„Dass die Menschen besser lernen, im Dialog zu sein“

Für uns als Gesellschaft würde ich mir wünschen, dass die Menschen besser lernen, im Dialog zu sein, aufeinander zu achten, anderen Meinungen und dahinterstehenden Ängsten und Sorgen offen gegenüberzutreten.

Vor einiger Zeit fragte mich Walter Pobaschnig an, ob ich bereit wäre, ihm für ein Interview ein paar Fragen zu beantworten. Ich war bereit und erzählte über meinen Tagesablauf, meine Gedanken, was ich in unserer Zeit wichtig oder wünschenswert finde und welche Rolle Kunst und Literatur in meinen Augen haben. Herausgekommen ist dieses Interview:

5 Fragen an KünstlerInnen zur Gegenwart – Sandra von Siebenthal

Das Zitat am Ende stammt übrigens von Rilke:

Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.

Carsten Henn – Nachgefragt

Carsten Henn wurde 1973 in Köln geboren, studierte zuerst Völkerkunde bis zum Magister, 1997 in Adelaide/Australien neben Völkerkunde auch Yoga und Weinbau. Danach war er erst Radiomoderator, betrieb eine wöchentliche Comedy-Show und arbeitet heute als freier Weinjournalist für nationale und internationale Magazine und prämiert als Mitglied verschiedener Jurys Weine. Daneben schreibt er in diversen literarischen Genres.

Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biografie erzählen?

Ich bin ein Autor und eigentlich war ich nie etwas anderes. Als ich noch nicht schreiben konnte habe ich mir miserabel gereimte Liedtexte ausgedacht und meine Familie damit malträtiert. In der Grundschule habe ich dann im Alleingang eine Schülerzeitung geschrieben – und selbst kopiert.

Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen konkreten Auslöser?

Kurzfristig wollte ich auch Astronaut, Detektiv und Koch werden, aber Schriftsteller kam direkt danach. Das Gute am Schriftstellerdasein: auf eine gewisse Art kann man dabei alles sein, was man will. Und die Weltraumforschung wie auch Restaurantgäste sind sicher froh, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.

Sie haben in verschiedenen Genres geschrieben, unter anderem Krimis, darunter auch kulinarische Kurzkrimis oder Sachbücher und sie machten „literarische Ausflüge“, wie sie es selber nennen. Daneben entdecken sie Wein, sind selbst Besitzer eines Weinbergs und schreiben journalistisch über Wein und Genuss. Wäre es nicht einfacher, immer im gleichen Gewässer zu fischen oder brauchen Sie die Abwechslung, um sich nicht selbst zu langweilen? Und: Reichen 24-Stunden-Tage, das alles unter einen Hut zu bringen?

Es wäre sicher einfacher immer im selben Gewässer zu fischen, aber auch langweiliger. Ich bin neugierig und folge konsequent meinen Leidenschaften. Und erst hinterher schaue ich in meinen Terminkalender. Allerdings ist es irgendwie schon dasselbe Gewässer, aber ein großes: dass des Genusses. Darin finden sich zum Beispiel Weine, Whiskys, oder gutes Essen aber auch Bücher. Und in diesem Gewässer bin ich sehr, sehr gerne Fisch.

Woher holen Sie Ihre Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte daraus?

Wenn ich wüsste, wo die Ideen herkommen, würde ich jeden Tag hingehen, um mir ein paar zu holen. Ich weiß es nicht, und irgendwie ist genau das auch das Schöne daran. Sie kommen irgendwoher, man muss nur bereit sein, wenn sie anklopfen.

Wenn Sie auf Ihren eigenen Schreibprozess schauen, wie gehen Sie vor? Mit Papier und Stift oder am Computer? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreiben Sie drauf los und schauen, wo das Schreiben hinführt? Variiert das in den verschiedenen Genres?

Ich schreibe am Computer, denn ich mag die Möglichkeit Dinge hin- und herschieben zu können, Leerstellen zu lassen, die ganze Freiheit, die man hier hat. Das Grundgerüst jeden Romans steht vor dem Schreiben, bei Krimis detaillierter als zum Beispiel bei Liebeskomödien. Aber mir ist ganz wichtig während des Schreibprozesses wahrzunehmen, wie ein Roman sich entwickelt und die Figuren an der langen Leine zu lassen. Sie sollen ja ein Eigenleben entwickeln, und das verändert dann automatisch den Plot. Insofern: plotten ist extrem wichtig, aber ich hänge nicht sklavisch daran.

Wie gehen Sie mit Schreibblockaden um? Gibt es diese überhaupt?

Bei mir sind es gottseidank nur kleinere, die nie länger als drei Tage dauern. Eine solche Blockade ist immer ein Zeichen für eine unbeantwortete Frage. Die sollte man dringend klären. Insofern sind solche Blockaden hilfreich, denn sie weisen einen auf ein Problem hin, etwas das man nicht genug durchdacht hat.

Ich hörte mal, der größte Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht? Wo schreiben sie bevorzugt?

Andere Menschen stören mich nicht per se, in der Bahn kann ich zum Beispiel sehr gut schreiben. Menschen, die mit mir reden wollen, sind dagegen tatsächlich problematisch. In der Regel schreibe ich allein, nur mit meinen Katzen.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend oder sind Sie ständig „auf Sendung“? Wie schalten Sie ab?

Während eines Romans bin ich potenziell immer „auf Sendung“. Wenn ich keinen Roman schreibe, sind meine Antennen auf Empfang gestellt. Die Idee für einen Roman kann jederzeit kommen. Richtig Feierabend oder Ferien gibt es deshalb nicht. Das will ich aber auch genau so.

Goethe sagte einst, alles Schreiben sei autobiographisch. Wie viel von Carsten Henn steckt in Ihren Büchern, zum Beispiel in Ihrem neusten Roman „Der Buchspazierer“?

Die Hauptfiguren sind von meinem Vater und meiner Tochter inspiriert. So klare Inspirationen sind aber eher ungewöhnlich für mich. Ich versuche auch grundsätzlich nicht zu hinterfragen, wie viel von mir in einer Figur steckt, das nimmt dem Schreibprozess seine Unschuld und auch sein Mysterium. Mir fällt deshalb manchmal erst Jahre später auf, was ich alles über mich preisgegeben habe, ohne es selbst zu wissen.

„Der Buchspazierer“ ist eine feinfühlige, herzerwärmende Geschichte über den Bücherfreund Carl, der seine Kundschaft mit für ihre Situation passenden Bücher versorgt. Gibt es Bücher, die Sie geprägt haben, die Ihnen wichtig sind? Gibt es Bücher, die Sie ans Herz legen möchten, weil sie diese als besonders wertvoll erachten?

Viele. Und in jeder Lebensphase andere. Eine der großartigen Sachen bei Büchern ist, wie viele verschiedene es davon gibt. Für jeden ist etwas dabei. Und das Suchen und Auswählen ist Teil des Genusses, und auf eine gewisse Weise auch schon Teil des Lesens.

Welche fünf Tipps würden Sie einem angehenden Schriftsteller geben?

Schreiben. Lesen. Nicht auf den Erfolg hinschreiben, sondern das schreiben, was einen bewegt und interessiert. Guten Kaffee trinken. Katzen anschaffen. Mindestens zwei.

Hansjörg Schertenleib – Nachgefragt

Hansjörg Schertenleib, 1957 in Zürich geboren, ist gelernter Schriftsetzer und Typograph. Seine Novellen, Erzählbände und Romane wie die Bestseller Das Zimmer der Signora und Das Regenorchester wurden in ein Dutzend Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, seine Theaterstücke auf der ganzen Welt gezeigt. Schertenleib, der auch aus dem Englischen übersetzt, u.a. Werke von Eoin McNamee und Sam Shepard, lebte zwanzig Jahre in Irland, vier Jahre auf Spruce Head Island in Maine und pendelt seit Sommer 2020 zwischen Autun im Burgund und Suhr im Kanton Aargau. Im Kampa Verlag sind erschienen: Die Fliegengöttin, Palast der Stille, Der Glückliche, die Maine-Krimis Die Hummerzange und Im Schatten der Flügel und Offene Fenster, offene Türen (HIER geht es zur Rezension).

Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biografie erzählen?

Es dauerte Jahre, um diese Frage zu beantworten… im übrigen interessiert mich die Frage ´wer könnte ich sein´ ungemein mehr denn die Frage, wer ich bin. Wer bin ich? Mehrere. Immer wieder ein Anderer. Immer wieder Andere.

Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen konkreten Auslöser?

Auch diese Frage kann ich, je länger ich schreibe, und ich tue dies nun schon fast vierzig Jahre professionell, nicht beantworten. Schriftsteller werden wollte ich ab etwa meinem 19. Lebensjahr. Warum weiss ich nicht mehr.

Woher holen Sie Ihre Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte daraus?

Arbeiten. Arbeiten. Arbeiten. Nachdenken. Nachdenken. Nachdenken. Überprüfen. Überprüfen. Überprüfen. Arbeiten. Arbeiten. Arbeiten.

Wenn Sie auf Ihren eigenen Schreibprozess schauen, wie gehen Sie vor? Mit Papier und Stift oder am Computer? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreiben Sie drauf los und schauen, wo das Schreiben hinführt?

Die erste Fassung entsteht am Laptop und auf Papier, geschrieben mit Bleistift; früher arbeitete ich mit präzisen Bauplänen, wusste also genau, wohin ich mich schreibenderweise bewege, heute schreibe ich freier, unkontrollierter, gelöster. Was auch bedeutet, dass ich mich auf Abwege begebe, Umwege liebe, Überraschungen (und diese bietet jeder Text) gerne annehme.

Wie gehen Sie mit Schreibblockaden um? Gibt es diese überhaupt?

Längere Schreibblockaden kenne ich nicht; kürzere Blockaden kenne ich sehr wohle, sehe sie allerdings nicht als Problem, sondern als zwingend und dringend nötiges Zögern und Zaudern oder unbewusstes Innehalten. Ich geniesse diese kurzen Blockaden geradezu.

Ich hörte mal, der größte Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht? Wo schreiben sie bevorzugt?

Ich schreibe in der Ruhe, der Stille, abgeschieden, im Inneren Exil, im selbst erschaffenen Reservat der Literatur an meinen Schreibtischen. Den einzigen Menschen, den ich in dieser Arbeits- oder Schreibzeit ´ertrage´, ist meine Frau Brigitte. Alle anderen Menschen sind Störung.

„Offene Fenster, offene Türen“ behandelt eine sexuelle Beziehung zwischen einer Studentin und einem Professor, die in den Sozialen Medien verurteilt wird. Hatten Sie nie Skrupel, ein so heisses Eisen anzupacken?

Literatur die keine ´heissen Eisen´, wie Sie es nennen, anpackt, interessiert mich nicht. Ein Stoff muss brennen, brennen auch unter den Nägeln des Schreibenden. Skrupel? Kenne ich höchstens, was die ´Behandlung´ meiner Figuren betrifft. 

Carsten Arbenz, ihr Protagonist, geht ab und an in die Selbstreflexion, Juliette, die Protagonistin ist mehr damit beschäftigt, (auch unlautere) Strategien zu ihrer Rufrettung auszudenken? Lässt sich daraus eine grössere Sympathie Ihrerseits für Ihren männlichen Protagonisten herauslesen?

Ich mag beide Figuren genau gleich gern. Sie sind mir nah und zugleich fern. Figuren eben, die ich auf der nötigen Distanz halte – beide auf der gleichen Distanz, nota bene.

Apropos Sympathie: Unterm Strich sind beide Protagonisten nicht wirklich Sympathieträger. Nun neigen Leser, vor allem wohl auch Leserinnen, dazu, sich gerne mit den Figuren in Geschichten zu identifizieren oder zumindest mitfühlen zu können, was hier doch schwer fällt. Was hat sie daran gereizt, ihren Roman mit so wenig gewinnenden Figuren zu bestücken?

Ich kenne durchaus Leserinnen und Leser des Romans, welche die beiden Hauptfiguren sympathisch finden. Mir als Leser ist es unwichtig, mich mit Figuren identifizieren zu können, mag es im Gegenteil nicht, wenn Autorinnen und Autoren mich über ihre Figuren manipulieren, indem sie sich mir andienen.

Sie kritisieren die Sozialen Medien mehrfach in ihrem Roman, bezeichnen sie als rachsüchtiges und ungerechtes Tribunal, schreiben von Denunziation und von einem sozialen Zirkus. Sind die Sozialen Medien des Teufels oder sehen Sie auch positive Aspekte darin?

Die Sozialen Medien sind nicht des Teufels nein, sie sind einfach dumm, eitel, laut, ungerecht, verurteilend. Nein, etwas Positives sehe ich in ihnen nicht.

Goethe sagte einst, alles Schreiben sei autobiographisch. Wie viel Hansjörg Schertenleib steckt in Ihrem Roman „Offene Fenster, offene Türen“?

Ich denke auch, dass sich jedes ernsthafte literarische Schreiben aus dem Speicher gemachter Erfahrungen speist. Ob dies dann gleich Autobiographisches Schreiben ist, wäre eine andere Frage. Was und wieviel in meinen Texten steckt geht niemanden etwas an, Vwerzeihung.

Im Moment ist das Thema „Frauen in der Literatur“ in vieler Munde. Es gibt Stimmen, welche die Frauen als untervertreten ansehen, andere, die behaupten, als Mann hätte man fast keine Chance mehr, ein Manuskript unterzubringen (es gibt gar männliche Autoren, die unter weiblichem Pseudonym schreiben deswegen). Wie erleben Sie das?

Hier schweigt des Dichters Höflichkeit.

Welche fünf Tipps würden Sie einem angehenden Schriftsteller geben?

Ich war fünf Jahre als Mentor am Literaturinstitut Biel beschäftigt und habe dort gelernt, keine Ratschläge mehr zu geben. Höchstens diesen: Schreiben kann man nicht lernen, lernen kann man höchstens Tricks, Abkürzungen, Kniffe, Strategien, das Auftreten, sich Verkaufen, Anpreisen. Alles Dinge, die ich verabscheue.

Elke Heidenreich – Nachgefragt

©privat

Elke Heidenreich, geboren 1943, lebt in Köln. Sie studierte Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete bei Hörfunk und Fernsehen. Elke Heidenreich schrieb und redete über Literatur, schrieb des Weiteren Kolumnen, Erzählungen, Kurzgeschichten und Romane. Zuletzt erschien von ihr der Erzählungsband Männer in Kamelhaarmänteln und Hier geht’s lang! Mit Büchern von Frauen durchs Leben.

Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biografie erzählen?

Ich bin eine Frau von fast 80 Jahren, die seit ihrem 5. Lebensjahr ihr Glück in Büchern und Geschichten findet und darüber trotzdem das Leben nicht versäumt hat. 

Sie haben sich viele Jahre beruflich mit Literatur befasst. Gibt es bei Ihnen einen Unterschied zwischen Literatur, die sie privat lesen, und solcher, die sie beruflich lesen? Hat der berufliche Umgang mit Literatur ihr Leseverhalten verändert?

Nein. Wenn ich ein gutes Buch lese, habe ich den Drang und zum Glück ja dann auch beruflich die Möglichkeit, davon zu erzählen und die Empfehlung weiterzugeben. 

Sie haben lange mit Marcel Reich-Ranicki Literatur besprochen im Literarischen Quartett. Nun war er ja ein sehr energischer Charakter, zerriss sogar Bücher im Fernsehen. Die Literaturkritik heute scheint mir eher handzahm geworden. Wäre eine Figur wie Marcel Reich-Ranicki heute noch denkbar oder fehlt sie gerade?

MRR hat ja nicht nur leidenschaftlich verrissen, sondern genauso leidenschaftlich gelobt. Und das ist es, was fehlt. Heute spielen Eitelkeit oder intellektuelle Arroganz oft eine größere Rolle bei den Kritikern als Leidenschaft. 

Was macht für Sie ein gutes Buch aus? Wie verfahren Sie mit Büchern, die Sie nicht ansprechen? Brechen Sie ab oder lesen Sie trotzdem fertig?

Ein gutes Buch muss eine packende Story haben und die in einer adäquaten Sprache erzählen. Ist das nicht der Fall, kann ich das Buch gut weglegen. 

Literatur war ihnen Flucht und Überlebenshilfe, wie Sie in Ihrem neuen Buch schreiben. Glauben Sie generell an die heilende Kraft der Bücher? Gibt es für jedes Leiden das passende Buch oder hilft Lesen generell, weil es neue Welten und auch neue Lebens-Möglichkeiten aufzeigt?

Das kommt immer auf beide an: auf den Leser und auf das Buch. Der Leser muss auch bereit sein, sich von einer Geschichte erreichen zu lassen, sonst funktioniert das nicht. 

Sie haben ein Buch über Literatur von Frauen geschrieben, die sie in ihrem Leben beeinflusst hat. Nun weiss ich, dass Sie auch Bücher von Männern gerne lesen, die Einteilung in Literatur von Frauen und solche von Männern nicht immer begrüssen. Das Thema «Frauen in der Literatur» ist aktuell sehr präsent. Wieso haben Sie sich dieses Themas angenommen?

Ich wollte klarmachen, dass Bücher von Frauen auch Literatur sind und nicht etwas abgewertete «Frauenliteratur». Wir brauchen den weiblichen und den männlichen Blick auf die Welt, beides kann gute oder schlechte Literatur hervorbringen. 

Ich habe sowohl in der Schule als auch im Studium eine stark von Männern dominierte Welt erlebt. Männliche Professoren (das heut sich heute geändert zum Glück) sprachen über männliche Schriftsteller, bei den Lehrern gab es immerhin Lehrerinnen, aber auch dort mehrheitlich männliche Schriftsteller. Bei einem Besuch kürzlich in einem sonst sehr fortschrittlichen Gymnasium waren auf deren Literaturliste nur gerade 20 von 127 Schreibenden Frauen. Ist das einfach der Geschichte, in welcher Frauen erst ab dem 19. Jahrhundert präsent waren als Schriftstellerinnen, geschuldet und ändert sich nun von selbst, oder müsste man aktiv was tun? Wenn ja, was? Einfach eine Quote wäre wohl keine gewünschte Lösung, soll doch am Ende «das gute Buch» gelesen werden, nicht das eines bestimmten Geschlechts.

Eine Quote ist in der Kunst zum Glück überhaupt nicht zu machen, es reicht schon, zu welchen Fehlentscheidungen sie in der Politik führt. Frauen schreiben hunderte von Jahren weniger als Männer. Inzwischen ändert sich das stark. Einige alte Professoren an den Unis haben das noch nicht begriffen, aber Leser finden inzwischen wohl fast genauso viele Bücher von Frauen wie von Männern. 

Welche schreibenden Frauen würden in Ihren Augen mehr Beachtung verdienen? Wenn Sie fünf inspirierende Frauen nennen müssten, welche wären das?

Dorothy Parker, Joan Didion, Meg Wolitzer, (um mal was «Leichtes» zu nehmen!), Toni Morrison, Anne Tyler

Sie schrieben schon Romane, Kurzgeschichten, Kolumnen, ein Buch über Kleider und Leute, nun dieses Buch über die Einflüsse von Literatur auf Ihr Leben: Wie kommen Sie zu den Themen, woher nehmen Sie Ihre Ideen und Inspirationen?

Wach und voller Liebe leben, dann kommt immer was! 

Wenn Sie auf Ihren Schreibprozess schauen: Ändert der mit den unterschiedlichen Genres oder bleibt er immer gleich? Wie schreiben Sie? Von Hand oder am Computer? In der Stille der eigenen Kammer oder im Trubel von öffentlichen Cafés? 

Erste Ideen überall und mit der Hand. Endfassungen immer am Computer. 

Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der Autor oder Autorin werden will? Und einem, der Literaturkritiker oder -kritikerin werden will? 

Dass das Lesen immer erst mal wichtiger ist als das Schreiben. Wer nicht liest, hat in der Regel auch keine Sprache. Und will man Literaturkritiker werden? Na gut, dann sollte man Germanistik studieren. 

Tara Haigh – Nachgefragt

Tara Haigh schreibt seit vielen Jahren große TV-Unterhaltung und als Tessa Hennig Frauenromane mit Herz und Humor, die bereits erfolgreich verfilmt und alle Bestseller wurden. In ihren historischen Romanen erzählt sie spannende Liebesgeschichten an exotischen Sehnsuchtsorten, die mit viel Liebe zum Detail recherchiert sind und dabei Aspekte der Weltgeschichte aufgreifen, die weniger bekannt oder bisher kaum literarisch in Erscheinung getreten sind. Weitere Informationen unter http://www.tessa-hennig.de.

Nun ist ihr neuer Roman „Die Klänge der Freiheit erschienen“. Hier findet ihr den Trailer zum Buch:

Der Roman erzählt die Geschichte von Inge, welche in Nürnberg behütet aufwächst, sich dann gegen den Willen ihres Vaters zur Rotkreuzschwester ausbildet und dann 1943 an die Ostfront geschickt wird. Das Leid, das sie da sieht, übertrifft alle ihre Vorstellungen. Als sie die Chance erhält, nach Italien zu gehen, nutzt sie die Chance. Dort, im Kloster Montecassino, findet sie ihre Liebe und noch einiges mehr.

Ich habe der Autorin im Rahmen einer Bloggertour (die anderen Blogs seht ihr unten im Bild und sie werden natürlich verlinkt mit den einzelnen Beiträgen) ein paar Fragen gestellt:

Wie würden Sie Ihre Biografie erzählen?

Die ist von Ausflügen in verschiedene Welten geprägt. Banklehre, Wirtschaftsstudium im In- und Ausland mit Schwerpunkt Marketing und strategische Planung. Studium der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft. Ein Jahr in Malaysia, dort einen Film gedreht. Jahre in der Filmproduktion. Das war der Einstieg ins Drehbuchschreiben. Auf Anraten der Agentur entstand mein erster Roman „Mutti steigt aus“. Der hüpfte gleich auf die Spiegel-Bestsellerliste. Seit ein paar Jahren schreibe ich nur noch Romane, weil mich die Arbeit mehr erfüllt.

Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen konkreten Auslöser?

Die inneren Triebfedern sind persönliche Anliegen, Themen, die mich interessieren. Beim Komödienlabel sind das Dinge, die die Generation Ü 50 bewegt. Bei den historischen Romanen Aspekte der Weltgeschichte, die bisher gar nicht oder kaum literarisch in Erscheinung getreten sind. Ich finde es spannend mich tief in Recherchen einzugraben.

Ich habe bereits mit fünfzehn meinen ersten Roman geschrieben, doch nur zum Spaß. Brotlose Kunst hieß es. Rückblickend bin ich froh um die vielen Umwege, denn sie füllten mich mit Erfahrungen und Menschenkenntnis. Auf diese Weise fällt es mir leicht etwas „about human nature“ zu erzählen, weil ich Vieles selbst erleben und in viele unterschiedliche Welten eintauchen durfte.

Sie haben unter verschiedenen Namen in verschiedenen Bereichen geschrieben. Wieso die unterschiedlichen Namen? Und: Wäre es nicht einfacher, immer im gleichen Gewässer zu fischen oder brauchen Sie die Abwechslung, um sich nicht selbst zu langweilen?

Die unterschiedlichen Namen haben sich aus rein pragmatischen Überlegungen, auch verlagsseits ergeben. Ich bemerke, dass ich beim Schreiben je nach Label tatsächlich in andere Rollen schlüpfe. Die Leserschaft bemerkt die unterschiedlichen Schreibstile. Das verblüfft mich manchmal selbst. Die Mischung aus Komödie und historischen Romanen gefällt mir gut, weil ich damit viele Facetten meiner Persönlichkeit entfalten, ja regelrecht „ausleben“ kann.

Woher holen Sie Ihre Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte daraus?

Die Ideen trägt mir das Leben zu. Bei den Klängen der Freiheit war es beispielsweise ein rein zufälliger Besuch der Abtei Montecassino während ich für „Kann Gelato Sünde sein?“ auf Recherchereise war. Schon seinerzeit erwuchs der Drang die faszinierende Geschichte und die überragend wichtige Bedeutung dieses Klosters für das Christentum zu erzählen, zumal es eine unglaublich spannende Rolle im zweiten Weltkrieg spielte. Damit füttere ich mein Unterbewusstes. Und nach und nach kommen dann Ideen für Figuren zu Tage. Die haben mir dann plötzlich eine Geschichte zu erzählen. Manchmal fühle ich mich wie jemand der nur „aufschreibt“.

Wenn Sie auf Ihren eigenen Schreibprozess schauen, wie gehen Sie vor? Mit Papier und Stift oder am Computer? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreiben Sie drauf los und schauen, wo das Schreiben hinführt? Variiert das in den verschiedenen Genres?

Wenn die Idee einmal steht, wird in der plattformübergreifenden App „Evernote“ am Computer alles an Recherchematerial gesammelt, bzw. herausgeschrieben. Historische Ereignisse setze ich als Eckpfeiler für das Timing. Mit diesen Informationen verdichten sich die Figuren und ihre Erzählbögen. Daraus wiederum entwickeln sich ihre Handlungen. Steht der stichpunktartig erarbeitete Rahmen, schreibe ich ein Exposé, um den Verlag zu überzeugen. Bei den Komödien, die ja alle an einem attraktiven Urlaubsort spielen, steht die Recherche der Besonderheiten dieses Orts im Vordergrund, aus dem sich meist viel Situationskomik ziehen lässt. Grundsätzlich lasse ich den Figuren aber innerhalb des gesteckten Rahmens freien Lauf. Erst im zweiten Durchgang wird präzise verortet (die Regie und Ausstattung beim Roman – die Örtlichkeiten). Denn das hält mich sonst im Schreibfluss zu lange auf.

Wie gehen Sie mit Schreibblockaden um? Gibt es diese überhaupt?

Ich hatte noch nie eine. Gelegentlich ist der Alltag aber so fordernd, dass ich vor lauter Müdigkeit unliterarisch oder „Unsätze“ schreibe und nur noch diszipliniert das Exposé umsetze. Das macht aber nichts, weil ich diese Stellen im zweiten Durchgang mit Freude poliere.

Ich hörte mal, der größte Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht? Wo schreiben sie bevorzugt?

Ich brauche beim Schreiben mehrere Stunden am Stück meine Ruhe. Schlimm sind von außen an mich herangetragene komplexe Probleme, die nach aufwendigen Lösungen verlangen. Das ist für mich der Supergau, weil mich diese Dinge dann aus der Geschichte herausreißen. Daher versuche ich die gesamte Lifeadmin und Reisen so zu legen, dass ich mehrere Wochen am Stück möglichst wenig anderes zu erledigen habe. Einen bevorzugten Ort zum Schreiben habe ich nicht. Manchmal im Garten, auf einer Terrasse, im Büro und sogar mit Laptray entspannt im Bett.

Mit „Die Klänge der Freiheit“ haben sie einen Liebesroman geschrieben, den sie im Zweiten Weltkrieg ansiedelten. Was hat Sie an diesem Setting gereizt?

Zum einen die Rolle der Rotkreuzschwestern, die im zweiten Weltkrieg schier Übermenschliches leisten mussten. Zum anderen die unfassbar interessante Rolle der Abtei im zweiten Weltkrieg, ihr tragisches Schicksal und dass ausgerechnet ein deutscher Wehrmachtsoffizier die Schätze der Abtei vor den Angriffen der Alliierten in Sicherheit gebracht hat.

Ein historischer Roman erfordert immer auch viel Recherche, in diesem Fall mussten Sie wohl tief in die Gräuel unserer Geschichte eintauchen? War das zeitweise nicht auch belastend? Wie sind Sie mit all dem angelesenen Leid und all den grausamen Verbrechen umgegangen?

Vor allem der Teil, der in der Ukraine spielt, hat mir sehr viel abverlangt. Es ist eine Sache etwas von den Großeltern über den Krieg erzählt zu bekommen und eine andere, wenn man beim Schreiben so tief in die Geschehnisse eintaucht und sie aus der Sicht der Figuren miterlebt – durchlebt. Ich hielt es aus, weil ich wusste, wie meine Heldin an diesen Erfahrungen wachsen wird.

„Die Klänge der Freiheit“ hat ein Happy End, wie es sprichwörtlich im Buche steht. Man könnte anmerken, dass dies fast zu seicht sei für die Thematik. Wieso haben Sie sich dazu entschlossen?

Der Entschluss entspringt einer persönlichen Lesevorliebe. Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als wenn ein Roman die Leserschaft mit einem schlechten Gefühl entlässt. In Inges „Happy End“ steckt für mich zudem die Botschaft, dass es sich lohnt für etwas, an das man glaubt, zu kämpfen. Es ist ein Plädoyer für die Stimme des Herzens, die der Stimme der Vernunft oft überlegen ist und die Kraft spendet, selbst schlimme Zeiten schadlos zu überstehen.

Goethe sagte einst, alles Schreiben sei autobiographisch. Wie viel von Tara Haigh steckt in Ihren Büchern generell? Wie viel in Ihrem Roman „Die Klänge der Freiheit“?

Dem widerspreche ich gänzlich was die Handlung eines Romans betrifft. Dennoch steckt in all meinen Figuren viel von meinem Ich, der Summe des Erlebten, Facetten meines Charakters, meiner Überzeugungen und Ansichten, die sich bei jedem Roman in den Figuren niederschlagen.

Welche fünf Tipps würden Sie einem angehenden Schriftsteller geben?

  1. Das Anliegen einer Geschichte zu hinterfragen. Was interessiert mich daran? Was bewegt mich? Warum fasziniert mich eine Figur oder ein Ereignis?
  2. Welches Thema möchte ich erzählen? Welche Aussage möchte ich treffen? Damit meine ich nicht die Folie (bei den Klängen Montecassino und die Rotkreuzschwestern im zweiten Weltkrieg), sondern was soll die Leserschaft aus diesem Roman mitnehmen? Im Idealfall ist das etwas „about human nature“, mit dem sich viele Menschen identifizieren können – Konflikte, Werte, Entscheidungen und Verhaltensmuster im Leben. Etwas, was uns alle in irgendeiner Form beschäftigt, bewegt und angeht. Nur dann ist ein Roman gehaltvoll und keine reine Konsumware mit Bausteinen aus der Schublade.
  3. Die Grundzüge der Dramaturgie anhand von Literatur erarbeiten – das Handwerkszeug!
  4. Hemmungslos drauf losschreiben. Sich von den Figuren treiben lassen. Formelles, Satzbau und der literarische Anspruch sind dabei zunächst völlig zweitrangig. Das lässt sich alles erarbeiten. Wichtig sind lebendige Figuren, die etwas Relevantes zu erzählen haben.
  5. Disziplin! Ein Ziel setzen und jeden Tag schreiben. Man gewöhnt sich an diese Zeitfenster und irgendwann fehlt einem was, wenn man nicht schreibt. Das ist wie beim Sport.

Hier geht es zu den anderen Beiträgen:

22.11. lebe-lache-lies.de

24.11. fraugoetheliest.wordpress.com

25.11. tesbuecherblog.blogspot.de

26.11. spiegelseelen.blogspot.de

27.11. kunterbuntbuecherreisen.wordpress.com

Edgar Rai – Nachgefragt

©Maximilian Gödecke

Edgar Rai wurde 1967 im hessischen Hinterland geboren. So idyllisch sollte es nicht bleiben, auf diverse Umzüge folgten mehrere Schulverweise, danach führte der Weg nach Amerika. Wieder zurück studierte er verschiedene Fächer und brachte zwei zum Abschluss: Musikwissenschaften und Anglistik. Als ob das nicht genug wäre, kamen noch die unterschiedlichsten Tätigkeiten dazu: vom Chorleiter über den Basketballtrainer bis zum Handwerker ist alles dabei – und noch einiges mehr. 2001 befand er dann, dass dies nun ein Ende haben muss, er wurde Schriftsteller. Daneben unterrichtete er von 2003 bis 2008 als Dozent für kreatives Schreiben an der FU-Berlin und ist zudem seit 2012 Mitinhaber der Buchhandlung Uslar & Rai in Berlin.

Edgar Rai hat drei Kinder und lebt in Berlin.

Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biografie erzählen?

Was für eine Einstiegsfrage! Wie viele Seiten wollen Sie? Hundert? Tausend? Weiß nicht recht, wie ich das auf kurze Strecke beantworten soll. So vielleicht: Drei Kinder, lebt in Berlin, seit zwanzig Jahren Schriftsteller, demnächst Großvater.

Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen konkreten Auslöser?

Ich hatte nie die Vorstellung, einen bestimmten Beruf auszuüben. Schreiben und Musik machen waren einfach zwei Dinge, die mich mehr interessiert haben als anderes. Einen konkreten Auslöser allerdings gab es, nämlich als nach meinem ersten und wirklich nicht guten Roman mein Lektor fragte: Wann kommt denn der zweite? Von dem Tag an war ich Schriftsteller.

Sie haben in verschiedenen Genres geschrieben, unter anderem Krimis im Duo Rath & Rai oder auch  den historischen Roman „Der Sixtinische Himmel“ unter Pseudonym. Wäre es nicht einfacher, immer im gleichen Gewässer zu fischen oder brauchen Sie die Abwechslung, um sich nicht selber zu langweilen?

Ich weiß nicht, ob es einfacher wäre. Viele machen das ja, für die scheint es einfacher zu sein. Ich möchte es lieber nicht ausprobieren, sondern mir weiterhin das Privileg erhalten, einfach zu machen, was mich interessiert und worauf ich Lust habe. Roman ist immer Langstrecke, das sollte man wirklich wollen. Außerdem frage ich mich, ob „einfacher“ nicht erst recht ein Grund wäre, den Weg nicht zu gehen. Wer es sich einfach machen will, hat als Künstler den falschen Weg gewählt.

Ich las, Sie seien durch Ihren Roman „Im Licht der Zeit“ auf die Figur Erich Maria Remarques gestoßen und haben nun den Roman „Ascona“ geschrieben. Was hat sie an der Person angezogen und wieso haben Sie diese paar Jahre seines Lebens gewählt?

Stimmt nicht. Auf Erich Maria Remarque bin ich eher zufällig gestoßen – bei der Recherche zu Ascona und dem, was sich in diesem kleinen, abgeschiedenen Ort in den Jahren 1933-39 zugetragen hat. Womit denn auch schon die Frage beantwortet ist, warum die Jahre 33 bis 39. Victoria Wolff hat einmal sinngemäß gesagt: Ascona in den 30er Jahren, das war kein Ort, das war ein seelischer Zustand.

Ihr Roman „Ascona“ besticht durch teilweise sehr poetische Passagen – dürfen wir uns bald auf einen Lyrik-Band von Ihnen freuen?

Das würde ich niemandem zumuten. Und freuen würde sich da auch niemand drauf. Ich hab es immer wieder mal versucht, daher weiß ich: Als Lyriker wäre ich ein Stümper. Liedtexte dagegen könnte ich mir vorstellen.

Woher holen Sie Ihre Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte daraus?

Was die Ideen angeht, so habe ich wirklich eher das Gefühl, die kommen zu mir. Ist ein Klischee, ich weiß, ändert aber nichts. Damit aus einer Idee eine tragfähige Geschichte wird, braucht es dann vor allem Handwerk, Arbeit, Muße, Langmut, Beharrlichkeit und eine hohe Frustrationstoleranz.

Es gibt diverse Angebote, kreatives Schreiben zu lernen, sei es an Unis oder bei Schriftstellern, die selbst Kurse anbieten. Ist alles Handwerk, kann man alles daran lernen, oder sitzt es in einem?

Ich glaube, man kann vieles lernen. Gutes Handwerk macht eine Idee nicht schlechter. Es gibt allerdings auch Aspekte, die nicht erlernbar sind und ohne die einem immer der Schlüssel fehlen wird.

Wenn Sie auf Ihren eigenen Schreibprozess schauen, wie gehen Sie vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreiben Sie drauf los und schauen, wo das Schreiben hinführt? Variiert das in den verschiedenen Genres?

Meine Erfahrung mit mir selbst ist, dass die gut durchdachten Texte die besseren sind. Das mag bei anderen Autor*innen anders sein, aber meinen Romanen tut es gut, wenn ich zu Beginn jedes neuen Kapitels weiß, was ich damit greifen will und wohin es führen soll. Überrauschungen warten auf dem Weg auch so noch genug.

Wie schreiben Sie? Sind Sie der Haptiker mit Papier und Stift oder passiert alles am Computer? Und: Hat das Schreibmittel Ihrer Meinung nach einen Einfluss auf den Schreibprozess?

Das glaube ich sicher. Jedes Werkzeug, ganz gleich, ob es ein Hammer oder ein Mixer ist, gibt uns seine Geschwindigkeit vor. Deshalb schreibe ich die meisten Texte von Hand, mit Füller, und gebe sie erst anschließend in den Computer ein.

Gab es Zeiten in Ihrem Leben, wo der Schreibfluss versiegte? Und wenn ja, wie gingen Sie damit um?

Ist noch nicht vorgekommen. Eher andersherum: Da sind so viele Ideen, und nie komme ich hinterher. Auf jeden Roman, den ich schreibe, kommen zwei, die ich nie schreiben werde. Meine Freundin hat mich neulich als „schreibsüchtig“ bezeichnet.

Ich hörte mal, der größte Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht?

Ich sitze am liebsten im Café und lasse die Welt an mir vorbeiziehen, während ich schreibe. Einsamkeit tut mir nur in kleinen Dosen gut. Und mangelndes Talent ist definitiv ein Feind.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend oder sind Sie ständig „auf Sendung“? Wie schalten Sie ab?

Inzwischen bekomme ich das mit dem Abschalten ganz gut hin. Allerdings nie besonders lange. Ich kann mit meiner Familie drei Wochen in Urlaub fahren und in der Zeit nichts schreiben. Aber ich kann nicht drei Wochen nichts denken.

Was sind für Sie die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet Ihnen Mühe?

Die Euphorie, die einen erfüllt, wenn man merkt, dass man gerade seine Fangzähne in den Hintern einer großen Geschichte geschlagen hat, kann einen sehr weit tragen, manchmal bis über die dritte Überarbeitung des fertigen Romans hinweg.

Goethe sagte einst, alles Schreiben sei autobiographisch. Wie viel von Rai Edgar steckt in Ihren Büchern? Klar, „Ascona“ war ein biographischer Roman, in anderen Genres ist das vielleicht anders?

Natürlich steckt in jedem meiner Romane auch viel von Edgar Rai. Allerdings versuche ich, der Story nach Möglichkeit nicht zu sehr im Weg zu stehen.

Wenn Sie auf Ihre Bücher zurückschauen, gibt es ein Lieblingsbuch, eines, das Ihnen am nächsten ging, am wichtigsten oder persönlichsten war oder noch ist?

Es gibt Aspekte an bestimmten Romanen, die mir auch nach Jahren noch sehr nah sind: Die Atmosphäre in „nächsten sommer“, wie traumwandlerisch auf den letzten 50 Seiten von „Der sixtinische Himmel“ die Fäden zusammengeführt werden, die Stimmigkeit von „Im Licht der Zeit“.

Die meisten Schriftsteller lesen selbst viel – gibt es Bücher, die Sie geprägt haben, die Ihnen wichtig sind, Bücher, die Sie empfehlen würden?

Da ich nicht nur Schriftsteller bin, sondern außerdem gemeinsam mit Katharina von Uslar und meiner Tochter Leoni Kapell eine Buchhandlung betreibe: Ja, viele.

Welche fünf Tipps würden Sie einem angehenden Schriftsteller geben?

  1. Willst du es wirklich?
  2. Warum?
  3. Wenn du anfangen musst, darüber nachzudenken, was du schreiben könntest – warte lieber noch.
  4. Intuition ist ein Werkzeug. Den Umgang damit muss man üben.
  5. Wenn du dich nur im flachen Wasser aufhältst, bist du ziemlich sicher am falschen Ort. Spannend wird es da, wo deine Füße den Bodenkontakt verlieren.

Herzlichen Dank für diese Antworten!

Die Rezension zum Buch „Ascona“ findet sich HIER

Milena Moser – Nachgefragt

Ein kurzer Blick auf Milena Mosers Leben

Milena Moser in ihrem Garten in San Francisco (©David Butow)

Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren und absolvierte nach dem Besuch der Diplommittelschule eine Buchhändlerlehre, lebte danach in Paris, wo drei unveröffentlichte Romane entstanden. Zurück in der Schweiz schrieb sie für Schweizer Rundfunkanstalten und verfasste Bücher, welche keinen Verlag fanden, so dass sie kurzerhand zusammen mit Freunden den Krösus Verlag gründete, in welchem ihr erstes Buch Gebrochene Herzen sowie Die Putzfraueninsel erschienen, zweiteres wurde zum Bestseller und später verfilmt. 1998 führte Milena Mosers Weg nach San Francisco, wo sie mit ihrer Familie acht Jahre lebte, danach wieder in die Schweiz zurückkehrte. Milena Moser wohnt in Aarau als freie Autorin und führt in ihrem Schreibatelier Menschen in die Welt des Schreibens ein. Des Weiteren begleitet sich Schulklassen beim Verfassen eines gemeinsamen Romans. 2011 folgte, zusammen mit der Musikerin und Freundin Sibylle Aeberli, der Sprung auf die Bühne, Die Unvollendeten war ein voller Erfolg, ein zweites Bühnenprojekt ist in Planung. Von Milena Moser sind unter anderem erschienen Die Putzfraueninsel (1991), Das Schlampenbuch (1992), Artischockenherz (1999), Sofa,Yoga, Mord (2003), Möchtegern (2010), Montagsmenschen (2012), Das wahre Leben (2013), Das Glück sieht immer anders aus (2017), Das schöne Leben der Toten (2019). Später zog Milena Moser zu ihrem Partner und heutigen Mann Victor nach Santa Fe, mit dem sie heute in San Francisco lebt.

Ich habe mich vor acht Jahren schon einmal über ihr Schreiben und Leben ausgetauscht (HIER das Interview), ich freue mich sehr, dass sich ein zweites Mal die Gelegenheit für einige Fragen bot.

Einblicke

Unser letztes Interview liegt 8 Jahre zurück, seit da ist viel in deinem Leben passiert. Wie würdest du das zusammenfassen?

Ich hab noch mal ganz von vorn angefangen ….

Du schreibst schon viele Jahre, dies sehr erfolgreich. Hat sich deine Beziehung zu deinem Schreiben in den Jahren verändert?

Nicht wirklich. Schreiben ist die einzige Konstante in meinem Leben.

Gab es Zeiten in deinem Leben, wo der Schreibfluss versiegte? Und wenn ja, wie gingst du damit um?

Nein. Ich schreibe täglich, sonst fühle ich mich nicht wohl, irgendwie nicht richtig. Aber je älter ich werde, desto mehr Zeit nehme ich mir für Texte, die ich veröffentlichen will.

Ich traf dich vor vielen Jahren bei einem Schreibworkshop in Aarau, nun bietest du Onlinekurse im Schreiben an. Was reizt dich an dieser neuen Form?

Sie hat sich aufgezwungen, nachdem ich all meine Kurse absagen musste. Ohne die Pandemie hätte ich mich nie auf dieses Format eingelassen. Doch es hat sich mehr als bewährt, es hat unzählige Vorteile, die mir nicht bewusst waren. Viele Schreibende sind Einzelgänger, Individualisten, die eine Gruppenerfahrungen eher scheuen, die in ihrem eigenen Rhythmus arbeiten möchten. Der individuelle Austausch zwischen mir und dem Einzelnen ist auch viel intensiver, als das in einem Gruppensetting möglich wäre.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreibst du drauf los und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Ich lasse mich treiben, oder eher: von einer Figur an die Hand nehmen und entführen. Diese Anfangsphase in der ich selbst nicht weiss, ob und was “dabei herauskommen wird”, ist eine atemlose, berauschende – ein bisschen, wie wenn man sich verliebt.

Wie schreibst du? Noch mit Papier und Stift oder alles am Computer? Und: Hat das Schreibmittel deiner Meinung nach einen Einfluss auf den Schreibprozess?

Beides, ich versuche vor allem, unabhängig zu bleiben. Ich schreibe gern mit Bleisitift, weil es so etwas Vergängliches hat, das eine grosse Freiheit beinhaltet. Aber im professionellen Umfeld muss früher oder später alles im Computer enden.

Woher holst du deine Ideen für ein Buch?

Siehe oben: Eine Figur taucht auf und nimmt mich mit.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht?

Talent ist keine objektiv messbare Grösse. Der grösste Feind des Schreibenden ist der Selbstzweifel. Die Frage, was andere denken könnten. Das scheint mir generell das grösste Hindernis auf dem Weg zum Glück, nicht nur beim Schreiben.

Du lebst aktuell in San Francisco. Wie beeinflusst der Ort, an dem du lebst, dein Schreiben?

Unterschiedlich. In Santa Fe war es vor allem die Landschaft, die mich inspirierte. In San Francisco sind es eher die gesellschaftlichen Umstände oder Bedingungen.

Dein Mann Victor ist auch Künstler – wie empfindest du das Zusammenleben von zwei kreativen Menschen? Ist es Segen, weil man die Antriebe des anderen versteht, oder auch ab und an schwierig, weil doch zwei Menschen mit eigenen Ideen und Projekten aufeinander treffen?

Gerade jetzt, in dieser Ausnahmesituation ist es ein Segen für uns beide, dass wir diesen Bereich haben, in dem wir uns, trotz allen Einschränkungen, auch austoben können. Wir werden vielleicht für unsere Arbeit nicht bezahlt, aber wir können arbeiten. Wir können uns ausdrücken. Ausleben. Das nimmt enorm viel Druck von der Beziehung. Victor unterstützt mich ausserdem bedingungslos.

Dein neustes Buch handelt vom Tod. Wurde dieser erst durch die Krankheit von Victor ein Thema für dich oder war er auch schon früher präsent und ein mögliches Thema für ein Buch?

Auf diese Art nicht. Die Beziehung mit Victor wird ja nicht nur durch seinen Gesundheitszustand, sondern vor allem auch durch seine Kultur beeinflusst. Durch ihn habe ich einen ganz anderen Umgang mit dem Tod kennengelernt. “Das schöne Leben der Toten” ist nicht “mein” letztes Buch, sondern ganz klar ein Gemeinschaftswerk.

Ich las mal, wenn es den Tod nicht gäbe, wäre das Leben sinnlos, weil wir ohne Beschränkung nichts tun müssten und würden. Lehrt uns der Tod zu leben?

Der Tod gehört einfach dazu, man kann ihn nicht vom Leben trennen. Der Tod ist die einzige Gewissheit, die wir haben: Wir werden alle einmal sterben. Es ist also recht absurd, diese Tatsache verdrängen oder überspielen zu wollen. Der Tod ist Teil des Lebens.

Du schreibst, wenn wir den Tod nicht fürchten, wird das Leben leichter. Kann man die Furcht vor dem Tod ganz ablegen? Wünschenswert wird er ja selten, was macht ihn in deinen Augen leichter?

Ich habe, seit ich denken kann eine gewisse Todessehnsucht im Sinn von einer grossen Neugier, einer Ahnung, dass da durchaus noch was kommt… aber was? Angst macht mir nur der Tod der anderen, der Verlust geliebter Menschen. Die mexikanische Vorstellung, dass die Toten das schönste Leben haben, mildert diese Angst ein wenig. Die Trauer jedoch bleibt. Und wie gesagt, wünschenswert oder nicht, der Tod ist eine Tatsache. Man lebt auf jeden Fall besser, wenn man sich damit anfreundet!

Wenn du auf deine Bücher zurück schaust, gibt es ein Lieblingsbuch, eines, das dir am nächsten ging, am wichtigsten war und noch ist?

Nein. Mich beschäftigt immer das, was ich gerade schreibe, egal ob es veröffentlich wird oder nicht. Das Geschriebene ist geschrieben.

Die meisten Schriftsteller lesen auch viel – gibt es Bücher, die dich geprägt haben, die dir wichtig sind, Bücher, die du empfehlen würdest?

Lesen und Schreiben gehören untrennbar zusammen. Als junge Frau hat mich vor allem die französische Literatur inspiriert, die Surrealisten, die Oulipisten, die Pataphysiker. Nicht in dem Sinne, dass ich ihnen nacheifern wollte, aber sie zeigten mir, was möglich ist: Alles.

Was wäre dein Rat an einen angehenden Schriftsteller?

Wer schreiben will, muss – schreiben.

Vitali Konstantinov – ein Blick hinter die Kulissen

Kurze Biografie

Geboren bei Odessa in der UdSSR (jetzt Ukraine). Studium der Architektur, Grafik, Malerei und Kunstgeschichte in der UdSSR und in Deutschland. Arbeit als freier Illustrator in den Bereichen Belletristik für Kinder und Erwachsene, Sachillustration und Editorial für deutsche und internationale Verlage. Zahlreiche Bilderbücher und Illustrationen in vielen Ländern veröffentlicht. Bebilderung der klassischen Texte von Gianni Rodari, Nikolaj Leskov, Daniil Charms, Gebrüder Grimm sowie Mitarbeit mit den zeitgenössischen Bestseller-Autoren Maxim Biller, Wladimir Kaminer, Morten Ramsland, Jens Soentgen, Herausgeben der Texte aus eigener Federführung.

Mehrfache Teilnahme an internationalen Illustrations-Ausstellungen in Belgrad, Bologna, Bratislava, New York, Tokyo. Auszeichnungen: Premio Stepan Zavrel (Italien), Buchmesse Bologna (Italien), Stiftung Buchkunst »die schönsten deutschen Bücher«, 3X3 Children’s Book Show (USA), Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011, The White Ravens 2012.

Lehrtätigkeit: Institut für Bildende Kunst der Universität Marburg (2012-2013), Bauhaus-Universität Weimar (2011), Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (2009-2010); zahlreiche Sommerkurse und Workshops für Illustration und Comic in Deutschland, Italien, Spanien, Schweiz.

Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?

Angeblich war ich nicht mal 1 Jahr alt, als ich meine ersten bewussten Linien gezogen habe und von enormer Begeisterung meiner Mutter: Bildhauerin (sic) und Kunsthistorikerin (also!) – überschüttet wurde. Kleine Kinder sind ja bloß Äffchen, die von den Aussenwelteinflüssen gesteuert und geformt werden. Zu früh zu viel positive Verstärkung hat wohl den weiteren Weg bestimmt, seitdem ist das Zeichnen mein Instrument auf der Suche nach Zuneigung, Bestätigung und Bewunderung ;-).

Wie sah Ihr Weg in die Illustration aus?

Zufällig… Oder doch vorbestimmt… Im Elternhaus gab es sehr viele Bücher, Kunstbücher, Bilderbücher, auch Kunstwerke etc. Als Kind habe ich obsessiv gezeichnet, (zu) viel gelesen und natürlich mich beim Illustrieren der Lieblingsbücher versucht. Ich war etwa 14, als meine erste „editorial-Arbeit“ in lokaler Zeitung erschien und meine Illustrationen zu Voltaire’s „Candide“ im professionellen Kontext ausgestellt wurden. Nur habe ich dann doch Architektur studiert, immerhin wurde man dabei fünf Jahre lang in realistischen Zeichnen und Malen exzessiv gedrillt. Als „russischer Architekt“ in Deutschland gelandet, durfte ich meinen Beruf erstmal nicht ausüben, studierte Kunst, freundete mich per Zufall mit einer Design- Firma an, für die ich mal einpaar Motive zeichnete. Diese Motive wurden in Bologna (wichtigste jurierte Illustratoren-Ausstellung und Buchmesse) gezeigt, gleich darauf kamen Verlagsanfragen aus USA, Brasilien, Taiwan und folglich die ersten Veröffentlichungen. Ich war begeistert. Hätte ich bloß damals gewusst, …

Ist eine Ausbildung zum Illustratoren unabdingbar oder lernt man Illustration eher im Stil von learning by doing? Oder anders gefragt: Alles Talent oder kann man es überhaupt lernen?

Fragen Sie denjenigen, der Illustration nie studiert hat und trotzdem über 100 Bücher in 35 Ländern veröffentlichen konnte und an deutschen Hochschulen Illustration und Comic unterrichten durfte? ;-]

Was macht einen guten Illustratoren aus?

den Text lesen und dem folgen zu können (möglichst auf der Überholspur ;-). „Gute Illustration“ hat nicht viel bzw. gar keinen Platz für künstlerische Selbstsucht, in erster Linie ist sie Kunst der Interpretation und des (Mit)Erzählens.

Ist Illustration Kunst oder Handwerk?

Weiss jemand überhaupt wo das Handwerk aufhört und die Kunst beginnt? …

Haben die elektronischen Medien den Beruf schwerer gemacht oder beflügelt?

die „Medien“ sind selbstverständlicher Bestandteil des heutigen Lebens – wie beheiztes Wasserklosett o.ä. Darauf würden wir jetzt auch ungern verzichten und trotzdem sind wir nicht bei jedem Klobesuch maßlos „beflügelt“, oder? 😉

Was zeichnet Ihren Stil aus?

Habe ich etwa einen „Stil“? „Stil“ wäre etwas Angekünsteltes, Bemühtes. Ich kann bloß meine natürliche Motorik und Sehgewohnheit vorweisen. Nix Stil da.

Haben Sie Lieblingsmedien (welche?) oder passen Sie diese immer dem jeweiligen Thema/ Auftrag an?

mein allerliebstes Medium ist eigentlich meine Ukulele.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Etwa wie bei Fjodor Mischailowitsch Dostojewski, mit dem Unterschied: ich rauche nicht und mache stattdessen viel Sport 😉

Können Sie Ihren Weg von der ersten Idee bis hin zur fertigen Illustration beschreiben?

Vorfreude – Ahnungslosigkeit – Angst zu versagen – Verzweifeln – zufälliger Einfall – Stolz auf Entstehendes – Enttäuschung. Und alles von vorn.

Wie ist das Klima zwischen Illustratoren? Ist jeder ein potentieller Konkurrent, den man meidet, oder ein Kollege im selben Arbeitsumfeld, mit dem man netzwerkt?

Die Atmosphäre unter Illustratoren ist von Sympathie, Austausch und Anerkennung geprägt, und das wirklich international über alle Grenzen und Sprachen hinweg. Man kennt sich, man gehört schliesslich zu einer seltenen und stets bedrohten Gattung. Ausserdem ist jeder Künstler so fest in eigener Individualität und Unaustauschbarkeit überzeugt, dass eine Konkurrenz-Gedanke als absoluter Nonsens erscheint.

Was raten Sie jemandem, der Illustrator werden will?

das nochmal zu überdenken und eventuell einen anderen – anständigen und Geld-bringenden Beruf zu lernen. Es sei, Sie taugen für nichts anderes und können sich das Leben ohne Illustrieren nicht vorstellen. Dann drucken Sie Visitenkarten, die Sie als Illustrator/in ausweisen, und legen los. Easy.

Welchen Illustrator soll ich hier noch vorstellen?

hm… nur eine/n? und ausschliesslich deutschsprachige/n? … ich will keine/n vorziehen. Es gibt sehr viele, die ich bewundere, persönlich mag etc.

Kooni – ein Blick hinter die Kulissen

Wie würde eine kurze Biographie von Ihnen aussehen?

Geschlüpft in Schaffhausen, den gestalterischen Vorkurs besucht an der F+F in Zürich, studiert an der HSLU in Luzern, lebt und arbeitet in Hamburg.

Kooni ist nicht dein Taufname – wie und wieso kamst du auf den Namen und ist das nur deine Künstleridentität oder bist du auch privat Kooni?

Ich habe unter Kooni, einer Ableitung des Spitznamens meines Großvaters, in meiner Jugend Streetart gemacht. Mittlerweile nennen mich aber alle so.

Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?

Zeichnen hat schon eine große Rolle gespielt, ja, aber ich habe mich viel draußen rumgetrieben, die Stifte waren eher Waffen gegen langweilige Schulstunden oder Regentage.

Sind Sie heute immer mit einem Skizzenbuch unterwegs, um auch vom Leben zu zeichnen, oder dienen Ihnen diese nur zu Studienzwecken/Skizzen für Illustrationen?

Tatsächlich habe ich das Skizzenbuch immer dabei, ich halte spontane Einfälle fest oder überbrücke langweilige Wartezeiten. Das Skizzenbuch ist mein Fundus, mein Sammelbecken, daraus entsteht alles.

Wie sah Ihr Weg in die Illustration aus?

Mein Vater hat mir ein kleines leeres Buch geschenkt, als ich 4 Jahre alt war, ich habs aufgeschlagen und angefangen zu zeichnen. Ich muss auch gestehen, ich habe nie wieder besser gezeichnet als in dieses erste Skizzenbuch, absoluter Karrierehöhepunkt.

Ist eine Ausbildung zum Illustratoren unabdinglich, hilfreich, unnötig?

Der größte Pluspunkt meines Studiums war und ist das riesige Netzwerk an Menschen, von dem ich wahrscheinlich das ganze Leben lang profitieren werde. Außerdem ist es für kreative Menschen sicher auch nicht schlecht, nach einer langen Schullaufbahn, die auf Standartberufe ausgelegt ist, unter Gleichgesinnten zu sein und für Fähigkeiten, die bis anhin als unwichtig abgestempelt wurden, ernstgenommen zu werden.
Techniken, Verfahren und sonstiges Wissen kann man sich aber gut selber erarbeiten.

Ich hörte mal die Aussage, Talent gebe es nicht, Können von Willen, Ehrgeiz, Ausdauer, Schweiss und Tränen. Wie sehen Sie das? Alles Talent oder kann man Zeichnen/Illustrieren lernen?

Ich glaube nicht so sehr an Talent und bin auch kein Fan von dieser Schweiß-Tränen-Leiden-Nummer. Klar, ein Mensch hat bestimmt gewisse Veranlagungen, aber gerade Zeichnen ist Übungssache. Ich zeichne seit ich denken kann, klar bin ich da gut drin, das wäre jeder andere Mensch auch. Und zu Schweiß und Tränen: Ich zeichne besser, wenn ich Spaß habe, als wenn ich mich wochenlang selbstgeißele für ein Projekt.

Was macht einen guten Illustratoren aus?

Ich finde, dass Illustrator*Innen einen neuen Blickwinkel aufzeigen sollten, bei einem Bilderbuch zum Beispiel nicht einfach das zeichnen, was der Text sagt, sondern eine neue Ebene einbauen, einen zusätzlichen Witz erzählen, eine Nebengeschichte zum Text aufmachen, den Betrachtern etwas zutrauen. Zudem flashen mich ganz persönlich Illustrator*Innen, die bei ihren Figuren eine große Diversität in der Mimik haben.

Haben Sie Lieblingsmedien (welche?) oder passen Sie diese immer den jeweiligen Ideen an?

Ich experimentiere immer wieder gerne mit neuen Techniken, aber hauptsächlich arbeite ich analog mit Tusche oder Bleistift und mache die Nachbearbeitung in Photoshop, die Layouts im InDesign.

Ihre Illustrationen sind mehrheitlich sehr linear, Farben setzen sie sparsam ein. Was bedeutet Ihnen Farbe?

Die komplette Überforderung, ich habe keine Ahnung davon.

Sie arbeiten hauptsächlich im Bereich Editorial, Cover und Plakate – wieso kam es dazu? Reizt Sie das mehr als zum Beispiel Buchillustrationen?

Ich bin eine spontane Zeichnerin, ich sitze nicht gerne monatelang an einem Projekt und mache 1000 Skizzen vor der Reinzeichnung, darum passe ich gut in die schnelllebige Medienlandschaft. Die Aufträge aus der Kulturszene kommen, weil ich mich da auch gerne bewege, ich mag Konzerte, gute Restaurants und Bars, die Clubkultur… Ein ewiges Rätsel, das mich immer reizt, ist: Wie visualisiere ich Musik? Wie zeichne ich die Klänge unterschiedlicher Instrumente, wie zeichne ich Bass, Rausch, Sphäre?

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Vor 11:00 passiert nichts Brauchbares, außer ich finde in meinem Posteingang einen wichtigen Spontanauftrag. Aber normalerweise beantworte ich im Bett E-Mails und reagiere auf kleine Korrekturwünsche. Danach ein Blick in den Kalender und auf die To-Do-Liste. Ich beginne mit dem dringendsten Projekt, dazu hör ich Podcasts. Ich arbeite gerne in die Nacht hinein, um 1:00 – 2:30 ist meine Konzentration am höchsten. 1-2 Tage die Woche arbeite ich als Ausgleich in einem Café.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Künstlers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht?

Wenn ich im Ungleichgewicht oder von einem Projekt nicht überzeugt bin, nervt mich selbst das kleinste Geräusch. Dann versuche ich, mich mit Noise Cancelling Kopfhörern oder in einer ungestörten Nachtschicht zu konzentrieren. Im Grunde bin ich aber ein extrovertierter Mensch, ich brauche meine Leute um mich herum. Die Illustration ist schon eher ein einsamer Beruf, darum setze ich mich auch gerne mal in den Flur meiner großen WG oder in ein überfülltes Café. Ich glaube, da braucht man einfach für jeden Tagesbedarf eine Strategie.

Woher holen Sie Ihre Inspirationen/Ideen?

Alltagssituationen, Internet, Museen, ein Thema während der Arbeit im Café tagelang zerdenken oder ohne nachzudenken stundenlang im Flow zeichnen.

Können Sie Ihren Weg von der ersten Idee bis hin zum fertigen Bild beschreiben?

Manchmal hat man in der ersten Sekunde die richtige Idee, manchmal braucht man dafür tagelang, das ist unterschiedlich. Wenn ne Idee dann aber da ist, habe ich das Endprodukt schon ziemlich klar vor Augen. Ich zeichne nicht vor, ich arbeite direkt mit Tusche, lasse Fehler stehen und korrigiere danach am Computer, so spare ich Zeit.

Wenn sie an Ihre vergangenen Arbeiten denken: Gibt es ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt? Wenn ja: Welches, und wieso?

Das Plakat und der visuelle Auftritt für das Schaffhauser Jazzfestival. Als die Organisator*innen für 2018 anfragten, hab ich mich riesig gefreut, denn das stand schon ewig lange auf meiner Traumauftragsliste. Ich habe im Projekt alte Konzepte weiterentwickelt, eine neue Sprache gefunden, auch aus heutiger Sicht stimmt da noch immer alles.

Wenn Sie ein Traumprojekt beschreiben könnten: Was würden Sie gerne illustrieren?

Ich würde gerne noch mehr Aufträge in den Themenbereichen machen, die mich auch als Mensch privat beschäftigen, z.B. für Seenotrettung-NGO’s, feministische Organisationen, Klimaschutz, …

Wie erleben Sie das Klima unter Illustratoren? Ist jeder ein potentieller Konkurrent, den man meidet, oder ein Kollege im selben Arbeitsumfeld, mit dem man sich gerne austauscht?

Ich habe, das Studium miteingerechnet, noch nie Rivalität erlebt, es ist eher das Gegenteil: es werden sich Aufträge zugespielt, Illustrator*innen mit passenderem Stil empfohlen, gegenseitig um Rat gefragt bei Unsicherheiten…

Haben die elektronischen Medien den Beruf schwerer gemacht oder beflügelt?

Ich denke nicht, dass sich ein Medium so einfach in gut oder schlecht kategorisieren lässt. Die elektronischen Medien gehören zu unserer Zeit, mit allen Vor- und Nachteilen.

Was raten Sie jemandem, der Illustrator werden will?

Ein gut gepflegtes Portfolio im Internet und/oder ein Instagram Account. Charme und ein lockeres Mundwerk, um Leute, für die man gerne arbeiten würde, vollzusabbeln. Sich bei den Themen Urheberrecht und Nutzungsrecht schlau machen.
Die Bereitschaft, dass man mit unregelmäßigem Einkommen auskommen und sich um Rente, Steuern, Krankenkasse und den ganzen Kram selber kümmern muss. Sich nicht verrückt machen, wenn man mal einen Monat gar nicht zeichnen kann. Ich nenne das Input-Phasen, in der Zeit einfach neue Eindrücke sammeln, Museen besuchen, Dokus schauen, Neues kennenlernen.
Und am Anfang ist ein regelmäßiger Job, der öffentlich zu sehen ist, das Allerbeste, selbst wenn der Lohn lausig ist. Also das Veranstaltungsprogramm für ein Club oder Theater, was dann Monat für Monat in der ganzen Stadt hängt, eine wechselnde Speisekarte für ein Restaurant, eine Illustration in einer Wochenzeitung und sei es nur ein Inserat für eine Firma, irgendwie sowas. Beste Werbung!

Welchen Illustrator soll ich hier noch vorstellen?
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Wer mehr von Kooni sehen will, findet ihr Portfolio HIER

Auch auf Instagram hat sie ein Profil: HIER

Maria Palatini – ein Blick hinter die Kulissen

Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?
Ja, genau, ich war ein solches Kind.

Wie sah Ihr Weg in die Kunst aus?
Es waren eher Irrwege. Ich wählte einen Beruf, der mit Phantasie und Farben nichts zu tun hatte: Medizinische Laborantin am KSSG. Nach der Lehre begann ich wieder zaghaft zu malen, meistens am Sonntag.

Wie stehen Sie zum Thema Ausbildung? Unabdinglich, hilfreich, überflüssig? Oder anders gefragt: Alles Talent oder kann man es überhaupt lernen?
Ich war ja nie an einer Kunstschule. Ich habe mir das alleine angeeignet. Ich habe meinen Weg auch so gefunden. Heute bin ich froh darüber. Ich wurde von niemandem geformt. Talent ist aber sicher wichtig.

Ihre Bilder beinhalten immer auch Geschichten. Würden Sie diese eher als Kunst oder als Illustration bezeichnen?
Das geht ineinander über.

Was zeichnet Ihren Stil aus?
Genauigkeit, Feinheiten.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Am Morgen wird gemalt. Am Nachmittag muss ich an die frische Luft. Ich bewege mich gerne und liebe es, unterwegs zu sein.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Künstlers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht?
Ich arbeite gerne alleine. Es ist ein einsamer Beruf. Ich hatte aber 37 Jahre meine eigene Galerie, die auch als Atelier diente. Dadurch bin ich mich gewohnt, „Besuch“ zu haben und unterbrochen zu werden. Kein Problem für mich. Das gab auch immer wieder neue Impulse.

Woher holen Sie Ihre Inspirationen/Ideen?
Indem ich die Augen und Ohren offen halte. Das sind meine Empfangsantennen.

Die Protagonisten Ihrer Bilder sind meistens Menschen aus einer anderen Zeit – ich würde sie dem Fin de Siecle zuordnen. Wie kamen Sie auf diese Zeit (die auch ich als sehr reizvolle sehe) und diesen Stil?
Fin de Siècle ist für mich wunderbar. Verziert, verschnörkelt, dekoriert. Kleider, Hüte, Hausfassaden, Auto, Flugzeuge, etc.Der Stil hat sich einfach so entwickelt. Gut, man sagt „einfach so“. Es kommt ja nie von alleine. Das Unterbewusstsein spielt vielleicht durchaus mit. Man könnte auch fragen, wieso man die Handschrift hat, mit der man schreibt. Es passiert irgendwie einfach – aber eben: Irgendwie hat es wohl seinen Grund.

Können Sie Ihren Weg von der ersten Idee bis hin zum fertigen Bild beschreiben?
Der erste Moment ist der Blitz aus heiterem Himmel. Ich arbeite zuerst mit dem Titel. Ich schnappe etwas auf, z. B. „Blue Chips“ oder „Taubenfütterer“ oder „Tafelsilber“. Die Titel gefallen mir. Dann kommt das Suchen: Was mache ich daraus? Ich suche nach einer Lösung oder Idee. Die kann nach 5 Minuten da sein oder auch in einem halben Jahr noch nicht. Wenn sie kommt, dann muss sie zünden. Die Ausführung ist eine andere Sache. Die Hand. muss versuchen, das auszuführen, was sich der Kopf ausgedacht hat. Es muss konkret werden und das ist immer mit Komplikationen verbunden. Man sieht es einem fertigen Bild nicht an, was für Kämpfe und Krämpfe da stattgefunden haben. Ich habe eine Ampel in mir. Grün ist „Das Bild ist gut“, ich bin zufrieden. Orange bedeutet „na ja“ und rot „das Bild sollte vernichtet werden“. Ich höre dabei also auf meine eigene Stimme und verlasse mich auf mich.

Wenn sie an Ihre vergangenen Arbeiten denken: Gibt es ein Projekt/ein Bild, das Sie als Ihr Lieblingsprojekt bezeichnen würden? Wenn ja: Welches, und wieso?
Ein Lieblingsbild habe ich nicht, aber durchaus Lieblingsbilder. Ich kann mich nicht für eines entscheiden. Es ist auch wieder die innere Stimme, die das bestimmt, wieso oder warm dieses oder jenes meine Favoriten sind. Ich weiss es nicht und es ist mir auch egal. Es ist mehr ein Gefühl und Gefühle kann ich nicht in Worte fassen, da mir das schlicht zu mühsam ist.

Wie erleben Sie das Klima unter Künstlern? Ist jeder ein potentieller Konkurrent, den man meidet, oder ein Kollege im selben Arbeitsumfeld, mit dem man sich gerne austauscht?
Ich bin ein totaler Einzelgänger. Ich bewege mich nie in der „Szene“.

Was raten Sie jemandem, der Künstler werden will?
Wenn jemand Künstler werden will, soll er unbedingt durchziehen. Ich fände es gut, wenn da aber jemand ist, der den abgehenden Künstler erstmals Steine in den Weg legt. Wenn er diese aus dem Weg räumt, dann ist er auf dem richtigen Weg. Wenn er aber darüber stolpert und nicht mehr aufsteht, dann sollte kein Künstler daraus werden. Man braucht starke Nerven und ein gutes Selbstvertrauen. Auch Selbstzweifel sollten vorhanden sein, aber nicht zu viel und nicht zu wenig. Beides ist nicht förderlich.

Welchen Künstler soll ich hier noch vorstellen?
Ich bin ein Fan von Otto Forster. Auch Margrith Örtli-Edelmann fidne ich gut. Beide leben in St. Gallen.

Wer mehr von Maria Palatini sehen will: Maria Palatinis HOMEPAGE

Felix Scheinberger – Ein Blick hinter die Kulissen

Kurzbiografie

Felix Scheinberger wurde 1969 in Frankfurt am Main geboren. Schlagzeug war ihm wichtiger als Schule, statt Abi zu machen spielte er bis zum 22. Lebensjahr in Punkbands. Die Begabtenprüfung wurde seine Eintrittskarte an die FH für Gestaltung in Hamburg, wo er Illustration studierte und anschließend nahtlos in die Selbstständigkeit startete.In den letzten zehn Jahren hat er über 50 Bücher illustriert, regelmäßig für angesehene Zeitungen gearbeitet, Preise gesammelt, in Mainz, Hamburg und Jerusalem gelehrt und durch seine Lehrbücher reihenweise Kreative den Zeichenstift und den Wasserfarbkasten wieder entdecken lassen.
Felix Scheinberger war von 2010 -12 Stellvertretender Vorsitzender der IO – Illustratoren Organisation, des Berufsverbandes deutschsprachiger Illustratoren. Seit 2012 ist er Professor für Illustration an der Fachhochschule Münster.

Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?

Ich war das Kind, das sich für Dinosaurier interessierte, das Star Wars-Sammelbildchen und Steine sammelte, das Gruselgeschichten las und für die Sportfischerprüfung lernte. Das Dampfnudeln und Bienenstich liebte, im Wald Hütten baute und das später mal Forscher werden wollte. Und ja klar, ich habe auch gezeichnet. Aber wohl eher eben „auch“.

Wie sah Ihr Weg in die Illustration aus?

Ich habe einen Onkel, der eigentlich schon immer ein großer Freund schöner Bücher war. Und dieser Onkel schenkte mir jede Weihnachten einen Stapel Bücher der Büchergilde Gutenberg, deren Mitglied er seit Jahren war. Das bedeutete, dass ich nicht irgendwelche Bücher bekam, sondern Bücher, die auch „gut gemacht“ waren: mit zeitgemäßem Grafik-Design, festen Einbänden und natürlich fantastischen Illustrationen. (Illustrierte Bücher waren auch früher schon keine Selbstverständlichkeit und gerade die Büchergilde stand in den siebziger Jahren für feinste Buchkunst). Über diesen Weg lernte ich schon früh Illustratoren wie Tomi Ungerer, Ralph Steadman oder Horst Janßen kennen.
Ich glaube, diese Bücher haben mich nachhaltig geprägt und sie hatten keinen geringen Anteil daran, dass ich in Hamburg Illustration studierte.

Was macht einen guten Illustratoren aus?

Von einem Illustrator erwartet man in der Praxis tatsächlich nicht wenig: Er muss Gestalter, Künstler, Designer und Manager in einer Person zu sein, Er muss sein Handwerk beherrschen, Geschmack haben und einen unverwechselbaren Stil sein Eigen nennen. Dazu kommt, dass er ja nicht nur umsetzten soll, was andere sich ausdenken, er soll auch selbst kreativ sein und im Handumdrehen Ideen, visuelle Sprachen und pfiffige Bildlösungen kreieren. Darüber hinaus muss er natürlich das gesamte grafische Vokabular vom Layout bis hin zur Druckvorstufe beherrschen und selbstredend „in time“ liefern. Dazu kommt, dass er sich selbst vermarkten muss (immerhin sind nach einer neuen Umfrage der Illustratoren Organisation nur weniger als 2% der deutschen Illustratoren festangestellt). Er muss Kunden akquirieren und das Einmaleins des Freiberuflertums von der Buchhaltung bis zum Zeitmanagement spielend beherrschen.
Kurzum:
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, zumindest sofern man sie wörtlich nimmt.

Ich würde sagen, es kommt auf eine Mischung an:
Primär muss man gute Ideen haben & Illustration lieben, aber man muss auch in Lage sein, sich zu vermarkten.

Ist Illustration Kunst oder Handwerk?

Illustration ist ganz klar Kunst oder kann zumindest ganz klar Kunst sein.

Haben die elektronischen Medien den Beruf schwerer gemacht oder beflügelt?

Ich denke, dass sie den Beruf an sich eher beflügelt haben. Allerdings haben sie die Branche tiefgreifend verändert. Das Problem an den neuen Medien ist in der Tat, dass sie Teile der Arbeitsschritte in der Illustration automatisiert haben, die noch vor einer Generation von Hand gemacht wurden. Das bringt Gutes wie Schlechtes mit sich. Gutes, weil sie uns eher langweilige Teile der Arbeit abgenommen haben, Schlechtes, weil Sie insgesamt das Mittelmaß befördern (das gilt jedoch für das gesamte grafische Gewerbe). Gestaltung ist ja nicht nur Inspiration, sie ist auch Handwerk. Der digitale Umgang mit ihr befördert eben auch jedweden gestalterischen Bluff, wenn man im Handumdrehen scheinbar praktikable Ergebnisse generieren kann, ohne gestalterische Basics zu beherrschen.

Was zeichnet Ihren Stil aus?

Das ist schwer zu beantworten. Sich selbst gegenüber ist man ja immer etwas „betriebsblind“. Ich glaube, ich mag einfach Zeichnungen. Ich arbeite fast immer aus der Linie heraus und koloriere hinterher mit Wasserfarben (und manchmal mit Buntstiften oder Collageschnipseln aus buntem Papier.)
Kurz gesagt sehe ich mich selbst deshalb vor allem als Zeichner.

Haben Sie Lieblingsmedien (welche?) oder passen Sie diese immer dem jeweiligen Thema/Auftrag an?

Zeichnung und Aquarell. Am liebsten direkt „vor Ort“ in ein Skizzenbuch gemalt.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich unterrichte ja noch an der FH Münster Illustration. Deshalb ist meine Woche eigentlich immer in zwei Hälften zerschnitten. In der einen Hälfte sitze ich in Berlin am Schreibtisch und in der anderen bemühe ich mich, unseren Studierenden Zeichnung und Illustration nahezubringen.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Künstlers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht?

Nein ☺

Können Sie Ihren Weg von der ersten Idee bis hin zur fertigen Illustration beschreiben?

In der Regel habe ich gleich ein paar Visionen im Kopf – und in der Regel erweisen sich diese dann beim genauen Hinsehen (und aufzeichnen) als ziemlicher Mumpitz.
Tatsächlich kommen mir die besten Ideen beim Weiterverarbeiten von schlechteren Ideen.
Ich bin da ein großer Freund vom „machen“. Ich zeichnen einfach los und entwickele nach und nach ( und ebnen auch über -oft notwendige- schlechtere Zwischenschritte) bessere Ideen.
Ich habe festgestellt, dass ich meistens nur meine Zeit verschwende , wenn ich darauf warte , dass mich die Muse küsst. Drum: Ich nehme einfach ein Schmierpapier und zeichne los.

Wenn sie an Ihre vergangenen Arbeiten denken: Gibt es ein Projekt, das Sie als Ihr Lieblingsprojekt bezeichnen würden? Wenn ja: Welches, und wieso?

Ich habe vor ein paar Jahren ein Buch mit Skizzen aus dem Berliner Nachtleben veröffentlicht, mit Zeichnungen von Orten an denen fotografieren explizit verboten ist. Ich mochte den Gedanken etwas zeichnerisch zu dokumentieren was eben nur zeichnerisch zu dokumentieren ist. Aus Clubs, aus Techno Parties aus explizit sexuellen Zusammenhängen.
Und ich mag den Effekt, dass dies durch Zeichnung greifbar wird ohne die Protagonisten bloss zu stellen.

Welches Projekt würden Sie einem Leser gerne vorstellen?

Ich würde gerne mein neuestes Buch vorstellen. Mein Mix-Max Kochbuch. Ein Buch dessen Idee ich sehr mag. Es ist kein „normales“ Kochbuch das einem Rezepte vorschreibt und in dem Kochen einfach das Abarbeiten von Einkaufslisten darstellt. Das Mix Max Kochbuch hilft einem wirklich kreativ zu sein. Ich habe mir die Idee zusammen mit meiner Freundin Doro einfallen lassen, und ich glaube, es ist wirklich etwas neues und hilft allen, die wirklich Kochen lernen wollen, indem es spielerisch die Möglichkeiten aufzeigt, die unterschiedliche Zutatenkombinationen bieten.

Ein kleiner Blick ins Buch:

Wie ist das Klima zwischen Illustratoren? Ist jeder ein potentieller Konkurrent, den man meidet, oder ein Kollege im selben Arbeitsumfeld, mit dem man netzwerkt?

Ich mag Illustration und deshalb mag ich auch die Menschen, die sie machen.
Die meisten meiner Freunde haben mit Gestaltung oder Illustration zu tun und ich empfände mein Leben als ärmer, wenn ich mich nicht immer wieder mit Gleichgesinnten treffen und über unsere Kunst unterhalten könnte.
Ich glaube tatsächlich, dass wir nur gemeinsam die Situation der Illustratoren verbessern können. Deshalb war ich auch lange im Vorstand der IO Illustratoren Organisation aktiv. Ich glaube zudem, dass das Kontraproduktivste, was man in einer wirtschaftlich schwierigen Situation entwickeln kann, Konkurrenzdenken ist. Im Gegenteil ist es die Solidarität, die uns stark macht.

Was raten Sie jemandem, der Illustrator werden will?

In einem Satz? Man sollte kreativ, fleißig und mutig sein.

Welchen Illustrator oder Künstler soll ich hier noch vorstellen?

Meinen Atelierkollegen Aljoscha Blau 😉

Ein Blick hinter die Kulissen – Saskia Wragge

Saskia Wragge,
geb. 1989 im Sauerland, lebt und arbeitet als Illustratorin in Köln.
Sie hat an der ecosign Akademie für Gestaltung bei Boris Servais,
Leo Leowald und Ivo Ringe Illustration studiert.
Sie bebildert Romane und Magazine und vieles mehr.

Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?
So könnte man es ausdrücken. Eine Freundin, die ich schon seit Grundschulzeiten kenne, sagt immer „Gebt ihr bloß keinen Stift in die Hand, sie hört nie wieder auf!“

Wie sah Ihr Weg in die Illustration aus?
Nach der Schule wollte ich Kunst studieren und in der Reihe meiner Bewerbungen, wurde ich dann an der ecosign/ Akademie für Gestaltung angenommen, wo ich zunächst Illustration und Typographie studierte, mich dann aber relativ schnell auf Illustration spezialisierte.

Ist eine Ausbildung zum Illustratoren unabdingbar oder lernt man Illustration eher im Stil von learning by doing? Oder anders gefragt: Alles Talent oder kann man es überhaupt lernen?
Ich finde, dass das zwei sehr verschiedene Fragen sind.
Zum Thema Talent: Ich bin der Meinung, dass einem nichts in die Wiege gelegt ist und man kann es einfach. Sicher fällt jedem Menschen das Lernen von Irgendetwas leichter als anderen. Das ist dann Talent. Aber auch da muss man daran arbeiten, um es auszubauen.

Zum Thema Ausbildung oder Autodidakt: Ich glaube, dass Menschen viel ohne Ausbildung lernen können, zumal es abgesehen von Lehrbüchern ja heute etwas wie „Unterrichtsstunden“ durch Youtube-Videos gibt. Ob in einer gesteuerten Ausbildung oder als Autodidakt, wichtig ist bei beidem das regelmäßige Üben, um Fortschritte zu erzielen. Der Vorteil bei einer Ausbildung ist aber, dass die Ausbilder einem selbst – zumindest am Anfang – einiges voraus haben und sehen können, in welche Richtung man arbeiten sollte oder wo man noch optimieren kann. Eine geführte Ausbildung kann dabei helfen, nicht unkoordiniert in alle Richtungen zu Strampeln.

Was macht einen guten Illustratoren aus?
Ein guter Illustrator muss verstehen, worum es in einem Text, in der Musik, oder was immer er illustrieren soll, geht. Bei einem Roman beispielsweise ist es wichtig, dass man nicht nur die Sachebene erfasst, sondern sein Augenmerk auch auf den Erzählstil des Autors legt. Illustrieren bedeutet, etwas anderes mit einem Bild zu unterstützen, verständlicher zu machen und ihm vielleicht sogar einen zusätzlichen Blickwinkel zu geben. Hübsche Bilder allein reichen nicht.

Ist Illustration Kunst oder Handwerk?
Illustratoren sind zunächst einmal Dienstleister. Sie bekommen einen Auftrag und setzen diesen um. Daraus kann Kunst werden. Auch die Bilder der alten Meister, die wir heute in Kunstmuseen sehen, waren oft Auftragsarbeiten. Wenn man sein Handwerk beherrscht, kann daraus Kunst werden.

Haben die elektronischen Medien den Beruf schwerer gemacht oder beflügelt?
Das kann ich kaum einschätzen, da ich schon mit den elektronischen Medien angefangen habe. Sicher ist, dass es durch die Computerprogramme andere Möglichkeiten gibt, als ohne diese, und dass diese eng mit Onlinemagazinen, animierter Werbung und Blogs verbunden sind.

Was zeichnet Ihren Stil aus?
Im Stil bin ich vielseitig. Meine Herangehensweise bei Aufträgen ist nicht an einen festen Zeichen- oder Malstil gebunden. Ich entscheide mich nach einiger Vorarbeit, welches der passende Stil für den jeweiligen Auftrag ist. Das wechselt zwischen Tuschezeichnungen, Aquarellen, Acrylmalereien, digitalen Arbeiten und Mischtechniken aus diesen. Wenn ich frei arbeite, bin ich eher motiv- als stil-gebunden.

Wo holen Sie Ihre Inspirationen/Ideen?
Ich gehe oft in verschiedene Museen – nicht nur Kunstmuseen – und lese viel.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Ich wache früh auf und lese im Bett, dann arbeite ich bis zu einer frühen Mittagspause meist Bürokratisches ab. Den Rest des Tages sitze ich über dem Papier. Ein bis drei Tage in der Woche habe ich einen Nebenjob, bei dem ich viel mit Menschen rede. Das ist ein guter Ausgleich.

Können Sie Ihren Weg von der ersten Idee bis hin zur fertigen Illustration beschreiben?
Wenn ich nicht „einfach nur so vor mich hinmale“ und einen Auftrag habe, leiste ich schon vor der „ersten Idee“ zu einem Bild viel Denkarbeit. Wenn eine Bildreihe entstehen soll, beschäftige ich mich zuerst mit dem Thema und welches die wichtigsten Punkte desselben sind, oder was im bereits vorhandenen Material zu kurz kommt, worauf ich den Blick des Betrachters lenken will. Danach entscheide ich mich für ein Format und die Technik. Erst dann überlege ich, wie die jeweiligen Themen darstellbar sind. Die ersten Ideen schreibe ich untereinander auf und überlege, wo in der Reihe noch etwas fehlt oder gegen welche Idee ich mich entscheiden muss, um ein stimmiges Ganzes zu erzeugen. Wichtig dabei ist, welche Perspektiven, Schwerpunkte und Kontraste die einzelnen Bilder haben und wie sie aufeinander folgen. Wenn das alles erledigt ist, male ich irgendein Bild aus der Reihe, das mich gerade am meisten anspricht. Daraus ergibt sich die Bildsprache der ganzen Reihe.
Durch viel Einschränkung schaffe ich mir einen sicheren Rahmen, in dem ich dann frei arbeiten kann.

Sie haben kürzlich Neil Gaimans „Niemalsland“ illustriert. Was hat Sie an dieser Aufgabe besonders gefreut/gereizt?
Neil Gaiman ist einer meiner liebsten Autoren, deshalb habe ich auch schon in meiner Diplomarbeit das Buch „Der Ozean am Ende der Straße“ von ihm illustriert. Neil Gaiman war ursprünglich Comic-Autor und daher kann er sehr bildgewaltig schreiben. Ich fand an der Aufgabe „Niemalsland“ zu illustrieren besonders reizvoll quasi genau das Gegenteil von dem zu machen, was Chris Riddle tat, der Illustrator der englischen Ausgabe von „Niemalsland“ („neverwhere“), der dem comichaften treu blieb und die Figuren darstellte, wie er sie sich vorstellte. Ich finde das schwierig für den Leser eines Romans, da der Illustrator dem Leser so viel vorgibt. Darum habe ich bewusst auf die Darstellung von Protagonisten verzichtet. Folgt man der Interpretation von Volker Klotz (Literaturwissenschaftler), verwendet Neil Gaiman subtil Tiere als „Helfershelfer der Geschichte“: Welche Tiere wo auftauchen und welche Stellung sie im Roman einnehmen, weist noch auf viel mehr hin. Diesem Aspekt der Geschichte habe ich durch meine Illustrationen Raum gegeben.

Wenn Sie ein Traumprojekt nennen könnten: Was würden Sie gerne illustrieren?
Ich würde sehr gerne ein Plattencover gestalten, für Musik, die ich mag.

Wie ist das Klima zwischen Illustratoren? Ist jeder ein potentieller Konkurrent, den man meidet, oder ein Kollege im selben Arbeitsumfeld, mit dem man netzwerkt?
Ich habe bis jetzt noch keinen Konkurrenzkampf wahrgenommen und bekomme immer hilfreiche Tipps. Wir schicken uns gegenseitig mögliche Jobs zu. Ich finde es spannend mit anderen Illustratoren über den Job zu reden und mir ihre Arbeiten anzusehen.

Was raten Sie jemandem, der Illustrator werden will?
Museen und Buchläden besuchen und üben. Wenn möglich unter Anleitung.

Welchen Illustrator soll ich hier noch vorstellen?
Boris Servais,bei ihm habe ich studiert und bin Fan seiner lockeren Linien.
Lars Henkel,der es wunderbar schafft mit dem Computer zu arbeiten, ohne dass es nach Plastik aussieht. Er bebildert heimlich meine Alpträume.

Ein Blick hinter die Kulissen: Doris Lecher

Kurze Biographie
Doris Lecher wuchs in einem Dorf am Zürichsee auf. Ihre Berufswünsche schwankten zwischen Malerin und Schriftstellerin, nach einem ersten Roman mit 13 kamen Bühnenauftritte und der Gedanke, Schauspielerin zu werden. Mit 24 zog Doris Lecher mit ihrem Mann nach New York, sie nutzte die Zeit und lernte an einer Kunstgewerbeschule das Handwerk des Malens, Illustrierens und Schreibens für Kinder. In New York wurde auch ihr erstes Kinderbuch, Angelita’s Magic Yarn, verlegt.
Doris Lecher lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Basel, wo auch ihre wunderbaren Bildergeschichten entstehen.

Fragen

Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?

Ja, ich hab immer schon gern gezeichnet und Geschichten erfunden. Bevor ich schreiben konnte mittels Bildern.

Wie sah Ihr Weg in die Illustration aus?

Irgendwann realisierte ich, dass, wenn ich schreiben und malen will, die beste Kombination Bilderbücher sind. Damals lebten wir in New York. Und ich entdeckte, dass man das sogar studieren kann. So besuchte ich dort die Parsons School of Design.

Ist eine Ausbildung zum Illustratoren unabdingbar oder lernt man Illustration eher im Stil von learning by doing? Oder anders gefragt: Alles Talent oder kann man es überhaupt lernen?

Wie in jeder Kunstsparte läuft ohne Talent nichts und mit nur Talent noch weniger. Ein Werk erschaffen bedeutet Knochenarbeit. Mein Weg war vor allem Learning by doing mit guten Tipps von Lehrern, Lektoren, Kollegen und anderen kritischen Geistern. Ein Diplom in der Tasche bedeutet in dieser Branche aber weniger als ein publiziertes Buch.

Was macht einen guten Illustratoren aus?

Dass er einem Text Tiefe verleiht und ihn erleuchtet, wortwörtlich illuminiert. Dass er die Geschichte ergänzt und das Buch bereichert.

Ist Illustration Kunst oder Handwerk?

Ich persönlich unterscheide nicht zwischen Kunst und Kunsthandwerk, sondern halte es wie die alten Meister, die nur einen Begriff dafür hatten. (Ars)

Haben die elektronischen Medien den Beruf schwerer gemacht oder beflügelt?

Was eindeutig einfacher wurde, ist die Recherche. Wenn ich heute ein Okapi zeichnen will, muss ich dafür weder in die Bibliothek noch in den Zoo gehen. Obwohl ich mir bei grossen Projekten die Dinge gerne immer live anschaue, weil ich sie dann mit allen Sinnen erfahre. Ansonsten gehöre ich zu den alten Hasen und bin mit Papier und Pinsel und Stiften unterwegs. Den Computer brauche ich manchmal für nachträgliche Korrekturen oder dort, wo er sehr viel praktischer ist (bei Spiegelungen, Wiederholungen etc.) Der erste Strich entsteht aber immer von Hand auf Papier.

Was zeichnet Ihren Stil aus?

Fantasie, Humor und sehr viele Details vielleicht? Einer bestimmten „Schule“ gehöre ich nicht an.

Wo holen Sie Ihre Inspirationen/Ideen?

Woher die Ideen kommen ist mir selber ein Rätsel. Und ich habe mehr als mir lieb ist. Mein Problem ist eher, wie bündle ich sie, sodass ein Bild oder Text nicht überladen wird.

Haben Sie Lieblingsmedien (welche?) oder passen Sie diese immer dem jeweiligen Thema/Auftrag an?

Am liebsten male ich mit Aquarellfarben. Für mein letztes Buch „Spiegel, das Kätzchen“ machte ich Kupferdrucke mit Radier- und Kaltnadeltechniken. Das passt mit dem vielen Schwarz gut zu der hintergründigen und auch etwas unheimlichen Geschichte. Jedes Buch verlangt ein bisschen nach einer anderen Technik.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Wie der eines Beamten: Morgens am Schreibtisch die kreative Arbeit, Mittagspause, nachmittags Korrespondenz oder Haushalt oder Tierarzt oder was sonst noch alles anfällt. Wenn eine Arbeit sehr eilt, illustriere ich auch noch am Nachmittag.

Können Sie Ihren Weg von der ersten Idee bis hin zur fertigen Illustration beschreiben?

Nicht in zwei, drei Sätzen! Die Entstehung eines ganzen Buches ist es ein langer Prozess, der bei mir in mindestens ein Jahr in Anspruch nimmt.

Sie haben kürzlich Gottfried Kellers „Spiegel, das Kätzchen“ illustriert. Wie kam es dazu?

Als unsere Jugendlichen Gottfried Keller in der Schule lesen mussten, war ich entsetzt über ihr Gejammer. Da hab ich ihn auch wieder gelesen und ganz wunderbar gefunden. Besonders der Spiegel hat es mir angetan. Und weil darin genau das vorkommt, das ich am allerliebsten male: Katzen, Eulen, Hexereien, alte merkwürdige Dinge, Gutes zu Essen und einen leicht schrägen Humor, konnte ich nicht widerstehen, die Geschichte neu und kürzer zu erzählen und Bilder dazu zu malen.

Wie wählen Sie generell aus, was Sie illustrieren wollen? Gäbe es Dinge, die Sie nicht illustrieren wollen oder sehen Sie hinter allem die kreative Herausforderung?

Wenn eine Weltanschauung mir gar nicht entspricht, (Esoterik z.B.) würde ich ein Buch nicht illustrieren. Und nicht stimmige Geschichten oder sprachlich schlecht geschriebene nehme ich auch nicht an. Dafür arbeite ich zu lange an den Illustrationen und ist mir die Sprache zu wichtig.

Wie ist das Klima zwischen Illustratoren? Ist jeder ein potentieller Konkurrent, den man meidet, oder ein Kollege im selben Arbeitsumfeld, mit dem man netzwerkt?

Natürlich sind wir Konkurrenten, aber ob man die anderen Illustrierenden als Konkurrenz oder Kollegen anschaut ist eine Frage der Persönlichkeit. Ich bin in zwei Vereinen, wo wir uns austauschen, auch mal helfen, und sogar Aufträge weiter reichen, wenn wir selber keine Zeit dafür haben oder denken, der andere kann das besser.

Was raten Sie jemandem, der Illustrator werden will?

Noch einen anderen Beruf dazu zu lernen! Nicht nur als Einkommensquelle – es ist hart und sehr unsicher, nur vom Illustrieren zu leben –, sondern auch, weil die Arbeit ausgesprochen einsam ist. Da tut es gut, noch ein anderes, sozialeres Tätigkeitsfeld zu haben.

Welchen Illustrator soll ich hier noch vorstellen?

Käthi Bhend und/oder Albertine. Die beiden gefallen mir ganz besonders unter den Schweizer Illustratoren und haben vollendete Kunstwerke von Büchern geschaffen.

Rittiner & Gomez – ein Blick hinter die Kulissen

Rittiner & Gomez  – Spiez
*1960 Simplon-Dorf
Bildermacher  und Webbewohner
seit 1985 diverse Ausstellungen im In- und Ausland
vertreten in mehreren Publikationen
WWW:  www.rittiner-gomez.ch / www.isla-volante.ch

Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?

Nein.

Wie sah Ihr Weg in die Illustration aus?

Schleichend, wir machten unsere Bilder, die dann zur Illustration verwendet wurden.

Was macht einen guten Illustrator aus?

Sie unterstützt treffend einen Text und erklärt zusätzlich Dinge die sich nicht mit Worten sagen lassen.

Ist Illustration Kunst oder Handwerk?

Als Bildermacher haben wir uns diese Frage noch nie gestellt. Sind aber eindeutig Handwerker.

Haben die elektronischen Medien den Beruf schwerer gemacht oder beflügelt?

Beflügelt, die meisten Arbeiten entstanden durch Onlinekontakte und die Zusammenarbeit läuft, fasst ausschliesslich über das Internet.

Was zeichnet Ihren Stil aus?

Eine eigene Bildsprache, die wir über Jahre entwickelt haben, die vom Comic inspiriert ist.

Haben Sie Lieblingsmedien (welche?) oder passen Sie diese immer dem jeweiligen Thema/Auftrag an?

Zeichnung und Aquarellmalerei, die sich vermischt, wobei es oft das zeichnerische und dann wieder das malerische im Vordergrund ist.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

7 30 – 11 00h / 14 00 – 17 00h und mit Kaffeepause.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Künstlers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht?

Zu Talent können wir nichts sagen. Zum arbeiten brauchen wir nicht Stille. Hören oft Radio oder Musik . Das mit den Menschen ist tatsächlich so eine Sache, selbes wenn sie nicht im gleichen Raum sind können wir nicht arbeiten.

Können Sie Ihren Weg von der ersten Idee bis hin zur fertigen Illustration beschreiben?

Meistens kommen beim Lesen eines Textes, die Bilder ganz automatisch, es gilt dann eine Auswahl zu treffen. Machen auch nie Entwürfe, lassen die Bilder quasi, aus dem Papier heraus wachsen.

Wenn sie an Ihre vergangenen Arbeiten denken: Gibt es ein Projekt, das Sie als Ihr Lieblingsprojekt bezeichnen würden? Wenn ja: Welches, und wieso?

„Ewig Dein“ eine Liebesgeschichte mit einem wortlosen Comic auf 26 Bildern für die Ausstellung „Liebes Radio“ im historischen Museum Luzern. Jede Woche der Ausstellung kam ein neues Bild hinzu. Den Auftrag erhielten wir 4 Tage vor der Ausstellungseröffnung. Es war also ein Sprung in das kalte Wasser und wie die Geschichte enden würde, wussten wir beim Start noch nicht.

Welches Projekt würden Sie einem Leser gerne vorstellen?

Arbeiten nun seit 19 Jahren an dem Weblog „Isla Volante“ und sind selber erstaunt wie sich der Blog immer wieder veränderte und was daraus alles entstand. Sind aber auch gespannt wie sich die Isla Volante weiter entwickeln wird.

Wie ist das Klima zwischen Illustratoren? Ist jeder ein potentieller Konkurrent, den man meidet, oder ein Kollege im selben Arbeitsumfeld, mit dem man netzwerkt?

Kennen persönlich gar keine Illustratoren. Sind aber immer in Kontakt mit diversen Menschen, aus verschiedensten Berufen, die unsere Arbeit beeinflussen und weiterbringen. Selbstverständlich, hätten wir grosses Interesse, uns mit Illustratorinnen auszutauschen und zu vernetzen.

Was raten Sie jemanden, der Illustrator werden will?

Zeichnen, malen, zeichnen, malen, zeichnen, malen, zeichnen und viel Radfahren.

Welchen Illustrator oder Künstler soll ich hier noch vorstellen?

Patricia Keller

Der Link zum im Interview erwähnten Weblog: HIER

Peter Jenny – ein Blick hinter die Kulissen

Wenn Sie Ihr Leben erzählen müssten, was wäre Ihre Kurzbiografie?

1942 geboren in eine Bergbauernfamilie, die aus dem Wenigen mehr machen musste. Die Erziehung frei, die Familienstruktur war geprägt durch ein verstecktes Matriarchat. Meine Tagträume wurden kaum gestört durch Eltern und Lehrer. Als 10-jähriger war kein Buch sicher vor mir, ich las alles, was ich zwischen die Hände bekam, vom Appenzeller Kalender zu Jeremias Gotthelf bis hin zu den eher verpönten „Schundheftli“.
1958-1962 Lehre als Typograpf.
1964-1965 Kunstgewerbeschule, Zürich
1965-1972 eigenes Büro für Gestaltung
1969-1970 Lehrer am Vorkurs der KGS Zürich, wo ich wegen unüberbrückbaren Differenzen mit der Schulleitung kündigte.
1971 Mitbegründer der privaten Schule Farbe und Form (F+F) in Zürich.
1975-1977 Dozent an der ETH,Zürich (Abteilung für Geistes-und Sozialwissenschaften)
1977-2007 Professor an der ETHZ (Abteilung Architektur). In dieser Zeitspanne realisierte ich verschiedenste Ausstellungen im In- und Ausland, immer mit den Themen Wahrnehmung und Gestaltung. Im gleichen Themenkreis bewegen sich auch meine vielen Publikationen, die z. Teil in sieben Sprachen übersetzt wurden.
Heute bin ich hauptsächlich als Berater und Publizist, vor allem in kulturellen Bereichen, tätig.

Sie haben eine Ausbildung in Gestaltung gemacht (Typografie, Grafik, Fotografie) – was war ihr Ziel?

Mein Ziel war immer ein eigenes Büro für Gestaltung. Dass ich Lehrprozesse für gestalterische und künstlerische Berufe entwarf, entstand durch „Notwendigkeit“. Die Bauhauslehre des sogenannten Vorkurses an der Kunstgewerbeschule Zürich war hoffnungslos veraltet.

War immer klar, dass Sie einen kreativen Beruf ergreifen wollten? Waren Sie das Kind, das immer und überall mit Zeichenstiften bewaffnet auftrat?

Ja, das war mir immer klar. Schon die obligatorischen Schuljahre liessen mir viel Zeit, um sozusagen autodidaktisch kreative Prozesse loszutreten. Lehrpersonen und Lehrstoff störten mich dabei kaum. In Tisch und Bank wurde geritzt und Schulbücher zeichnend ergänzt.

Später wurden Sie Professor für Gestalten an der ETH, im Bereich Architektur. Was hat Sie am Lehren gereizt?

Bis dahin durchlief ich meine eigenen Schulen sowohl als Gestalter wie als Unterrichtender. Grundsätzlich gilt: Alles, was der Mensch macht, existiert zuerst einmal als bildnerische Vorstellung, Architektur bildet hier keine Ausnahme. Das Grundlagenfach „Bildnerisches Gestalten“ muss für gestalterische Berufe ein Hauptfach sein, selbst wenn die Resultate mehrheitlich im Papierkorb landen. Es geht um kreatives Denken. Das Privileg der Ausführung im öffentlichen Raum wird zuerst durch Bilder überprüfbar.

Was ist gute Gestaltung? Welche Kriterien müssen erfüllt sein?

Funktionalität! Diese kann sich durch verschiedenste Ansprüche manifestieren. Zum Beispiel, wenn Schönheit fehlt, ist somit ein Teil der Funktionalität nicht erfüllt. Gute Gestaltung kann auch bereits bei den Nutzniessern beginnen. Wenn diese ihre entsprechenden Ansprüche geltend machen könnten, hätte dies einen qualitätsfördernden Einfluss auf das Gebaute.

Wenn man in einem kreativen oder künstlerischen Beruf tätig ist, kommt es oft vor, dass man die eigene Praxis vernachlässigt. Wie ist das bei Ihnen?

Als ich Professor wurde, musste ich mein Gestaltungsbüro aufgeben. Damit änderte sich mein Gestaltungsauftrag, ich entwarf und gestaltete Prozesse der Wahrnehmung. Die Inhalte, die mich (durch den Lehrplan) beschäftigten, waren: Beobachten, Zuhören, Erfinden und Motivieren. Meine Praxis habe ich also nicht vernachlässigt, ich habe sie nur verschoben. Performances und Prozesskunst beschäftigten mich seit je als Gestaltungslehrer, nicht erst an der ETH. Daneben realisierten wir am Lehrstuhl immer wieder Aufträge für die Öffentlichkeit und für andere Hochschulen (z.B. Bauhaus Dessau).

Kreativität liegt Ihnen am Herzen, Sie haben einige Bücher geschrieben, die sich mit kreativen Techniken beschäftigen. Wieso ist Kreativität so wichtig?

Wir können unendlich weit zurück blicken, doch der Blick für Zukünftiges verkürzt sich ständig. Deshalb sind Kreativität und Vorstellungsvermögen sehr wichtig. Umdenken, neue Wege nutzen und Neugierde kultivieren ist in allen Lebensbereichen wünschenswert. Kulturtechniken und Bilder werden somit zum wichtigen Bildungsstoff. Hier liegt ein Umstand vor, der vielen Lehrern zu schaffen macht, da sie eine Fähigkeit unterrichten müssten, die zur Bewältigung des Unvorhergesehenen eingesetzt werden könnte. Dem Unvorhersehbaren erfolgreich zu begegnen, erfordert Kreativität!

Woher nehmen Sie die Ideen für eigene Projekte? Was inspiriert sie?

Ich wechsle die „Brille“ indem ich Denkformen aus anderen Gebieten hole. In der frühen Kindheit ist diese Fähigkeit noch ausgeprägt. Kinder spielen gerne Rollen und diese Rollenspiele öffnen eigene Rollenmuster. Auch Outsider zeigen, was Obsession und selbständiges, überraschendes Lernen bewirken. Ich frage mich auch, was ich analog und was ich digital untersuchen kann. Im Vorfeld eines Projektes habe ich zwangsläufig immer mehr Fragen als Antworten. Als Kulturschaffender arbeite ich in einem der seltenen Gebiete, in dem der Rollenwechsel zwischen Lehrendem und Lernendem möglich ist.

Ich denke oft, dass Kunst und der Begriff Künstler konnotiert sind – entweder negativ im Sinne von „einer, der Kunst macht, ist ein Nichtsnutz, ein Tagträumer und Phantast (was per se wunderbar ist, aber so nicht gemeint)“, oder aber (zu) positiv, dass nur einer kleinen Elite zugestanden wird, sich Künstler zu nennen, die anderen sind Hochstapler. Was bedeutet Kunst für Sie?

,,Jeder Mensch WAR ein Künstler“.
Der Säugling, der sich ins Leben tastet: Geruch/Wärme, Schreien/Atmen, Klammern/Begreifen.
Das Kleinkind, das Nähe, Geborgenheit und Schutz sucht: Stammeln/Sprechen, Taumeln/Gehen, Schmieren/Zeichnen.
Das Kind, das erfindet: Summen/Singen, Blasen/Pfeifen, Buchstabieren/Lesen, Fragen/Antworten, Ja/Nein…

,,Jeder Mensch KÖNNTE ein Künstler sein“.
Selber lernen: Ausprobieren, Fragen, Entdecken, Verändern, Verbessern, Erneuern…!

Das bildnerische Denken bietet reversible Formen, die in jeder Tätigkeit sinnvoll sein können. „Kunst“ ist nicht von der Tätigkeit abhängig. Wenn Kritzeleien, Form und Farbe dazu ermuntern, sich am Aussergewöhnlichen zu erfreuen, umso besser. Anschauliches Denken hat grosse Verflüssigungseigenschaften, wo und wie sie sich entfalten ist letztlich selbstbestimmt von allen, die sich darauf einlassen.

Sie sagten mal, Sie seien kein Künstler, sondern Kulturtechniker. Wo sehen Sie die Grenze?

Die Grenze ist fliessend, als Künstler würde ich mich völlig anders positionieren und auch produzieren. Als Gestaltungslehrer kann ich meine Überzeugungen und Vorstellungen gezielter platzieren.

Denken Sie, um Künstler zu werden, ist eine klassische Ausbildung nötig, oder sehen Sie auch andere Wege? Wenn ja, welche?

Natürlich gibt es – zum Glück – andere Wege. Max Bill hatte so seine Zweifel, dass Schulen Künstlerinnen und Künstler hervorbringen könnten. Damit betonte er den individuellen Werdegang. Max Frisch war ursprünglich Architekt, seine Bedeutung erlangte er als Schriftsteller. Facteur Cheval war Postbote und wurde Architekt (Palais ideale). Die extremen Bildungsunterschiede sind bezeichnend.

Was würden Sie einem anstrebenden Künstler raten?

Ich würde ihm empfehlen, eine Situation zu suchen, die ihm viel Zeit für das Entdecken lässt und ihm Ermunterung bietet.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Künstlers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie für Ihre Kreativität Stille und Einsamkeit oder stören Sie andere Menschen nicht?

Sie haben recht, die Talentverschüttung nach den ersten Lebensjahren ist riesig. Ich arbeite gerne am frühen Morgen, bei schlechtem Wetter auch auf einem wenig besuchten Ausflugsschiff oder als Stubenhocker in den eigenen vier Wänden. Für die Studierenden befürwortete ich immer Arbeitsräume, die rund um die Uhr nutzbar sein sollten.

Sie haben Bücher über Fotografie und über das Zeichnen geschrieben. Früher wurde die Kamera ja mal als Gefahr für die Malerei gesehen, weil man mit ihr viel schneller und realistischer abbilden kann. Wie sehen Sie das Verhältnis der beiden?

Jedes Medium bietet seine eigenen Möglichkeiten. Keine vorzeitige Spezialisierung, denn eine schlechte Fotografie verändert vielleicht im positiven Sinne eine Zeichnung,
und umgekehrt. Für alle Medien gilt eines, die Beobachtung zu trainieren. Die technischen Anforderungen fürs Fotografieren beherrschen sie schnell, das aussergewöhnliche Bild verlangt in jeder Technik die höchste Aufmerksamkeit. Fotografie ist zu einem Medium für alle geworden, dennoch bleibt das Kunstwerk die Ausnahme. In der Zeit des Lernens sollte die Wahl der Medien offen sein, die Mut machenden Techniken sind empfehlenswert. Naturalistisch oder abstrakt ist nicht vom Medium abhängig.
In meinen Büchern gibt es zwar Schwerpunkte, die Wahl der Mittel ergibt sich durch Vorlieben und das Thema.

Kann es sein, dass die abstrakte Kunst vermehrt aufkam, um sich von der Kamera und deren Blick zu distanzieren, neue Wege gehen zu können?

Das, was sie mit neuen Wegen bezeichnen, ist immer wichtig. Die Freude des Entdeckens steht bei kreativen Menschen im Vordergrund. Darum behaupte ich: „Jeder Mensch war ein Künstler!“ In den ersten Lebensjahren stehen das Entdecken und das Lernen gemeinsam im Zentrum. Wer anschauliches Denken unterrichtet, ist gut beraten, von den Kindern zu lernen.

Wenn sie an Ihre vergangenen Arbeiten denken: Gibt es ein Projekt, das Sie als Ihr Lieblingsprojekt bezeichnen würden? Wenn ja: Welches, und wieso?

Zum Lieblingsprojekt wird es dann, wenn es sich an Autodidakten wendet. Wenn die Leserin, der Leser entdeckt, wie vielfältig die Möglichkeiten beim selbständigen Lernen sind. Dass individuell entschieden werden kann, warum, wann, wo und mit wem sie lernen. Zehn Taschenbücher, eine Schule zwischen Buchdeckeln, bilden für Interessierte ein Buffet zur Selbstbedienung für Bildhungrige. In diesem Sinne ist meine Taschenbuchreihe „mein liebstes Kind“.

Buchtipp:

Peter Jenny – Kreative Interventionen