endes einer Epoche – der Eiserne Vorhang war gefallen. In dem Moment hatte ich die Vision einer Geschichte, die ich selbst gern gelesen hätte: Eine Familie feiert gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ein großes Familienfest, zum Beispiel eine Hochzeit, dann schlägt die Faust Gottes in Gestalt des Kriegsendes in diese Familie hinein und zerstreut deren Mitglieder über ganz Deutschland. Diese brauchen dann ein halbes Jahrhundert, um wieder zusammenzufinden. Die Geschichte des geteilten und wiedervereinten Deutschlands vom Zusammenbruch bis zum Mauerfall. Da niemand sonst diese Geschichte geschrieben hat, musste ich das selbst tun. Dabei herausgekommen ist mein erster Roman, „Das Bernstein-Amulett“. – Ein solcher Einfall stehlt immer am Anfang meiner Romane. Damit stehen die großen Linien fest und es beginnt die Zeit der Arbeit, im Wechselspiel von Imagination und Recherche. Die Etappen dabei sind ein Kurzexposé, in dem ich mir das Warum und Wie der der Geschichte selbst klarmache, dann folgt eine Art Bildertreatment, in der ich Schritt für Schritt die Entwicklung der Handlung wie auch der Protagonisten skizziere, bevor ich mich schließlich an die Ausgestaltung mache.

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Es klingt wie ein Witz, aber es ist so: Ich kann nicht schreiben, zumindest nicht von Hand verkrampft, denn dabei verkrampgt sich meine Muskulatur so sehr, dass nur völlig unleserliches Gekrakel dabei herauskommt. Weshalb ich seit den 80er Jahren ausschließlich am PC arbeite. 

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit oder stören dich andere Menschen nicht?

Mein größter Feind ist meine innere Unruhe. Ich kann mich nicht länger als einen Satz lang konzentrieren, weshalb ich alle paar Minuten aufstehe, telefoniere, in meiner virtuelle Caféteria namens Facebook „Freunde“ auf einen Sprung besuche, kurz vor die Haustür trete und nach dem Wetter schaue usw., bevor ich den nächsten Satz schreibe. Das ist anstrengend, aber anders kann ich nun mal nicht. Also habe ich meinen Frieden damit gemacht.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Von Natur aus bin ich faul und undiszipliniert. Also habe ich mir eine extreme Disziplin angewöhnt. Ich frage mich nie, ob ich inspiriert bin oder nicht, die Antwort wäre ja immer dieselbe: morgen, morgen, nur nicht heute … Also betrete ich jeden Morgen pünktlich um neun mein Arbeitszimmer, öffne weit das Fenster und bitte die Muse freundlich zu mir herein, mich zu küssen. Manchmal kommt sie, meistens nicht. Aber nie kann sie behaupten, ich sei nicht dagewesen.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Schreiben ist wahnsinnig anstrengend, oft auch quälend, man ist ja immer allein, hat niemand anderes als Gesprächspartner außer sich selbst – eine Arbeit für jemand, der Vater und Mutter erschlagen hat. Aber ich tue wahnsinnig gern geschrieben haben.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Nein. Nie.

Deine Romane spielen in der Vergangenheit, was reizt dich daran, diese Zeiten wieder aufleben zu lassen?

Die Antwort ist ebenso unoriginell wie zutiefst ernst gemeint: Um zu erkennen, wie ich wurde, der ich bin bzw. nicht geworden bin.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und seines Umfelds, wie viel von dir steckt in deinen Romanen, in einzelnen Figuren drin?

Ich denke, die Grundvoraussetzung für einen Autor ist eine solide multiple Persönlichkeit. Meine Protagonisten sind allesamt Ausgeburten meiner eigenen Seele, auch die historischen. Wobei ganz interessant ist, dass mir die Schurken immer leichter fallen als die sogenannten Guten.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Mein Credo lautet: Komplexe Geschichten einfach erzählen, ohne simpel zu sein. Wie andere das einordnen, ist mir mittlerweile egal. Zumal ich Horaz auf meiner Seite weiß. Ich zitiere aus dem Kopf: „Aut delectare aut prodesse volunt poetae, aut simul iocunda et idonea dicere vitae.“ Ars poetica, Vers 333 

Dein Buch „Unsere wunderbaren Jahre“ wurde verfilmt. Wie warst du da involviert? Hast du das Drehbuch geschrieben oder mitgeschrieben? Warst du bei der Auswahl der Schauspieler oder am Set dabei?

Die Antwort auf jede Frage lautet nein. Wenn man die Verfilmungsrechte an einen Produzenten verkauft hat, kann er mit dem Stoff machen, was er will.

Wie war es für dich, dein Buch plötzlich als Film zu sehen?

Überraschend. Ich habe mein Buch kaum wiedererkannt. Aber das ging mir bei der Verfilmung meines ersten Romans „Das Bernstein-Amulett“ nicht anders.

Was treibt dich immer wieder an, noch ein Buch zu schreiben? Oder anders gefragt: Wäre ein Leben ohne zu schreiben denkbar für dich?

Nein. Ich kann und will nichts anderes als schreiben. Und das Schreiben ist so wohltuend anders als das wahre Leben. Beim Schreiben bin ich der manchmal liebe, manchmal böse Gott. Nur ich allein habe das Sagen, alle Figuren hören auf mein Kommando. Na ja, meistens … Oder manchmal … Oder vielleicht auch eher selten … 

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und weiso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Darauf habe ich keine pauschale Antwort. Manchmal fasziniert mich das Thema, ein anderes Mal die Sprache, dann wieder die Geschichte. Idealerweise natürlich, wenn alle drei Aspekte zutreffen. Nur eines darf ein Buch nicht: mich langweilen.

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Die Finger davon zu lassen. Oder, um es mit einem Psalmvers zu sagen: «Und ist es auch köstlich gewesen, so war es nur Mühe und Arbeit.» Soll heißen: Man sollte sich alles vor Augen führen, was das Schreiben eines Buches kostet. Verzicht auf einträglichere Arbeit, Verzicht auf Freizeit und Müßiggang, Leben in Isolationshaft, permanente Selbstzweifel bis zur Verzweiflung und Schreibblockaden, die Angst vor dem Scheitern, das Verlachtwerden durch das Publikum, die Einsicht am Ende, dass das eigentlich alles Quatsch ist, was man da macht, immer wieder Geldsorgen – und nicht zuletzt die Frage, ob man das alles nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Liebsten zumuten will. – Will man nach ehrlicher Selbstprüfung dann immer noch schreiben – nun denn, mit Gottes Segen!

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Für die, welche nun Lust zum Lesen bekommen haben, hier zwei Empfehlungen:

Peter Prange: Der Traumpalast

«Ach, was war das Leben doch für eine grossartige Erfindung… Heute, so seine Hoffnung, würde sein Leben endlich wieder in jene erfreulichen Bahnen zurückkehren, die der liebe Gott oder wer auch immer sein Schicksal leitete, seit Anbeginn der Schöpfung für ihn vorgesehen hatte.»

Rahel, eine junge und mutige Journalistin kämpft für ihren Weg in einer Domäne, die für Frauen nicht vorgesehen ist, Tino, Bankier und Freund der schönen Künste, gründet mit der Ufa ein Pendant zu Hollywood. Als die beiden sich begegnen, treffen

grosse Träume, Freiheitssehnsucht, Liebe und Politik aufeinander. Worauf nun setzen und bauen? Es bleibt kein Stein auf dem anderen und das Leben der beiden nimmt eine ungeahnte Wendung.

Peter Prange: Unsere wunderbaren Jahre

«Stell Dir vor, wir zögen in die Ferne, unser Traumland anzuseh’n… Über uns der Mond und tausend Sterne, unser Glück wär’ traumhaft schön…»

Stell dir vor, du hättest Träume und könntest neu anfangen, die Welt stünde dir offen und du hättest 40 DM Startkapital. So geht es sechs jungen Leuten am Tag der Währungsreform 1948. Jeder sucht sein Glück, jeder geht seinen Weg und jeder ist Kind seiner Zeit und repräsentiert diese. Entstanden ist ein Porträt verschiedener Familiengeschichten und ihrer Verbindungen über Generationen sowie ein episches Bild der  Zeitgeschichte.


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