Inhalt
«Sie würde die vielen verschiedenen Bilder ihrer selbst, die getrennt voneinander existieren, asynchron, gern in einer Erzählung vereinen, der Erzählung ihres Lebens, von der Geburt während des Zweiten Weltkriegs bis heute. Eine einzelne Existenz, die in der Bewegung einer ganzen Generation aufgeht.»
Annie Ernaux zeichnet das Bild einer Generation, sie erzählt von den sich verändernden Umständen und den eigenen Gefühlen, Erfahrungen und Lebensentwürfen. Sie will ein Buch über all das schreiben, sammelt Notizen, Fotos, fängt doch nicht an. Sie hat eine Idee, verwirft sie, häuft Material an – es bleibt beim Vorhaben. Und irgendwann hat sie es doch geschrieben und wir lesen es. Wir lesen das Porträt einer Zeit und eines Lebens, eine Mischung aus Erinnerungen an das Zeitgeschehen, soziale wie politische Gegebenheiten, Redewendungen, Gesinnungen, Sitten und Gebräuche. Und mitten drin immer wieder das eigene Leben.
Gedanken zum Buch
«Ich habe Angst, mich in diesem bequemen Leben einzurichten, Angst, irgendwann festzustellen, dass ich nicht bewusst gelebt habe.»
Annie Ernaux hat sich aus der sozialen Unterschicht ins Kleinbürgertum hochgekämpft, sie ist Lehrerin geworden und hat, wie es in diesem Milieu üblich ist, eine Familie gegründet. Die Träume aus der Kindheit und Jugend, der Traum vom Schreiben, von einem freien und unabhängigen Leben, sind verblasst, der Alltag mit Kindern, Mann und Haus ist zum gewählten Leben geworden. Manchmal blitzen die alten Träume auf, doch der Gedanke, das jetzige Leben zu verlieren, ist zu schmerzhaft, sie hat sich eingerichtet.
«Etwas von der Zeit retten, in der man nie wieder sein wird.»
Als die Ehe zerbricht, kommt eine neue Dynamik in ihr Leben. Die neugewonnene Freiheit wirkt sich auf allen Ebenen aus, eröffnet neue Möglichkeiten. Fast fühlt sie sich, als wäre das Leben dazwischen nur ein Intermezzo gewesen, nach welchem sie nun nahtlos an die Jugendzeit anknüpft. Nun reift auch der Wunsch, endlich das Buch zu schreiben, das sie schon so lange in sich trägt. Annie Ernaux will erzählen, von all dem, was war, von sich, von der Zeit.
«Es gab keine unsagbar schöne Welt, die wundersamerweise durch eine inspirierte Sprache zum Vorschein kommen würde, sie hatte nur ihre eigene Sprache zur Verfügung, die Sprache aller, sie war da einzige Werkzeug, mit dem sie sich gegen das, was sie empörte, auflehnen konnte. Das zu schreibende Buch würde ihr Beitrag zur Revolte.»
Über viele Jahre hat Annie Ernaux Notizen angehäuft, Tagebucheinträge und Fotos gesammelt. Sie sucht nach der richtigen Form für ihr Buch, sie sucht nach der passenden Sprache, um ihr Leben zu erzählen und wie dieses in die Zeit gebettet war. Sie verbindet persönliche Erfahrungen mit politischem Zeitgeschehen, zeichnet ein Bild der sozialen Schichten und den jeweiligen Gebräuchen in denselben. Sie webt aus den verschiedenen Fäden einen Teppich ihres Lebens und der Zeitspanne, die dieses überdauerte.
Fazit
Ein persönliches Buch über das eigene Leben und wie es in die Zeit gestellt ist. Sehr empfehlenswert!
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