Werkstattgespräche – Nelio Biedermann

2003 kam Nelio Biedermann zur Welt und wuchs am Zürichsee auf. Schon früh entdeckte er seine Freude am Schreiben, gewann im Gymasium seinen ersten Wettwerb und wusste: Das will ich weitertun. Schon während seiner Gymnasialzeit erschien sein erster Roman „Verwischte Welt“ und eine Kurzgeschichtensammlung wurde vom Kanton Zürich ausgezeichnet. Aktuell studiert Nelio Biedermann Germanistik und Filmwissenschaften an der Universität Zürich und arbeitet nebenbei als Kellner.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Ich würde über ein Kind schreiben, das sehr viel wahrnahm und fühlte und oft in Gedanken versunken war. Mein Erwachsenenleben ist noch zu kurz für eine Biografie. 

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Zu dieser Frage könnte ich gleich ein nächstes Buch schreiben. Kurz gesagt: Weil es mir mehr erfüllt als alles andere. Der Auslöser war das Buch «The Goldfinch» von Donna Tartt. Nach dieser Lektüre wollte ich irgendwann einmal etwas ebenso Grossartiges schreiben.

In einem Interview hörte ich mal, du hättest im Schreiben endlich gefunden, was du lange gesucht hast. Wie merktest du, dass das so ist? Wie äussert sich das?

Als ich meine erste Kurzgeschichte für einen Wettbewerb meines Gymnasiums schrieb, verschwand ich zwei Tage in meinem Zimmer und tat nichts anderes. Ich war wie in einem Rausch und wusste, dass ich das weiterhin tun möchte. Als ich den Wettbewerb dann auch noch gewann, begriff ich, dass ich das nicht nur gerne tue, sondern auch gut kann.  

Woher holst du die Ideen für dein Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte draus?

Das können sehr kleine Ideen und Gedanken sein, die man immer weiter verfolgen und verknüpfen muss. Tut man das genug lang, wird irgendwann ein Buch daraus. Woher die Anfangsideen dieser langen Assoziationskette kommen, ist rückblickend schwer zu sagen.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Ein durchdachtes Gerüst habe ich nie, die Ideen kommen mir meist beim Schreiben selbst. Je länger ich an einer Geschichte schreibe, desto klarer wird das Gefühl dafür, wohin sie sich entwickeln und wie sie enden wird.

Wenn man an Schriftsteller denkt und auch Interviews liest, schreiben viele die ersten Entwürfe von Hand, oft sogar mit dem immergleichen Schreibmaterial (Legal Pad oder Notizbuch und Bleistift oder ein bestimmter Füller). Wie sieht das bei dir aus? Mit Stift oder gleich in die Tasten?

Ich schreibe alles von Hand und tippe es dann kontinuierlich ab. Das hilft mir, im Fluss zu bleiben und den Text schon ein erstes Mal zu überarbeiten, während er sich noch entwickelt.

Wann und wo schreibst du?

Meist schreibe ich spät abends an meinem Schreibtisch, wobei ich «Anton will bleiben» auf einer dreimonatigen Reise durch Südostasien verfasst habe. 

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören dich andere Menschen nicht?

Ich hörte mal, dass Mark Twain immer die Türklinke zu seinem Schreibzimmer abschraubte, um nicht gestört zu werden. In Stille und Einsamkeit zu schreiben, ist sicher einfacher als im Zug; schafft man es, völlig in die Geschichte einzutauchen, geht es aber überall. 

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Die grössten Freuden sind, immer eine Welt zu haben, in die ich mich flüchten kann, jeden Tag etwas zu erschaffen und mich selbst zu fordern. Mehr Mühe als das Schreiben bereitet mir alles, was zum Leben als Schriftsteller dazugehört wie das Beantworten von Mails, das Rechnungen stellen oder das Reisen zu Lesungsorten. 

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Nein, ich schreibe auch in den Ferien. Abschalten will ich gar nicht, ich sauge alles auf. Kann ich nicht schreiben, geht es mir schlecht.

Der Mann von Joan Didion riet ihr, immer ein Notizbuch dabei zu haben. Die Notizbücher gewisser Schriftsteller sind legendär. Führst du auch eines und wenn ja, was kommt da rein?

Ein Notizbuch führe ich nicht. Ich habe aber unzählige Notizen auf meinem Handy, mit denen ich alles festhalte, was mir durch den Kopf geht oder was ich sehe. Vieles davon verwende ich jedoch gar nie.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist Anton aus deinem Roman „Anton will bleiben“ ein älterer Herr und Witwer, damit kein Ebenbild von dir. Wie viel von Nelio Biedermann steckt in Anton oder in deinem Roman generell?

In Anton steckt sehr viel von mir, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so scheint. Goethe hatte mit seiner Aussage sicher recht (immerhin war er Goethe); ohne aus sich selbst und seinen Erfahrungen zu schöpfen, kann keine Literatur entstehen.

«Anton will bleiben» handelt vom Tod und davon, was von uns bleibt, wenn wir gehen. Wie kommt es, dass du dir über solche Themen Gedanken machst? Und: Ist Schreiben dein Weg, etwas zu hinterlassen irgendwann?

Ich hoffe sehr, dass mich mein Schreiben überdauern wird, wobei ich an Anton ja auch gezeigt habe, dass es Erstrebenswerteres gibt. Woher diese Gedanken kommen, weiss ich nicht, aber mir war die Vergänglichkeit, das Rinnen der Zeit schon immer sehr bewusst.  

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Ich denke, dass auch hohe Literatur, sehr unterhaltend sein kann, weshalb die Einteilung wenig sinnvoll ist. Mein Ziel ist es, genau das zu schaffen: Literatur, die literarisch wertvoll ist und die man nicht aus der Hand legen will.  

In Amerika sind Kurse in kreativem Schreiben schon lange populär, in unseren Breitengraden scheint immer noch die Idee vom Genie vorzuherrschen und das Lernen des Handwerks wird eher stiefmütterlich behandelt. Ist Schreiben lernbar? Wie ist/war das bei dir?

Seit «Anton will bleiben» habe ich mir enorm verbessert, was vor allem daran liegt, dass ich jeden Tag geschrieben habe. Ein gewisses Grundtalent, eine Veranlagung zur Sprache und zum Schreiben müssen sicher vorhanden sein, allein dadurch wird man jedoch nicht zum Schriftsteller. Dazu braucht es viel Übung und Disziplin. Ich schreibe nun seit fünf Jahren, was nach wenig klingt. Wenn man aber bedenkt, dass ich jeden Tag geschrieben habe, sind das fast 2000 Tage üben.

Wie geht dein Weg weiter? Gibt es schon Ideen für ein neues Buch? Oder willst du nun etwas ganz anderes machen?

Das neue Buch ist fast fertig und schon verkauft. Wenn alles nach Plan läuft, wird es im Herbst 2025 erscheinen. Etwas anderes zu machen, kann ich mir nicht einmal vorstellen.

Was rätst du einem (jungen) Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Sich hinzusetzen und anzufangen. Fünfhundert Wörter zu schreiben. Am nächsten Tag das gleiche. Am übernächsten ebenfalls. Und so weiter. Bis man irgendwann realisiert, dass man ein Buch geschrieben hat.

Wer neugierig geworden ist auf Nelio Biedermanns Buch:

Nelio Biedermann: Anton will bleiben

Nach seiner Krebsdiagnose überlegt Anton, wie er das verbleiende Jahr verbringen könnte, um in die Geschichte einzugehen, schliesslich sollte nach seinem Tod etwas von ihm zurückbleiben. Er versucht sich im Schreiben, mit Fotografieren, Malen, Philosophieren. Er schliesst neue Freundschaften, macht eine Reise, überzeugt einen Jungen mit Selbstmordabsicht von der Schönheit des Lebens. Nur der ewige Ruhm, der scheint ihm nicht gegönnt. Oder doch?


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